Mittwoch, 8. Februar 2012

Zürcher Polizei bricht Häuserfrieden - Uwaga am 8. Februar 2012 geräumt

letztes Update: 21.2.2012
Zürich, 8. Februar 2012. Das "Uwaga", ein seit 19. Oktober 2011 besetztes Gewerbeareal in der Brandschenkestraße 60-64, zwischen Bahnhof Enge und Bahnhof Sellnau, wird geräumt. Laut AktivistInnen soll dies ein klarer Fall einer "Räumung auf Vorrat" sein - was aufgrund der anhaltenden großen Wohnungsnot und einem eskalierten Häuserkämpf seit 1989 gemäß Verordnung des Stadtrates nicht mehr passieren sollte.

Die Eigentümerin des leerstehenden Gebäudes, die Agruna AG, argumentiert die Notwendigkeit der Räumung mit "Probebohrungen". Andererseits hat das Unternehmen bereits von Anfang an versucht, den BesetzerInnen das Leben im Haus schwer zu machen und das Beispiel der seit Jahren besetzten "Binz" zeigt, dass es für Probebohrungen keines Abrisses Bedarf - zumal der angedachte, noch nicht umsetzungsreife Neubau-Projekt-Plan frühstens in zwei Jahren begonnen werden kann. Ein Räumungsbescheid wird am 23. Januar vom Grünen Polizei-Stadtrat Daniel Leupi unterschrieben, der Räumungstermin für den 8. Februar um 8 Uhr morgens festgelegt.

Für viele BesetzerInnen und AktivistInnen in Zürich ist das ein klarer Bruch der 1989 ausgerufenen Befriedung des Häuserkämpfes. Mit Ausnahme der "Wohlgroth"-Räumung 1993 gab es seither keine größeren Zwischenfälle bei Räumungsaktionen - meist sind die Häuser bereits verlassen, wenn der - in der Regel großzügig zuvor angekündigte - Räumungstermin erreicht wird, da der Eigentümer nur eine Abriss-Genehmigung erhält, wenn ein projektierter Neubau bewilligt ist und Bauarbeiten unmittelbar bevorstehen. Dieses Mal wurde nach Meinung vieler AktivistInnen klar gegen diese seit 23 Jahren bewährte Praxis verstoßen.

"Aus diesem Grund ist es notwendig endlich wieder einmal ein besetztes Haus zu verteidigen, von drinnen und draussen, was leider in Zureich etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint…" heißt es in einem Aufruf zur Verteidigung des Hauses, der am 6. Februar auf Indymedia.ch veröffentlicht wurde. Der Aufruf fand jedoch nur wenig Gehör, was zum einen an den tiefwinterlichen Temperaturen, zum anderen auf mangelnde Kommunikations- und Vernetzungsarbeit in der Anfangsphase der Besetzung zurückzuführen sein dürfte.

Räumung

Wie angekündigt rückte die Polizei gegen 8 Uhr morgens zur Räumung aus. Ein Augenzeuge schildert das, was nun passiert, detailliert auf Indymedia: Rund 30 Personen hatten sich aus Solidarität vor dem Gebäude versammelt und errichteten notdürftig Barrikaden, als 25 PolizistInnen in voller Kampfmontur die Brandschenkestrasse heraufzogen. Diese beginnen umgehend auf Distanz eine Salve Gummischrot auf die Leute abzufeuern. Die Ansammlung zerstreut sich. Mehrere Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch am Dach - auch sie verlassen das Gebäude jedoch unerkannt noch vor dem Eindringen der Polizei. Der Gummischrot-Einsatz wird zunächst mit den "Steineschmeißern vom Dach", auf die ausschließlich gezielt sein worden soll, erklärt. In einer anderen Mitteilung an die Presse werden die Barrikaden als Ursache und Ziel genannt. Widersprüchlichkeiten in der Kommunikation der Polizei mit der "Außenwelt", die sich wie ein roter Faden wohl nicht nur durch diesen Polizeieinsatz ziehen - vgl. auch "Erklärungen", warum der Abriss nicht mit den Richtlinien der Polizei für Räumungen in Konflikt stehen soll im Abschnitt "... polizeiliche Desinformation".

Gummischrot säen ...

Mit nur 30 bis 50 PolizistInnen wurde das Uwaga in zwei Stunden geräumt - während Räumungen vergleichbar großer Besetzungen in Wien etwa 100 bis 250 BeamtInnen eingesetzt werden. Der (scheinbare) Vorteil dieses Vorgehens für die Polizei liegt also auf der Hand. Dass die Reaktionen auf Gummischrot anders ausfallen als auf "sanftes Abdrängen" - man denke nur an den vergangenen September mit vier Krawallen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden wegen ein paar aufgelöster „illegaler“ Partys am Stadtrand - wird ignoriert, geleugnet oder als „zusammenhangslos“ abgestempelt.

Medien und Bevölkerung Zürichs halten Gummischrotgewehre - die der Polizei in den meisten „westlichen Demokratien“, inklusive Deutschland und Österreich, verboten sind - offenbar widerspruchslos für ein angemessenes Kommunikationsmittel im Umgang mit Leuten, die leerstehende Flächen und Gebäude bewohnen und mit öffentlichen Werkstätten, Küchen und Veranstaltungen beleben.

Merkwürdig ist in diesem Fall jedoch, dass das "Erstaunen" jedes Mal groß ist, wenn in Zürich Krawalle ausbrechen. „Woher kommt bloß diese Gewaltbereitschaft bei der Jugend?“ lautet dann jedes Mal die offenbar auch noch ernst gemeinte Frage der JournalistInnen und der Bevölkerung.

Keine Versammlungsfreiheit für GesellschaftskritikerInnen

Versammlungsfreiheit gibt es in Zürich de facto nicht. Jedenfalls nicht für Menschen, die nach Freiräumen verlangen, Abschiebungen (Ausschaffungen) ablehnen oder sonst irgendwie ihre Unzufriedenheit mit den herrschenden Zuständen in Stadt, Kanton und Land äußern wollen. Wird eine Demo spontan, ohne Anmeldung bei (und Genehmigung durch) die Polizei abgehalten, muss man auf eine diskussionslose, gewaltvolle Beseitigung aus dem Stadtbild vorbereitet sein. Das Ergebnis: friedliebende Menschen bleiben lieber zu Hause - zur Demonstration kommt oft nur, wer für „Krieg“ mit der Polizei gerüstet ist oder diesen zumindest in kauf nimmt, was der Polizei im Nachhinein natürlich die Rechtfertigung ihrer Gewaltanwendung erleichtert.

Da sich diese Strategie der Zürcher Polizei selbst erfüllt - je mehr Gewalt, desto mehr Gewalt - wird sie auch nach über 40 Jahren nicht infrage gestellt. Die krawall-lüsternen Medien betonen meist die Gewaltbereitschaft der Jugend und zitieren bereitwillig die berechenbaren Kommentare konservativer und rechter PolitikerInnen, die jede Gelegenheit nutzen, nach mehr PolizistInnen und mehr Befugnissen für die Polizei zu rufen. Schon nach dem zweiten Krawall im September 2011 forderte man von seiten der SVP FDP gar die Besetzung Zürichs durch die Armee, das u.a. dem Gratisblatt „Blick am Abend“ eine große Schlagzeile wert war. Die Frage, wessen Kinder sich aus welchen Gründen in Zürichs Innenstadt der Polizei in die Schusslinie stellen, wird selten gestellt und nie beantwortet. Das Gerücht, dass jugendliche „Chaoten“ und „Randalierer“ von einem anderen Planeten (wenn nicht gar aus Deutschland!) kommen, hält sich jedenfalls hartnäckig.

Räumung nach zwei Stunden beendet

Die Räumung des Uwaga geht indessen zügig voran. Auf dem vereisten Vorplatz des Haupteinganges nehmen PolizistInnen mit Vorschlaghammer Anlauf auf die Türe - und rutschen auf der Eisfläche aus. Sie brechen schließlich die Türe auf und lösen die Alarmanlage des Gebäudes aus - die erst nach etwa eineinhalb Stunden abgeschaltet werden kann. Die vielen Barrikaden an allen Seiten des Gebäudes verlieren angesichts des Eindringens durch den Haupteingang jede Bedeutung. Nur das Vordringen in die obersten Stockwerke verzögert sich dem Anschein nach. Lautes rumpeln und das Donnern des Vorschlaghammers sind noch bis Mittag zu hören.

Nach knapp zwei Stunden „erobert“ die Polizei das Dach. Kurz darauf wird die Räumung für abgeschlossen erklärt. FotografInnen und Kameraleute, die zuvor mit Verweis auf „Steine vom Dach schmeißende“ BesetzerInnen etwas abgedrängt wurden, wurden nun von Pressesprecher der Polizei, Mario Cortesi herbeigerufen, um an einer Besichtigung des Inneren des Gebäudes teilzunehmen - „auf eigene Gefahr“, wie es nun heißt. Man betritt das mit Scherben bedeckte Foyer des Gebäudes, von der steinernen Treppe sind fast nur noch die mit Steinplatten-Resten und Glasscherben bedeckten Betonträger übrig - über diese geht es in die oberen Stockwerke - nicht alle MedienvertreterInnen trauen sich. Beim Anblick der Barrikaden, herumliegender Möbel, Gerümpel und Kleidung, bemalter und bekritzelter Wände, wird über das „Schöner Wohnen“-Verständnis der BesetzerInnen gescherzt. Der Tages-Anzeiger veröffentlicht eine Reihe von Fotos aus dem Inneren des Gebäudes - unter anderem hat jemand einige Setzlinge im Haus zurückgelassen ...

Medien vs. polizeiliche Desinformation

Eine Fernsehjournalistin schüttet Cortesi ihr Herz aus: die HausbesetzerInnen seien unfreundlich und arrogant gewesen, als sie das Haus erreichte und die große Kamera auspackte. „Man kooperiere nicht mit Journalisten“, hat man ihr angeblich gesagt - und ihre Dreharbeiten behindert. Cortesi lächelt ihr zustimmend zu und erklärt schließlich die Polizei-Version der Dinge: Das Haus würde nun „unbewohnbar gemacht“, ein Sicherheitsdienst werde das Haus für „2, 3 Tage“ bewachen und anschließend würden die Abbrucharbeiten beginnen. Ob das Haus denn nun weiterhin leer stehe? „Nein, nein“, antwortet der Sprecher mit Verweis auf das „Merkblatt für Hausbesitzer“ - das wäre ja gar nicht erlaubt - es müsse einer der drei auf dem Merkblatt genannten Punkte vorliegen, damit geräumt werden dürfe. Es würde bald mit dem Bau eines „neuen Projektes“ begonnen werden - welches, wusste er jedoch nicht. Die anwesenden drei, vier JournalistInnen nicken verständnisvoll. Auf meinen Einwand hin, dass das Haus „angeblich“ noch zwei Jahre leer stehen würde, reagiert der Sprecher verneinend: das seien nur Gerüchte, die ich offenbar den HausbesetzerInnen entnommen hätte.

Als danach noch zwei, drei JournalistInnen den Polizisten in Rüstung und mit dem roten Megafon befragen, erzählt dieser voll überzeugter Gewissheit, dass das Haus „noch heute“ abgerissen würde und es für den Abbruch „keine Genehmigung brauche“ - während der Pressesprecher zehn Minuten zuvor noch erklärte, dass gemäß den „drei Punkten“ auf seinem Merkblatt Genehmigungen vorliegen müssten. Totale Verwirrung also, zumal auf Aspekte wie die Probebohrung, die vor einem Neubau wegen des unter dem Gebäude liegenden Bahntunnels durchgeführt werden müssen und das Gebäude voraussichtlich weitere zwei Jahre leer stehen wird bzw. das Grundstück im Falle eines Abrisses noch längere Zeit brach liegen würde, gar nicht erst eingegangen wurde. "Wir führen nur Befehle aus".

Uwaga geht - die Leute bleiben

Rund 30 Personen lebten nach Eigenangaben zuletzt im mehrere tausend Quadratmeter großen Gebäude. Dutzende Matratzen in bewohnt (und überstürzt verlassen wirkenden) Zimmern des weitläufigen Gebäudes bezeugen dies. In der großen Volxküche stehen noch Lebensmittel herum, überall liegt Kleidung, Handy-Ladegeräte und anderer Hausrat. Wer die Leute sind, die in dem Haus seit 19. Oktober gewohnt hatten, wollen sie nicht verraten. Lediglich von einem Occupy-Aktivisten ist zu erfahren, dass auch von ihnen „ein paar“ Leute im Haus gelebt haben - und sie sich diese Delogierung mitten im Winter keinesfalls gefallen lassen möchten.

die VoKü nach der Räumung ...
Insgesamt war es eine bunte Mischung aus Menschen, die in dem Haus lebten, was auch zu diversen Kommunikations- und Organisationsproblemen führte, die in den letzten Monaten manchmal kritisiert wurden. Doch man habe aus diesen Erfahrungen viel gelernt und für 2012 hatte man sich bereits viel vorgenommen, was die vielfältige Nutzung und Bespielung des Hauses betrifft - der nahezu unbegrenzt scheinende Raum wurde bereits von vielen für Werkstätten und Ateliers benutzt (vgl. auch Mediencommuniqué vom 25. Januar), weitere Einrichtungen waren geplant. Wie es nun weitergehen soll ist nicht klar - nur, dass es weitergehend wird.

Anmerkung: ein bis zwei Videos der Räumung sollen demnächst folgen und werden hier ehestmöglich verlinkt

Nachtrag 9.2.
- die Gratiszeitung "Blick am Abend" berichtet am 8.2. (S. 10) auch von folgendem, an keiner anderen Stelle erwähnten, Vorfall: "Nach der Räumung flüchteten die Besetzer laut einem Leserreporter über die Geleise der Sihltalbahn, kamen zurück und demolierten auf dem Hürlimann-Areal einen abgestellten Streifenwagen."
- "Freunde des Uwaga-Kollektivs" fordern "
Solidarität für das Uwaga-Kollektiv" (Indymedia Schweiz)

Nachtrag 10.2.
- In der Nacht auf 9.2. wurde in "Solidarität mit dem Uwaga Kollektiv und allen BesetzerInnen" das Haus von Stadtrat und Polizeidepartement-Vorsteher Daniel Leupi "besucht", es seien "Sprays und brennende Container" hinterlassen worden, denn "ihr Häuserkampf ist Teil von unserem Klassenkampf!", wie es im (angeblichen) Bekenner-Posting auf Indymedia heißt

Samstag, 28. Januar 2012

noWKR 2012 - Erfolgreiche Blockaden, Polizeiübergriffe

[letzte Updates: 30.1./9.2. / Pressespiegel: 1.2.]
Zwischen ca. 6.000 und 8.000 Personen nahmen gestern, am 27. Jänner 2012, an den No-WKR-Protesten in Wien teil. Zwei Demozüge - die OGR- (Offensive gegen Rechts) und "jetzt zeichen setzen"-Demo vom Schottentor via Ring zum Albertinaplatz, die Demo des "noWKR"-Antifa-Bündnisses vom Westbahnhof über die Mariahilfer Straße zum Heldenplatz - zogen ab 18:30 (noWKR) bzw. 18:45 (OGR / jzs) durch die Stadt. (Infos zu den Demonstrationen & Routen) Etwa 1.000 PolizistInnen, darunter Einheiten aus mehreren anderen Bundesländern, sorgten für die Einhaltung der Platzverbote um die Hofburg und die Fernhaltung der DemonstrantInnen von den Zufahrtsstraßen zur Hofburg. Von ca. 19 bis 21 Uhr gab es drei Konzerte "gegen Rechts" (Christoph & Lollo, Kommando Elefant, Clara Luzia) am Heldenplatz, denen bis zu mehreren Tausend BesucherInnen lauschten.

Bis etwa 23 Uhr kam es zu einer Reihe von wirkungsvollen Straßenblockaden (der Ballbeginn musste um ein bis zwei Stunden verschoben werden!), vereinzelten Zusammenstößen von Polizei, BallbesucherInnen und DemonstrantInnen und letztlich 21 Festnahmen (davon laut Rechtshilfe 12 AktivistInnen, die übrigen 9 zum Teil ausfällig gewordene Burschenschafter und Neonazis), drei verletzten BallbesucherInnen, fünf*
(*Hahslinger in ZiB 24) verletzten PolizistInnen sowie - von Polizei und Medien nicht genannt - einer unbestimmten Zahl (mindestens zwei) verletzter DemonstrantInnen. Ein (natürlich subjektiver) Erfahrungsbericht insbesondere von der noWKR-Antifa-Demo sowie den anschließenden "Scharmützeln" in und um die Herrengasse, Minoriten- und Ballhausplatz. Alle Zeitangaben laut Indymedia-Ticker, Twitter (#noWKR) sowie eigenen Aufzeichnungen.

Bereits am Nachmittag gab es außerdem drei Hacks von Anonymous Austria auf die Webseite des WKR, des WKR-Balles sowie der Burschenschaft Olympia, was von @AnonAustria auf Twitter jeweils mit "Die Russen kommen!" oder "die Rote Armee ist [...] einmarschiert" mitgeteilt wird. Folgend ein Screenshot der Domain www.wkr.at, die für mehrere Stunden auf folgende Seite, die mit sowjetischer (?) Orchestermusik der Hymne der Sowjetunion hinterlegt war, umgeleitet wurde:


Die politischen Reden am "ganz unpolitischen" WKR-Ball wurden wie immer unter Ausschluss der (medialen) Öffentlichkeit gehalten. Einzig ein Vertreter der Austria Presse Agentur (APA) wurde zum Ball zugelassen. Als die Polizei einige FotografInnen auf den Josefsplatz, vor den Balleingang, vorlässt, reagieren laut "Presse" viele BallbesucherInnen verärgert: "Frechheit", murmelt eine Dame; "Wir werden behandelt wie Aussätzige", eine andere.

Teil 1 - die beiden Demonstrationen

+++ diese Chronologie ist sicherlich nicht vollständig, es gab immer wieder kleine und kurze Straßenblockaden sowie dezentrale Aktionen von Kleingruppen! [Nachtrag 9.2.] Eine sehr gute Ergänzung bietet dieser, am 8. Februar, veröffentlichte Erlebnisbericht eines Aktivisten im Bereich Ring/Burgtheater/Rathausplatz, wo es wiederholt zu Auseinandersetzungen mit jungen Neonazis kam - auch auf die "Burschi-Safari" wird dort eingegangen. +++

18:30 - Start Demo Westbahnhof (noWKR / Antifa)



ca. 1.200 DemonstrantInnen (Quelle: Indymedia-Ticker) ziehen vom Christian-Broda-Platz am Ende der Mariahilfer Straße Richtung Museumsquartier. Etwa 200 Leute (Indymedia, kurz: IM) befinden sich bereits am Heldenplatz, wo für 18:30 der Beginn der Open Air-Konzerte angekündigt wurde.

18:45 - Start Demo Schottentor (OGR bzw. "jetzt zeichen setzen")

Ebenfalls rund 1.200 Personen (IM) ziehen vom Treffpunkt Schottentor / Universität Wien via Schottengasse, Löwelstraße, Ballhausplatz, Heldenplatz zum Dr. Karl-Renner-Ring (Video vom Beginn am Schottentor, noch eins). Auf der Mariahilfer Straße nehmen bereits rund 1.500 an der noWKR-Demo teil, 1.000 warten am Heldenplatz auf Beginn der Konzerte. (IM)

19:00 - noWKR-Zwischenkundgebung beim Marcus-Omofuma-Denkmal / Museumsquartier

Kurz nach 19 Uhr trifft die noWKR-Demonstration beim Museumsquartier ein. Unterwegs wurde mehrfach Pyrotechnik gezündet, neben diversen Böllern, von denen einer die Alarmanlage einer Bankfiliale an der Mariahilfer Straße auslöste, auch verschiedene Leuchtmittel. Abgesehen davon gab es jedoch keine Zwischenfälle, es werden lautstark Antifa-, Anti-Nazi und Anti-kapitalistische Parolen gerufen.

19:15 - Unruhe auf Babenberger Straße

Die Soundanlage des Lautsprecher-Wagens der noWKR-Demo ist zu leise. Die meisten können die Zwischenkundgebungs-Beiträge nur - wenn überhaupt - teilweise verstehen. Die Polizei steht zudem vor und seitlich der Demo-Spitze in dichten Reihen mit Helmen und Schildern, sodass der Zwischenstopp für einige wie eine Unterbrechung durch die Polizei wirkt. Man hört, dass die OGR-Demo am Weg zum Albertinaplatz in Kürze den selben Ringabschnitt queren wird; der Schwarze Block formiert sich und zieht Richtung Polizeikette los - diese gibt nach und gibt den Weg Stück für Stück frei, zumal sie die Kreuzung ohnehin nicht halten kann, da seitlich vom Museumsplatz her immer mehr Leute die Polizeisperre zu umgehen versuchen.

19:15 - OGR-Demo erreicht Heldenplatz

Auch die OGR-Demo setzt Pyrotechnik ein, laut Indymedia mittlerweile 1.800 TeilnehmerInnen an dieser Demo. Die Menge zieht auf den Heldenplatz, mehrere Hundert gehen jedoch wieder vor das Heldentor und warten dort auf weitere, die bis zur Mahnwache am Albertinaplatz weiter ziehen wollen. Der gesamte Ring zwischen Parlament und Opernkreuzung ist zu dieser Zeit gesperrt.

19:35 - OGR- und noWKR-Demo gemeinsam am Burgring



Als die noWKR-Demo an der Kreuzung Babenberger Straße / Burgring erneut angehalten wird, fliegen mehrere Glasflaschen über die Reihen der Polizei auf die Straße, dem Anschein nach wurde eine Person von der Polizei herausgegriffen, es kommt zu Soli-Sprechchören und schließlich Jubel, als die Polizeikette den Burgring frei gibt. Die "antinationale Solidarität" rufende, überwiegend schwarz gekleidete 1.500 bis 1.800 TeilnehmerInnen zählende noWKR-Demo zieht nun an der noch ca. 300 bis 400 Personen starken OGR-Demo, die zu diesem Zeitpunkt überwiegend aus roten Fahnen besteht, vorbei auf den Heldenplatz, wo mit Bengalo eingezogen wird (Video). Die OGR-Demo zieht zum Albertinaplatz, den sie um ca. 20:10 erreicht (IM)

"Die Presse" kommentiert diese Szenen aufmerksam in den Untertiteln ihrer Fotostrecke ...
"Am Ring kommt es dann zum Demo-Stau. Der Zug vom Westbahnhof bewegt sich Richtung Heldenplatz, während die Gruppe von der Hauptuni in die andere Richtung will. Kurze Zeit sind die Polizisten an der Spitze der beiden Züge ratlos. Dann weichen sie einfach zur Seite und lassen die Gruppen aufeinander zu marschieren." (Bild 6)

"Gesittet im Rechtsverkehr marschieren die Demonstranten aneinander vorbei." (Bild 7)

... und bemerkt dabei sogar die feinen Unterschiede:

"Fast könnte man meinen, beide Demozüge skandieren denselben Spruch, doch bei genauerem Hinhören zeigt sich: Während es bei den einen (Offensive gegen Rechts) "Hoch die internationale Solidarität" heißt, ist es bei den anderen (No WKR) "Hoch die antinationale Solidarität"." (Bild 8)

Alles in allem sind gegen 20 Uhr zwischen 6.000 und 10.000 Personen auf der Ringstraße und am Heldenplatz, die Leute sind gut gelaunt vom großen Mobilisierungserfolg, entschlossen, was das Fortkommen der Demozüge betrifft und überwiegend friedlich, was den Umgang mit den allgegenwärtigen PolizistInnen betrifft - für eine Wiener Demonstration bereits ein gutes Erlebnis. Doch mit dem Ende der bewilligten Demonstrationen beginnen eine Reihe spontaner, dezentraler und äußerst mobiler Blockaden und Aktionen im Bereich Herrengasse, Michaelerplatz, Ballhausplatz und Minoritenplatz. Vor dem Heldentor findet noch bis etwa 23 Uhr Straßenparty mit bis zu 500 Leuten statt.

Teil 2 - Blockaden und dezentrale Aktionen ab 20 Uhr

folgendes Video zeigt u.a. wie Ballgäste über den Minoritenplatz zur Hofburg geleitet werden


20:00 - erste Blockade


Indymedia meldet die erste Blockade eines Ballgäste befördenden Taxis: der Bike Block sei dafür verantwortlich.

20:18 - Perlustrierungen Burgtheater



Die erste Meldung von Perlustrierungen geht durch das Internet. Der Ort, Burgtheater, deutet darauf hin, dass bereits einige Menschen das Platzverbot um die Hofburg via Schottentor, aber auch via Kärtner Straße umgehen. So kann auch die Meldung von 20:25 verstanden werden, dass nur noch 100 bis 200 Personen bei der Mahnwache am Albertinaplatz sind.

20:27 - Blockade von 2 Reisebussen in Herrengasse



Indymedia meldet, dass 30 Personen einen Reisebus voller Ballgäste in der Herrengasse (Ecke Leopold-Figl-Gasse) blockiert haben. 20 Minuten später sind es bereits 100 Leute (IM). Die Polizei kümmert sich nun vor allem darum, die Herrengasse und die Strauchgasse (Ecke des Café Central) von DemonstrantInnen und JournalistInnen zu räumen. Meiner Einschätzung nach waren zu dieser Zeit bis zu 200 Personen in und vor der Blockade Herrengasse.

Im Anschluss, um ca. 20:50 beginnt die Polizei, Businsaßen auf Höhe Landhausgasse auszuladen und via Minoritenplatz zur Hofburg zu begleiten. Jedoch sind auch am Minoritenplatz einige GegendemonstrantInnen, die rasch mehr werden. Auch in der Landhausgasse selbst passieren immer wieder DemonstrantInnen, es kommt zu einigen Verbalduellen zwischen AktivistInnen, Ballgästen, Polizei und MedienvertreterInnen.

Die Ballgäste reagieren zunehmend aggressiv auf JournalistInnen, die sie beim Verlassen der Busse filmen.

20:34 - Blockade Freyung

Für einige Minuten war die Freyung blockiert. (IM)

20:38 - Versammlung Augustinerstraße / Albertinaplatz

BallbesucherInnen können nicht passieren, da DemonstrantInnen Taxis von der Zufahrt abhalten. Nach etwa 10 Minuten gelangen Gäste dank Eskortierung durch die Polizei dann doch hinein. (IM)

@bagruthewi twittert um 20:42 Uhr folgende zwei "Tweets":

"Polizei prügelt auf Blockade am Kohlmarkt/Michaelerplatz ein. "

"Taxis kommen jetzt über Kohlmarkt "

20:40 - Mölker Bastei / Schottengasse: Polizist schlägt Jugendlichen

Zwei Jugendliche, in etwa im Alter von Oberstufen-Schülern, laufen die Mölker Bastei Richtung Schottengasse und werden dabei von zwei PolizistInnen verfolgt. Auf der Straße selbst stehen ebenfalls drei PolizistInnen, einer der Jugendlichen wird von einem der verfolgenden Polizisten von hinten gepackt, zur Wand gedrängt und mehrmals mit der Handfläche ins Gesicht und gegen den Körper geschlagen. DemonstrantInnen, die die Herrengasse verlassen, fordern den Polizisten verbal zum Aufhören auf und verlangen seine Dienstnummer. Nur widerwillig stellt der Polizist seine Gewalt ein, als immer mehr Leute immer näher rücken. Er fordert die Personalien des Jugendlichen, erhält diese dem Anschein nach und fordert schließlich die Personalien derjenigen Person, die nach seiner Dienstnummer gefragt hat. Die Person verweigert selbstverständlich, der Polizist geht auf die Nachfragen nach seiner Dienstnummer nicht ein. Einige Kollegen eilen herbei, der Polizist entkommt unidentifiziert.

20:44 - Blockade Schottengasse / Helfersdorfer Straße

Die Schottengasse wird einige Minuten lang blockiert, bis erste Polizeieinheiten eintreffen (IM). Die DemonstrantInnen ziehen danach offenbar zur Blockade Herrengasse weiter.



20:50 bei Blockade Herrengasse

In der Herrengasse geht es nach wie vor sehr turbulent zu. Viele solidarische Menschen gesellen sich in der Herren- und Strauchgasse um die Blockade des Reisebusses. Dazwischen zahlreiche FotografInnen und Kameraleute. Nur langsam bekommt die Polizei den Platz rund um die Reisebusse frei, um sie schließlich ein paar Meter zur Landhausgasse zu lotsen, wo zunächst um ca. 21 Uhr der erste (Video 1), um 21:15 Uhr der zweite Bus (Video 2, Video 3) unter heftigem Lärm der Blockade und herumlaufender AktivistInnen entladen wird.



Die so nach 30 bis 45 Wartezeit entladenen Ballgäste werden von kleinen Polizeiteams durch die Landhausgasse zum Minoritenplatz und von dort zur Hofburg geschleust. Beim ersten Bus dürfte dies, bis auf einzelne Personen entlang des Wegs, ohne "Widerstand" durch AktivistInnen verlaufen sein. Als der zweite Bus über die selbe Route evakuiert werden sollte, waren offenbar bereits einige Leute zum Minoritenplatz unterwegs.

20:55 [laut Video] 21:45 - Polizeigewalt am Karl-Renner-Ring



Unter noch nicht restlos geklärten Umständen - es soll Videomaterial geben - stürmen mehrere WEGA-Polizisten, angeblich auch unter Beisein eines bekannten Kommandanten, auf beim Würstelstand stehende Leute zu und perlustriert diese an der Mauer/Gitter des Volksgarten. Dabei soll eine der drei oder vier Personen heftig gegen die Mauer gedrängt worden sein, sodass dessen Brille zerbrach und Blutungen im Gesicht auftraten. Als ich den Schauplatz erreichte waren noch zwei Krankenwägen und fünf Polizeiwannen sowie ZeugInnen vor Ort. Drei oder vier Personen wurden verhaftet. Ein Fotograf der Presse war offenbar anwesend.

20:59 - Blockadeversuch Kohlmarkt

Beim Versuch, den Kohlmarkt zu blockieren, drängt die Polizei die AktivistInnen ab um Ballgästen den Weg frei zu machen. Es kommt zu kleineren Reibereien. (IM)

21:23 - Blockade Graben und Tuchlauben

Eine 150 Personen starke Blockade am Graben wird nach 15 Minuten zur Tuchlauben abgedrängt. Dort wird ebenfalls mehrere Minuten blockiert - unabhängig davon werden laufend Taxis blockiert, teilweise stauen diese sich durch mehrere Straßen. (IM)

21:25 - Chaos am Minoritenplatz

Die Ballgäste aus dem zweiten Bus gelangen am Minoritenplatz in eine zunehmend verzwicktere Lage. Immer mehr AktivistInnen säumen die Route. Die letzte Gruppe des Reisebusses bleibt schließlich in der feindlich gesinnten, teilweise Böller zündenden Menge stecken. Die Gruppe aus ca. 5 PolizistInnen und 10 Ballgästen dreht um, bleiben erneut stecken, versuchen erneut Richtung Hofburg zu gelangen und sehen sich schließlich mit dem Rücken zur Wand der Minoritenkirche ausweglos gefangen. Es kommt zu tumultartigen Szenen in denen keine der beiden Seiten einen Überblick gehabt haben dürfte. In den nächsten zehn Minuten werden naheliegende Polizeizüge zusammengezogen, die etwa 150 bis 200 Personen große Menge wird vom Minoritenplatz zum Ballhausplatz abgedrängt, wo in etwa gleich viele TeilnehmerInnen einer vorhergehenden Blockade warten.

21:35 - Chaos am Ballhausplatz

Eine Polizeieskorte mit Ballgästen bleibt in der nun etwa 250 bis 300 Leute großen Demo-Menge am Ballhausplatz stecken - es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen PolizistInnen und einzelnen AktivistInnen, die Ballgäste stehen nahezu ungeschützt mit dem Rücken zur Wand der Menge gegenüber, bleibt jedoch unversehrt. Die Polizeieskorte zieht sich Richtung Burgtheater zurück, einer der Ballgäste soll außerdem Pfefferspray gegen AktivistInnen eingesetzt haben (IM).

Nun ziehen von allen Seiten - außer Heldenplatz - gerüstete Polizeizüge zum Ballhausplatz. Die Menge verhält sich passiv und lässt sich, begleitet von den Rhyhtmen der Samba-Truppe, langsam zum Heldenplatz abdrängen. Um 22:14 vermeldet die @rosaantifawien, es gebe "Berichte von vielen Antifa-Kleingruppen, die weiterhin in der Innenstadt aktiv sind und immer wieder kurz blockieren".

22:15 - Blockade Kohlmarkt / Michaelerplatz [Update am 30.1.]

Etwa 15-20 Personen befanden sich am Kohlmarkt, ein paar von ihnen blockierten den Michaelerplatz. Nach wenigen Minuten werden sie eingekesselt (vgl. Tweet der @rosaantifawien um 22:26 Uhr), eine Person wird werden festgenommen. Von drei weiteren werden die Personalien aufgenommen - sie werden im Anschluss ebenfalls festgenommen. Die übrigen dürfen ohne Personalienaufnahme gehen, was im Übrigen bei fast allen "Kesseln" dieses Abends für die Mehrzahl der Anwesenden die Regel war - abgesehen von einigen Verhaftungen eben.

Etwa 30 Personen solidarisieren sich am Kohlmarkt/Tuchlauben außerhalb der Polizeikette und skandieren "Eins, zwei, drei - lasst die Leute frei". Die Polizei weist die Versammelten an, leiser zu sein, sonst würde es Anzeigen wegen Ruhestörung geben. Von hier ist auch das Zitat eines Polizisten überliefert: "versammlungsfreiheit ist hier nicht gegeben"

Gegen 22:30 Uhr sind bereits 70 bis 80 Leute am Kohlmarkt. Es war die vorletzte Versammlung in dieser Größenordnung an diesem Abend und dauerte bis etwa 23:15 Uhr an.

22:35 - Versammlung Ballhausplatz

Noch immer bzw. schon wieder befinden sich rund 250 Personen am Ballhausplatz, gelangen jedoch nicht in die Innenstadt. Die Versammlung zerstreut sich laut Indymedia nach sanfter Polizeieinwirkung.

Im Verlauf des gesamten Abends gab es noch eine Reihe von dezentralen Kleingruppen-Aktionen, über die wenig verlässliches bekannt ist. Die Polizei berichtet jedenfalls, dass sich unter den 21 Verhafteten auch solche befinden, denen Sachbeschädigung und versuchte Brandstiftung vorgeworfen wird. Bis 2 Uhr früh wurden erst zwei der 21 Inhaftierten freigelassen. Das Rechtsinfo-Kollektiv kann 12 Festnahmen bestätigen. Die neun anderen sollen angeblich eher dem rechten Milieu zugehören. So wird von zumindest einem Zwischenfall erzählt, bei dem Burschenschafter mit der Polizei aneinander gerieten und Fäuste flogen. Auch sollen wieder einige Mützen ihre Besitzer gewechselt haben.

22:40 - Burschenschafter geben "Hitler-Gruß"

Um 22:40 Uhr twittert jemand: "Grad steigen 3 Burschenschaftler vor mir in die limo und geben mir den Hitlergruß. Im ernst [...] ?! "

Update 28.1.

Am Tag nach den Demonstrationen und Aktionen gelangen nach und nach weiterführende Infos an die Öffentlichkeit. So präzisiert die FPÖ - sofern man in ihren Presseaussendungen überhaupt noch etwas ernst nehmen kann - die Polizeimeldungen über "versuchte Brandstiftung": In einer OTS-Aussendung mit dem skurrilen Untertitel "Linker Terror wird von der Polizeiführung vertuscht" heißt es, es habe versuchte Brandanschläge auf zwei Studentenverbindungen gegeben. Die Schuld an allem wird natürlich der SPÖ und den "GrünInnen" zugeschoben, besonders "willkommen" dürfte der FPÖ aber auch die Teilnahme der IKG am Organisationsbündnis der (friedlichen!) OGR"jetzt zeichen setzen"-Demo sein, zumal bereits seit Wochen (!) immer wieder IKG-Präsident Ariel Muzicant persönlich zum "Verantwortlichen" für Zwischenfälle außerhalb der Demonstrationen erklärt wurde und wird (vgl. Studiodiskussion mit Martin Graf und Ariel Muzicant in der ZIB2 am 18. Jänner 2012 sowie FPÖ-Presseaussendungen, von denen an dieser Stelle allein die jüngsten vom 28.1. (1), (2) genannt seien), was bar jeder Nachvollziehbarkeit und obendrein total willkürlich ist - das "OGR""jetzt zeichen setzen"-Organisationsbündnis bestand aus dutzenden Organisationen und die "linksradikale" Antifa-Demo mit 1.800 TeilnehmerInnen vom Westbahnhof wurde ohnehin von einem anderen Bündnis ("noWKR") organisiert. Die Zwischenfälle ereigneten sich so oder so abseits beider Demonstrationen. Dass sich die FPÖ ausgerechnet den Präsidenten der jüdischen Gemeinde sowie - in der jüngsten Presseaussendung vom 28.1. - den Vorsitzenden von SOS Mitmensch, der Pollak heißt, ohne jegliche Indizien oder Nachweise als "Verantwortliche" und "Ziehväter linksextremen Terrors" (ja, das hatten wir schon mal; ja, sie sagen schon wieder das gleiche) ausmachen, lässt die Frage aufkommen, nach welchen Kriterien die FPÖ derartige "Ziehväter" bestimmen können möchte. Zuguterletzt will die FPÖ noch alle beteiligten KritikerInnen und OrganisatorInnen mit Klagen eindecken und schließt ihre(n) Hass-RiOT(S) mit der Forderung nach mehr Gewalt gegen die DemonstrantInnen, so wie sie sich in den Vorjahren bewährt hätte. Auch auf JournalistInnen, die sich zu den noWKR-Protesten öffentlich äußerten, wird in der großangelegten Schelte der selbsternannten Bewahrer von "Freiheit und Demokratie" nicht vergessen.

Nichtsdestotrotz - und gerade weil es Polizei und Medien nicht ins Konzept passt - soll auch darauf hingewiesen werden, dass einige DemonstrantInnen von einzelnen PolizistInnen, BallbesucherInnen/Burschenschaftern und vereinzelt herumstreunenden Neonazi-Gruppen attackiert und verletzt wurden. Zahlen dazu liegen jedoch keine vor bzw. werden diese nicht veröffentlicht. SOS Mitmensch hält jedoch einen Vorfall fest, der von der FPÖ in ihren ersten Presseaussendungen nach dem Ball bereits im bewährten Täter-/Opfer-Umkehr-Prinzip als Angriff von DemonstrantInnen auf Ballgäste wiedergegeben wurde: "Während sich die meisten Medien einzig auf die Frage konzentriert haben, ob es zu Gewaltakten von Seiten der Anti-WKR-DemonstrantInnen kommen würde, haben Burschenschafter den Schutz der Polizei genutzt, um Umstehende zu attackieren und zu verletzen."

Update 29.1.

Am zweiten Tag nach den Protesten dreht sich die Medienberichterstattung um die Anzeige eines Miliz-Offiziers, der gegen das Bundesheer-Uniform-Verbot am Ball verstoßen habe, um den angeblichen Ehrenschutz von Wissenschaftsminister Töchterle im Ballkommittee, Erlebnisberichten von eingeschleusten JournalistInnen verschiedener Zeitungen, aber auch um Kritik "von allen Seiten" an der Polizei, man habe die BallbesucherInnen nicht ausreichend schützen können bzw. sei zu hart/zu weich gegen DemonstrantInnen vorgegangen. Der "Preis" für die jenseitigste Berichterstattung dürfte dieses Jahr ausnahmsweise an "Die Presse" gehen, die ihre Konkurrenten auf deren Spezialgebiet, dem Krawalljournalismus, eindeutig ausgestochen hat. Was sie jedoch mit nahezu allen Medien, die den Umstand berichtenswert fanden, gemein hat (zB. der ORF/Wien Heute), ist die wie selbstverständlich ausgesprochene Formulierung "der 'schwarze Block' aus Deutschland", obwohl in Wahrheit niemand die Herkunft der schwarz Vermummten DemonstrationsteilnehmerInnen überprüft hat und lediglich zwei - von etwa einem Dutzend - Transparenten auf die Anwesenheit deutscher AntifaschistInnen hingewiesen haben. In Sprechchören machte sich zwischendurch die "Berliner Antifa" erkennbar, ebenso italienische AntifaschistInnen.

Außerdem berichten FPÖ-Politiker in Presseaussendungen ("FPÖ: Graf betroffen über mangelnden Schutz der Ballbesucher") sowie im Blog des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Martin Graf, unzensuriert.at ("Randale bei der Demo gegen den WKR-Ball"), von Angriffen auf zwei Burschenschaften, die Bruna Sudetia in der Strozzigasse (Josefstadt) und Saxonia. Erstere sei in der Nacht der Demonstrationen von etwa 30 Vermummten gestürmt worden, Fotos zeigen Farbbeutel-Spuren an verschiedenen Stellen im Gebäude sowie Brandspuren an einer Tür, die von einer bengalischen Fackel ausgegangen sein sollen. Tätliche Angriffe auf Anwesende konnten durch das Verhindern des Eintretens einer Tür abgewehrt werden, heißt es in den erklärenden Kommentaren zur Fotostrecke auf unzensuriert.at weiter.

In einem Artikel widmet sich die "Internet-Zeitung" rein den Anarchist(innen) Wiens, dem "Zentrum der österreichischen Anarchisten". Die fachkundige Redaktion um Martin Graf attestiert:
"Während etwa die traditionalistischen Marxisten in der KPÖ durch Überalterung und politische Misserfolge immer mehr an Bedeutung verlieren, treten die sogenannten „unorthodoxen“ Linken in Form der Anarchisten immer stärker auf den Plan. [...] Seit einigen Jahren rüsten die Anarchisten in Wien stark auf. Ein dichtes Netz an Organisationen hat sich als schwarz-roter Block in der österreichischen Bundeshauptstadt etabliert. "
unzensuriert.at staunt über die Organisation der "Langen Nacht der Anarchie" und dass diese auf einer "eigenen Homepage der österreichischen Anarchisten" beworben wurde. Nach einer Aufzählung anarchistischer Bibliotheken, Vereine und Organisationen resümiert der Blog, dass die Anarchist(innen) "gut organisiert" seien und Wien das "Zentrum des mitteleuropäischen Anarchismus" sein müsse.

Pressespiegel-Rückblick

- noborders.noblogs.org: NoWKR Presseaussendungs Feuerwerk aka nowkr(i)ots (Pressespiegel zu WKR-Ball / -Protesten bis 26.1.2012)

Videos (ohne Handy/Low Quality-Videos / sind bereits im Text verlinkt)

- ORF ZiB, 27.1.: Demo gegen Burschenschafterball (1:52 min)
- ORF ZiB, 27.1.: Studio-Analyse (2:07)
- ORF Wien Heute: Demo gegen den WKR Ball (3:50 min)
- ORF ZiB 2: Umstrittener Ball (4:15 min)
- ORF ZiB24: Kleinere Zwischenfälle bei Burschenschafter Ball (2:51 min)
- ORF ZiB 24: Liveschaltung zum Heldenplatz (2:45 min)
- AFP: Vienna police brace for far-right ball, protests (1:19 min)
- AUGE IUG: Anti-WKR-Kundgebung (5:32 min)
- WienTV.org / Daniel Hrncir: nowkr 2012 (5:57 min)
- WienTV.org / Wolfgang Weber: Friedliche Burschenschafter? (2:13 min)
- ichmachpolitik.at / Romana Kalhammer: No WKR Demo 2012 - Burschenschafterball verhindern! NoWKR 2012 (3:49 min)
- DieVideoReportage: Eindrücke der Anti-WKR-Ball-Demo 2012
- ARD Tagesschau: Protest in Österreich (0:27 min)
- ZDF heute nacht: Ball der Burschenschaften - Polizei-Großeinsatz in Wien (2:40)

Audio

- Radio Orange / cba.fro.at: Das waren die NoWKR-Proteste 2012 – siebeneinhalb Stunden Sondersendung in einer Dreiviertelstunde

Fotos


- Daniel Weber: Demonstration gegen den WKR- Ball 2012 #nowkr
- Martin Juen: NOWKR Demonstration 2012
- cg-politics: #noWKR 2012
- bildlichgesprochen.at: NO-WKR
- AG Freiburg: Demonstration und Aktionen gegen den WKR-Ball am 27.01.2012 in Wien
- Martin Schalk: Reportage: Corporation Ball

Medienberichte zu Demos & Aktionen (Auswahl, 27.1. - 31.1.)


- CBS News: Austrian far right celebrates on Holocaust holiday
- ceiberweiber.at: Nach dem Ball und den Demos
- derstandard.at: Burschenschafterball - 6.000 Teilnehmer bei Anti-WKR-Demo
- derstandard.at: Inside WKR-Ball - Ein schmissiges Fest in der Hofburg
- fm4.orf.at: Darf ich bitten?
- fm4.orf.at: Parallelgesellschaft mit Gesichtsnarben
- Haaretz.com: Far-right Vienna ball causes outrage on Holocaust Day
- KTAR.com: Uproar over rightist leader's comments about Jews
- Kurier: WKR-Ball begann verspätet, Demo blieb "generell ruhig"
- nochrichten.net: Tausende gegen WKR-Ball und nazistischen Normalzustand
- NZ Herald News: 'We are the new Jews' - Far right leader
- orf.at: Demonstration weitgehend friedlich
- Österreich / oe24.at: Tausende bei Demo am Heldenplatz (mit Ticker)
- Spiegel Online: Empörung über tanzende Burschenschafter
- Times Union: Some slam Nazis; others gather for right-wing ball
- taz.de: Korporationsball Wien - Tanz der rechten Schläger
- Vienna Online: Kleinere Zwischenfälle bei den Anti-WKR-Ball-Demos
- unzensuriert.at (Blog aus dem Büro von FPÖ-NAbg. Martin Graf): Wien als Zentrum des mitteleuropäischen Anarchismus
- Die Zeit: Wiener Korporations-Ball: Die totale Recherche

Mittwoch, 16. November 2011

Herbst, Nebel, Squatting Action

Bevor sich hier gar niemand mehr auskennt - verloren zwischen Übertreibungen, Untertreibungen, Polizei-Aussendungen, Boulevard-Medien-Gewäsch und Szene-Klatsch - ein möglichst knapp gehaltener Rückblick über die unangekündigte Herbst-"Squatting Action", die als Begleiterscheinung der "Occupy"-Bewegung - ohne aber mit dieser in direktem Zusammenhang zu stehen - Mitte Oktober über Wien hereinbrach.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit! Was die Einrichtungen im Haus betrifft (Frauenraum, Medienraum, Kunsträume, Freie Universität, Plenarsaal etc.) und was die Reaktionen der Medien betrifft (insbesondere "Heute" betrieb mit untergriffigen Anschuldigungen eine Kampagne gegen die HausbesetzerInnen, während sich der "große Bruder" Kronen Zeitung eher zurückhielt und "nur" Polizei- und BUWOG-Mitteilungen zitierte) sei auf den Blog (epizentrum.noblogs.org) bzw. den dortigen umfangreichen und gut sortierten Pressespiegel verwiesen.

Ein turbulentes Monat liegt hinter Neubau:
- 2 Hausbesetzungen (27 und 5 Tage) im Siebten Bezirk (Neubau)
- 1 spontane Kleindemo unmittelbar nach der Epizentrum Räumung im Siebten.
- 1 "Groß"-Demo mit 150 bis 200 TeilnehmerInnen nach der Epizentrum-Räumung im Siebten.
- 3 Reclaim the Streets / spontane Klein-Demos durch den Siebten (14.10., 12.11., 15.11.) mit je 40 bis 80 TeilnehmerInnen
- Kurzzeit-Besetzung des Audimax und des C1 am Campus am 15.11.

epizentrum - Lindengasse 60-62 - 13. Oktober bis 8. November (27 Tage)
- 13. Oktober 2011:
am Abend wird das Areal Lindengasse 60-62 still besetzt.

- 14. Oktober:
am Vorabend der lang angekündigten "Occupy Austria"-Proteste wird die Besetzung veröffentlicht, zunächst gegen 17 Uhr auf Indymedia. Nach und nach kommen nun Leute ins Haus, gegen 22:30 Uhr treffen etwa 35 Leute von einem kleinen Reclaim the Streets-Umzug mit mobilem Soundsystem im Haus ein. Das Areal füllt sich mit Leuten, deren Zahl kann nur grob geschätzt werden: bis zu 400 Leute dürften zum Höhepunkt gleichzeitig im Haus gewesen sein, in jedem Stockwerk in jedem Raum waren Leute versammelt, chillten, diskutierten, musizierten. Auch am Dach, im 62er-Haus und im Hof befanden sich viele Menschen. Berücksichtigt man das ständige kommen und gehen dürften wohl 700 bis 800 Leute, vielleicht sogar mehr, zumindest für eine Weile im Areal gewesen sein. Bier wird palettenweise angeliefert, ein fliegender Bier-Verkäufer überbrückt Engpässe. Klar, die Bier trinkenden Linken, werden sich nun manche reflexartig denken (oh, wie schlimm!). Aber was passiert eigentlich genau an JVP-Festen, bei Heimfesten in Bastionen der "Aktionsgemeinschaft" wie dem Pfeilheim ("Dein Weg zum Gipfel und zum Titel führt über 11 Stockwerke und jeder Menge Alkohol"), an den WU-Cocktail-Partys und bei Burschenschafter-Treffen? Na eben! Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen - oder anders gesagt: Belügt euch nicht selbst ;)

- 15. Oktober:
Der Tag beginnt mit dem großen Aufräumen. Ja, richtig, "Chaoten" räumen auch auf. Das steht zwar nicht in "Heute", "Krone" und "Österreich" - dafür stehts hier. Ist offenbar ein Aspekt, der viel zu wenig beachtet wird (sonst würde nicht ständig von "Chaoten" geschrieben werden). An der Occupy-Demonstration am Abend über die Mariahilfer Straße werden Flyer verteilt, die zum Besuch des neuen Freiraums "epizentrum" einladen. Bis zu 200 Leute halten sich gleichzeitig im Haus auf, einige hundert mehr dürften insgesamt an diesem Tag vorbeigeschaut haben.

- 16. Oktober:
Es ist Sonntag. Üblicherweise wird Montags geräumt. Es werden Barrikaden (weiter) gebaut, etwa 100 Leute versammeln sich am Abend, viele übernachten.

- 17. Oktober:
Graffiti im Hof
Montag. Keine Räumung. Nun werden Pläne für die kommende Woche geschmiedet. Erstmals in einem besetzten Haus in Wien seit vielen vielen Jahren soll ein eigenes Beisl für Veranstaltungen und um Spenden hereinzubringen errichtet werden - und natürlich, weils Spaß macht :) Viele nutzten den Tag aber um einmal zu entspannen, mit "nur" 50 Leuten am Abend war dies der bisher ruhigste Tag.

- 18. Oktober:
Sprayer (leider kaum Sprayerinnen) übernehmen allmählich das Areal: An immer mehr Orten arbeiten - großteils - Künstler an kleinen und großen Werken, übermalen hässliche (und ja, meinetwegen auch schöne) Tags. Am Abend wieder mehr los im Haus, es herrscht Aufbruchstimmung.

- 19. Oktober:
Barbetrieb ab 20. Oktober - keine Preise - freie Spende!
die erste Getränke-Lieferung erreicht das Haus: 11 Kisten Kozel Bier, 11 Kisten Club Mate. Die Getränke werden nicht verkauft sondern gegen freie Spenden hergegeben. Das Prinzip funktioniert - trotz großer Skepsis bei vielen. Da die Getränke in Flaschen geliefert werden wird eine Menge Dosen-Müll eingespart, das Leergut wird vom Lieferanten wieder abgeholt.

- 20. Oktober:
die Bar ist fertig und wird feierlich eingeweiht! Musik kommt aus dem CD-Player, Boxen werden angeschlossen. Viele Leute besuchen das neue Beisl, auch Nachbarn aus dem Bezirk. Alle (ja, wirklich alle!) sind begeistert, was sich auch in großer Spendenbereitschaft ausdrückt.

- 21. Oktober:
Critical Mass zieht ins Epizentrum
Das Highlight, wenn man so will, der epizentrum-Besetzung. Weit über 1.000 (!) Leute - genaueres lässt sich nicht sagen, vielleicht warens auch 2.000? - kamen an diesem Abend, in dieser Nacht, für kurz oder lang zum Haus. Gleichzeitig waren sicherlich über 500, 600 Leute im Areal, am Tor herrscht reger Ein- und Ausgangsbetrieb. Der Grund: Um 19:30 traf die Oktober-CriticalMass-Fahrrad-Demo mit dem Epizentrum als Zielpunkt ein. Ab 20 Uhr begann das Lastenrad-Kollektiv mit seiner Soli-Party, die eigens vom Tüwi hierher verlegt wurde. Es gab Soli-Cocktails, Glühmost, Volxküche und Bar-Betrieb.

Critical Mass zieht in den - um 20 Uhr noch relativ "leeren" Hof ein
Zwei Konzerte fanden statt (die ersten im Haus). Ein oder zwei Stunden nach Mitternacht begann ein Tekno-Soundsystem, vermutlich Fazit:0, im Beisl aufzulegen. Die Stimmung war einzigartig und euphorisch. So weit die "Sonnenseite". Da es noch keine strikte Raum-Aufteilung (öffentlich/privat) im Haus gab, litten jedoch einige HausbewohnerInnen auch unter diesem Auflauf. Es kam auch mehrere Zwischenfälle mit alkoholisierten Personen bzw. Personen, die übergriffig wurden und rausgeschmissen werden mussten. Das ist die Schattenseite, die solche Veranstaltungen leider zwangsläufig (?) mit sich bringen. Um 5:30 wurde aus genannten Gründen - nach mehreren Ankündigungen/Bitten, die Party ausklingen zu lassen - das Soundsystem abgestellt, Teile der etwa 100 tanzenden Gäste sowie die DJs [das Soundsystem legt Wert auf die Feststellung, das man sich nicht über das Ende der Party empört hat sondern nur am WIE - hineingreifen ins Mischpult - etwas auszusetzen hatte; Anm. v. 20.11.] konnten diesen Schritt nicht nachvollziehen und empörten sich, es gab Buh- und "Widerstand"-Rufe. Es gelang ohnehin nicht, die große Zahl Menschen aus dem Areal zu befördern - niemand sah sich dazu imstande oder war willens. So dauerte es bis etwa 8 Uhr früh, bis nahezu alle Gäste das Areal verließen.

An diesem Freitag zeigte sich am besten der Widerspruch, der zwischen den verschiedenen Interessen und Zielen von Hausbesetzungen besteht: einerseits möchte man einen Freiraum für möglichst viele Menschen schaffen und das beste Rezept gegen eine polizeiliche Räumung ist ein volles Haus - andererseits ist es energieraubend für jene, die auch im Haus wohnen und sich verantwortlich fühlen, sich ständig darum kümmern zu müssen, dass das Tor durchgehend kontrolliert wird, das Menschen, die ihre eigenen Grenzen nicht kennen und/oder ignorieren und dabei viele andere Menschen belästigen, verbal oder physisch attackieren, hinauszuschmeißen. Freiraum kann nicht bedeuten, dass jedes Verhalten geduldet wird. Ein Freiraum setzt von seinen Nutzer/innen ein großes Maß an Eigenverantwortung voraus. Dies muss deutlicher kommuniziert werden, Gäste müssen aus ihrem "KonsumentInnen"-Schema ausbrechen und ebenfalls Verantwortungsgefühl für den Ort, den Freiraum und das Zusammenleben entwickeln. Insbesondere sexistische Verhaltensweisen wurden vielfach kritisiert und wurden vielfach den BesetzerInnen angelastet, dass diese sie "dulden" oder ignorieren würden.

22. Oktober:
Samstag. Katerstimmung. Aufräumen. Es wird ein Ruhetag ausgerufen, das Tor bleibt am Abend meist geschlossen. Der Wohnbereich wird mit einer versperrbaren Gittertür vom "öffentlichen" Bereich abgetrennt. Das System ist jedoch nicht weit genug durchdacht, da sich unter anderem Versammlungsräume im "privaten" Teil befinden, ebenso die Volxküche, über die viele Leute weiterhin in eigentlich "abgetrennte" Bereiche eindringen.

23. Oktober:
Versöhnlicher Sonntag: Ab Mittag betreibt "Tanz durch den Tag" Kunst & Auflegerei im Haus. Im Hof wurde ein Glühwein- und Bier-Stand aufgebaut, auch Kürbiscremesuppe wird ausgeteilt - auch hier: freie Spende! Man hat aus den Erfahrungen vom Freitag gelernt und von Anfang wurde vereinbart und auch an die Gäste kommuniziert, dass um 22 Uhr Schluss ist. Das Publikum - gegen Schluss hin um die 300 Leute - reagierte auf das Ende der 8-stündigen-Tagesparty mit Applaus und Jubel statt mit Enttäuschung und Frust. Es dürfte sich hierbei um die erste und einzige "Tanz durch den Tag"-Party gehandelt haben die - ohne Polizei-Einwirken - tatsächlich um 22 Uhr beendet wurde :)

24. Oktober:
Großes Haus-Plenum (nicht das erste, aber diesen Montag prägend: Gespräche, Reflexion, Diskussion)

26. Oktober:
Das Epizentrum begeht den Anti-Nationalfeiertag. Es gibt "Punk-Beisl" mit entsprechender Musik und Bier.

28. Oktober:
Auch diesen Freitag blieb es nicht ruhig im Haus. Es sollte früher geschlossen werden als sonst, tatsächlich wird aber erneut bis nach 5 Uhr Bier zusamen gesessen, geredet, gechillt, gefeiert. Nähere Aufzeichnungen liegen nicht vor ^^

29. Oktober:
Samstag. Schon wieder ein Grund zu feiern. Dieses Mal wird jedoch gegen Mitternacht das Tor geschlossen, die Nacht bleibt ruhig.

30. Oktober:
Sonntag: Ruhetag. Mehr oder weniger.

31. Oktober:
Bis zuletzt war nicht ganz klar ob ja oder nein: Letztlich begann aber doch um 23 Uhr das Psychedelic-Rock von "Half Baked Cheese" - etwa 70 Leute befanden sich deshalb im Beisl und lauschten wie gebannt der Musik. Nach einem zweistündigen Tekno-Intermezzo ging es gegen 2 Uhr nochmals mit einer Jam-Session weiter. Leider war das auch schon das letzte Konzert im Haus.

1. November:
Die Räumungsdiskussion gewinnt allmählich wieder Oberhand. Die BUWOG hatte die Verhandlungen für beendet erklärt und stellte (erneut) ein (letztes) Ultimatum zum Verlassen des Hauses bis Mittwoch, 18 Uhr.

2. November:
Als um 18 Uhr das BUWOG-Ultimatum endet befinden sich etwa 200 Personen im Areal. Darunter dutzende Vermummte, die bereit scheinen, das Haus zu verteidigen. Logischerweise kommt deshalb keine Polizei. Uniformierte, die das Haus beobachten, werden bald durch zivile Beamte und den Verfassungsschutz ersetzt. Dieser fotografiert aus dem Treppenhaus des gegenüberliegenden Gemeindebaus das Areal und auch das Dach, wo herumliegende Steine offenbar als Bedrohung wahrgenommen wurden.

3. bis 7. November:
Die Diskussionen um "Freiraum vs. Schutzraum" beanspruchen fast alle Energie. Zudem stellte die BUWOG den Strom ab, es gibt nur noch teilweise Strom, der mit Benzingenerator erzeugt wird. Es gibt nur noch wenig Programm im Haus, von Außen kommt viel Kritik und wenig Beteiligung.

8. November:
Der zweite Tag der neuen Woche, mit neuer Energie nach Tagen der Reflexion sollen neue Projekte vorangetrieben werden, etwa ein Proberaum für MusikerInnen, ein fixer Bar-Tag inklusive Ruhetagen, alternative Stromversorgung, Beheizungsmöglichkeiten über den Winter bzw. Isolierung von Fenstern und Dach uvm. - doch dazu kommt es nicht mehr. Ab 11 Uhr rücken rund 200 PolizistInnen zur Räumung an: Aufgrund der Steine am Dach des 62er-Hauses wird sogar ein Hubschrauber eingesetzt, dieses Haus wurde auch als erstes gestürmt um das Dach zu besetzen. Wegen dem massiven Stahltor und befürchteter schwerer Barrikaden wird erstmals seit Jahren auch der Räumungs-Panzer beigezogen - dient aber letztlich nur als Befestigung für das Absperrband mit der bezeichnenden Beschriftung "STOPP POLIZEI".

Die Räumung verläuft friedlich, das Polizeiaufgebot wirkt absurd. NachbarInnen vermuten einen Banküberfall, andere fühlen sich wie in einem Polizeistaat (vgl. Zeitungsberichte und Video-Beiträge im Pressespiegel).

Es kommt zu einer Spontandemonstration mit etwa 70 Beteiligten zur Neubaugasse/Mariahilfer Straße, wo die Demo mit einem Kessel beendet wird.

Demonstration am Abend

Die vom ersten Tag an angekündigte Demonstration um 18 Uhr an einem kurzfristig veröffentlichten Treffpunkt findet ebenfalls statt. Treffpunkt war Urban-Loritz-Platz, die Polizei wusste davon, aber viele SympathisantInnen nicht - insofern war die Geheimhaltung bis 17 Uhr unnötig, es wären mehr als 150 bis 200 Leute gekommen, hätten mehr davon früher gewusst. Zivil-Polizisten belauschten die wenig koordinierte Menge am Platz und informierten ihre Kollegen, dass die Demo über den Gürtel zum Westbahnhof und über die Mariahilfer Straße zum Museumsquartier ziehen will. Dementsprechend wurde der Gürtel zwischen Urban-Loritz-Platz und Westbahnhof rasch blockiert, ein Kessel hätte gebildet werden sollen, doch die Menge wechselte geistesgegenwärtig die Fahrtrichtung und zerstreute sich teilweise - ein Teil zog zurück zur U-Bahn-Station Burggasse und wurde dort am Bahnsteig gekesselt. Der Rest zog in Kleingruppen zum Museumsquartier. Der U-Bahn-Kessel wurde aufgelöst unter der Vereinbarung, dass die Leute friedlich über die Burggasse zum Museumsquartier ziehen - was dann auch geschah. Die Zugänge zum Museumsquartier wurden freilich von weiteren PolizistInnen bewacht - insgesamt 30 VW-Busse der Polizei wurden an diesem Abend gezählt, was mindestens 240 Einsatzkräfte bedeutet. Nachdem sich die Burggassen-Demo und die Leute vom Museumsquartier vereinten und - etwas planlos, da der Treffpunkt im MQ ausgelassen wurde - weiterzogen, kesselte die Polizei etwas zaghaft die Menge am Getreidemarkt. Die meisten Leute konnten entkommen, einige Unentschlossene durften nun 4 Stunden in der Kälte ausharren. Wer filmte oder fotografierte und den Amtshandlungen "zu nahe" kam wurde verhaftet. Insgesamt vier Verhaftungen wurden an diesem Abend vorgenommen, mindestens zwei davon nur wegen Filmens und Fotografieren. Nach mehreren Stunden Haft wurden sämtliche Personen wieder entlassen, vorgeworfen wird ihnen wohl irgendwas zwischen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, Versammlungsrecht und möglicherweise auch Körperverletzung - das übliche halt, um AktivistInnen und jene, die Aktivismus und Polizeihandlungen in diesem Zusammenhang dokumentieren, "auszudämpfen".

Kessel am Getreidemarkt - 40 DemonstrantInnen wurden bis zu 4 Stunden festgehalten

Weitere Vorfälle gab es keine - lediglich von einer eingeschlagenen Auslagenscheibe in der Neubaugasse erzählt die Polizei (wenngleich die Demo am Abend nie in der Neubaugasse war und niemand den Vorfall bestätigen konnte), angeblich wurde auch am Gürtel eine Fenster- oder Autoscheibe eingeschlagen, was ebenfalls nicht bestätigt werden kann. Dennoch ließen sich Krawallzeitungen dazu hinreißen, von Krawallen zu schreiben. Fragt sich, wie die Zeitungen es nennen werden, sollte es tatsächlich einmal zu Krawallen kommen. Vermutlich wird dies dann als Bürgerkrieg oder nuklearer Weltkrieg bezeichnet. Dem Superlativismus des Boulevards sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.

horrende Einsatzkosten

Ein großer Bus der Polizei wurde beim Einfahren in die Stiftskaserne gesichtet. Vorsichtig geschätzt kann man sicherlich von 300 PolizistInnen ausgehen, die ab der Räumung um 11 Uhr Mittag bis weit nach Mitternacht in Dienst oder Bereitschaft waren. Bei einem Brutto-Stundenlohn pro Dienststunde von 25 € (ohne Zuschläge!) ergibt allein das rund 4.000 Dienststunden bzw. 100.000 € Kosten. Zuschläge, Betriebsaufwand (Hubschrauber, Räumpanzer, Fahrtkosten, Straßensperren etc.) mit eingerechnet kommt sicher noch eine Menge dazu, die Einsatzkosten könnten also bis zu 200.000 € betragen oder mehr - Auskünfte dazu gibt die Polizei freilich keine. Man kann jedoch davon ausgehen dass die Wiener Polizei pro Jahr ein paar Millionen Euro nur für Demonstrationen und Räumungen aufwenden muss. Zumindest Räumungen von leerstehenden Häusern könnte sich die Polizei sparen, gäbe es - wie von Rot und Grün im Koalitionsabkommen vereinbart - endlich die legale Möglichkeit von Zwischennutzungen bis zum Abriss/Neuverwendung von leerstehenden Häusern. Doch bislang ist trotz vieler Ankündigungen seitens der Grünen nichts in diese Richtung geschehen, selbst Lippenbekenntnisse bleiben aus.

Wilde 13

11. November:
Nur 3 Tage nach der Räumung des epizentrums wurde ein Ausweichquartier in der Westbahnstraße 13 bezogen. Es hätte ein ruhiger Versammlungsort werden sollen, doch stattdessen rief der Künstler (der nach eigenen Angaben auch im Epizentrum war und die Sache unterstütz hat), der im Erdgeschoß Ausstellungsflächen, die nicht von der Besetzung betroffen waren, angemietet hat, die Polizei. Diese begann um 21 Uhr mit einer 24-stündigen Belagerung, die ergebnislos (das Haus blieb besetzt) beendet wurde. Ursprünglich hätte das Haus allem Anschein nach noch am selben Abend - ohne Räumungsbescheid, wie zuletzt im Sommer mehrmals geschehen - illegal geräumt werden sollen. Ebenso illegal war wohl das Eindringen der PolizistInnen in den Hof des Gebäudes, der auch von NachbarInnen genutzt wird, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Eigentümer ermittelt und kontaktiert werden konnte. Nichtsdestotrotz besetzte die Polizei um 23 Uhr den Hof und verbarrikadierte (!) das Einfahrtstor mit Holzlatten und bewachte die Eingänge zur Westbahnstraße.

Als eine 20 Mann/Frau starke Einsatzeinheit beigezogen wurde und in den Hauseingang drängte drohte die Lage zu eskalieren: Die BesetzerInnen im Haus waren entschlossen, die (illegale) Räumung nach nur wenigen Stunden Besetzung abzuwehren, zündeten Feuerwerkskörper (Foto) und schmissen Dosen und angeblich auch Bierflaschen auf die Straße und das dort geparkte Polizeifahrzeug. Die Polizei zog sich daraufhin zurück, blieb jedoch in ihren Einsatzfahrzeugen noch die ganze Nacht hindurch vor Ort in "Bereitschaft". Wozu die Bewachung eines besetzten Hauses gut sein soll, konnte sich nicht einmal die "Steuerzahler"-Watchdog-Zeitung "Heute" nicht erklären.

Zufälligerweise fand am selben Tag erneut eine "Occupy"-Demonstration statt, wie schon bei (kurz nach) der Besetzung des "epizentrum".

12. November:
in der Wilden 13
Das belagerte Haus wird von draußen mit Lebensmitteln und Wasser versorgt - Strom ist hingegen vorhanden. Außerdem gehen einige Leute über eine Leiter ein und aus, was die Polizei nicht bemerkt.

Am Abend zieht eine "Reclaim the Streets"-Tanzdemo vom Museumsquartier über die Mariahilfer Straße, Lindengasse, Ex-Epizentrum zur Westbahnstraße. Die Polizei stößt erst in der Lindengasse dazu, bis dahin steckten Streifenwägen im Verkehr fest. Die Polizei umstellte nun das Epizentrum, ein Teil folgte der Demo bis zur Westbahnstraße - dort eilten PolizistInnen rasch zu den Eingängen um ihre KameradInnen zu verstärken - doch diese ließen ihre ans Tor polternden Kollegen gar nicht erst hinein. Foto des Demo-Zuges und Bericht im Kurier.

der Ton wird rauer?
Die Demonstration, etwa 50 Leute, zerstreute sich nun und kehrte etwa eine Stunde später zum Haus zurück. Die Polizei war offenbar verwirrt und besetzte mit jeweils zwei Mannschaftswägen zentrale Punkte im Siebten Bezirk - mit Helm und Schildern aufgestellt! So etwa in der Lindengasse und in der Neubaugasse. Man befürchtete offenbar Krawalle.

Als gegen 20 Uhr erneut einige Leute vor der Westbahnstraße 13 versammelt waren zog die Polizei unvermittelt ab. Das Haus war nun wieder zugänglich.

14. November:
Ein Lokal-Augenschein des Standard ergibt, dass sich nur wenige Menschen im Haus und im Hof befinden. Leute im Hof, die sich um einer Feuertonne wärmten, werden mit "der harte Kern ist grad einkaufen oder so" zitiert ^^ - diese Chaoten!

15. November:
Erneut "Reclaim the Streets"-Tanzdemo. Dieses Mal nur rund 40 Personen, die ins Museumsquartier ziehen und ca. 1,5 Stunden mitten im Haupthof tanzen und Parolen rufen ("Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag"), auch auf das Sicherheitspolizeigesetz, das an diesem Tag vom Ministerrat abgesegnet wurde, wurde kritisch Bezug genommen. Securities und Polizei können keinen Grund zum Einschreiten finden - BesucherInnen des Museumsquartiers zeigen sich überwiegend amüsiert. Sogar ein Mann im Spiderman-artigen Superheldenkostüm mit "MQ"-Logo drauf ("MQ-Man"?) stoßt zur Menge und tanzt frenetisch zu "Fight for your right to party" - um danach ebenso unerkannt wieder zu verschwinden wie er aufgetaucht ist.

Audimax-Intermezzo:
Die Tanzdemo wird danach zur Hauptuni verlagert und zieht dort unter großer Verwunderung und teilweise Jubel der Publizistik-Erstsemestrigen ins Audimax ein. Die PUK-Vorlesung wird abgebrochen, die meisten Studierenden bleiben. Die nachfolgenden "Pharmazie"-Studierenden, die schon bei ihrem Versuch, Medizin studieren zu wollen, einen herben Rückschlag erfahren haben, verstehen hingegen keinen Spaß: Sie wollen ihre Vorlesung, ihr Professor und sein Schani preschen vor: der Schani zieht das Kabel, der Professor lässt abstimmen, ob seine Untergebenen lieber Vorlesung oder Besetzung hätten. Ohne Gegenreaktionen abzuwarten erklärt er unter großem Jubel die Besetzung für beendet. Pharmazie-Studierende werden derweil im Internet endgültig zu den uncoolsten Studierenden Österreichs verdammt.

Die TanzdemonstrantInnen nehmens gelassen und ziehen weiter zum C1, wo die Internationale Entwicklung Vollversammlung abhielt - ihr Studium soll bekanntlich abgeschafft werden. Dennoch wollen sich viele die "gute Gesprächsbasis" mit dem Rektor nicht verscherzen und überlassen es jedem/jeder einzelnen Studierenden selbst, ob sie besetzen wollen oder nicht. Etwa 50 Leute bleiben und erklären den C1, oder besser gesagt dessen Foyer, für besetzt. Es wird über das Sicherheitspolizeigesetz, Uni-Politik und Freiräume diskutiert und pleniert, folgender Text wurde veröffentlicht: Der Hut brennt und die Kacke dampft.

16. November:
Die C1-Besetzung wurde nach einer Nacht beendet. Polizeieinsatz gab es weder beim Audimax- noch beim C1-Intermezzo. Stattdessen "räumte" die Polizei die "Wilde 13", die jedoch bereits seit mindestens einem Tag ohnehin wieder leer stand. Ein "Heute"-Bericht am Dienstag berichtete von "Krawallen" im "Öko-Bobo-Bezirk Neubau" ohne jedoch zu erwähnen, dass sich die erwähnten Vorfälle am Freitag, also vier Tage zuvor, ereigneten, und wohl kaum die Bezeichnung verdienen. Es sei denn, eine hingeschmissene Bananenschale auf einem Gehsteig würde als Terroranschlag durchgehen.

... to be continued!
 
blank info