Sonntag, 11. September 2011

Keine Party ist illegal! - RTS am Bellevue endet in Krawallen

[letztes Update: 12. September, 18:30 Uhr]
(Illustration: M. Shlesinger)
[Einschub: Aufgrund der unvermittelten und massiven Gewaltanwendung durch die Polizei (es gab zahlreiche, teils im Gesicht durch Gummischrot (aus nächster Nähe) schwer verletzte, vielfach unbeteiligte Personen) wird bereits die nächste Party in der Innenstadt angekündigt - Medien und Polizei haben bereits von der neuerlichen SMS Wind bekommen. Sie soll nächsten Samstag, 17. September, ab 23:30 Uhr am Central stattfinden! Als "Zeichen, dass auch wir unsere Freiheit haben und uns dafür einsetzen."]

Am Samstag, 10. September 2011, versammeln sich in Zürich
gegen 23 Uhr (Indymedia) über 1.000 Jugendliche (Foto 1, Foto 2) nach Aufruf auf Indymedia (10.9.11 keine Party ist Illegal (RTS)) sowie in SMS-Ketten zu einem Reclaim the Streets am zentralen Bellevue (Foto). "Reclaim the Streets" ist eine urbane Aktionsform, bei der sich Menschen meist zum Anlass einer Party (kurzfristig und eingeschränkt öffentlich angekündigt) den öffentlichen Raum aneignen. Die Idee ist an und für sich friedlich, jedoch kommt es bei Auflösungsversuchen der Polizei gelegentlich zu Ausschreitungen. Auch beim letzten Reclaim the Streets in Zürich (6. Februar 2010, Video) gab es bereits Ausschreitungen, nachdem die Polizei wie gewohnt unmittelbar mit Gummischrot (Video von überraschten Touristinnen ;)) auf die Menge losgegangen sein dürfte.

Dieses Mal soll die Auflösung einer Party (mit Gummischrot in die tanzende Menge) unter der Duttweilerbrücke am 15. Juli sowie die Auflösung einer illegalen Party in einem Wald bei Zürich unmittelbare Auslöser für ein RTS gewesen sein. Auch die "Polizei und Justiz Parade" am Gelände des alten Güterbahnhofs (der durch ein "Polizei- und Justizzentrum" ersetzt werden soll), einer unkommerziellen Gegenveranstaltung zum kommerziellen Massenrave "Streetparade", am 13. August 2011, wurde von der Polizei aufgelöst. Gewaltanwendung gab es hier keine, da die Party vor vollständigem Eintreffen der Riot Police nach drinnen verlegt wurde. Auf Indymedia wird die RTS rund zehn Stunden zuvor angekündigt (vermutlich von anderen und nach dem ersten SMS):

"Da der Staat tag für tag uns in unseren Freiräumen einschränkt und uns jegliches selbstbestimmtes leben nimmt, wollen wir ein zeichen setzten! Gegen Repression und für ein freiwählbares Leben!
ausserdem ist morgen der 11 sept...der tag der schleichenden repression!seit diesem tag werden wir überall bewacht geschnitten und gelenkt!!!wir sind der überzeugung 9/11 was a inside job!!!und diente dem machtapparat einzig und allein zur unterdrückung unserer freiheit und der verstärkung ihrer macht!!!

Genauer Ort: Geheim....da wir ja auch ein wenig party wollen und nicht von beginn weg mit den uniformen tanzen wollen! wer will findet es sicher...fragt rum in der statd!!!für musik pyro und rauch ist gesorgt....nehmt alles mit was es für eine gute party braucht!!!gerne auch Transpis...(haben schon welche aber je mehr desto besser)...alles was laut ist ist toll!!!!megaphone...blockrockers sonstige musikgeräte/instrumente!!!
vorderhand wird es eine platzkundgebung...bei genügen leuten motivation und stimmung kann es auch zu einer demo durch die statd ausgebaut werden!!!

ACAB"

FMO liegt mittlerweile auch der Originaltext jener SMS vor, die zu "Rache" aufruft:
"Hey zäme!
Willt stapo ois alti party gstürmt het gits jetzt e rache aktion zmits am bellevue.
E fetti party (mier zapfed d'vbz lutsprecher ah un pflanzed en fette verstärcher ufs dach und denn wird grockt)
Es chömed ca 500lüt segets allne witer wo iehr kenned und mieer werded 1000 grenze knacke odr no meh!
Bis denn
Samstig 10 sept. Am punkt 11i am bellevue.
Vepasseds ned!
Shicked das sms wiiter un ja nix uf facebook."

"Freundliche Bitte" der Polizei: Sag's mit Gummischrot!

Die Polizei dient den Medien als einzige "vertrauenswürdige" Quelle und ihr Pressesprecher sieht die Ereignisse so:
"Als rund 20 Leute auf ein Glasdach stiegen, mussten wir jedoch reagieren, weil die Leute sich selbst gefährdeten. Es herrschte akute Einsturzgefahr und die Menschen befanden sich in unmittelbarer Nähe einer Fahrleitung. Wir sprachen mit den Leuten und wiesen sie an, vom Dach herunterzusteigen. Das klappte im ersten Moment recht gut. Urplötzlich schlug die Stimmung jedoch um. Aus der Masse traten die Randalierer, welche die Polizisten massiv mit Pflastersteinen und anderen Gegenständen attackierten. Die Polizei musste deshalb reagieren. Von den einzelnen gewalttätigen Chaoten liessen sich später offenbar andere anstecken."
(Michael Wirz, Pressesprecher der Stadtpolizei, tagesanzeiger.ch)
(Foto: Indymedia Schweiz)
Fast schon als kritische Reflexion kann man daher den "Tagi"-Artikel vom Montag betrachten, der sich "Wie wird man zum Chaoten?" nennt. In der ersten Presseaussendung der Polizei war sogar von "herunterbitten" der Leute vom Haltestellen-Dach die Rede, sämtliche Zeitungsberichte (NZZ, Tagesanzeiger, 20 Minuten) haben diese Formulierung übernommen. Wie nahe die auf dem Dach Befindlichen tatsächlich an den Stromleitungen waren, zeigt nebenstehendes Bild (Foto: ch.Indymedia).

Zur fadenscheinigen, vorgeschobenen Behauptung, Sicherheitsbedenken seien der Grund für das Einschreiten, hat ein Zürcher Facebook-User folgenden Bildvergleich beizutragen:

(Illustration: T. Cassee, Facebook)

Partygästen und Augenzeugen sehen die Ausgangssituation in Online-Kommentaren übereinstimmend anders, auch der Darstellung der Polizei (und dadurch den Medien), erst gegen Mitternacht eingeschritten zu haben, wird deutlich widersprochen:
"Die starken Bilder sind allesamt entstanden, als die Situation schon lange eskaliert war. Darum spricht die Polizei wahrscheinlich auch davon, dass sie erst gegen Mitternacht eingreifen mussten. Tatsache ist, dass die Polizei unmittelbar nach 23 Uhr voll gegen alle Anwesenden vorgegangen ist und Panik provozierte. Zeigen Sie die Bilder zwischen 23:00 und 23:45!" (Kommentar auf tagesanzeiger.ch)
"So schön kann die simple Welt sein. Hier die Chaoten, dort die rettende Polizei. In der realen Welt war das Bellevue auch mit Touristen und normalen Passanten bevölkert. Auf diese ging die Polizei gleichermassen mit Gummischrot und Tränengaspetarden los. Alles in allem eine sehr unschöne Geschichte, die dringend restlos geklärt werden muss." (Kommentar auf tagesanzeiger.ch)
"Wenn "konsequent defensiv" bedeutet wir stürmen eine friedliche Party, schiessen auf alles was sich bewegt und decken einen ganzen Banhof mit Tränengas ein, dann will ich ja nicht wissen was den offensiv wäre. Zudem bleibt die Frage, wieso die Polizei die Menschen auf dem Dach in Vollmontur, drohend mit Pfefferspray und Gummischrot, herunter holen musste und nicht das Gespräch suchte?" (Kommentar auf tagesanzeiger.ch)

"Wenn die Polizei meint sie müsse eine friedliche Party (unter der Hardbrücke und im Wald nahe beim Zoo) bekämpfen, dann ist irgendwas nicht richtig! Vlt. war das ein Weckruf an die stadtzürcher Regierung endlich mal vernünftig zu handeln und den gesunden Menschenverstand walte zu lassen (nicht einfach blind nach irgendwelchen Gesetzten zu handeln). Die Party im Wald war friedlich bis die Polizei ohne jeglichen Grund kommt, nur weil irgend ein dämliches Gesetzt dies vorschreibt." (Kommentar auf 20min.ch)

"Wir sind um 0:20 mit dem Zug durch den Bahnhof Stadelhofen gefahren und es sind einige ältere Personen mit stark gereizter Haut und tränenden Augen zugestiegen. Ich stelle fest, dass die Stapo Dealer in der Langstrasse freundlich bittet und wenn ordentliche Bürger mal etwas feiern, dann gibt's Tränengas (in meinem Fall während der Euro 2008). Was ich bisher lese, so scheint mir eine geordnete Untersuchung angebracht. Die Verhältnismässigkeit der Mittel scheint mir nicht gewahrt. Hätten geziehlte Festnahmen nicht gereicht? Warum wurde eine Massenpanik riskiert?" (Kommentar auf 20min.ch)
"Also erstens finde ich das ALLE die nicht da waren hier einfach nichts zu sagen haben. Dann es war Gewaltbereitschaft beiderseits und die ''Randalierer'' haben viel zerstört aber auch die Polizei war total unkontroliert, sie haben mit der Zeit angefangen ziellos über die Häuser am Belevue richtung Bhf. Stadelhofen zu feuern. Ich habe leute gesehen die auf ihren Zug gewartet haben die sogar über der 60 waren die Tränten weil das ganze Gebiet so eingenebelt war, sowas ist auch einfach nur noch Peinlich wenn so ein gegenschlag ziellos und unnüberlegt ausgeführt wird. sowas Ist auch traurig." (Kommentar auf 20min.ch)

Ablehnende, kritische Kommentare gegenüber den RandaliererInnen und Forderungen nach mehr Polizei und härterem Durchgreifen sowie reine Beschimpfungen gibt es natürlich auch jede Menge. Eines der interessanteren Statements daraus ist noch dieses:

"Diese "Rache-Party" war eine nachlässig kaschierte, verspätete 1.Mai-Nachdemo. Das ahnungslose Partyvolk wurde per SMS zu einem angeblich coolen Event gelockt. Wieso packt dann aber der zufällig anwesende schwarze Block die Vollmontur aus den Rucksäcken? Gehören Skibrille & Co. zur Standardausrüstung an einem lauen Zürcher Sommerabend? Die Linksextremen versuchen, neue junge Fans zu rekrutieren." (Kommentar auf tagesanzeiger.ch)

Die Zahl der übereinstimmenden bzw. zusammenpassenden Kommentare über den Hergang der Ausschreitungen sprechen für sich - und gegen die (natürlich) einseitige Darstellung der Polizei (die aber genauso "natürlich" von den ahnungs- und quellenlosen Medien übernommen werden). Die Polizei dürfte - zum wiederholten Male - ohne lang rumzufuchteln mit Bereitstehen der gerüsteten Einheiten Gummischrot schießend gegen die Menge vorgeprescht sein. Eine vorhersehbare Handlung der Polizei, auf die zahlreiche BesucherInnen dieses Mal besser vorbereitet waren als etwa bei der Auflösung der "Polizei- und Justiz-Parade" unter dem Bahnhof Hardbrücke, am Gelände des alten Güterbahnhofs, wo auch die Autonome Schule Zürich (ASZ) einquartiert ist. Die widerstandslose Verlegung der Party in die ASZ wurde von Teilen der autonomen Szene kritisiert. In einer Ende August erschienenen Publikation der autonomen Szene ist vermerkt: "13.8 Sauvage unter Hardbrücke, Auflösung durch blosse Androhung: So geht das nicht! Das perfekte Riot-Areal, und nicht mal der Versuch Widerstand zu leisten..." - daneben ist vermerkt: "SAUVAGE KOMMT VON WILD ... UND WIR SOLLTEN DIESEM NAMEN MAL WIEDER ALLE EHRE MACHEN!!!"

Dies sowie die Aufösung einer Freeparty in einem Wald bei Zürich vor kurzem sollen laut Medien, die sich auf Hinweise von Informanten und SMS-Ketten beziehen, die Motive für diese spontan angekündigte Sauvage am Bellevue gewesen sein.

Letztlich gab es acht verletzte PolizistInnen, zwei Verhaftungen und eine nicht bekannte Zahl verletzter DemonstrantInnen, darunter laut AugenzeugInnen eine bewusstlose Frau und Jugendliche mit Verletzungen im Gesicht bzw. am Kopf durch die Gummigeschoße. In der Umgebung des Bellvue, etwa am Vorplatz des Bahnhof Stadelhofen, wurden Müllcontainer und Barrikaden angezündet, PolizistInnen mit Gegenständen beworfen, Pyrotechnik gezündet - die Polizei setzte neben Gummigeschoßen auch Reizgas ein. In Zeitungs-Foren wird berichtet, dass Schwaden von Reizgas in den unterirdischen Gängen des Bahnhofs hingen, zahlreiche wartende Passagiere, darunter auch PensionistInnen, flüchteten mit tränenverzerrten Gesichtern in die S-Bahnen (Foto: Tränengas-Schwaden über Bahnhof Stadelhofen). Die Auseinandersetzungen daurten laut Polizei und Medien bis 1 Uhr, laut Indymedia bis 2 Uhr an.





weitere Videos auf 20min.ch

Zürich ist anders

Zürich ist anders. In vielerlei Hinsicht. Das meiste lässt sich direkt oder indirekt auf Geld zurückführen.

- Einkommen, das zwar im Schnitt doppelt so hoch ist wie in Österreich, aber trotzdem zu mehr als der Hälfte den Immobilienbesitzern in den Rachen geworfen werden muss (städtischer Wohnbau und Genossenschaften machen gemeinsam nur 25 % des Wohnungsangebotes aus, während dieser Wert in Wien bei rund 65 % liegt) Wegen der hohen Löhne gibt es generell deutlich höhere Lebenshaltungskosten als in Österreich. In grenznahen Regionen (auch Zürich ist nur eine Stunde von der deutschen Grenze entfernt) liegt Shopping-Tourismus im Trend: Alle ein oder zwei Wochen mit dem Auto zum Großeinkauf in das Einkaufszentrum von Landshut, Bayern, das ist vor allem bei Familien weit verbreitet, die für ihre Kinder viel berappen müssen und dabei nur wenig Zuschüsse vom Staat erwarten können.

- Geld, das den öffentlichen Haushalten aufgrund des "Steuerwettbewerbs" zwischen den Kantonen fehlt, weshalb beispielsweise die Polizei zu wenig Personal (freilich liegt "zu wenig" im Auge des Betrachters, in diesem Fall eben jenem der "Gesetzeshüter", die illegale Versammlungen aufzulösen haben) hat, um in Fußballstadien (wie in Deutschland oder Österreich üblich) für Sicherheit zu sorgen. Stattdessen ist dies eine Angelenheit großer privater Sicherheitsdienste. Die sorgen dann für eine gute Stimmung am Stadionengang und enden in einem Desaster für die Polizei (Stadion Letzigrund, Zürich, 11. Mai 2011). Auch bei anderen Großanlässen, nicht nur am 1. Mai, stellt sich die Zürcher Polizei meist in klarer Unterzahl der Konfrontation mit gewaltbereiten Jugendlichen.

Jugend flieht vor finanzieller Ausbeutung in illegale Partszene

Die Folgen dieser unterschiedlichen "Grundkonstanten" äußern sich auf der Seite der Bevölkerung dadurch, dass in Zürich seit Jahren eine illegale Partyszene blüht - denn die Clubs der Stadt kosten durchwegs ab 20, 25 Franken (mind. 15-20 Euro) aufwärts, Konzerte kosten häufig doppelt so viel und in Bars und Lokalen zahlt man umgerechnet 6 Euro für ein großes Bier und kriegt dann doch nur 0,4 Liter. Drinks und Cocktails kosten im Schnitt ab 10 Euro aufwärts. Das ist dann auch für gut verdienende Schweizer, zu denen SchülerInnen, StudentInnen aber auch Lehrlinge ohnehin nicht gehören, keine Kleinigkeit mehr. Viele Jugendliche sind daher Teil jener SMS-Ketten, die illegale Goa-, Minimal-Techno und House-Partys in den umliegenden Wäldern ankündigen. Diese finden zwischen Frühling und Herbst häufig an beiden Tagen des Wochenendes statt, manchmal auch mehrere in der gleichen Nacht.

Squats fester Bestandteil der Subkultur

Eine weitere Folge der Zürcher Grundkonstanten "hohe Miete, teure Partys, teures Leben" ist eine lebendige HausbesetzerInnen-Bewegung, die sich in den 70er- und 80er-Jahren heftige Kämpfe mit der rücksichts- und kompromisslosen Polizei geliefert hat, bevor die seit Jahrzehnten regierende bürgerlich-liberale Stadtregierung 1989 nach einer neuen Rekordwelle an Hausbesetzungen im laufenden Jahr, schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei bei Räumungen oft aufwändig und gefährlich verbarrikadierter Häuser sowie einem Toten (beim unmittelbar auf eine Räumung folgenden Abriss starb der im Haus befindliche Architekt) die Notbremse zog und nicht zuletzt aufgrund der explodierenden Kosten im Polizeiressort Hausbesetzungen teilliberalisierte. Eine Verordnung besagt seither, dass die Polizei besetzte Häuser nur dann räumt, wenn außer der Anzeige durch den Besitzer zwingend auch ein Baubescheid, Abbruchbescheid oder Mietvertrag vorliegt. Bei den Wahlen ein halbes Jahr später wurde die Regierung durch eine neue Koalition aus Rot-Grün abgelöst. Diese hält bis heute an, die liberale Räumungspraxis wurde festgeschrieben, wird fortgeführt und aufgrund ihrer "Bewährung" (Stadtrat) beibehalten. Seit mehreren Jahren sind - mit wechselnden Adressen - durchgehend 15 bis 20 Häuser besetzt und bewohnt.

Weniger Polizei, dafür brutaler

Auf Seiten der Polizei äußert sich der Umstand, personell mit eingeschränkten Ressourcen und meist in der Unterzahl agieren zu müssen, in "besserer", sprich: härterer Ausrüstung. So gehören Gummischrotgewehre neben Rüstung und Schildern zur Standardausrüstung eines jeden Polizeifahrzeuges. Diese werden bei Einsätzen auch rasch eingesetzt, um die numerische Unterlegenheit auszugleichen. Und so zeigt man sich bei illegalen Versammlungen selten kompromissbereit, das Gummischrotgewehr ist schnell bei der Hand, mit Reizgas kann man gut nachsetzen, und wer ihnen zu nahe kommt wird geknüppelt und wenn möglich eingebuchtet. Der Wasserwerfer ist eigentlich auch immer dabei, weshalb das Zürcher Demonstrationspublikum ein hohes Tempo gewohnt ist und der Wasserwerfer seinem Einsatz hinterher hinkt.

Dazu muss man wissen, dass in Zürich eine Versammlung von der Polizei genehmigt (erlaubt), nicht nur angemeldet werden muss. Die Folge: Angemeldete Demonstrationen werden häufiger verboten als etwa in Wien, weshalb viele Demonstrationen gar nicht erst angemeldet werden. ia SMS-Ketten organisierte Spontandemos finden häufiger statt und erreichen erstaunliche Teilnehmerzahlen, wie nicht nur das jüngste Reclaim the Streets gezeigt hat. Einmal mehr zeigt sich hier, wie wichtig Party als politisches Ausdrucksmittel der Jugend sein kann, wenn Party und Protest nicht als Widersprüche betrachtet werden und somit "unpolitisierte" Nicht-Szene-Mitglieder von vornherein von Aktionen ausschließen.

Reclaim the Streets auch in Wien denkbar?

Auf Wien umgelegt wäre ein Reclaim the Streets durch die organisierte Freetekno-Szene mit ihren SMS-Verteilern denkbar, doch diese hat grundsätzlich kein Interesse auf Konfrontation mit der Polizei, man will nur in Ruhe feiern. Würde die Polizei im Raum Wien jedoch eine rücksichtslosere Schiene einschlagen und Partys gewaltsam auflösen, wäre ein derartiges Szenario auch hierzulande denkbar. Szenarien wie dieses in der Area 51, 2003 in Wien, könnten dann rasch eskalieren. Ab 2013 steht unsere Gesellschaftsordnung ohnehin neu zur Disposition, eine Machtbeteiligung der FPÖ scheint sehr wahrscheinlich, "zero tolerance" (wohl mit Fokus auf dem "linken" Auge und Blindheit rechts) in einem FP-Innenministerium ab 2013 wäre wohl so etwas wie ein Garant für eine Radikalisierung der Szene, ausgelöst durch Rücksichtslosikkeit und größere Gewaltanwendung seitens der Polizei. Und da "Linksextremismus", wie das ganze schließlich wohl genannt wird, von Rechts vortrefflich als Wahlargument für Rechts ausschlachten lässt, macht diese Variante für FPÖ-PolitikerInnen umso attraktiver und wahrscheinlicher. Bis dahin ziehen jedoch die meisten die Einigelung in ihren Rückzugsorten vor um Konfrontationen auszuweichen, solange es noch geht.

Bis dahin werden die wenigen Ansätze, eine Art "Reclaim the Streets" in Wien durchzuführen, auf zumeist gescheiterte Versuche beschränkt. Etwa eine angekündigte, aber abgesagte Party am Schillerplatz vor der Akademie der bildenden Künste Anfang Juli 2011 oder eine kleine Party am Campus am 30. September 2010, die von einem Straßenfest des Amerlinghauses ausgehen hätte sollen und in der nahe gelegenen Burggasse 2 (ein in seiner 7-jährigen Leerstandsphase bis 2010 beliebtes, da zentrales und Besetzungsobjekt) hätte stattfinden sollen, was nicht gelang und nach langen Verzögerungen mit den verbliebenen Motivierten um 0:30 Uhr auf den Campus verlegt und dort von der Polizei ab 3:30 Uhr brutal aufgelöst wurde (WienTV.org). Dabei wurde gezielt gegen Fotografen und Filmende vorgegangen, auch Hunde ließ man los (die dadurch Verletzten wurden von der Polizei zur Rechtfertigung wegen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" und "schwere Körperverletzung" angezeigt).

Wie groß das Potenzial der Verbindung der Underground-Party-Kultur mit Protestbewegungen wäre, kann man sich angesichts Bilder wie jener der letzten Freeparade in Wien, eine zu 100 % anti-kommerzielle Tanzparade durch ganz Wien, bei der ein gutes Dutzend Freetekno-Soundsysteme 3.000 bis 5.000 Menschen angeheizt hat, nur ausmalen. Dass die Szene nicht per se unpolitisch ist, wie gerne behauptet wird, zeigen nicht zuletzt Transparente gegen den Überwachungsstaat, gegen (die damalige) Innenministerin Fekter, gegen § 278a, gegen Nazis etc.:

 
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