Freitag, 4. März 2011

Good bye, Friesi! Ein Nachruf.

[August 2010] - [März 2011]














Am 7. April 2010 wurde das Doppelhaus Friesenbergstrasse 78/80 besetzt. Es war ein Glückstreffer. Nur wenige Tage zuvor waren die letzten Mieter des Hauses ausgezogen. Das Haus war alt, wurde in den 30er-Jahren gebaut. Aber es war in relativ gutem Zustand und nach wie vor bewohnbar. Türen und Fenster waren zwar alt, die Teppichböden nicht mehr ganz frisch (darunter befand sich Holzparkett), aber: es gab Strom und fließendes Wasser, die Badezimmer und Küchen waren zumeist intakt. Insgesamt 18 kleine 2-Zimmer-Wohnungen mit Bad-Küche-Vorraum. Also zogen die Leute ein. Rasch wurde auch der Keller einer squat-gerechten Nutzung zugänglich gemacht. Als hilfreich erwies sich dabei ein altes Schweizer Gesetz, das aus Gründen der Landesverteidigung nicht nur "Schutzräume" (Bunker) in Wohnhäusern vorsieht, sondern auch vorschreibt, dass die Holzlatten-Verkleidung der Kellerabteile relativ unkompliziert zu entfernen und als Bettgestell genutzt werden kann. Matratzen gab es ohnehin genug, ein ganzes Zimmer wurde damit vollgestopft (das Gästezimmer). Im Gästezimmer waren immer wieder Gäste aus dem In- und Ausland, darunter auch ich, zu Gast. Auch Obdachlose durften immer wieder im Gästezimmer übernachten, wobei man sich notgedrungen (das Matratzenlager sprach sich rasch herum) darauf einigte, jeden Obdachlosen maximal zwei Nächte übernachten zu lassen. Nicht zuletzt, da auch andere Gäste vorübergehend Unterschlupf finden sollten.















Bald konnte also im Keller eine Bar eröffnet werden, die "rikade bar" (bzw. "bar rikade") die - in Anknüpfung an die "Kalki" (2004-2010), deren "Inzest Bar" zum Treffpunkt der ganzen Szene wurde - jeden Mittwoch geöffnet hatte. Der Sonntag wurde zum Volxküchentag ernannt, an dem entweder Leute aus dem Haus oder Gäste das eine oder andere Dutzend Squatter bekochten.

Bis zum Sommer erhöhte sich die BewohnerInnenzahl auf etwa 15, 16 Personen, die sich in zwei Gruppen auf beide Gebäudehälften (je neun Wohnungen in insgesamt drei Etagen) aufteilten. Eine Siebdruck-Werkstatt wurde eingerichtet, samt wöchentlichem Workshop, an dem unter fachkundiger Anleitung gegen 20 CHF Aufwandsentschädigung (Siebe, Lösungsmittel, Farbe) T-Shirts, Flyer oder Plakate gedruckt werden konnten.

Der Umgang mit dem Eigentümer und den Kommunalbetrieben erwies sich als erstaunlich unkompliziert. Nachdem sich die Besetzung stadtweit herumgesprochen hatte, tauchten nach und nach Schornsteinfeger (Rauchfangkehrer ;)) auf, um den Kamin frei zu machen, Strom- und Wasserwerke kamen zum Zähler ablesen - bezahlt werden musste nie etwas. Der Besitzer trat nie in Kontakt mit den Besetzern. Verwaltet wurde die Liegenschaft von einem Immobilienunternehmen, das für die Besetzer nicht zu sprechen war. Auch gut.

Zweites Halbjahr
[in der Siebdruckwerkstatt]

Bis zum Winter erlebte das Friesi weiteren Zuzug. Per Ende Februar 2011 lebten schliesslich 24 Personen im Haus, womit das Friesi nach der Binz eindeutig der zweitgrößte bestehende Squat der Stadt war. Alle Zimmer waren somit vergeben, wobei von den 36 Zimmern auch einige für Gemeinschaftsräume abgezogen werden müssen: Das Erdgeschoss im ersten Gebäudeteil (3 Wohnungen à 2 Zimmer), waren als Volxküche/Aufenthaltsraum (mit Sofas und Beamer/Leinwand) sowie Siebdruckwerkstatt und Gästezimmer vorgesehen. Im zweiten Gebäudeteil gab es anstelle eines großen Gemeinschaftsbereiches eine eigene "Gemeinschaftswohnung", also zwei Wohnzimmer samt Bad und Küche. Aufgrund der Lage im hinteren Gebäudeteil, dem "Sitz" der zweiten Wohngruppe, sah es dort wesentlich gemütlicher und ordentlicher aus, als im "Durchgangsbahnhof" im vorderen Gebäudeteil.
[Bühnen-Deko]
Nach dem Sommer gelang es auch endlich, das Friesi Konzerttauglich zu machen: Dafür musste der Gang im Keller verlegt werden, die restlichen Kellerabteile wurden zerlegt und entfernt. Somit wurde endlich Platz für eine die Raumbreite ausfüllende Bühne samt Publikumsbereich (bis zur Bar/DJ-Tisch) frei - ein- und ausgehen konnte man nun auf der anderen Seite der Wand, wo Couches den bisherigen Chillout-Bereich neben der Bar, rund um den Tischfußball-Tisch, erweiterten. Außerdem konnte der Bereich mittels Paletten zu einer Tribüne für das Friesi Filmfestival umgebaut werden. In dieser Umbauphase wurde "sogar" ein Notausgang in eines der Garagentore eingebaut. Diese waren zwecks Lärmdämmung mit Matratzen und ähnlichem isoliert worden.

[Keller: Durchgang + Chillout nach Umbau]
Ein Veranstaltungshighlight des zweiten Halbjahres, kurz vor Ende der Friesi-Ära, war die "Queer Karaoke Madness" des Syndikats. Ein bunt gemischter, fröhlicher Haufen verkleidete und/oder schminkte sich auf der durch Vorhänge verdeckten Bühne, die zur Garderobe umfunktioniert wurde und sang Karaoke zu fürchterlich kitschigen, alten Pop-Schnulzen und -Hits. Also ganz so, wie es geplant war. Der Alkoholkonsum stieg ins Unermessliche, zu später Stunde war das Lager bei den meisten Getränken leer (das Friesi verfügt, als eines von wenigen Squats, über einen eigenen Getränkelieferanten zu Gastronomie-Preisen).

Friesi Filmfestival

Dieses fand am 19. Februar 2011 statt, von 20 Uhr bis 4 Uhr früh, gezeigt wurden auf zwei Leinwänden (Keller/Erdgeschoss) etwa 30 bis 40 Kurzfilme sowie (offenbar unzählige, von 100 bis 300 gehen die Angaben) "Ultra-Kurz-Filme". Viele davon wurden von ZHDK-Studierenden (Zürcher Hochschule der Künste) mitgebracht, von denen manche zum Bekanntenkreis einiger BesetzerInnen zählen. Mit zahlreichen Werken vertreten war etwa der ZHDK-Student Diego Hauenstein, dessen teils spielerische, teils experimentelle, teils nach etablierten Regeln hergestelle Kurz- und Ultrakurzfilme ein enorm breites Themen- Genre- und Handlungsspektrum abdecken (z.B. "Die Übergangslösung"). Mehrere Filme wurden sogar (teilweise) im Friesi gedreht. Auch internationale Produktionen waren zu sehen. Zu den Highlights zu zählen ist sicher der absurde Homemade Science-Fiction-Film "Schizoide Satelliten über St. Pauli" ("inspired by S. Kubrick/E.D. Wood Jr./F. Truffaut") von Roman Maeder, Katharina Peerdeman und David Russenberger.

Der Publikumszuspruch war äußerst zufriedenstellend. Beide (aus Holzpaletten) barrikadenartig (und teilweise mit Sofas ausgestatteten) aufgebauten Publikumstribünen dürften je etwa 20 bis 30 ZuseherInnen gefasst haben - und sollen laut Anwesenden die meiste Zeit voll besetzt gewesen sein (bzw. darüber hinaus). Endlich hat Zürich ein alternatives Filmfestival! Auf eine Fortsetzung in den nächsten Squats darf hoffentlich gehofft werden.

Frisiert

Eine weitere Neuerung des zweiten Halbjahres war/ist das Monatsprogrammheft "FRISIERT": reich bebildert und illustriert sowie äußerst informativ. Die erste Ausgabe erschien im November, vor wenigen Tagen erschien die März-Ausgabe, also Nr. 5. Das Cover ist ident mit jenem Plakat, dass auf die Friesi-Abschiedsparty am 4. März hinweist.

Eine Fortsetzung des Heftes auch in der Post-Friesi-Ära scheint wahrscheinlich, da das Heft szeneumfassend ausgelegt und nicht auf die Friesi beschränkt ist. Eine besondere Bedeutung kommt dem in einer Auflage von etwa 100 bis 150 Stück gedruckten Heft auch deswegen zu, da die Zürcher autonome und Squatter-Szene bis zum heutigen Tag extrem internetscheu, also so richtig "old school", ist. Obwohl über 20 Häuser in der Stadt besetzt sind, mehrere davon auch als Kultursquats gelten dürfen, findet sich nur wenig dazu im Internet. Eine bewusste Entscheidung freilich.

Das "FRISIERT" beinhaltet in der Heftmitte eine Monatsübersicht über unregelmäßige Veranstaltungen wie Konzerte, das Friesi Filmfestival, Diskussionsveranstaltungen und -cafés, Filmvorführungen, Soli-Partys und dergleichen aus dem Raum Zürich. Monatlich neu illustriert wird auch jene Doppelseite, die auf regelmäßige/wöchentliche Bars in Zürcher Squats hinweist. In der März-Ausgabe ist für jeden Wochentag eine Bar in einem anderen Haus angekündigt, wobei das Friesi ja im März eigentlich nicht mehr so oft Schauplatz einer Bar sein dürfte ...

Auch für regelmäßige Volxküchen gibt es eine eigene, kreativ gestaltete Doppelseite. Der Rest des Heftes sind sonstige Ankündigungen, Berichte, Satire, Karikaturen und ([nicht immer] politische) Comics. Einzigartig ist aber, dass jede Seite - sofern nicht ein "fremder" Beitrag - jeder Ausgabe komplett neu gestaltet wird. Die (eigenen) Texte werden auf Schreibmaschine getippt und dann auf die fertig illustrierten Seiten hineinkopiert. Sofern sie nicht komplett handgeschrieben sind. Oder so ähnlich. Jedenfalls voll retro und old school - und sehr schön und entsprechend begehrt.

Das Ende



Am 7. März 2011 wird mit den Abrissarbeiten begonnen. Erste Vorarbeiten am Gehsteig und im Garten waren bereits zu verzeichnen. Das Friesi wird durch einen "cocoon" genannten Yuppie-Neubau ersetzt.


Ausblick
Alles wird gut, dank der Friesi-Brut!
Da Hausbesetzer bekanntlich vom Himmel fallen, kann es keinen Ausblick geben. Der liebe Gott hats gegeben, der liebe Gott hats genommen. Oder waren es doch die Immobilienspekulanten und -verwerter?


Zitate

Zum Abschied noch ein paar Zitate - ohne Wertung - zum Friesi:
Wir kriegen ein Ultimatum gestellt und wissen, bis dann und dann müssen wir draussen sein. Im Gegenzug boykottieren wir den Auszug nicht, wie das in den achtziger Jahren der Fall war, wo es zu Zusammenstössen kam.

- Schweizer Volkspartei (SVP): Hausbesetzungen in Zürich Wiedikon
Mit der Hausbesetzerszene schwappt eine Welle linken Chaotentums in den den Kreis 3 über. [...] Mit einer Hausbesetzung einher geht immer auch eine Verslummung des Quartiers.
[...] Weiter kritisierte die SVP die polizeiliche Duldung von illegalen Hausbesetzungen. In solchen Liegenschaften bilde sich «eine gefährliche Brut»; einige der Demonstranten vom Freitag seien direkt aus dem besetzten Haus an der Friesenbergstrasse gekommen. Dem Stadtrat fehle der Wille, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er müsse illegale Demonstrationen im «Keim ersticken» und Teilnehmer sofort verhaften.
Links

Weiterführende Infos und sonstige Links:

- Profil auf radar.squat.net
- "Merkblatt Hausbesetzungen" der Kantonspolizei Zürich
 
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