Freitag, 1. April 2011

Und jetzt? - Keine Waffen und Bodentruppen nach Libyen!

[in Bezug auf die einheitlich ablehnenden, links und pazifistisch argumentierten Stimmen zur Libyen-Intervention des Westens, u.a. auf Indymedia]

Das, was fast alle von Anfang an befürchtet haben, ist eingetreten: Gadaffi erweist sich als zäh, sein rascher Sturz ist nicht möglich, es droht auf eine langfristige Patt-Situation hinauszulaufen. Warum ich dennoch zur Durchsetzung der Flugverbotszone stehe, aber jegliche Aufrüstung oder den Einsatz von Bodentruppen ablehne.

Eins vorweg: Grundsätzlich teile ich die Ansichten der KriegsgegnerInnen und PazifistInnen, ihre Argumente, dass Gewalt nur zu weiterer Gewalt führen kann, sind natürlich richtig. Was ich aber an diesem dogmatischen Prinzip, dass nur die Regel und keine Ausnahme kennt, ablehne, ist die Verweigerung auf die realen Gegebenheiten vor Ort einzugehen und die Argumente auf Basis dessen stichhaltig vorzubringen und zu rechtfertigen. So konnte ich bisher von noch keinem einzigen der vehementen Ablehner des Libyen-Einsatzes auch nur ansatzweise eine Erklärung bekommen, was denn nun die beste Alternative zu einer Flugverbotszone samt Luftschlägen gewesen wäre. Auf diese Frage gibt es nur ausweichende und pauschalisierende Antworten, wie eben jene, dass Gewalt eben nur noch mehr Gewalt auslöse. Auch der Versuch, durch provokante Vergleiche wie jenen, ob denn die "Intervention" der USA in Europa im Zweiten Weltkrieg ebenso abgelehnt werden müsste (oder damals: hätte müssen), bleibt erfolglos. Wie ohnehin zu erwarten war, erhalte ich darauf nur Antworten à la "Verharmlosung des Nationalsozialismus" (aha?), "das kann man nicht vergleichen", ich solle "Hitler aus dem Spiel lassen" usw. usw.

Also bleibt mir nur übrig, mir die Antwort selber zu geben: Es gibt keine bessere Alternative. Daher flüchten sich die PazifistInnen und AblehnerInnen der Libyen-Intervention in pauschale Attacken auf "den Westen", "die Imperialisten/Kolonialisten", "NATO-Kriegstreiber" usw.

Gut, mir wäre auch lieber, wenn die Heilsarmee oder die ArbeiterInnen-Internationale in Libyen eingreifen hätte können, um den Frieden zu ermöglichen bzw. zu sichern. Fakt ist, dass es auch nicht ansatzweise realistische Alternativen zu einem militärischen Einsatz gegeben hat, um die vollständige Rückeroberung Libyens, was besonders im Osten des Landes zusätzlich zu den bereits jetzt tausenden Toten noch weitere tausende Tote gefordert hätte. Auch wenn es nicht in das simple Konzept der PazifistInnen passt: aber eine militärische Intervention aus der Luft, die natürlich Tote zur Folge hat und darunter höchstwahrscheinlich auch Zivilisten (der Westen sagt Null, Gadaffi spricht von Hunderten - keiner von beiden dürfte richtig liegen, die Wahrheit stirbt im Krieg bekanntlich zuerst), hat vermutlich tausende Menschenleben gerettet, selbst wenn man gefallene Gadaffi-Soldaten und -Söldner mitzählt.

Wie hat es denn jetzt nun wirklich angefangen?

An dieser Stelle möchte ich auch noch eine weitere, meiner Ansicht nach Fehleinschätzung, linker KritikerInnen ansprechen: Der Krieg in Libyen wurde (dieses Mal) nicht durch den Westen begonnen - sondern von Gadaffi. Auch wenn die KriegsgegnerInnen gerne behaupten, das mit den Luftangriffen auf DemonstrantInnen sei eine Mär, um die öffentliche Meinung Pro-Luftverbotszone zu stimmen (was ich weder bestätigen noch widerlegen kann; die Indizien - Zeugenaussagen auf Handyvideos vor Ort, teils via KorrespondentInnen auf verschiedenen, nicht nur westlichen, Nachrichtensendern und anderen Medien vermittelt - sprechen jedoch ein ziemlich deutliches Bild, dass Gadaffi vor keinen Mitteln zurückschreckte, um demonstrierende Massen zu "beseitigen"; neben den von manchen bezweifelten Luftangriffen auf friedliche (oder meinetwegen auch nicht friedliche, sondern revoltierende) Demonstrationen gibt es ja auch relativ glaubhafte Berichte von Panzerbeschuss auf Wohnviertel, verbrannten und exekutierten Deserteuren von Gadaffis Armee, Fotos und Videos von mit Leichen gepflasterten Straßen ...). Die Bewaffnung der Demonstrierenden zu Rebellen war die Folge. Und erst zwei Wochen später kam der Westen überhaupt ins Spiel.

Insofern ist auch die pauschale Behauptung, alle, die die Luftschläge befürworten, würden undifferenziert und geblendet die NATO-Propaganda, die via seltenem Schulterschluss aller namhaften Medien des "Westens" weiterverbreitet würde, übernehmen, als Diffamierung und Verweigerung einer sachlichen Debatte zu betrachten. Im Gegensatz zu früheren Kriegen ist die Abhängigkeit von Massenmedien in der Informationsbeschaffung heute entscheidend deutlich geringer - via Twitter, Youtube, arabischen Medien wie Al Jazeera oder diversen, teils übersetzten, Blogs und im Internet kursierender (natürlich bezweifelbarer) Zeugenberichte ergibt sich ein sehr eindeutiges, wenige Widersprüche aufweisendes Gesamtbild, in das sich die westlichen Medien lediglich nachrangig einfügen, da sie selber ihre Informationen - wenn nicht durch KorrespondentInnen vor Ort - über solche Kanäle beziehen. Dass Zeugenberichte natürlich manipuliert sein können (Aussage gegen Bezahlung), ist klar und gerade in dieser Region, wo die "Führer" bezahlte "Jubelperser" aufmarschieren lassen, nicht von der Hand zu weisen. In Kombination mit Handyvideos, Fotos, JournalistInnen-Berichten und dem Faktum, dass der Westen von der rasanten Entwicklung in Nordafrika völlig überrascht wurde, die Proteste von einer breiten Masse getragen wurden und gerade in Libyen nach Tenor auch der linken KritikerInnen keinerlei "westliche Infrastruktur" (westliche Organisationen, Büros internationaler Organisationen, Medien, usw.) vorhanden sei, erscheint diese Variante jedoch äußerst unwahrscheinlich. Zumal es mit der Zahl der Personen, deren Zeugenberichte im Internet kursieren oder in Medien gezeigt/zitiert werden, irgendwann zu Widersprüchen kommen müsste, da unmöglich jede Aussage eines Rebellen oder Zivilisten von irgendeiner darüber stehenden Macht (sei es nun Gadaffi oder "der Westen"/USA/CIA) vorgegeben sein kann, kontrolliert werden kann.

Soviel also dazu, wie dieser Krieg eigentlich begonnen hat. Auch die Bezeichnung "Bürgerkrieg" ist angesichts dieser Vorgeschichte infrage zu stellen, auch wenn niemand genau sagen kann, wie sich die bewaffneten Rebellen genau zusammensetzen und dass vermutlich Stämme und Ex-Generäle (mit Machtinteressen?) in mehr oder weniger bedeutender Form mitmischen. Aber hier wird ohnehin die Argumentationslinie linker KritikerInnen brüchig: Findet hier nun ein Bürgerkrieg statt oder ein bewaffneter Aufstand? Beides gleichzeitig geht jedenfalls nicht. Je nach dem wie es grad zur eigenen Argumentation passt, werden aber beide Begriffe verwendet. Ein Bürgerkrieg ist es immer dann, wenn argumentiert wird, dass sich "der Westen" oder sonst irgendjemand in diesen "internen Konflikt" nicht einzumischen habe. Von einem bewaffneten Aufstand bzw. von "Widerstand" wird immer dann gesprochen, wenn es darum geht, "die Revolution" zu schützen: durch militärische Eingriffe/Unterstützung würden Hierarchien gefördert werden und die Wahrscheinlichkeit einer wirklichen Veränderung gesenkt, die Revolution würde quasi vereinnahmt und dadurch gleichzeitig zerstört.

Viele Zweifel, Skepsis und Argumente für die Ablehnung einer Intervention mögen richtig sein - und auch ich bin nicht glücklich damit, dass nun die NATO den Einsatz führt und ausgerechnet die "üblichen Verdächtigen" USA, Frankreich & Co hinter den Einsätzen stehen, was natürlich aus gutem Grund Nährboden für allerlei wüste Spekulationen über Machtinteressen, Rohstoffausbeutung etc. bereitet. Fakt ist aber auch, dass sich sonst niemand dazu bereit erklärt hat, und wenn die USA und Frankreich durch den Einsatz in Libyen zum "Schutze der Revolution" (so unvorstellbar das auch klingen mag) nun an Respekt und Einfluss in der Region dazugewinnen sollten (was beim ausgeprägten anti-amerikanismus und anti-westlichen Aggressionen gar nicht so eine einfache Rechnung ist, besonders, wenn (von Gadaffi) zivile Opfer argumentiert werden, worauf sich die Arabische Liga natürlich sofort vom Bündnis, das sie selbst mitträgt, distanzieren "muss" - ganz im Sinne Gadaffis und ganz ohne Beweise), dann hat das jedenfalls auch eine gute Begründung und ist allemal besser als die Haltung Chinas, Russlands & Co, die unter dem Vorwand, für Frieden und Gerechtigkeit zu sein, in Wahrheit aber noch viel stärker als der Westen jetzt an seine wirtschaftlichen Interessen in der Region denkt, sich aus dem Konflikt heraushält. Kein Wunder, wurden doch in den letzten Jahren auch mit all jenen Diktatoren Verträge über Rohstoffausbeutung im Tausch gegen Infrastrukturprojekte abgeschlossen, die sogar dem ach so verlogenen imperialen Westen immer noch "zu heavy" sind, etwa Simbabwes Mugabe oder die Bewaffnung aller afrikanischen Konflikte, die nicht vom Westen bewaffnet wurden.

Was ich damit sagen will: alles die selbe Scheiße. Und wenn einer Mal einen Fuß ein paar Zentimeter heraushebt um jemanden, der anfängt mit dem ganzen Dreck herumzuwerfen, in den Arsch zu treten, woraufhin die anderen selbstgerecht die Aggression des einen "anprangern", obwohl sie wie gesagt selbst für die Befüllung des Schlammloches mitverantwortlich waren, na was soll man denn davon jetzt wirklich halten? Unreflektiertes NATO- und "Westen"-Bashing auf Seiten Russlands, Chinas und anderen dubiosen Großmächten - hier sollte man auch mal seine eigene Position hinterfragen bzw. die Argumentation und Motive der "guten" Ablehner des Libyen-Einsatzes. Das könnte so manches Weltbild gehörig durcheinander bringen!

Aktuelle Lage

Nun wurden also Gadaffis Truppen zurückgedrängt, dann wieder die Rebellen und wir stehen fast wieder dort, wo wir vor Beginn der Flugverbotszone standen (die am besten inkraft getreten wäre, als die Rebellen am Höhepunkt ihres Vormarsches zum ersten Mal vor Sirte standen - aber zu diesem Zeitpunkt gab es dank China, Russland, Brasilien, Deutschland & Co noch keinen Konsens in der UNO, auch die arabische Liga (ohnehin nur Alibi-Verbündeter, aber für die öffentliche Wahrnehmung nunmal ein wichtiger Legitimationsfaktor) war noch nicht überzeugt, ein Vorpreschen Frankreichs oder der USA wäre noch viel mehr als jetzt als imperialer Akt der Einmischung aufgefasst worden). Und was jetzt?

Es wird die Lieferung von Waffen an die Rebellen diskutiert - was aus guten Gründen von vielen infrage gestellt wird. Zum einen, da man nicht weiß, was mit den Waffen nach Ende des Konflikts passiert und in keiner Weise kontrollieren kann, in wessen Hände sie letztlich gelangen. Auch wenn die Ängste vor einer "islamistischen" Dominanz bei den Rebellen übertrieben und unberechtigt sein mögen - die Beteiligung zumindest einiger davon kann nicht ausgeschlossen werden und wäre aus verschiedenen Gründen (der Osten Libyens als Heimat vieler Djihadisten) sehr gut vorstellbar - es genügt, wenn ein paar wenige die Waffen weitergeben oder für andere Interessen weiterbenützen.

Das andere Argument dagegen ist noch simpler und stammt von jenen, die den Libyen-Einsatz von Anfang an ablehnten: Gewalt schafft immer nur mehr Gewalt, ebenso Waffen.

Ich teile beide Einschätzungen, lehne also Waffenlieferungen an die Rebellen ab. Das ist kein Widerspruch zu meiner Befürwortung einer Flugverbotszone - denn diese hat immerhin, jedenfalls nicht notwendigerweise, ein Aufrüsten zulande zur Folge. Je länger sie aufrecht erhalten wird (und bei Einsätzen Kriegsmaterial zu Boden zerstört wird), und je strenger ein Waffenembargo an allen libyschen Grenzen sicher gestellt werden kann, umso mehr wird das Land Stück für Stück entmilitarisiert. Und angesichts des sich abzeichnenden Patts zwischen Westen (Gadaffi) und Osten (Rebellen) wäre es äußerst ratsam, durch Vorenthaltung von Nachschub deeskalierend zu wirken.

Dies darf natürlich nicht auf Kosten der Rebellen gehen (die ja ohnehin stark im Nachteil zu Gadaffis Truppen sind) - aber die Flugverbotszone kann ein effektives Mittel sein, trotz Nachschubverweigerung an die Rebellen, diese trotzdem nicht den Truppen Gadaffis auszuliefern.

Die Folge müsste sein, dass die Angriffe Gadaffis auf den Osten abnehmen oder gänzlich aufhören, gleichzeitig die Rebellen keine Vormarsch-Versuche mehr auf den Westen starten können. Dann wären Verhandlungen nötig, wenngleich diese kaum zu irgendeiner für alle akzeptablen Lösung führen können. Denn Gadaffi nach all seinen Verbrechen in die Alterspension im Luxus-Exil schicken wäre nicht nur ein Verrat an der Gerechtigkeit, sondern auch ungemein kontraproduktiv - denn wozu der ganze militärische Einsatz, wenn man sich dann eh auf eine für Gadaffi äußerst angenehme Lösung einigt? Zweitens, und jetzt kommen wir von der moralisch-ethischen zur sachpolitischen Ebene: Fast die gesamten Ölvorkommen liegen im Osten bzw. in der Mitte des Landes. Sollte durch eine länger anhaltende Patt-Situation eine defacto-Teilung des Landes anstehen, wird jede Seite die Ölvorkommen für sich beanspruchen, da sie noch auf längere Zeit die einzige "Lebensquelle" für die Finanzierung eines jeden, wie auch immer geführten, libyschen Staates sind. Eine "gerechte" Aufteilung wäre theoretisch denkbar, aber dann würde man ja wieder den Fortbestand der "westlibyschen" Diktatur unterstützen.

Dennoch: Das einzig richtige, was man jetzt tun kann, ist, den bewaffneten Konflikt durch Abschneiden sämtlicher Waffenlieferung zu beenden. Wenn die Rebellen es (trotz Luftunterstützung) nicht schaffen, Gadaffis Truppen mit den vorhandenen Mitteln zu besiegen, und auch Gadaffi es (dank Luftangriffen) nicht mehr schafft, bis Bengasi vorzustoßen, dann ist eine Patt-Situation erreicht, die nicht durch Waffenlieferungen erneut angeheizt werden muss. Vor allem wären diese auch kein Garant für einen Erfolg gegen Gadaffis Truppen, schließlich könnte es tatsächlich zur Notwendigkeit des Einsatzes von Bodentruppen kommen, was weder den westlichen Interessen entgegen kommt (noch ein Afghanistan/Irak!) noch denen der Aufständischen (Vorwurf, sie würden Marionetten der USA sein etc.). Das Schlamassel wäre perfekt. Also jetzt die Gelegenheit zum Waffenstillstand nutzen. Ob es gelingt (wie viel Waffen und loyale Führungskräfte und Truppen hat Gadaffi noch? Wie viel Kampfeswille steckt noch in den Rebellen?) ist eine andere Frage. Doch wie schon zuvor die Luftangriffe meines Erachtens notwendig waren, um Schlimmeres in Bengasi und im ganzen Land zu verhindern, ist es jetzt das einzig richtige, nicht durch das liefern von Waffen eine weitere Ebene militärischer Intervention ins "Spiel" zu bringen.

Abschließend

noch ein paar Gedanken zu den übrigen Aspekten. Ja, es ist richtig, dass es nie so weit gekommen wäre, hätte der Westen Gadaffi nicht "rehabilitiert". Aber nein, es ist nicht richtig, dass "alle" (?) erst jetzt drauf kommen, dass das falsch war. Wie bei so vielen Dingen, die auf der Welt passieren, haben es die meisten (zumindest die meisten der politisch interessierten Menschen mit kritischem Gedankenpotential, also auch viele Linke ;)) von Anfang an gesagt, gewusst und abgelehnt. Aber wenn der Westen sich den Fehler nun eingesteht - oder durch Unterstützung der Revolutionären zu kaschieren versucht - ist das zwar vielleicht peinlich, verlogen oder opportunistisch, aber letztlich immer noch im Sinne der Revolution. Dass damit natürlich auch wirtschaftliche (ja, das Öl ...) und geopolitische und -strategische Interessen zusammenhängen ist klar (irgendwie muss der letztlich sicher Milliarden teure Einsatz auch vor der eigenen wahlberechtigten Bevölkerung argumentiert werden) und sicher ein Aspekt, den auch die Rebellen bisher eher nachrangig beachten. Aber das ist auch kein Wunder, muss die Revolution erst einmal gewonnen werden, bevor man sich über die neue Ordnung der Macht ernsthaft Gedanken machen kann.

Und ob die USA/Frankreich/"der Westen" dann wirklich auf Konflikt mit den Revolutionären, die sie eben noch unterstützt haben, gehen würden, wenn es um die Frage der Kontrolle über die Ölförderung geht, wage ich insofern zu bezweifeln, als dass dies all die Akzeptanz, die die aktuelle Unterstützung der Revolution in der arabischen Welt bringt, mit einem Schlag zunichte machen würde. Ich denke, Obama ist gescheit genug, nicht in dieses kurzsichtige kontraproduktive Politikschema der Sorte Bush senior und junior zurückzufallen. Er kann das Öl ja auch einfach kaufen. Für Obama steht viel auf dem Spiel - noch kann er beweisen, dass es ihm mit dem "Change" wirklich ernst ist. Die Suche nach internationalem Konsens für den Libyen-Einsatz war schon ein erster Beweis dieses Paradigmenwechsels zur Bush-Ära.

Man kann gespannt sein, wie es weitergeht ...

... und im Übrigen erhebe ich keinerlei Anspruch auf Allwissenheit oder Unfehlbarkeit. Ich schreibe dies, um meine Unzufriedenheit mit allen Statements zu Libyen, die bisher aus dem linken Spektrum gekommen sind, zu argumentieren (der beliebige, sich im Wind, meist nach autoritären-patriarchalischen Mustern drehende Müll aus dem rechten Lager braucht man gar nicht erst ernst zu nehmen; die opportunistische Mitte ist ebenfalls kein Maßstab für Kritik). Ich schreibe dies, um besser argumentierte Stellungnahmen aus dem linken/autonomen/emanzipierten (oder wie auch immer man alle kritisch, aufklärerisch, progressiv und emanzipatorisch denkenden Menschen nennen soll) Gesellschaftsspektrum zu erhalten. Und ja, mir ist bewusst, dass Militär sowas von gar nichts mit Emanzipation oder Aufklärung zu tun hat. Aber, und das ist wohl der entscheidende Punkt - es liegt, ob es einem passt oder nicht, immer (noch) am Militär, wenn es darum geht, in welche Richtung sich eine Revolution entwickelt. Das Militär ist nunmal ein entscheidender, nicht zu leugnender oder verdrängender Faktor, der in jeder seriösen Diskussion über Revolutionen berücksichtigt werden muss. Und ja, ich halte es tatsächlich für möglich, dass das Militär (der USA, Frankreich/NATO) dieses Mal tatsächlich eingreift, um die Entstehung einer Demokratie zu ermöglichen und nicht um die Schwäche der Region zu nützen, um sie erneut auszubeuten. Aus ganz einfachen Gründen: es wäre kontraproduktiv. Den westlichen Interessen - so sehr man sie auch ablehnen mag - ist letztlich besser gedient, wenn jetzt die Grundsteine für eine demokratische, stabile Entwicklung der Region gelegt werden, als den Status Quo aus Diktaturen, Krieg und Terrorismus aufrecht zu erhalten bzw. neu aufzuwärmen. Und aus diesem Grund sind die westlichen Interessen - bis auf weiteres - deckungsgleich mit den Interessen der Revolution. Klingt komisch, ist aber so. Und vielleicht bin ich auch nur ziemlich naiv - aber ich bin es in diesem Fall gerne, da ich an Veränderungen glaube - auch mit dem "Risiko", enttäuscht zu werden. Aber ich denke, dies ist eine einzigartige Chance für "den Westen", einen weltpolitischen "Change" zu vollziehen.

Es hängt sehr vieles an Libyen und wie USA und EU, aber auch Russland und China darauf reagieren und damit umgehen. Es kann sehr viel Porzellan gekittet werden und eine demokratische Entwicklung des arabischen Raums (und in weiterer Folge, früher oder später, auch des afrikanischen und asiatischen Raums) eingeleitet werden, es kann chaotisch herumgedoktert werden und alles schief gehen, der arabische Raum in zahlreichen Bürgerkriegen oder ethnischen Konflikten (Schiiten vs. Sunniten, Iran vs. Saudi Arabien!) versinken oder alles bleibt vorerst beim alten, der Sturm geht vorüber und bis auf kosmetische Änderungen geht alles weiter wie bisher. Ich persönlich halte die erste Variante für am wahrscheinlichsten, jene der eskalierenden Konflikte steht jedoch als Bedrohungsszenario gleich dahinter. Daher: Keine neuen Waffen, keine Bodentruppen - nicht in Libyen, nicht anderswo. Bestmögliche Unterstützung aller demokratischen Aufstände, größtmögliches unter Druck setzen aller Diktatoren. Dazu braucht es aber mehr Entschlossenheit des Westens. In weiterer Folge steht übrigens das gesamte "islamistische Terror-Bedrohungsszenario", der den westlichen "Herrschern" in den letzten zehn Jahren breite Unterstützung für immer allumfassendere Überwachungs-, Kontroll- und Repressionsmechanismen zukommen hat lassen, zur Disposition. Fällt das "böse Moslems"-Szenario durch den Sturz der meisten arabischen Diktaturen zugunsten von Demokratien weg, verlieren die Hardliner im Westen ihr wichtigstes Argument für die Fortführung des Überwachungsstaat-Kurses! Ein Wandel auch im Westen rückt dann näher ...
 
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