[letztes Update: 25.10.2011]
Diesmal ist alles anders - und doch ist es nur die logische Fortsetzung dessen, was in Wien in den letzten Jahren, katalysiert durch die Audimax-Besetzung 2009, an alternativen Strukturen entstanden ist. Statt einer Hörsaal-Besetzung oder einer weiteren Demonstration mit verhältnismäßig (zu) geringer Beteiligung um in der festgefahrenen österreichischen Politik Gehör zu finden einfach machen, wovon andere bestenfalls reden - meist aber nicht einmal das. Wo von den Medien erfundene "Wutbürger[innen]" gegen - wie man meinen könnte - "eigentlich eh olles" demonstrieren (womit sie ja "eigentlich eh" auch recht haben) nehmen sich jene, die in der Reflektion und Analyse der "Euro/Schulden/Griechen/Kapitalismus/und eigentlich eh olles-Krise" schon ein Stück weiter sind, statt aufgestauten Frust und Wut (dieses Ventil ist bei jenen ohnehin permanent geöffnet) an unschuldigen Parks und Plätzen abzulassen, einfach den Raum der uns (eigentlich?) ohnehin allen zusteht / zustehen sollte.In der Nacht von 13. auf 14. Oktober wurden die über einen Hof zusammenhängenden Gebäude Lindengasse 60-62 (bzw. Zieglergasse 19) besetzt. Exakt drei Monate nach der Räumung des Lobmeyr-Hofes, dessen Besetzung einiges an Staub aufgewirbelt hat und "Wiener Wohnen", den kapitalistisch bewaffneten Arm der Wiener SPÖ, gehörig in Erklärungsnotstand gebracht hat (ebenso die Grünen, die die "Legalisierung von Zwischennutzungen" ins Koalitionsprogramm hineinverhandelt hatten, sich nun aber machtlos dem Treiben von Inseraten-Stadtrat Michael Ludwig ausgeliefert sahen). Unnötig zu erwähnen, dass dieser Notstand bis heute nicht aufgelöst wurde. "Hände falten, Goschn halten" ist kein Verhaltensmonopol des Klein- und Spießbürgertums. Mehrere Beiträge von WienTV, in denen sowohl die Pressesprecherin der Wiener Polizei als auch die Direktorin von Wiener Wohnen interviewt worden, sagen mehr als tausend Worte (alle Videos im Blog-Eintrag vom 14. Juli).
Schutzzone, BUWOG und Neubauer Grüne - wie geht das zamm?
Dieses Mal jedoch ist das Haus nicht am Stadtrand sondern im Zentrum, es sind nicht Sommerferien sondern Semesterbeginn (wenngleich Studierende nur ein Teil des Ganzen sind), das Haus gehört nicht (mehr) der Stadt oder dem Staat sondern einem skandalumwitterten Immobilienkonzern und Neubaus Bezirksvertretung wird von den Grünen angeführt im Gegensatz zu Ottakring, wo sich Politik-Polizei-Medien-Verflechtungen offenbart haben, wie sie viele wohl kaum (noch) für möglich gehalten hätten. Doch hier geht es um Altbauten auf einem Grundstück mit Millionenwert in einer der städtischen Schutzzonen zur Erhaltung des Stadtbildes.Das Gebäude Lindengasse 62 stammt aus der Biedermeierzeit und ist ebenso wie die anderen beiden Gebäude weder einsturzgefährdet noch baufällig oder sonst irgendwie gefährlich. Im Gegenteil: Noch bis vor ein bis zwei Jahren war im innen gut ausgebauten Gebäude Lindengasse 62 die "Neue Sentimental Film" untergebracht - ein Nachmieter wurde bezeichnenderweise wegen zu hoher Mietforderungen des vorherigen Eigentümers nicht gefunden. Dieser verkaufte schließlich an die BUWOG - die das Haus nun ohne jeden Anlass (außer der Profitinteressen - denn Strom, Wasser und sogar die Heizung funktionieren, das Haus ist weder baufällig, abrissreif noch sonst irgendwie gefährlich, wie ein Architekt und ein Statiker, die am 24.10. das Haus begutachteten, bestätigt haben - was willfährige Propaganda-Dreckschleudern wie die Gratiszeitung "Heute" freilich nicht davon abhält, gegen das Haus zu kampagnisieren) abreißen will und mit den Bezirksgrünen scheinbar auch schon einen Modus gefunden hat, wie dies vonstatten gehen soll: Ein kleiner Teil des Grundstücks an der Kreuzung Zieglergasse/Lindengasse soll als "öffentlicher Park" genutzt werden - ein "Verhandlungserfolg" der Grünen, der Millionenprofite für die BUWOG auf diesem Grundstück erst möglich macht - was ohne den Abriss der schutzwürdigen und gut erhaltenen Gebäude (die IG Denkmalschutz protestierte bereits im Jänner 2011 mit einem offenen Brief) nicht möglich wäre. Für einen Abriss der Gebäude wäre jedenfalls ein Bescheid der (grünen!) Bezirksbehörde nötig, der allem Anschein nach noch nicht ausgestellt wurde, wodurch den Grünen die entscheidende Verhandlungsposition zwischen BesetzerInnen und BUWOG zukommen könnte. Noch nie lag es so sehr an den Grünen, ob eine Zwischennutzung eines leerstehenden Hauses für längere Zeit möglich wird oder ob das seit Jahren andauernde Katz-und-Maus-Spiel in der Stadt der leeren Häuser mit einem weiteren kostspieligen Einsatz der Polizei-Spezialeinheit WEGA fortgesetzt wird.
Wiener Gemütlichkeit statt Wut an der 15. Oktober-Demo
Von "Eigentum" und "Besitz" - wie gerechtfertigt ist eine Haus-"Besetzung"?
Wie ein schöner, unerwartet tiefsinniger Spontan-Vortrag nach Ende des "Tanz durch den Tag"-Programms am Sonntag (23.10.) ausführte, beginnt das große "Missverständnis" von der Auffassung unseres Lebens als "freie", konsumierende Menschen schon mit den Begriffen von "Eigentum" und "Besitz", die sich sprachwissenschaftlich ebenso schön zerlegen und auf ihre lateinischen, altgriechischen oder althochdeutschen Wurzeln zurückführen lassen, wie Begriffe wie das "Subjekt" (--> "Unterworfene") oder die "Person" (--> "Maske"). Ohne näher auf die äußerst interessanten Ausführungen zur Sprache als steuerbares und gesteuertes Machtinstrument eingehen zu können (dazu fehlt mir schlicht die Expertise; eine Auseinandersetzung damit lohnt sich jedenfalls!) sei festgehalten, wie sehr sich unsere Weltanschauung doch durch derart geprägte Begriffe definiert - und wie sehr wir von der einen Minute auf die andere Dinge ganz anders wahrnehmen können, wenn wir bloß die Wörter, die wir verwenden, hinterfragen und auf ihre ursprünglichen Bedeutungen zurückführen. So kommt "Besitz" natürlich von "besitzen", bezeichnet also jene Dinge, die man tatsächlich benützt, gebraucht oder im wahrsten Sinne des Wortes be-sitzt, be-liegt oder was auch immer ... Ein leerstehendes Haus gehört - wenn man von den künstlichen Identitäten der "juristischen Person" und dem davon abgeleiteten "Eigentum" absieht - in Wahrheit niemandem. Erst wenn Menschen das "Objekt" mit Leben erfüllen hat es wieder "Be-sitzer".
Systematische Zerstörung von Altbauten in Wien - alle machen es
Ein gut erhaltenes altes Haus mutwillig unbewohnbar zu machen - etwa durch das künstliche Herbeiführen von Wasserschäden, die die Bausubstanz schädigen und das Haus mit Schimmel überwuchern lassen (so wie das "Wiener Wohnen" beim Lobmeyr-Hof gemacht hat) oder indirekt durch das nicht-abstellen der Wasserleitungen vor dem Wintereinbruch, was nach den ersten Frosttagen unausweichlich zu Wasserrohrbrüchen und ebenfalls Wasserschaden führt (laut einem Statiker, der heute das Haus begutachtet hat, gängige Praxis bei Altbauten in Wien, wenn profitorientierte Eigentümer eine Begründung für die Abbruchbewilligung brauchen um lukrativere Neubauprojekte zu ermöglichen) ist jener Umgang mit dem knappen Wohn- und Lebensraum in Großstädten, den Immobiliengesellschaften wie die BUWOG, aber auch die Stadt Wien selbst, systematisch an den Tag legen - bloß um Gründe für den Abriss vorweisen zu können. Zumindest dieses Mal kamen die Besetzer/innen den Eigentümern zuvor.
Alle bleiben
Feste feiern wie sie fallen
Bereits am Tag darauf, Sonntag, gab es mit dem Programm von "Tanz durch den Tag" ab 12 Uhr Gelegenheit, die Lehren dieser Erfahrungen anzuwenden. So war etwa von Anfang an klar, das um 22 Uhr - dann ohnehin nach schon zehn Stunden - die Party zu Ende sein muss - was offenbar auch gut kommuniziert wurde und vom Publikum erstaunlich gut angenommen wurde, das nach Abdrehen der Musik laut jubelte und klatschte. Die Tekkno-Party am Freitag musste ja am frühen morgen etwas abrupter beendet werden, was bei DJs wie Publikum gleichermaßen Unverständnis hervorrief.
Zum Abschluss noch ein paar Eindrücke aus dem Haus. Ein Pressespiegel findet sich ebenfalls im Blog des Epizentrums, hier sei lediglich noch auf einen Beitrag samt Interview-Mitschnitt (vom 24.10.) von Radio Orange auf nochrichten.net verwiesen.
1 Kommentar:
endlich tut sich wieder was in diesem verschlafenem österreich. endlich gibt es wieder eine junge szene die sich etwas traut, mitsprache und mitgestaltung einfordert und nicht nur traumwandlerisch alles schluckt was man ihr vorsetzt. ich hoffe sehr dass diese szene noch weiter wächst und widerstand wieder eine ernstzunehmende kraft in diesem land wird.
freu mich schon auf einen besuch im buwog gebäude!
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