Donnerstag, 9. Juni 2011

Groteske um noWEF 2011 - die Ruhe vor dem Sturm?

Für Kenner der linken Szene - zu denen, am Verfolgungswahn gemessen, eigentlich auch der Verfassungsschutz und die Polizei zählen sollte - war von Anfang an (relativ) klar: 1.000 oder gar 1.500 DemonstrantInnen werden das bei den noWEF-Protesten sicherlich nicht. Möglicherweise lag diese Fehleinschätzung bei den Anmeldern der Demo (ein kommunistisches Bündnis?) selbst, als man die Zahl der TeilnehmerInnen in selbstbewusster Selbstüberschätzung mit 1.000 angab. Möglicherweise wollte die Polizei auch nur "auf Nummer sicher" gehen und rechnete großzügig hunderte DemonstrantInnen aus dem Ausland (wie zuletzt bei Bologna Burns 2010 der Fall) dazu. Möglicherweise aber gelang die wochenlange Einschüchterungskampagne der Behörden via Medien besser, als von allen Seiten vermutet. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus all diesen Faktoren, in Kombination mit schlechter Vernetzung und Mobilisierung im Vorfeld der Demo. Dem Vernehmen nach soll das Interesse an derartigen Treffen nahezu bei Null gelegen sein. Insofern ist dem kommunistischen Bündnis, das hunderte ihrer Anhänger mobilisieren konnte, auch überhaupt nichts vorzuwerfen. Offenbar haben sie als einzige den WEF-Gipfel überhaupt ernst genommen.

Medienspektakel

Die Medien, die in ihrer beschämenden Ahnungslosigkeit der Wiener Szene wie immer den Darstellungen der Polizei nachplapperten, stürzten sich in erwartungsvoller Vorfreude auf die angekündigten Proteste und malten sich, mithilfe unmissverständlicher Andeutungen seitens der Polizei, Straßenschlachten zwischen "linken Chaoten" und hochgerüsteten PolizistInnen mit Wasserwerfern und Hubschraubereinsatz in der Wiener Innenstadt aus. "Immerhin" gab es vor 9 (!!!) Jahren in Salzburg (!) ja eh auch Zwischenfälle bei den Protesten gegen das dortige WEF-Treffen. Diese "Zwischenfälle" waren zwar äußerst einseitig und wären eher als Ausschreitungen der Polizei gegenüber DemonstrantInnen zu bezeichnen, aber das spielt natürlich keine Rolle, weil sich ja die DemonstrantInnen ja eh immer als unschuldig bezeichnen und die Polizei sicher ihre Gründe gehabt haben wird. Immerhin: die sind die Polizei, warum sollten die lügen? Und außerdem: In Davos, Big Town City und in Far Far Away gibts ja auch immer heftige "Krawalle" - womit sich jegliche Recherche für die Wiener JournalistInnen zum Glück vollkommen erübrigt: es ist ja eh alles klar!

Also wiederholten die Äffchen in den Wiener Redaktionen brav, was ihnen die Polizei vorplapperte: Gewaltbereite linke Chaoten aus dem Ausland, Urlaubssperre für die Wiener Polizei, Schengen wird aus Sicherheitsgründen außer Kraft gesetzt, der Luftraum wird gesperrt, Sperrzonen und Platzverbote um die Hofburg, Festnahmestraße mit "Schnellrichtern", eine ganze Etage im PAZ Rossauer Lände für 80 Personen frei gemacht, fliegende Spaghettimonster drohen mit Angriffen ...

"Ausnahmezustand in der City: Scharfschützen und Wasserwerfer" warnte die Kronen Zeitung am Tag der Auftaktdemo, "Stau und Krawalle" lieferte Österreich als Appetizer auf ihrer Titelseite, und auch Der Standard stimmte, wie alle anderen Zeitungen, wenn auch um eigene Angaben ergänzt und etwas weniger schreierisch, in den "Sicherheitsvorkehrungs"-Kanon der Polizei und der APA ein.

Volkstheater

Zur Demo selbst kamen schließlich vor allem kommunistische Gruppen. Rote Fahnen schwenkend bestimmten sie das Erscheinungsbild der Demo, obwohl die Hälfte der TeilnehmerInnen durchaus anderen Teilen der Linken zuzuordnen gewesen wäre. Doch "Mitläufer" ohne Transparente oder Schilder fallen eben weniger auf. Der "revolutionäre Block" war ebenso mit Kommunisten gefüllt wie der Block der Maoisten, die mit ihrem großen Mao-Transparent nicht zu übersehen waren und mit Sprechchören wie "Alle Macht im Staat, dem Proletariat" und "Hammer, Sichel und Gewehr ..." wohl nicht ganz unschuldig daran waren, dass am Westbahnhof kaum noch 300 DemonstrantInnen übrig waren und am Weg zum Volkstheater bis auf 150 auch der Rest verschwand. Auf Indymedia wurden mehrere Beiträge gepostet, die sich über die "aus einer feministischen, antikapitalistisch/emanzipatorischen Sicht jenseitigen Gruppen" empörten und neben der "Präsenz von K-Gruppen, AntiImps und KPÖ" nur "dazwischen ein paar Undogmatische und Autonome" finden konnten. "Nicht dabei sind die angekündigten ausländischen Gewalttäter_innen, wurden wahrscheinlich alle bei den Passkontollen an der Grenze erwischt." (Der Standard widerspricht: "Bis Dienstag wurden jedenfalls keine Personen, die als Gefahr für den WEF-Gipfel eingestuft werden könnten, bei den Grenzkontrollen entdeckt" 8.6., S. 5)

Tatsächlich dürften viele potentielle DemonstrantInnen durch das gerüchteweise 4.500 PolizistInnen umfassende Polizeiaufgebot (davon vermutlich maximal die Hälfte tatsächlich in Wien) samt Wasserwerfern und Schnellrichterstraße sowie bisherige Erfahrungen mit der Polizei an Demonstrationen in Wien abgeschreckt worden sein. Warum sollten sich Randalierer und Krawallmacher durch die Polizei abschrecken lassen, mögen nun manche fragen: Ganz einfach: es gibt fast keine "linken Chaoten" in Wien. Die Masse der TeilnehmerInnen an antifaschistischen, antirassistischen oder antikapitalistischen Demonstrationen ist pazifistisch veranlagt - entgegen der weit verbreiteten Darstellungen der Polizei und der Medien. Die Folge derartiger Panikmache ist tatsächlich eine "demokratiepolitische Katastrophe", wie ein Aktivist gegenüber der APA sagte. Denn die Abschreckung funktioniert: "ich will ned schon wieder eine Anzeige" hört man immer wieder von politisch an sich interessierten und kritischen Menschen, die wahlweise bei der Demonstrationen gegen WKR-Ball 2010 (über 670 Anzeigen!), noWKR 2011 (etwa 150 Anzeigen), diversen Demonstrationen gegen Abschiebungen (immer wieder dutzende Anzeigen) oder zuletzt nach dem Freispruch der Tierschützer in Wiener Neustadt, als in Wien etwa 35 DemonstrantInnen (aus einer Demo mit etwa 150 TeilnehmerInnen) von der Polizei überrascht wurden.

Einschüchterung mit System

Es zeugt zwar nicht gerade von politischem Rückgrat, sich der durchschaubaren Einschüchterung der Polizei widerstandslos unterzuordnen, andererseits sind wir alle in das selbe System gezwängt, in dem eine Verwaltungsstrafe über 70, 100 oder gar 350 Euro durchaus dazu führen können, sich lieber noch mal genau zu überlegen, warum man eigentlich uneigennützig für gemeinsame Interessen auf die Straße gehen sollte. Dass es in Wien keine gut organisierte Freiraum-Szene gibt (autonome und/oder besetzte Häuser), sondern lediglich ein paar Plätze, an denen die meisten AktivistInnen entweder zu sehr mit dem reinen Überleben der Initiative beschäftigt sind, oder einfach mit dem Kochen eines eigenen Süppchens zufrieden sind, tut sein übriges.

Und wenn sich die Polizei es bei monate- oder wochenlang vorbereiteten Demonstrationen bis unmittelbar (!) vor Demo-Beginn die Option offen lässt, die Demo zu verbieten, ist jenes Grundvertrauen in die demokratische Funktionsweise verloren, das es benötigt, mit gutem Gewissen und ohne Angst vor Polizeirepression eine Demo zu besuchen. Wenn man bei (in einem rechts dominierten Staat) "brisanten" Themen wie Anti-Kapitalismus oder Anti-Rassismus immer damit rechnen muss, dass die Polizei eine derartige Demo wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" untersagt, ist vielen der praktische Ausdruck von Kritik am herrschenden System schlicht "zu heiß". Und das in Wien, demokratische Republik Österreich, 2011.

die Ruhe vor dem Sturm?

Und so herrscht in Wien derzeit eine Ruhe, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Dass es auch in Wien nicht immer ruhig bleiben muss, hat der Ausnahmezustand rund um die Ernennung der Schwarz-Blauen Koalition ebenso gezeigt, wie der "heiße Herbst" 2009 mit mehreren großen Studierendendemonstrationen und reihenweise Hörsaalbesetzungen. Dabei ist viel Energie verbrannt worden, ganz im Sinne der "Aussitzen"-Strategie der "Aussitz"-erprobten "Groß"-Parteien. Den ÖsterreicherInnen geht es derzeit - gerade im internationalen Vergleich - offenbar tatsächlich noch "zu" gut. Dennoch funktioniert auch Österreich nach der kapitalistischen Logik, der Neoliberalismus hat viele sozialistische und sozialpartnerschaftliche Errungenschaften weggenommen oder beschädigt. Die Menschen äußern ihre Frustration, indem sie FPÖ wählen, wenngleich ihnen vielfach selbst bewusst ist, dass dadurch nichts besser wird. Sie tun es dennoch, denn es ist die österreichische Weise, Protest auszudrücken.

Aber es wird nicht immer so ruhig bleiben, und angesichts der rasanten Entwicklungen in und um die EU, in der ein ums Überleben kämpfender Kapitalismus den Menschen seine hässliche Seite zeigt und sie dadurch massenhaft auf die Straßen treibt, fragt sich, ob es nicht die Ruhe vor dem Sturm ist.
 
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