Sonntag, 9. Mai 2010

Befreiungsdemo in Wien, 8. Mai 2010

Zum Anlass der Demo und den tatsächlichen Geschehnissen bis einschließlich 9. Mai, 3:30 Uhr

Österreich, du Opfer!

Dass es in Österreich nach 1945 eine ideologische, geistige Kontinuität der nationalsozialistischen Grundgedanken gegeben hat und immer noch gibt, dafür muss man keine großen psychologischen oder soziologischen Studien bemühen. Um das zu zeigen genügt der Verweis auf die geschichtsträchtige Affäre Waldheim (Bundespräsidentschaftswahl 1986), als die Aufdeckung von Waldheims Lügen zu seiner Zeit als SS-Soldat dazu führte, ihn als Opfer einer Medienkampagne und von Kräften "von der Ostküste" (Neonazi-Chiffre für jüdische Weltherrschaftstheorien) zu stilisieren, was ihm auch die Wiederwahl brachte (eine Prozedur, die auf peinlich-durchschaubare wie hoffnungslose Weise auch bei Barbara Rosenkranz zu wiederholen versucht wurde ("wir wählen, wen wir wollen" - richtig: das nennt man Demokratie, liebe FPÖ!). Oder der Blick auf den Wahlkampf Bruno Kreiskys in den 70er-Jahren, als der ÖVP-Herausforderer auf Wahlplakaten kein besseres Argument für seine Wahl hervorzustreichen hatte, als "ein echter Österreicher" - wobei man sich die Frage stellen muss, was an Bruno Kreisky denn nicht "echt österreichisch" sein sollte. Es wird doch wohl keine Anspielung auf die jüdische Herkunft Kreiskys gewesen sein? Und dann die Haider-Ära: Von SPÖ wie ÖVP umworben, mittlerweile vielfach imitiert, kann niemand mehr behaupten, Österreich hätte seine Geschichte sauber aufgearbeitet. Zwar wird die Opfer-These heute nicht mehr in der Schule unterrichtet oder von führenden Politikern vertreten, doch zeigt allein die Aussage der Bundespräsidentschaftskandidatin Rosenkranz, sie habe "das Wissen, dass ein Österreicher, der zwischen 1964 und 1976 in österreichischen Schulen war - das ist also mein Wissen von der Geschichte, und daran habe ich überhaupt keine Änderung vorzunehmen" mehr als deutlich, wie es noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs um das vorherrschende Geschichtsbild Österreichs bestellt war.

Befreiungsdemo Wien 2010

Das alles, und vor allem die Tatsache, dass heute wie damals Burschenschaften rechtsextremen Ideen huldigen und einem Großdeutschland wahlweise nachtrauern oder darauf hinarbeiten und an pompösen Bällen, Umzügen und Festveranstaltungen ihre guten Kontakte zu weiten Kreisen der Politik und Wirtschaft pflegen, ist mit ein Grund, warum an diesem 8. Mai 2010 in Wien zur "Befreiungsdemo" aufgerufen wurde. Während ein großer Teil der Innenstadt, zwischen Herrengasse und Ringstraße, zwischen Schottentor und Burggarten, polizeilich gesicherte "Burschi-Zone" war, in der keine Demonstration abgehalten werden durfte, fanden sich die Gegner dieser falschen Geschichtspflege und des dort gepredigten rechtsextremen Gedankenguts am Schwarenbergplatz zu einer Kundgebung und Feier ein, um, im Gegensatz zu den Burschenschaftern am Heldenplatz, nicht den Untergang Nazi-Deutschlands zu betrauern, sondern die Befreiung Österreichs davon.

So weit der äußerst positive Grundgedanke dieser Veranstaltung.

Verlauf der Demo und Feierlichkeiten

Zu Ehren der Befreiung Österreichs durch die damaligen Allierten wurden deren Fahnen geschwungen und Hymnen gespielt, ebenso auch jene Israels. Mit all diesen Fahnen an vorderster Front zog die Demonstration, angeführt auch von einem Kleintransporter mit Soundsystem, ihre geplante Route (zumindest weitgehend) durch die Innenstadt (siehe Grafik-Link "Burschi-Zone"). Die gelegentlichen Sprechchöre waren - natürlich - vor allem antifaschistisch, aber auch anti-national, was angesichts der geschwenkten Fahnen doch etwas merkwürdig wirkte. Nach einer halben Stunde driftete die anfangs party-orientierte Musik zunehmend ins sowjetische ab. Deutsche, hochpathetische sozialistische, kommunistische Beschwörungen, der bewaffnete Kampf von Bauern und Arbeitern, dominierten nun die schon rein akustisch kaum zu ertragende Musik. "Mos-kau, Mos-kau ... hahahahaha" tönte ein nicht ganz unbekannter Schlager, der wohl aus der DDR stammen muss. Zum Ausgleich hätten wir jetzt zumindest - stellvertretend für die USA - einige kapitalistische Lobeshymnen, meinetwegen Britney Spears oder 50 Cent - hören müssen, was zum Glück aber nicht der Fall war. Auch Chansons, Klezmer, und was auch immer typisch britische Musik sein soll, blieben rar.

Der Eindruck, den die Demo bei mir hinterließ, war ein sehr verwirrter.

Einen kleinen "Zwischenfall" gab es übrigens, als die Demo angeblich "unangemeldet" am Deutschmeisterplatz anhielt und eine Zwischen-Kundgebung ansetzte. Polizeieinheiten drängten die Demo daraufhin "sanft" von der Straße ab und zwangen die Demo zu ihrer Fortsetzung.

Afterparty in der Akademie der bildenden Künste

Vor diesem Hintergrund sind vielleicht auch die Ereignisse nach der Abschlusskundgebung vor der Akademie der bildenden Künste zu sehen. In der Akademie legten in der Folge die ganze Nacht DJs auf und sorgten für ausgelassene Party-Stimmung unter den mehreren Hundert Besuchern.

Gegen 2 Uhr brannten nämlich plötzlich Mülltonnen auf der Kreuzung neben der Akademie am Schillerplatz. Das lodernde Schauspiel wirkte allerdings eher beschaulich denn so, als hätte es irgendwie mit Protest zu tun. Die brennende Mülltonne passte ebenso wenig ins Gesamtbild des Abends, wie die Sprüche und die Musik der Demo zu ihrem eigentlichen Anlass - und somit irgendwie doch wieder ganz gut. Genau so verwirrt, wie die Demo am Nachmittag wirkte, wirkten nun die brennenden Mülltonnen auf der Straße. Einige Schaulustige wurden dadurch von der Akademie zur Kreuzung gelockt, von Brandstiftern, "Revolutionären" oder sonstigen Aufmüpfigen keine Spur. Als nach einer ganzen Weile, schätzungsweise 20 bis 30 Minuten nach dem Ausbruch des Brandes (den ich nicht gesehen habe) traf ein Polizeiwagen ein, die Schaulustigen verschwanden. Nach und nach trafen weitere Polizisten ein. Erst als bereits an die 20 Polizisten mit mehreren Fahrzeugen vor Ort waren traf nun auch die Feuerwehr ein und löschte das letzte Häufchen brennenden Plastiks.

Fotos auf Twitpic: Brennende Mülltonne (1), Brennende Mülltonne (2), Gemenge in der Akademie, Feuerlöschung

Nach einer Weile beschließt die Polizei, in die Akademie zu gehen, was rasch heftiges "Haut ab"-Geschrei nach sich zieht. Zahlreiche Leute, die auf der Treppe vor der Akademie saßen, strömten nun in das Gebäude - ebenso strömten von innen Leute in das Foyer, wo die Polizei - was auch immer - suchte. Vermutlich Verantwortliche dieser Veranstaltung, da diese quasi rechtlich irgendwie zuständig sein müssten... Das ganze wirkte jedenfalls wie ein Stich in ein Wespennest, die Musik wurde abgestellt (vermutlich musste sie abgestellt werden), was natürlich noch mehr Leute ins Foyer lockte. Aufgrund des lauten Geschreis ("Haut ab") im Foyer rannten einige weitere Polizisten eifrig in das Gebäude um - was auch immer - zu tun. Also eigentlich nichts. Nach einer Weile aufgeregtem Gerede - worum es ging, kann man nur ahnen - geschah: nichts. Alle, bis auf einen Polizisten, zogen sich wieder vor das Gebäude zurück. Doch nach und nach trafen immer weitere Polizisten ein. Währenddessen ging an der anderen Kreuzung neben der Akademie ein weiterer Plastik-Container in Flammen auf. Die Feuerwehr wechselte ihre Position, eine Einsatzeinheit der Polizei rückte auf.

Mir wurde es ehrlich gesagt allmählich zu blöd - an Party war nicht mehr zu denken, die Polizei war offensichtlich nicht daran interessiert, diese unbehelligt weiterlaufen zu lassen. Konkrete Personen als Verdächtige auszuforschen, diese Mühe erwartet man sich von der Polizei ohnehin nicht. Also stand die Polizei einfach vor der Akademie herum, beobachtete einige aufgebrachte und sicher auch betrunkene Party-Gänger, wie sie sich durch die Polizei-Präsenz provozieren lassen, und nahmen dies sogleich als interne Begründung für das Anfordern weiterer Verstärkung.

Das war dann in etwa der Punkt als ich mich zum Nachhausegehen entschloss. Ich vermute, die Polizei wird nicht umsonst nach und nach auf 100 und mehr Einheiten aufgestockt haben und die Party wird nicht geräuschlos zu Ende gegangen sein. Aber das ist reine Spekulation. Was nach ca. 3:30 Uhr geschah (oder auch nicht), kann ich nicht sagen. Hier möcht ich nur mal den "Befreiungstag" bis dahin nachgezeichnet wissen, subjektiv interpretiert, wohlgemerkt. In den Presse-Aussendungen der Polizei, den davon abgeschriebenen APA-Meldungen und den davon abgeschriebenen Medienberichten werdet ihr allerdings keine objektiveren Angaben finden. Letztlich müsst ihr euch selbst die Mühe machen, Subjektives und Interpretation von den (berichteten, behaupteten) Fakten abzugrenzen und die Glaubwürdigkeit einschätzen, egal, ob es im ORF, in der Presse, im Standard, in der Krone, auf FM4, Ö3 oder hier berichtet wird.

Links

- Webseite der Befreiungsdemo
- Fotos von der Befreiungsdemo (by Daniel Weber / flickr)
- Fotos von der Trauerfeier der Burschenschaft Germania am Heldenplatz (by Martin Juen / flickr)

Freitag, 7. Mai 2010

Rektoren und Bildungspolitik im Land der Vergangenheit

Die Rektoren (Innen gibt es bekanntlich keine) der österreichischen Universitäten beklagen in einer eigens einberufenen Pressekonferenz der uniko (Universitätenkonferenz) das "Geschwätz" der Politik und fordert Taten zur Verbesserung der Lage an den Hochschulen. "Konkret verlangen die Rektoren", so der Standard auf seiner heutigen Titelseite, "geordnete Zugangsregeln im gesamten Hochschulsektor", wobei dem uniko-Vorsitzenden Hans Sünkel "ein kombiniertes System der Anreize beziehungsweise der Abschreckung für Fächer" vorschwebt, "deren Absolventen dann 'beim AMS stehen'". Mal abgesehen von der Frage, warum die Uni freimütig behauptet, ihr Studienangebot würde in die Arbeitslosigkeit führen (was indes gar nicht stimmt, verglichen mit Bevölkerungsschichten ohne Hochschulabschluss): Ist das nicht genau das selbe erbärmliche Geschwätz, das die uniko angeblich kritisiert?

Zwar kritisiert die uniko auch, dass sich die Politik immer mehr vom eigenen Ziel, 2 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Hochschulen auszugeben, und ersetze konkrete Vorgaben und Ziele bei jedem neuen Papier durch immer mehr "schöne Worte", doch geht die Hauptstoßrichtung des Aufschreis der uniko eindeutig gegen "zu viele" Studierende, die man entweder von ihrem Wunschstudium abhalten müsse oder durch Zuckerbrot und Peitsche zum "richtigen" Studium zwingen müsse.

Das System klingt logisch - würde man einer Einheitspartei in einem östlicheren Teil Europas von vor mindestens 20 Jahren angehören. Natürlich wird jedeR Möchtegern-Theaterwissenschafts-, Wirtschaftswissenschafts- oder Publizistik-Student bereitwillig auf ein Feinmechanik- oder Biochemie-Studium umsteigen, wenn dies die visionären Leiter der Universitäten eines in der De-Industrialisierung befindlichen Landes verlangen.

Denn Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ist ja wahrlich nur ein "Mode"-Studium, das zum AMS führen wird. Schließlich leben wir ja in einer Region, die sich in der Phase der Industrialisierung und nicht in einer "Informations-", Kommunikations- oder "Wissensgesellschaft", wie dies zwar überall - erstaunlicherweise auch aus den Wirtschaftskreisen selbst - verlautbart wird. Übrigens auch heute etwa im Standard, der als Themenschwerpunkt die aktuelle Wirtschaftskrise als Ent-Industrialisierungskrise behandelt und unter anderem beschreibt, dass "Schwellenländer" gerade mit großen Investitionen drauf und dran sind, Europa auch noch die letzte Domäne seiner wirtschaftlichen Vorreiterstellung wegzunehmen: Wissenschaft und Forschung!

Und die Faktenlage bestätigt eindeutig die visionäre Haltung österreichischer Rektoren und Politiker: Ein Blick auf aktuelle Wirtschaftstrends bestätigt: Das LD-Verfahren, Autoindustrie und die verarbeitende Industrie generell sind gerade voll im Kommen - erneuerbare Energien, Web 2.0, über Internet und mobile Geräte vernetzte Medien und Informationsnetzwerke - das sind doch alles nur Modeerscheinungen, die nur in eine Sackgasse führen werden - so viel steht jetzt schon fest!

Aber die Rektoren und die Regierung sind ja immerhin von der Mehrheit des Landes gewählt, und die wissen daher natürlich am besten, was gut für uns ist - auf dem Wissensstand eines Österreichers, der von 1964 bis 1972 die Volks- und Hauptschule besucht hat ...

Mittwoch, 5. Mai 2010

Weitere Kundgebungen gegen Abschiebungen

Nach der spontanen Blockadeaktion am Hernalser Gürtel (DO, 29.4.2010), gegen die Abschiebung von Spielern des FC Sans Papier die seit 2002 bzw. 2004 in Österreich lebten (FMO berichtete, siehe auch Wien Heute vom 30.4.2010 sowie die ausführliche Dokumentation und Reportage von Wien TV (ca. 8 Min)), kam es Freitag-Mittag erneut zu einer kurzen, jedoch kaum besuchten, da unzureichend kommunizierten Kundgebung vor dem PAZ Rossauer Lände.

Am Samstag den 1. Mai gab es laut Berichten von Anwesenden jedoch gleich drei Kundgebungen, eine Vormittags, eine Mittags/Nachmittags und eine gegen Abend. Alle drei wurden binnen kurzer Zeit polizeilich aufgelöst bzw. lösten sich nach Eintreffen der Polizei selbst auf. Eine dieser Kundgebungen war beim Omofuma-Denkmal vor dem Museumsquartier mit etwa 100 bis 200 Leuten. Dort entstand nach einer Weile ein großes Polizeiaufgebot und ein Kessel, der aber nach ausbleibender Eskalation rasch wieder aufgegeben wurde. Über die anderen beiden Kundgebungen ist mir nichts bekannt, außer, dass sie stattgefunden haben. Indymedia berichtete allerdings: "Massive Repression beim Markus Omofuma-Stein" (war gegen 13 Uhr) - danach "Kundgebung und Polizeirepression vor Wiener Häfn" (danach, gegen 15:30 Uhr) und über die erste Kundgebung am Vormittag dürfte dieser Fotobericht auf Indymedia sein.

Sonntags und Montags dürfte es ruhig geblieben sein. Die nächste große Aktion fand am Dienstag statt:

Demonstration am Dienstag, 4. Mai

Mit Flyern und über das Internet wurde unter dem Motto "Solidarité avec les sans papiers" sowie "No Border, No Nation, stop Deportation" zu Aktionstagen gegen die Abschiebungen am 4. und 5. Mai aufgerufen. Indymedia berichtete den ganzen Tag mit Live-Ticker.

Die erste Kundgebung startete gegen 12 Uhr vor dem PAZ Rossauer Lände. Etwa 70 bis 100 Leute waren versammelt, als nach 12:30 die Gruppe vom Platz/Radweg an der Kreuzung die Straße zu blockieren begann.

Gegen 13 Uhr wollte die Polizei die Versammlung, die "angekündigt, aber nicht angemeldet" war, auflösen. Etwa 30 bis 50 Polizisten waren zu diesem Zeitpunkt anwesend. Diese Gruppe von Polizisten bewegte sich vom PAZ Richtung Versammlung zu. Doch noch bevor die Auflösung per Megaphon durchgesagt werden konnte, entschloss sich das Über-Ich dieser Versammlung, sich in Bewegung zu setzen. Die verdutzten Polizisten blieben vorerst zurück, die Kundgebung setzte sich den Donaukanal entlang in Bewegung - ohne Polizeibegleitung und in direkter Konfrontation mit hektischen Autofahrern.

Mehrere Kreuzungen wurden so passiert, nur wenige Autofahrer waren einsichtig genug, die Seite des Donaukanals zu wechseln. Stattdessen fuhren die meisten dicht an die Fersen der letzten Demo-Teilnehmer heran - darunter auch der Flughafen-Bus (!) der vom Westbahnhof zum Schwedenplatz unterwegs war.

Die Demo bog bei der Urania auf den Ring ab (Die Zeitung ÖSTERREICH, die offensichtlich nicht vor Ort war, druckte am nächsten Tag in der Zeitung einen Stadtplan ab, auf dem die Demoroute über den westlichen Ring (via Schottentor) eingezeichnet war. That is not correct!)

Die Polizei begann erst nach dem Schwedenplatz die Kreuzungen mit Motorrädern vorübergehend für den Verkehr zu sperren, und erst am Ring wurde die Demo mit Motorrädern und Einsatzfahrzeugen vorne und hinten "abgesichert". Bis zuletzt änderte sich am Vorgehen der Polizei nichts mehr, die Demo wurde offensichtlich toleriert. Der Demo schlossen sich bis zum Schwarzenbergplatz etwa zwei Dutzend FahrradfahrerInnen an, insgesamt vergrößerte sie sich auf über 200 TeilnehmerInnen.

Die Demo-Route im Überblick: Rossauer Lände - Urania - Ringstraße - Schwarzenbergplatz - Schloss Belvedere - Südbahnhof - Laxenburger Straße - Asylgerichtshof. Wegzeit: laut Indymedia-Ticker von 12:50 bis 14:30, also 1:40 Minuten für einige Kilometer. Gutes Tempo!

Unter den Blicken dutzender AnwohnerInnen, vorwiegend Migranten, wurde der Asylgerichtshof für knapp eine Stunde "belagert". Eine Delegation wurde hineingelassen, doch erklärten sich alle Anwesenden für unzuständig, abwesend oder inkompetent. Einige Anwohner und Geschäftstreibende, etwa ein Kebabverkäufer, drückten ihre Solidarität oder gar Dank aus und erzählten von eigenen Problemen mit den Asylbehörden. Der Kundgebung vor dem Asylgerichtshof schloss sich aber kaum jemand an, die meisten blieben Schaulustige.

Die Laxenburger Straße war in eine Fahrtrichtung blockiert, die Tramschienen und die andere Fahrtrichtung blieben frei. Etwa 150 waren bei der "Belagerung" noch anwesend. Gegen 15:30 löste sie sich auf. Eine weitere Kundgebung mit 50 bis 70 Teilnehmern fand gegen 19 und 20 Uhr am Flughafen Wien-Schwechat statt - ebenfalls ohne Zwischenfälle. Verhindert werden konnte die Abschiebung natürlich nicht, aber zahlreiche Medien berichteten über die Proteste des Tages. Darunter erneut Wien Heute (Mitschnitt), die, wie schon am Freitag zuvor, über die Protestaktionen als Headliner der Sendung berichteten.

Kundgebung am Mittwoch, 5. Mai

Für den darauffolgenden Mittwoch wurde für 16 Uhr zu einer Kundgebung auf der Uni-Rampe aufgerufen. Dem Vernehmen nach war diese erneut "angekündigt, aber nicht angemeldet", weshalb die Polizei per Megaphon - diesmal wirklich - durchsagte, dass diese Versammlung aufzulösen sei. Die TeilnehmerInnen hatten mehrere große Transparente bei sich, eines davon wurde zwischen den Bäumen vor der Uni-Rampe aufgehängt, wie folgendes ironisch kommentiertes Twitpic zeigt.

Die etwa 100 bis 150 TeilnehmerInnen zogen daraufhin in die Uni, ins Audimax und verkündeten dort die Anliegen dieses Protests, gegen die Abschiebung der FC Sans Papier-Spieler. Ein großes Transparent wurde auf dem Podium präsentiert. Nach einigen Minuten, in denen überlegt wurde, ob das Audimax besetzt werden solle (ein Vorschlag, dem nur wenige was abgewinnen konnten), verließen die Leute die Uni wieder. Der Hauptteil zog über den Votivpark (Sigmund-Freud-Park) zur Schottengasse, wo die Straße in Beschlag genommen wurde. Die spontane Demonstration zog nun über die Kolingasse an der Rossauer Kaserne vorbei zur Rossauer Lände / Donaukanal. Die Polizei erhöhte ihre Präsenz sukzessive und holte mit ihrem "Reisebus" die Demo kurz vor dem Schwedenplatz ein. Dort begannen die Demo-Teilnehmer Richtung Innenstadt zu laufen, allmählich löste sich die Kundgebung auf. Zuerst in zwei größere Gruppen, dann in immer kleinere. Ein Teil traf sich am Stephansplatz erneut, andere blieben irgendwo in den Gassen zwischen und rund um Schwedenplatz/Stephansplatz hängen. Die Demo endete also fast so spontan, wie sie begonnen hatte. Die Polizei verteilte sich nun überall in der Innenstadt zwischen Rossauer Lände, Schwedenplatz und Stephansplatz um auf erneute Versammlungen, die nicht mehr zustande kamen, reagieren zu können.

Hintergrundinformationen

Die Abschiebungen per Charterflug sind mittlerweile erfolgt - nähere Infos z.B. hier.

Zuletzt setzte, ausgehend vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR), sich auch eine Reihe von gegenseitigen Rügen und Ermahnungen auf gerichtlicher Ebene in Gang. Zuerst erklärte der EGMR, dass Asylanten, die die EU über Griechenland betraten, nicht "automatisch" nach Griechenland zurückgeschoben werden dürfen, was bisher in Österreich Praxis war, mit Verweis auf entsprechende EU-weite Asylrichtlinien. Dies sei menschenrechtswidrig, aufgrund der allgemein bekannten katastrophalen Bedingungen der total überlasteten Asylgefängnisse dort, so ein Beitrag in der ORF-Sendung Report am Dienstag, 4. Mai 2010. Im selben Beitrag wurde auch erwähnt, dass der EGMR für bedrohte Asylanten eine Hotline eingerichtet hat, da der Verfassungsgerichtshof in Österreich längst derart überlastet sei mit Beschwerden von "Opfern" des Asylgerichtshofes, dass dieser deren Schutz nicht mehr garantieren könne. Eine quasi-Enteignung der höchsten Instanz in Österreich!

Nun reagiert der VfGH offenbar darauf und rügt seinerseits den Asylgerichtshof, der solle gfälligst seine Arbeit gscheit machen, dann würden sich nicht so viele beim VfGH beschweren und dieser sich nicht ständig vom EGMR in Straßburg anpatzen lassen müssen. Im konkreten Wortlaut heißt es, in Bezug auf zwei konkrete Fälle von Abschiebungen, der Asylgerichtshof habe verfassungsmäßig garantierte Rechte verletzt.

Links

- Laufend mit aktuellen Berichten gefüttert wird Indymedia auf dieser fixen Übersichtsseite: https://at.indymedia.org/node/18058

- sowie no-racism.net, die eine laufend aktualisierte und sortierte "Presseschau" bietet: http://no-racism.net/article/3346

Sonntag, 2. Mai 2010

Der 1. Mai in Linz - Fokus: Exekutiveinsatz

Nachdem es letztes Jahr beim alternativen Mai-Aufmarsch von u.a. der kommunistischen Jugend zu gewalttätigen Zwischenfällen mit der Polizei kam, nachdem diese vermummte TeilnehmerInnen einkesselte und schließlich mit Gewalt willkürlich einzelne Personen aus der Menge zerrte, was vielfältig dokumentiert und für entsprechende Aufregung weit über Linz hinaus sorgte, entschloss ich mich, dieses Jahr selber erstmals einen Mai-Aufmarsch zu besuchen.

Nachdem der offizielle, sozialdemokratische, Aufmarsch gegen 11 Uhr am Hauptplatz eintraf, startete der "alternative 1. Mai"-Aufmarsch etwas später, gegen 11.30 Uhr. Beim Treffpunkt im Volksgarten schätzte ich die Menge auf etwa 300 Personen, was (wieder mal) mit der Polizeischätzung (die ich da noch nicht kannte) übereinstimmt. Andere Teilnehmende sprechen von bis zu 800 Teilnehmern. Gut möglich, dass es mehr als 300 Personen waren, zumindest nach Beginn des Marsches Richtung Hauptplatz. 800 dürfte aber auch etwas zu hoch geschätzt sein.

Rückblick 2009

Die Demo verlief dieses Jahr besonders ruhig, nachdem die Vorfälle des Vorjahres die Polizei in ein äußerst schlechtes Licht gerückt haben, nicht zuletzt, da mit dem Vize-Rektor der Kunstuni offensichtlich kein vermummter Chaot festgenommen wurde. Dieser konnte auch vor Gericht glaubhaft nachweisen, dass er eigentlich gar nicht an der Demo teilgenommen hatte, aber nach der Einkesselung dieser Demo sich vom Hauptplatz aus auf den Weg zur Demo machte, und just bei seinem Eintreffen zu sehen, wie eine Bekannte grob von der Polizei behandelt wurde. Als er sich erlaubte, der Polizei zuzurufen, dass sie nicht so grob sein sollen, wurde er schneller unsanft festgenommen, als er schauen konnte. Schließlich sah er sich Vorwürfen wie Widerstand gegen die Staatsgewalt konfrontiert und hatte, wie einige andere Teilnehmer auch, sich vor Gericht zu verantworten. Bis auf einen Fall endeten alle Verfahren in erster Instanz mit Freisprüchen - ebenso auch die Verfahren gegen einzelne Polizisten, denen übertriebene Gewaltanwendung vorgewurfen wurde (was soll das hier sonst sein? Übrigens scheint sich auch hier wieder zu zeigen, wie sehr der ORF unter der politischen Fuchtel steht), was die Richter aber anders sahen. In einem Urteil erlaubte sich ein Richter (oder Richterin?) sogar die groteske Begründung, "ein Polizist würde doch nicht lügen" (sinngemäß zumindest), also im Zweifel eben für die Polizei, Faktenlage hin oder her! Hintergründe und Details zu den Verfahren wurden u.a. hier veröffentlicht: http://antifa.servus.at

Lehren für 2010

2010 zogen daher alle Beteiligten folgende Lehren: Keine Feuerwerkskörper seitens der DemonstrantInnen, keine "herkömmliche" Vermummung: Stattdessen ein kreativer Verkleidungs-Workshop, um auf die Absurdität des Eskalations-Anlasses im letzten Jahr hinzuweisen: nämlich, dass einige TeilnehmerInnen mit Sonnebrillen und Kapuzen ihr Gesicht teilweise versteckten. Solche DemonstrantInnen waren zwar auch dieses Jahr zu sehen, aber offenbar schätzte die Polizei in diesem Fall einen friedlichen Verlauf der Demo doch höher ein, als "auf Teufel komm raus" den offensichtlich ungefährlichen "Vermummten" ihre Maskerade zu verbieten. Außerdem waren dank des Workshops zahlreiche TeilnehmerInnen mit Perücken, aufgeklebten Schnauzbärten, Schminke usw. nahezu barock, oder eher: grotesk, verkleidet. So auch die subversiven Cheerleaderinnen, die mit rosa Outfit und hässlichen Schnauzbärten Anti-Nazi-Chöre intonierten und dazu Tanzbewegungen ausführten ("to the left, to the left, and never to the right ...").

Bis auf die subversive Clown-Truppe, die ein paar uniformierten Beamten gehörig auf die Nerven gegangen sein dürfte (was diese bemüht tolerant ignorierten), da sie sich ihnen immer wieder in den Weg stellten und einmal sogar - kindergartenmäßig, Hand in Hand - einkreisten, gab es keinerlei Aktivitäten seitens der Demonstranten, die polizeilich als Provokation gewertet werden könnte. Und jene paar "Halbvermummte" (Sonnenbrillen usw.), die an zwei Stellen im Demo-Zug als kleine Grüppchen anzutreffen waren, wurden von Exekutivbeamten mehr auffällig als unauffällig gefilmt, fotografiert und nie aus den - zahlreichen - staatlichen Augen gelassen. Womit wir schon beim nächsten Punkt wären:

Skurrile Exekutive

Sehr skurril präsentierte sich die Polizei bzw. die Staatspolizei an der Demo. Gaben Medienberichte (Gratiszeitungen, Boulevard) mit ihrer Nachricht, ein junger Polizei-Offizier solle dieses Jahr den Polizeieinsatz an der Demo führen, Grund zur Sorge, die Polizei würde sich auch dieses Jahr wieder ungeschickt verhalten, zeigte sich vor Ort ein deutlich entspannteres Bild: Die Polizei war nur mit wenigen sichtbaren Beamten vor Ort, praktisch die gesamte "Infanterie" war auf Abruf im Viertel zwischen Neuem Dom und Bahnhof "versteckt" - sie wurde jedoch nicht herangezogen und auch nicht benötigt.

Das skurrile am Ganzen ist aber der massive Einsatz von "Undercover"-Beamten, wobei natürlich für mich als Außenstehenden nicht klar ist, ob diese nun von der Polizei, Staatspolizei oder von sonst wo sind. Jedenfalls fielen sie als äußerst ungeschickt getarnt auf. Ich erlaube mir, den staatlichen Mitlesern hier ihre Tarnungsfehler aufzuzeigen, in der Gewissheit, dass sie an ihrer "Tarnung" ohnehin nichts ändern werden. Und jene gut getarnten Beamte, die aufgrund der Fülle an schlecht getarnter Beamte vermutlich auch in der Menge steckten, sind mir ohnehin nicht aufgefallen. Im Vertrauen auf ein gewisses Mindestmaß an Professionalität der staatlichen Sicherheitsorgane gehe ich aber davon aus, dass ich nicht alle zivilen Ermittler erkannt habe, und auch, dass jene schlecht getarnten Beamte womöglich ganz bewusst nicht unauffälliger in Erscheinung traten - vielleicht wollten sie sich ja doch irgendwie abschreckend für die Demo-Teilnehmer erkennbar machen, ohne gleichzeitig Medien und Zusehern den Eindruck eines massiven Polizeieinsatzes zu vermitteln.

Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum Zivil-Cops ihre antiken Funkgeräte samt pompöser Verkabelung so lässig aus ihren Jacken schauen lassen, ihre Ohr-Empfänger nicht besser verstecken (wie wärs mit großen Sombreros oder blumenbestückten Strohhüten?) oder so extrem auffällig die ganze Zeit gewisse Personenkreise anglotzen - oder das Gegenteil - während der gesamten Dauer der Demo sich immer an gewissen Personen orientieren, aber diese nie anschauen, sondern ganz "natürlich" die ganze Zeit miteinander plaudern, Zigretten rauchen und Eis essen - und ganz teilnahmslos die gesamte Demo von früh morgens an begleiten, ohne offensichtlich irgendwie damit zu tun zu haben.

Vorbild: Beastie Boys - Sabotage?

Ein richtiges Beastie Boys-Sabotage-Beispiel gab der "spektakuläre" Schichtwechsel an der Haltestelle Goethekreuzung, respektive im Volksgarten ab. Nachdem sich zwei der vier, laut erfahrenen Demonstranten Stapo-Beamte, schon "unauffällig" in den startenden Demo-Zug begeben haben, gingen die anderen zwei, um als vierer Gruppe nicht aufzufallen, in die andere Richtung, in den Volksgarten, Richtung Demo-Ende. Dort gingen die offenbar nach Vorbild des besagten Beastie Boys-Videos gekleideten StaPos, alle Anwesenden keines Blickes würdigenden, Richtung gegenüberliegenden Park-Ausgang um dann hinter den Bäumen irgendwo in einem Auto zu verschwinden. Während ich mich schon wunderte, warum die zwei Beamte gerade zu Demo-Beginn gehen sollte, näherte sich die Antwort, beinahe die Wege der Kollegen kreuzend, von der anderen Seite: Zwei relativ junge (knapp 40?) Kollegen mit der Ausstrahlung von Streetworkern (Jeans, betont lässige Jäckchen und Umhängetaschen) dem Demo-Ende, um fortan der Demo bis zum Hauptplatz an immer der selben Stelle (zuerst knapp hinter der Demo, dann daneben) zu folgen. Die ganze Zeit über schienen sie sich kein bisschen für die Demo interessieren - sie haben sie so gut ignoriert, als einzige weit und breit, dass es schon wieder auffällig war. Während Passanten stehen blieben und kurz der Demo lauschten, oder stattdessen eilig vorbeigehen, und während alle Teilnehmer oder Mitläufer der Demo aufgrund ihrer Blicke, ihres Verhaltens, auch als solche zu erkennen waren, blieben die beiden "Streetworker" cool in ihren Dialog-Rollen stecken, begleiteten die ganze Demo, stets die Demo ignorierend. Damit das ganze nicht auffällt, haben sie, abgesehen von ihren gelangweilt, beiläufig wirkenden Gesprächen noch ein paar Ideen vorgesehen: Die ersten 10 Minuten rauchen sie genüsslich eine Zigarette, die nächsten 10 Minuten verzehren sie gemütlich einen am Weg gekauften Eis-Becher (danach hab ich mich nicht mehr für sie interessiert).

Viel uncooler waren aber jene aus Sabotage-stammenden Typen, die allen ernstes mit Leder-Jacken, Jeans-Jacken und Mänteln, wahlweise im ungepflegten 3-Tage-Bart-Stoppelglatze-Schwerverbrecher-Stil oder im schnauzbärtigen 70er-Jahre-Detektiv-Stil, die Demo begleiteten. Zumeist in 2er-Teams unterwegs, gab es auch ein 3er- oder 4er-Team, nämlich jenes, das ganz vorne an der Demo das kleine vergnügt herumhüpfende Grüppchen Punks filmte und fotografierte, andere Kollegen hatten historisch-große Funkgeräte in der Jackentasche und vereinzelt auch Headsets bei sich.

Was das ganze noch skurriler macht: Irgendwie dürfte einigen von denen nicht entgangen sein, dass ich sie die ganze Zeit beobachte - und so erntete ich gelegentlich misstrauische Blicke, die einmal "Was macht der?" zu fragen schienen, ein anderes Mal ein nachdenkliches "Ist das ein Kollege?".

Insgesamt habe ich etwa 10 Zivil-Beamte als solche erkannt. Bei der Größe der Demo (unterwegs dehnte sie sich ganz schön aus) und der Anzahl der offensichtlichen Zivil-Beamten ist aber davon auszugehen, dass noch einige mehr im Dienst waren - mal abgesehen von jenen, die in ihren Autos irgendwo in der Umgebung rumsitzen und -fahren. Fazit: Ein Großeinsatz von Zivil-Fahndern sondergleichen, der mir in diesem Ausmaß an noch keiner (vergleichbar großen) Demo aufgefallen wäre. An diesem 1. Mai 2010 konnte die StaPo wohl wieder höchst erfolgreich zahlreiche Personenakten ausbauen und neue anlegen. Ein Hoch auf die Bespitzelung der Zivilgesellschaft! Und respect für die, wenn vielleicht auch nicht ganz freiwillige, Transparenz bei dieser Bespitzelung! So macht Beobachten der Beobachter Spaß!

Weitere Fotos vom Alternativen 1. Mai in Linz:
- http://www.flickr.com/photos/sooperkuh/4568183909

[Foto by außerirdische sind gesund auf flickr, lizenziert mit CC-by-2.0]
 
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