Donnerstag, 12. Juli 2012

Pizzeria Anarchia - Hausprojekt in der Leopoldstadt im Clinch mit Immobilienspekulanten

*** Ab 2. August gab es mehrere illegale Räumungsversuche, die jedoch allesamt abgewehrt werden konnten *** was von 2.-8. August geschah (Paul und Paula aus dem Haus geben Auskunft im Radio Stimme auf Radio Orange 94.0) *** stay informed on pizza.noblogs.org#pizzableibt ***

[letztes Update: 8. August 2012]

Bericht von WienTV.org vom 2. August (siehe auch W24-Bericht "Solidarität in der Mühlfeldgasse" vom 12. Juli)
 
 Seit der Räumung des "Epizentrums einer Bewegung" am 8. November 2011 ist es ruhig geworden in Wien - könnte man meinen. Mit einer Dauer von 26 Tagen und insgesamt wohl mehreren Tausend direkt erreichten BesucherInnen war es definitiv die in jeder Hinsicht größte Hausbesetzung in Wien seit der Erkämpfung des EKH ab 1990 als Gipfel des Wiener Ausläufers der 80er-Jahre-Bewegung (GaGa, Aegidigasse/Spalowskygasse, Opernballkrawalle 1988/1989).

Doch was geschah wirklich seit der Räumung des Epizentrums? Haben die AktivistInnen kapituliert, angesichts der Übermacht der Staatsgewalt, die am 8. November mit Räumpanzer und Hubschrauber anrückte und den Siebten Bezirk rund um die Lindengasse über mehrere Straßenblöcke komplett abriegelte und nur noch Kindergartengruppen hineinließ, während JournalistInnen "aus Sicherheitsgründen" 200 Meter Abstand halten mussten? Hat die Verhaftung von drei Amateur-FilmerInnen und -FotografInnen an der Demo am Abend der Epizentrum-Räumung ihr Ziel erreicht und die Menschen im erwünschten Ausmaß eingeschüchtert?

Natürlich nicht.

Rückblick: Wilde 13

Schon drei Tage nach der - sogar für einschlägige Krawallmedien als besonders friedlich empfundenen - Räumung des Epizentrums am 8. November und den anschließenden Demonstrationen gegen Mittag sowie am Abend, wurden nur zwei Parallelstraßen weiter die oberen Stockwerke des weitgehend leerstehenden Häuserensembles Westbahnstraße 13 besetzt. Offenbar hat die Besetzung des "Epizentrums" auch andere motiviert, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Denn ausser der Nähe hatte die Besetzung, die eigentlich eine "stille" Besetzung sein hätte sollen, nicht viel mit dem Epizentrum zu tun. Das Gebäude verfügte über nur wenige und kleine Räume. Doch die Polizei des Bezirks wollte, nach den Erfahrungen mit dem Epizentrum, sofort Präsenz zeigen und Härte demonstrieren und begann bereits gegen 20 Uhr mit einer fast 24-stündigen Belagerung des Hauses, die mit einem illegalen Räumungsversuch (der Hauseigentümer konnte zu diesem frühen Zeitpunkt von der Polizei noch nicht eruiert werden und folglich auch keinen Räumungsauftrag unterschreiben) und einer von Krawallmedien als "Krawallnacht im sonst so friedlichen Öko-Bobo-Bezirk Neubau" titulierten Hausverteidigung gipfelte. Eine andere Krawallzeitung wunderte sich ebenfalls: die Polizei bewache nun das Haus - "Wozu, ist unbekannt."

Als das nach ein paar Tagen bereits aufgegebene Haus - der Galerist, der einige Wochen später das Foxhouse eröffnete (gegen den Abriss des Hauses hat sich nun eine Protestgruppe gebildet!), informierte die Polizei, als die BesetzerInnen sich ihm anvertrauten - von einem Polizeigroßaufgebot geräumt wurde, war keine Spur mehr von den BesetzerInnen. Die Kälte trug ihren Teil dazu bei, dass keine weiteren Besetzungen folgten.

Pizzeria Anarchia - Zwischennutzung mit Ablaufdatum?


Doch dann geschieht etwas völlig unerwartetes: die Pankahyttn (ein von der Stadt Wien als "Sozialprojekt" legalisierter "Squat", der weder mit der Besetzung des "Epizentrums" noch der "Wilden 13" zu tun hat) erhält - nicht zum ersten Mal - Besuch von einem Hauseigentümer. Er bietet den Leuten (die seit der Tolerierung ihres Hauses durch die Stadt eigentlich keine Besetzungen mehr machen) ein nahezu leerstehendes Haus im Zweiten Bezirk zu einer symbolischen Miete zuzüglich Betriebskosten an. Die Leute sind skeptisch, nach einigen Überlegungen entschließt man sich jedoch, das Angebot für beheizbare Räumlichkeiten im Winter doch anzunehmen - zu groß war die Wohnungsnot kurz vor Wintereinbruch unter den Jugendlichen.

Man entschließt sich, die Sache ruhig anzugehen. Keine große Ankündigung einer Raumeröffnung, keine Einweihungspartys - zumindest keine offiziellen. Im Haus leben noch drei Mietparteien mit unbefristeten Mietverträgen - von Anfang an war die an sich selbst gestellte Bedingung, in gutem Einvernehmen mit den MieterInnen im Haus auszukommen. Die ersten Tage und Wochen sind freilich trotzdem etwas chaotisch, es gibt wie immer viel zu wenig Räume um alle Leute unterzubringen, man kennt einander teilweise noch kaum, eine bunte Mischung junger Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen - es dauert ein paar Tage, bis ein Verein (Name der Redaktion bekannt) gegründet und im Vereinsregister eingetragen werden kann, um einen Nutzungsvertrag zu unterzeichnen.

Nach ein paar Wochen Aufbau-, Orientierungs- und Kennenlernphase finden sich Personen zusammen, die das leerstehende (und ebenfalls angemietete) Pizza-Lokal im Erdgeschoß für Außenstehende zugänglich machen wollen. Es dauert noch bis Februar 2012, als sich der Sonntag als wöchentlicher Volxküche-Tag etabliert. Zunächst sind es noch 20, 30 Leute, die Sonntagabend zum gemeinschaftlichen Pizza backen und essen vorbeikommen, doch schon nach 2, 3 Wochen platzt das Lokal aus allen Nähten: 50 Leute, 70 Leute - die Nebenräume der ehemaligen Gaststätte werden nun ebenfalls eingerichtet. Im hintersten Raum entsteht ein Kostnixladen mit Kleidung und anderen Second Hand-Gegenständen, im mittleren Raum wird ein Infoladen samt Leinwand und Sitzgelegenheiten für das Kostnixkino, das bald darauf als Dienstags-Fixpunkt etabliert wird, eingerichtet. Ein weiterer Raum dient als erweiterter "Speisesaal" - das Platzproblem kann damit nachhaltig entschärft werden.

Woche für Woche für geht, immer mehr Menschen kommen, jede Woche viele neue Gesichter: SchülerInnen, StudentInnen, Lehrlinge, (junge) ArbeiterInnen, Arbeitslose, aber auch NachbarInnen und PassantInnen interessieren sich für das gemeinsame Pizza backen und was dahinter steckt. Manche kennen einander schon aus dem Epizentrum - jetzt hat man endlich Zeit und Ruhe, sich besser kennen zu lernen. Bisheriger Höhepunkt war wohl das DIY Straßenfest mit DJs, Konzerten, Volxküche uvm. in den Straßen um die PizzAria, zu dem die MayDay-Parade der Prekären am 1. Mai mitsamt rund 500 TeilnehmerInnen hinzog. 


Was steckt dahinter?

Aber was steckt nun wirklich hinter dem ganzen Ding? Welcher Hauseigentümer vermietet sein Haus zum Spottpreis an alternative Jugendliche? Warum sind nur noch drei Mietparteien im Haus?

Die Antwort führt uns direkt ins Herz der Bestie Immobilienspekulation (es gilt die Unmutsverschuldung), die es laut offiziellen Stellen der Stadt, insbesondere laut Propagandaminister von Steuerzahlers Gnaden, Inseratenkaiser und Faymann-Nachfolger in dieser Aufgabe, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, überhaupt nicht gibt. Dass die Stadt Wien in Wahrheit selbst tief im Geschäft mit der "Aufwertung" alten, günstigen Wohnraums drin steckt (mutwillige Zerstörung des Lobmeyr-Hofs in Ottakring im Auftrag der Stadt um Aufwertungspläne, die in etwa eine Verdoppelung der Miete zur Folge haben, schneller durchziehen zu können), ist ein offenes Geheimnis, das durch großzügiges Verteilen von Steuergeldern an praktisch alle reichweitenstarken Wiener Zeitungen, die ohnehin nur aufs Geschäft und nicht auf journalistische Sorgfalt achten, offenbar ganz gut unter der Decke gehalten werden kann. Gelegentliche Reportagen der Stadtzeitung Falter oder - noch mehr - in der Straßenzeitung Augustin sind die Ausnahme - und stoßen auf nur wenig Resonanz in der Öffentlichkeit.
Die Jugendlichen selbst machten sich ebenfalls keine Illusionen über die Motivation ihrer Einquartierung: "die vorgeblich wohltätige Motivation wurde von Beginn an angezweifelt. Als klar war, dass es in dem Haus noch verbleibende reguläre Mietparteien gab, war der eigentliche Hintergedanke nicht mehr schwer zu erraten: Menschen, denen nachgesagt wird, sie wären per se laut und würden viel Dreck machen, sollten das Leben für die anderen Bewohner_innen unerträglich machen, so dass diese “freiwillig” gehen oder sich mit einer geringen Abfindung zufrieden geben. Dieses Spiel wollte natürlich keine_r mitspielen."

Der Fall Mühlfeldgasse 12

Am 17. November 2011 erscheint in der Straßenzeitung Augustin der Artikel "Bestandsfreimachung - ein Unwort". Er beschäftigt sich mit dem Haus Mühlfeldgasse 12 in der Leopoldstadt - also vor dem Beginn der Zwischennutzung als "PizzAria". Ein Mieter erzählt darin davon, wie der Hauseigentümer, der das Haus vor drei Jahren geerbt habe, alle MieterInnen des Hauses "hinausgeekelt" habe. Durch das Dach regnete es plötzlich herein, es entstand Wasserschaden und Schimmel, doch der Eigentümer weigert sich, die nötigen Reparaturen durchzuführen. Doch drei Mietparteien mit unbefristeten Mietverträgen ließen sich nicht einschüchtern. Der Eigentümer verkaufte das Haus an die Castella GmbH - und seither häufen sich merkwürdige Vorfälle im Haus, auch gibt es regelmäßig Besuch durch "Detektivkanzleien", die mitunter spätnachts heftig an den Türen klopfen um die Leute danach zum Auszug zu überreden, vor einem "kalten Winter" zu "warnen" und ähnliches. Die Castella GmbH besitzt auch mehrere weitere Häuser, u.a. im Zweiten Bezirk, aus denen MieterInnen ähnliches berichten.

Es ist also naheliegend, anzunehmen, dass die fast kostenlose Zwischennutzung des Hauses durch alternative Jugendliche weniger eine Gutherzenstat denn ein weiteres Manöver zur "Bestandsfreimachung" des Hauses ist. Umso mehr sind die neuen, jungen BewohnerInnen darauf bedacht, ein gutes Verhältnis zu den noch im Haus befindlichen Mietparteien aufrecht zu erhalten, was im großen und ganzen auch ganz gut funktionieren soll. Unlängst beschwerte sich ein/e Mieter/in im Haus sogar darüber, dass die Jugendlichen jede Woche das Treppenhaus putzen - dies sei schließlich Aufgabe der (total untätigen) Hausverwaltung und im Mietvertrag werde schließlich dafür bezahlt.

... Medienaufmerksamkeit?

Umso bedauernswerter - und leider bezeichnend für das unterirdische Niveau Wiener Massenblätter - ist daher, dass Zdenko P. in einem gegen das alternative Zwischennutzungsprojekt gerichteten Artikel der Wiener Bezirkszeitung als Opfer bzw. Gegner der Jugendlichen dargestellt wird, obwohl er sich in Wahrheit nur über den Hauseigentümer aufregt. Die Bezirkszeitung zitiert - zufälligerweise? - dann auch noch den SPÖ-Bezirksvorsteher, der sich allen ernstes darüber beschwert, dass die "Hausbesetzer" [sic!] in der Sonne (!) am Gehsteig sitzen (!) - was die Nachbarn fürchterlich stören würde. Über die ans kriminelle grenzenden Praktiken der "Bestandsfreimachung" durch eine darauf spezialisierte Firma mitten in "seinem" Bezirk sagt er nichts - oder die Bezirkszeitung lässt diesen Teil bewusst aus. So oder so alles andere als ein unabhängiger Bericht, hinter dem entweder eine massive Vernachlässigung journalistischer Sorgfaltspflichten (dazu gehören etwa Recherche, z.B. dass es keine Hausbesetzung sondern eine Zwischennutzung auf Vertragsbasis ist) steckt. Von böser Absicht wollen wir natürlich nicht ausgehen. Es gilt die Unmutsverschuldung.

--> ein laufend aktualisierter Pressespiegel findet sich auf pizza.noblogs.org/pressespiegel
 
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