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Donnerstag, 12. Juli 2012

Pizzeria Anarchia - Hausprojekt in der Leopoldstadt im Clinch mit Immobilienspekulanten

*** Ab 2. August gab es mehrere illegale Räumungsversuche, die jedoch allesamt abgewehrt werden konnten *** was von 2.-8. August geschah (Paul und Paula aus dem Haus geben Auskunft im Radio Stimme auf Radio Orange 94.0) *** stay informed on pizza.noblogs.org#pizzableibt ***

[letztes Update: 8. August 2012]

Bericht von WienTV.org vom 2. August (siehe auch W24-Bericht "Solidarität in der Mühlfeldgasse" vom 12. Juli)
 
 Seit der Räumung des "Epizentrums einer Bewegung" am 8. November 2011 ist es ruhig geworden in Wien - könnte man meinen. Mit einer Dauer von 26 Tagen und insgesamt wohl mehreren Tausend direkt erreichten BesucherInnen war es definitiv die in jeder Hinsicht größte Hausbesetzung in Wien seit der Erkämpfung des EKH ab 1990 als Gipfel des Wiener Ausläufers der 80er-Jahre-Bewegung (GaGa, Aegidigasse/Spalowskygasse, Opernballkrawalle 1988/1989).

Doch was geschah wirklich seit der Räumung des Epizentrums? Haben die AktivistInnen kapituliert, angesichts der Übermacht der Staatsgewalt, die am 8. November mit Räumpanzer und Hubschrauber anrückte und den Siebten Bezirk rund um die Lindengasse über mehrere Straßenblöcke komplett abriegelte und nur noch Kindergartengruppen hineinließ, während JournalistInnen "aus Sicherheitsgründen" 200 Meter Abstand halten mussten? Hat die Verhaftung von drei Amateur-FilmerInnen und -FotografInnen an der Demo am Abend der Epizentrum-Räumung ihr Ziel erreicht und die Menschen im erwünschten Ausmaß eingeschüchtert?

Natürlich nicht.

Rückblick: Wilde 13

Schon drei Tage nach der - sogar für einschlägige Krawallmedien als besonders friedlich empfundenen - Räumung des Epizentrums am 8. November und den anschließenden Demonstrationen gegen Mittag sowie am Abend, wurden nur zwei Parallelstraßen weiter die oberen Stockwerke des weitgehend leerstehenden Häuserensembles Westbahnstraße 13 besetzt. Offenbar hat die Besetzung des "Epizentrums" auch andere motiviert, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Denn ausser der Nähe hatte die Besetzung, die eigentlich eine "stille" Besetzung sein hätte sollen, nicht viel mit dem Epizentrum zu tun. Das Gebäude verfügte über nur wenige und kleine Räume. Doch die Polizei des Bezirks wollte, nach den Erfahrungen mit dem Epizentrum, sofort Präsenz zeigen und Härte demonstrieren und begann bereits gegen 20 Uhr mit einer fast 24-stündigen Belagerung des Hauses, die mit einem illegalen Räumungsversuch (der Hauseigentümer konnte zu diesem frühen Zeitpunkt von der Polizei noch nicht eruiert werden und folglich auch keinen Räumungsauftrag unterschreiben) und einer von Krawallmedien als "Krawallnacht im sonst so friedlichen Öko-Bobo-Bezirk Neubau" titulierten Hausverteidigung gipfelte. Eine andere Krawallzeitung wunderte sich ebenfalls: die Polizei bewache nun das Haus - "Wozu, ist unbekannt."

Als das nach ein paar Tagen bereits aufgegebene Haus - der Galerist, der einige Wochen später das Foxhouse eröffnete (gegen den Abriss des Hauses hat sich nun eine Protestgruppe gebildet!), informierte die Polizei, als die BesetzerInnen sich ihm anvertrauten - von einem Polizeigroßaufgebot geräumt wurde, war keine Spur mehr von den BesetzerInnen. Die Kälte trug ihren Teil dazu bei, dass keine weiteren Besetzungen folgten.

Pizzeria Anarchia - Zwischennutzung mit Ablaufdatum?


Doch dann geschieht etwas völlig unerwartetes: die Pankahyttn (ein von der Stadt Wien als "Sozialprojekt" legalisierter "Squat", der weder mit der Besetzung des "Epizentrums" noch der "Wilden 13" zu tun hat) erhält - nicht zum ersten Mal - Besuch von einem Hauseigentümer. Er bietet den Leuten (die seit der Tolerierung ihres Hauses durch die Stadt eigentlich keine Besetzungen mehr machen) ein nahezu leerstehendes Haus im Zweiten Bezirk zu einer symbolischen Miete zuzüglich Betriebskosten an. Die Leute sind skeptisch, nach einigen Überlegungen entschließt man sich jedoch, das Angebot für beheizbare Räumlichkeiten im Winter doch anzunehmen - zu groß war die Wohnungsnot kurz vor Wintereinbruch unter den Jugendlichen.

Man entschließt sich, die Sache ruhig anzugehen. Keine große Ankündigung einer Raumeröffnung, keine Einweihungspartys - zumindest keine offiziellen. Im Haus leben noch drei Mietparteien mit unbefristeten Mietverträgen - von Anfang an war die an sich selbst gestellte Bedingung, in gutem Einvernehmen mit den MieterInnen im Haus auszukommen. Die ersten Tage und Wochen sind freilich trotzdem etwas chaotisch, es gibt wie immer viel zu wenig Räume um alle Leute unterzubringen, man kennt einander teilweise noch kaum, eine bunte Mischung junger Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen - es dauert ein paar Tage, bis ein Verein (Name der Redaktion bekannt) gegründet und im Vereinsregister eingetragen werden kann, um einen Nutzungsvertrag zu unterzeichnen.

Nach ein paar Wochen Aufbau-, Orientierungs- und Kennenlernphase finden sich Personen zusammen, die das leerstehende (und ebenfalls angemietete) Pizza-Lokal im Erdgeschoß für Außenstehende zugänglich machen wollen. Es dauert noch bis Februar 2012, als sich der Sonntag als wöchentlicher Volxküche-Tag etabliert. Zunächst sind es noch 20, 30 Leute, die Sonntagabend zum gemeinschaftlichen Pizza backen und essen vorbeikommen, doch schon nach 2, 3 Wochen platzt das Lokal aus allen Nähten: 50 Leute, 70 Leute - die Nebenräume der ehemaligen Gaststätte werden nun ebenfalls eingerichtet. Im hintersten Raum entsteht ein Kostnixladen mit Kleidung und anderen Second Hand-Gegenständen, im mittleren Raum wird ein Infoladen samt Leinwand und Sitzgelegenheiten für das Kostnixkino, das bald darauf als Dienstags-Fixpunkt etabliert wird, eingerichtet. Ein weiterer Raum dient als erweiterter "Speisesaal" - das Platzproblem kann damit nachhaltig entschärft werden.

Woche für Woche für geht, immer mehr Menschen kommen, jede Woche viele neue Gesichter: SchülerInnen, StudentInnen, Lehrlinge, (junge) ArbeiterInnen, Arbeitslose, aber auch NachbarInnen und PassantInnen interessieren sich für das gemeinsame Pizza backen und was dahinter steckt. Manche kennen einander schon aus dem Epizentrum - jetzt hat man endlich Zeit und Ruhe, sich besser kennen zu lernen. Bisheriger Höhepunkt war wohl das DIY Straßenfest mit DJs, Konzerten, Volxküche uvm. in den Straßen um die PizzAria, zu dem die MayDay-Parade der Prekären am 1. Mai mitsamt rund 500 TeilnehmerInnen hinzog. 


Was steckt dahinter?

Aber was steckt nun wirklich hinter dem ganzen Ding? Welcher Hauseigentümer vermietet sein Haus zum Spottpreis an alternative Jugendliche? Warum sind nur noch drei Mietparteien im Haus?

Die Antwort führt uns direkt ins Herz der Bestie Immobilienspekulation (es gilt die Unmutsverschuldung), die es laut offiziellen Stellen der Stadt, insbesondere laut Propagandaminister von Steuerzahlers Gnaden, Inseratenkaiser und Faymann-Nachfolger in dieser Aufgabe, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, überhaupt nicht gibt. Dass die Stadt Wien in Wahrheit selbst tief im Geschäft mit der "Aufwertung" alten, günstigen Wohnraums drin steckt (mutwillige Zerstörung des Lobmeyr-Hofs in Ottakring im Auftrag der Stadt um Aufwertungspläne, die in etwa eine Verdoppelung der Miete zur Folge haben, schneller durchziehen zu können), ist ein offenes Geheimnis, das durch großzügiges Verteilen von Steuergeldern an praktisch alle reichweitenstarken Wiener Zeitungen, die ohnehin nur aufs Geschäft und nicht auf journalistische Sorgfalt achten, offenbar ganz gut unter der Decke gehalten werden kann. Gelegentliche Reportagen der Stadtzeitung Falter oder - noch mehr - in der Straßenzeitung Augustin sind die Ausnahme - und stoßen auf nur wenig Resonanz in der Öffentlichkeit.
Die Jugendlichen selbst machten sich ebenfalls keine Illusionen über die Motivation ihrer Einquartierung: "die vorgeblich wohltätige Motivation wurde von Beginn an angezweifelt. Als klar war, dass es in dem Haus noch verbleibende reguläre Mietparteien gab, war der eigentliche Hintergedanke nicht mehr schwer zu erraten: Menschen, denen nachgesagt wird, sie wären per se laut und würden viel Dreck machen, sollten das Leben für die anderen Bewohner_innen unerträglich machen, so dass diese “freiwillig” gehen oder sich mit einer geringen Abfindung zufrieden geben. Dieses Spiel wollte natürlich keine_r mitspielen."

Der Fall Mühlfeldgasse 12

Am 17. November 2011 erscheint in der Straßenzeitung Augustin der Artikel "Bestandsfreimachung - ein Unwort". Er beschäftigt sich mit dem Haus Mühlfeldgasse 12 in der Leopoldstadt - also vor dem Beginn der Zwischennutzung als "PizzAria". Ein Mieter erzählt darin davon, wie der Hauseigentümer, der das Haus vor drei Jahren geerbt habe, alle MieterInnen des Hauses "hinausgeekelt" habe. Durch das Dach regnete es plötzlich herein, es entstand Wasserschaden und Schimmel, doch der Eigentümer weigert sich, die nötigen Reparaturen durchzuführen. Doch drei Mietparteien mit unbefristeten Mietverträgen ließen sich nicht einschüchtern. Der Eigentümer verkaufte das Haus an die Castella GmbH - und seither häufen sich merkwürdige Vorfälle im Haus, auch gibt es regelmäßig Besuch durch "Detektivkanzleien", die mitunter spätnachts heftig an den Türen klopfen um die Leute danach zum Auszug zu überreden, vor einem "kalten Winter" zu "warnen" und ähnliches. Die Castella GmbH besitzt auch mehrere weitere Häuser, u.a. im Zweiten Bezirk, aus denen MieterInnen ähnliches berichten.

Es ist also naheliegend, anzunehmen, dass die fast kostenlose Zwischennutzung des Hauses durch alternative Jugendliche weniger eine Gutherzenstat denn ein weiteres Manöver zur "Bestandsfreimachung" des Hauses ist. Umso mehr sind die neuen, jungen BewohnerInnen darauf bedacht, ein gutes Verhältnis zu den noch im Haus befindlichen Mietparteien aufrecht zu erhalten, was im großen und ganzen auch ganz gut funktionieren soll. Unlängst beschwerte sich ein/e Mieter/in im Haus sogar darüber, dass die Jugendlichen jede Woche das Treppenhaus putzen - dies sei schließlich Aufgabe der (total untätigen) Hausverwaltung und im Mietvertrag werde schließlich dafür bezahlt.

... Medienaufmerksamkeit?

Umso bedauernswerter - und leider bezeichnend für das unterirdische Niveau Wiener Massenblätter - ist daher, dass Zdenko P. in einem gegen das alternative Zwischennutzungsprojekt gerichteten Artikel der Wiener Bezirkszeitung als Opfer bzw. Gegner der Jugendlichen dargestellt wird, obwohl er sich in Wahrheit nur über den Hauseigentümer aufregt. Die Bezirkszeitung zitiert - zufälligerweise? - dann auch noch den SPÖ-Bezirksvorsteher, der sich allen ernstes darüber beschwert, dass die "Hausbesetzer" [sic!] in der Sonne (!) am Gehsteig sitzen (!) - was die Nachbarn fürchterlich stören würde. Über die ans kriminelle grenzenden Praktiken der "Bestandsfreimachung" durch eine darauf spezialisierte Firma mitten in "seinem" Bezirk sagt er nichts - oder die Bezirkszeitung lässt diesen Teil bewusst aus. So oder so alles andere als ein unabhängiger Bericht, hinter dem entweder eine massive Vernachlässigung journalistischer Sorgfaltspflichten (dazu gehören etwa Recherche, z.B. dass es keine Hausbesetzung sondern eine Zwischennutzung auf Vertragsbasis ist) steckt. Von böser Absicht wollen wir natürlich nicht ausgehen. Es gilt die Unmutsverschuldung.

--> ein laufend aktualisierter Pressespiegel findet sich auf pizza.noblogs.org/pressespiegel

Mittwoch, 8. Februar 2012

Zürcher Polizei bricht Häuserfrieden - Uwaga am 8. Februar 2012 geräumt

letztes Update: 21.2.2012
Zürich, 8. Februar 2012. Das "Uwaga", ein seit 19. Oktober 2011 besetztes Gewerbeareal in der Brandschenkestraße 60-64, zwischen Bahnhof Enge und Bahnhof Sellnau, wird geräumt. Laut AktivistInnen soll dies ein klarer Fall einer "Räumung auf Vorrat" sein - was aufgrund der anhaltenden großen Wohnungsnot und einem eskalierten Häuserkämpf seit 1989 gemäß Verordnung des Stadtrates nicht mehr passieren sollte.

Die Eigentümerin des leerstehenden Gebäudes, die Agruna AG, argumentiert die Notwendigkeit der Räumung mit "Probebohrungen". Andererseits hat das Unternehmen bereits von Anfang an versucht, den BesetzerInnen das Leben im Haus schwer zu machen und das Beispiel der seit Jahren besetzten "Binz" zeigt, dass es für Probebohrungen keines Abrisses Bedarf - zumal der angedachte, noch nicht umsetzungsreife Neubau-Projekt-Plan frühstens in zwei Jahren begonnen werden kann. Ein Räumungsbescheid wird am 23. Januar vom Grünen Polizei-Stadtrat Daniel Leupi unterschrieben, der Räumungstermin für den 8. Februar um 8 Uhr morgens festgelegt.

Für viele BesetzerInnen und AktivistInnen in Zürich ist das ein klarer Bruch der 1989 ausgerufenen Befriedung des Häuserkämpfes. Mit Ausnahme der "Wohlgroth"-Räumung 1993 gab es seither keine größeren Zwischenfälle bei Räumungsaktionen - meist sind die Häuser bereits verlassen, wenn der - in der Regel großzügig zuvor angekündigte - Räumungstermin erreicht wird, da der Eigentümer nur eine Abriss-Genehmigung erhält, wenn ein projektierter Neubau bewilligt ist und Bauarbeiten unmittelbar bevorstehen. Dieses Mal wurde nach Meinung vieler AktivistInnen klar gegen diese seit 23 Jahren bewährte Praxis verstoßen.

"Aus diesem Grund ist es notwendig endlich wieder einmal ein besetztes Haus zu verteidigen, von drinnen und draussen, was leider in Zureich etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint…" heißt es in einem Aufruf zur Verteidigung des Hauses, der am 6. Februar auf Indymedia.ch veröffentlicht wurde. Der Aufruf fand jedoch nur wenig Gehör, was zum einen an den tiefwinterlichen Temperaturen, zum anderen auf mangelnde Kommunikations- und Vernetzungsarbeit in der Anfangsphase der Besetzung zurückzuführen sein dürfte.

Räumung

Wie angekündigt rückte die Polizei gegen 8 Uhr morgens zur Räumung aus. Ein Augenzeuge schildert das, was nun passiert, detailliert auf Indymedia: Rund 30 Personen hatten sich aus Solidarität vor dem Gebäude versammelt und errichteten notdürftig Barrikaden, als 25 PolizistInnen in voller Kampfmontur die Brandschenkestrasse heraufzogen. Diese beginnen umgehend auf Distanz eine Salve Gummischrot auf die Leute abzufeuern. Die Ansammlung zerstreut sich. Mehrere Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch am Dach - auch sie verlassen das Gebäude jedoch unerkannt noch vor dem Eindringen der Polizei. Der Gummischrot-Einsatz wird zunächst mit den "Steineschmeißern vom Dach", auf die ausschließlich gezielt sein worden soll, erklärt. In einer anderen Mitteilung an die Presse werden die Barrikaden als Ursache und Ziel genannt. Widersprüchlichkeiten in der Kommunikation der Polizei mit der "Außenwelt", die sich wie ein roter Faden wohl nicht nur durch diesen Polizeieinsatz ziehen - vgl. auch "Erklärungen", warum der Abriss nicht mit den Richtlinien der Polizei für Räumungen in Konflikt stehen soll im Abschnitt "... polizeiliche Desinformation".

Gummischrot säen ...

Mit nur 30 bis 50 PolizistInnen wurde das Uwaga in zwei Stunden geräumt - während Räumungen vergleichbar großer Besetzungen in Wien etwa 100 bis 250 BeamtInnen eingesetzt werden. Der (scheinbare) Vorteil dieses Vorgehens für die Polizei liegt also auf der Hand. Dass die Reaktionen auf Gummischrot anders ausfallen als auf "sanftes Abdrängen" - man denke nur an den vergangenen September mit vier Krawallen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden wegen ein paar aufgelöster „illegaler“ Partys am Stadtrand - wird ignoriert, geleugnet oder als „zusammenhangslos“ abgestempelt.

Medien und Bevölkerung Zürichs halten Gummischrotgewehre - die der Polizei in den meisten „westlichen Demokratien“, inklusive Deutschland und Österreich, verboten sind - offenbar widerspruchslos für ein angemessenes Kommunikationsmittel im Umgang mit Leuten, die leerstehende Flächen und Gebäude bewohnen und mit öffentlichen Werkstätten, Küchen und Veranstaltungen beleben.

Merkwürdig ist in diesem Fall jedoch, dass das "Erstaunen" jedes Mal groß ist, wenn in Zürich Krawalle ausbrechen. „Woher kommt bloß diese Gewaltbereitschaft bei der Jugend?“ lautet dann jedes Mal die offenbar auch noch ernst gemeinte Frage der JournalistInnen und der Bevölkerung.

Keine Versammlungsfreiheit für GesellschaftskritikerInnen

Versammlungsfreiheit gibt es in Zürich de facto nicht. Jedenfalls nicht für Menschen, die nach Freiräumen verlangen, Abschiebungen (Ausschaffungen) ablehnen oder sonst irgendwie ihre Unzufriedenheit mit den herrschenden Zuständen in Stadt, Kanton und Land äußern wollen. Wird eine Demo spontan, ohne Anmeldung bei (und Genehmigung durch) die Polizei abgehalten, muss man auf eine diskussionslose, gewaltvolle Beseitigung aus dem Stadtbild vorbereitet sein. Das Ergebnis: friedliebende Menschen bleiben lieber zu Hause - zur Demonstration kommt oft nur, wer für „Krieg“ mit der Polizei gerüstet ist oder diesen zumindest in kauf nimmt, was der Polizei im Nachhinein natürlich die Rechtfertigung ihrer Gewaltanwendung erleichtert.

Da sich diese Strategie der Zürcher Polizei selbst erfüllt - je mehr Gewalt, desto mehr Gewalt - wird sie auch nach über 40 Jahren nicht infrage gestellt. Die krawall-lüsternen Medien betonen meist die Gewaltbereitschaft der Jugend und zitieren bereitwillig die berechenbaren Kommentare konservativer und rechter PolitikerInnen, die jede Gelegenheit nutzen, nach mehr PolizistInnen und mehr Befugnissen für die Polizei zu rufen. Schon nach dem zweiten Krawall im September 2011 forderte man von seiten der SVP FDP gar die Besetzung Zürichs durch die Armee, das u.a. dem Gratisblatt „Blick am Abend“ eine große Schlagzeile wert war. Die Frage, wessen Kinder sich aus welchen Gründen in Zürichs Innenstadt der Polizei in die Schusslinie stellen, wird selten gestellt und nie beantwortet. Das Gerücht, dass jugendliche „Chaoten“ und „Randalierer“ von einem anderen Planeten (wenn nicht gar aus Deutschland!) kommen, hält sich jedenfalls hartnäckig.

Räumung nach zwei Stunden beendet

Die Räumung des Uwaga geht indessen zügig voran. Auf dem vereisten Vorplatz des Haupteinganges nehmen PolizistInnen mit Vorschlaghammer Anlauf auf die Türe - und rutschen auf der Eisfläche aus. Sie brechen schließlich die Türe auf und lösen die Alarmanlage des Gebäudes aus - die erst nach etwa eineinhalb Stunden abgeschaltet werden kann. Die vielen Barrikaden an allen Seiten des Gebäudes verlieren angesichts des Eindringens durch den Haupteingang jede Bedeutung. Nur das Vordringen in die obersten Stockwerke verzögert sich dem Anschein nach. Lautes rumpeln und das Donnern des Vorschlaghammers sind noch bis Mittag zu hören.

Nach knapp zwei Stunden „erobert“ die Polizei das Dach. Kurz darauf wird die Räumung für abgeschlossen erklärt. FotografInnen und Kameraleute, die zuvor mit Verweis auf „Steine vom Dach schmeißende“ BesetzerInnen etwas abgedrängt wurden, wurden nun von Pressesprecher der Polizei, Mario Cortesi herbeigerufen, um an einer Besichtigung des Inneren des Gebäudes teilzunehmen - „auf eigene Gefahr“, wie es nun heißt. Man betritt das mit Scherben bedeckte Foyer des Gebäudes, von der steinernen Treppe sind fast nur noch die mit Steinplatten-Resten und Glasscherben bedeckten Betonträger übrig - über diese geht es in die oberen Stockwerke - nicht alle MedienvertreterInnen trauen sich. Beim Anblick der Barrikaden, herumliegender Möbel, Gerümpel und Kleidung, bemalter und bekritzelter Wände, wird über das „Schöner Wohnen“-Verständnis der BesetzerInnen gescherzt. Der Tages-Anzeiger veröffentlicht eine Reihe von Fotos aus dem Inneren des Gebäudes - unter anderem hat jemand einige Setzlinge im Haus zurückgelassen ...

Medien vs. polizeiliche Desinformation

Eine Fernsehjournalistin schüttet Cortesi ihr Herz aus: die HausbesetzerInnen seien unfreundlich und arrogant gewesen, als sie das Haus erreichte und die große Kamera auspackte. „Man kooperiere nicht mit Journalisten“, hat man ihr angeblich gesagt - und ihre Dreharbeiten behindert. Cortesi lächelt ihr zustimmend zu und erklärt schließlich die Polizei-Version der Dinge: Das Haus würde nun „unbewohnbar gemacht“, ein Sicherheitsdienst werde das Haus für „2, 3 Tage“ bewachen und anschließend würden die Abbrucharbeiten beginnen. Ob das Haus denn nun weiterhin leer stehe? „Nein, nein“, antwortet der Sprecher mit Verweis auf das „Merkblatt für Hausbesitzer“ - das wäre ja gar nicht erlaubt - es müsse einer der drei auf dem Merkblatt genannten Punkte vorliegen, damit geräumt werden dürfe. Es würde bald mit dem Bau eines „neuen Projektes“ begonnen werden - welches, wusste er jedoch nicht. Die anwesenden drei, vier JournalistInnen nicken verständnisvoll. Auf meinen Einwand hin, dass das Haus „angeblich“ noch zwei Jahre leer stehen würde, reagiert der Sprecher verneinend: das seien nur Gerüchte, die ich offenbar den HausbesetzerInnen entnommen hätte.

Als danach noch zwei, drei JournalistInnen den Polizisten in Rüstung und mit dem roten Megafon befragen, erzählt dieser voll überzeugter Gewissheit, dass das Haus „noch heute“ abgerissen würde und es für den Abbruch „keine Genehmigung brauche“ - während der Pressesprecher zehn Minuten zuvor noch erklärte, dass gemäß den „drei Punkten“ auf seinem Merkblatt Genehmigungen vorliegen müssten. Totale Verwirrung also, zumal auf Aspekte wie die Probebohrung, die vor einem Neubau wegen des unter dem Gebäude liegenden Bahntunnels durchgeführt werden müssen und das Gebäude voraussichtlich weitere zwei Jahre leer stehen wird bzw. das Grundstück im Falle eines Abrisses noch längere Zeit brach liegen würde, gar nicht erst eingegangen wurde. "Wir führen nur Befehle aus".

Uwaga geht - die Leute bleiben

Rund 30 Personen lebten nach Eigenangaben zuletzt im mehrere tausend Quadratmeter großen Gebäude. Dutzende Matratzen in bewohnt (und überstürzt verlassen wirkenden) Zimmern des weitläufigen Gebäudes bezeugen dies. In der großen Volxküche stehen noch Lebensmittel herum, überall liegt Kleidung, Handy-Ladegeräte und anderer Hausrat. Wer die Leute sind, die in dem Haus seit 19. Oktober gewohnt hatten, wollen sie nicht verraten. Lediglich von einem Occupy-Aktivisten ist zu erfahren, dass auch von ihnen „ein paar“ Leute im Haus gelebt haben - und sie sich diese Delogierung mitten im Winter keinesfalls gefallen lassen möchten.

die VoKü nach der Räumung ...
Insgesamt war es eine bunte Mischung aus Menschen, die in dem Haus lebten, was auch zu diversen Kommunikations- und Organisationsproblemen führte, die in den letzten Monaten manchmal kritisiert wurden. Doch man habe aus diesen Erfahrungen viel gelernt und für 2012 hatte man sich bereits viel vorgenommen, was die vielfältige Nutzung und Bespielung des Hauses betrifft - der nahezu unbegrenzt scheinende Raum wurde bereits von vielen für Werkstätten und Ateliers benutzt (vgl. auch Mediencommuniqué vom 25. Januar), weitere Einrichtungen waren geplant. Wie es nun weitergehen soll ist nicht klar - nur, dass es weitergehend wird.

Anmerkung: ein bis zwei Videos der Räumung sollen demnächst folgen und werden hier ehestmöglich verlinkt

Nachtrag 9.2.
- die Gratiszeitung "Blick am Abend" berichtet am 8.2. (S. 10) auch von folgendem, an keiner anderen Stelle erwähnten, Vorfall: "Nach der Räumung flüchteten die Besetzer laut einem Leserreporter über die Geleise der Sihltalbahn, kamen zurück und demolierten auf dem Hürlimann-Areal einen abgestellten Streifenwagen."
- "Freunde des Uwaga-Kollektivs" fordern "
Solidarität für das Uwaga-Kollektiv" (Indymedia Schweiz)

Nachtrag 10.2.
- In der Nacht auf 9.2. wurde in "Solidarität mit dem Uwaga Kollektiv und allen BesetzerInnen" das Haus von Stadtrat und Polizeidepartement-Vorsteher Daniel Leupi "besucht", es seien "Sprays und brennende Container" hinterlassen worden, denn "ihr Häuserkampf ist Teil von unserem Klassenkampf!", wie es im (angeblichen) Bekenner-Posting auf Indymedia heißt

Mittwoch, 16. November 2011

Herbst, Nebel, Squatting Action

Bevor sich hier gar niemand mehr auskennt - verloren zwischen Übertreibungen, Untertreibungen, Polizei-Aussendungen, Boulevard-Medien-Gewäsch und Szene-Klatsch - ein möglichst knapp gehaltener Rückblick über die unangekündigte Herbst-"Squatting Action", die als Begleiterscheinung der "Occupy"-Bewegung - ohne aber mit dieser in direktem Zusammenhang zu stehen - Mitte Oktober über Wien hereinbrach.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit! Was die Einrichtungen im Haus betrifft (Frauenraum, Medienraum, Kunsträume, Freie Universität, Plenarsaal etc.) und was die Reaktionen der Medien betrifft (insbesondere "Heute" betrieb mit untergriffigen Anschuldigungen eine Kampagne gegen die HausbesetzerInnen, während sich der "große Bruder" Kronen Zeitung eher zurückhielt und "nur" Polizei- und BUWOG-Mitteilungen zitierte) sei auf den Blog (epizentrum.noblogs.org) bzw. den dortigen umfangreichen und gut sortierten Pressespiegel verwiesen.

Ein turbulentes Monat liegt hinter Neubau:
- 2 Hausbesetzungen (27 und 5 Tage) im Siebten Bezirk (Neubau)
- 1 spontane Kleindemo unmittelbar nach der Epizentrum Räumung im Siebten.
- 1 "Groß"-Demo mit 150 bis 200 TeilnehmerInnen nach der Epizentrum-Räumung im Siebten.
- 3 Reclaim the Streets / spontane Klein-Demos durch den Siebten (14.10., 12.11., 15.11.) mit je 40 bis 80 TeilnehmerInnen
- Kurzzeit-Besetzung des Audimax und des C1 am Campus am 15.11.

epizentrum - Lindengasse 60-62 - 13. Oktober bis 8. November (27 Tage)
- 13. Oktober 2011:
am Abend wird das Areal Lindengasse 60-62 still besetzt.

- 14. Oktober:
am Vorabend der lang angekündigten "Occupy Austria"-Proteste wird die Besetzung veröffentlicht, zunächst gegen 17 Uhr auf Indymedia. Nach und nach kommen nun Leute ins Haus, gegen 22:30 Uhr treffen etwa 35 Leute von einem kleinen Reclaim the Streets-Umzug mit mobilem Soundsystem im Haus ein. Das Areal füllt sich mit Leuten, deren Zahl kann nur grob geschätzt werden: bis zu 400 Leute dürften zum Höhepunkt gleichzeitig im Haus gewesen sein, in jedem Stockwerk in jedem Raum waren Leute versammelt, chillten, diskutierten, musizierten. Auch am Dach, im 62er-Haus und im Hof befanden sich viele Menschen. Berücksichtigt man das ständige kommen und gehen dürften wohl 700 bis 800 Leute, vielleicht sogar mehr, zumindest für eine Weile im Areal gewesen sein. Bier wird palettenweise angeliefert, ein fliegender Bier-Verkäufer überbrückt Engpässe. Klar, die Bier trinkenden Linken, werden sich nun manche reflexartig denken (oh, wie schlimm!). Aber was passiert eigentlich genau an JVP-Festen, bei Heimfesten in Bastionen der "Aktionsgemeinschaft" wie dem Pfeilheim ("Dein Weg zum Gipfel und zum Titel führt über 11 Stockwerke und jeder Menge Alkohol"), an den WU-Cocktail-Partys und bei Burschenschafter-Treffen? Na eben! Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen - oder anders gesagt: Belügt euch nicht selbst ;)

- 15. Oktober:
Der Tag beginnt mit dem großen Aufräumen. Ja, richtig, "Chaoten" räumen auch auf. Das steht zwar nicht in "Heute", "Krone" und "Österreich" - dafür stehts hier. Ist offenbar ein Aspekt, der viel zu wenig beachtet wird (sonst würde nicht ständig von "Chaoten" geschrieben werden). An der Occupy-Demonstration am Abend über die Mariahilfer Straße werden Flyer verteilt, die zum Besuch des neuen Freiraums "epizentrum" einladen. Bis zu 200 Leute halten sich gleichzeitig im Haus auf, einige hundert mehr dürften insgesamt an diesem Tag vorbeigeschaut haben.

- 16. Oktober:
Es ist Sonntag. Üblicherweise wird Montags geräumt. Es werden Barrikaden (weiter) gebaut, etwa 100 Leute versammeln sich am Abend, viele übernachten.

- 17. Oktober:
Graffiti im Hof
Montag. Keine Räumung. Nun werden Pläne für die kommende Woche geschmiedet. Erstmals in einem besetzten Haus in Wien seit vielen vielen Jahren soll ein eigenes Beisl für Veranstaltungen und um Spenden hereinzubringen errichtet werden - und natürlich, weils Spaß macht :) Viele nutzten den Tag aber um einmal zu entspannen, mit "nur" 50 Leuten am Abend war dies der bisher ruhigste Tag.

- 18. Oktober:
Sprayer (leider kaum Sprayerinnen) übernehmen allmählich das Areal: An immer mehr Orten arbeiten - großteils - Künstler an kleinen und großen Werken, übermalen hässliche (und ja, meinetwegen auch schöne) Tags. Am Abend wieder mehr los im Haus, es herrscht Aufbruchstimmung.

- 19. Oktober:
Barbetrieb ab 20. Oktober - keine Preise - freie Spende!
die erste Getränke-Lieferung erreicht das Haus: 11 Kisten Kozel Bier, 11 Kisten Club Mate. Die Getränke werden nicht verkauft sondern gegen freie Spenden hergegeben. Das Prinzip funktioniert - trotz großer Skepsis bei vielen. Da die Getränke in Flaschen geliefert werden wird eine Menge Dosen-Müll eingespart, das Leergut wird vom Lieferanten wieder abgeholt.

- 20. Oktober:
die Bar ist fertig und wird feierlich eingeweiht! Musik kommt aus dem CD-Player, Boxen werden angeschlossen. Viele Leute besuchen das neue Beisl, auch Nachbarn aus dem Bezirk. Alle (ja, wirklich alle!) sind begeistert, was sich auch in großer Spendenbereitschaft ausdrückt.

- 21. Oktober:
Critical Mass zieht ins Epizentrum
Das Highlight, wenn man so will, der epizentrum-Besetzung. Weit über 1.000 (!) Leute - genaueres lässt sich nicht sagen, vielleicht warens auch 2.000? - kamen an diesem Abend, in dieser Nacht, für kurz oder lang zum Haus. Gleichzeitig waren sicherlich über 500, 600 Leute im Areal, am Tor herrscht reger Ein- und Ausgangsbetrieb. Der Grund: Um 19:30 traf die Oktober-CriticalMass-Fahrrad-Demo mit dem Epizentrum als Zielpunkt ein. Ab 20 Uhr begann das Lastenrad-Kollektiv mit seiner Soli-Party, die eigens vom Tüwi hierher verlegt wurde. Es gab Soli-Cocktails, Glühmost, Volxküche und Bar-Betrieb.

Critical Mass zieht in den - um 20 Uhr noch relativ "leeren" Hof ein
Zwei Konzerte fanden statt (die ersten im Haus). Ein oder zwei Stunden nach Mitternacht begann ein Tekno-Soundsystem, vermutlich Fazit:0, im Beisl aufzulegen. Die Stimmung war einzigartig und euphorisch. So weit die "Sonnenseite". Da es noch keine strikte Raum-Aufteilung (öffentlich/privat) im Haus gab, litten jedoch einige HausbewohnerInnen auch unter diesem Auflauf. Es kam auch mehrere Zwischenfälle mit alkoholisierten Personen bzw. Personen, die übergriffig wurden und rausgeschmissen werden mussten. Das ist die Schattenseite, die solche Veranstaltungen leider zwangsläufig (?) mit sich bringen. Um 5:30 wurde aus genannten Gründen - nach mehreren Ankündigungen/Bitten, die Party ausklingen zu lassen - das Soundsystem abgestellt, Teile der etwa 100 tanzenden Gäste sowie die DJs [das Soundsystem legt Wert auf die Feststellung, das man sich nicht über das Ende der Party empört hat sondern nur am WIE - hineingreifen ins Mischpult - etwas auszusetzen hatte; Anm. v. 20.11.] konnten diesen Schritt nicht nachvollziehen und empörten sich, es gab Buh- und "Widerstand"-Rufe. Es gelang ohnehin nicht, die große Zahl Menschen aus dem Areal zu befördern - niemand sah sich dazu imstande oder war willens. So dauerte es bis etwa 8 Uhr früh, bis nahezu alle Gäste das Areal verließen.

An diesem Freitag zeigte sich am besten der Widerspruch, der zwischen den verschiedenen Interessen und Zielen von Hausbesetzungen besteht: einerseits möchte man einen Freiraum für möglichst viele Menschen schaffen und das beste Rezept gegen eine polizeiliche Räumung ist ein volles Haus - andererseits ist es energieraubend für jene, die auch im Haus wohnen und sich verantwortlich fühlen, sich ständig darum kümmern zu müssen, dass das Tor durchgehend kontrolliert wird, das Menschen, die ihre eigenen Grenzen nicht kennen und/oder ignorieren und dabei viele andere Menschen belästigen, verbal oder physisch attackieren, hinauszuschmeißen. Freiraum kann nicht bedeuten, dass jedes Verhalten geduldet wird. Ein Freiraum setzt von seinen Nutzer/innen ein großes Maß an Eigenverantwortung voraus. Dies muss deutlicher kommuniziert werden, Gäste müssen aus ihrem "KonsumentInnen"-Schema ausbrechen und ebenfalls Verantwortungsgefühl für den Ort, den Freiraum und das Zusammenleben entwickeln. Insbesondere sexistische Verhaltensweisen wurden vielfach kritisiert und wurden vielfach den BesetzerInnen angelastet, dass diese sie "dulden" oder ignorieren würden.

22. Oktober:
Samstag. Katerstimmung. Aufräumen. Es wird ein Ruhetag ausgerufen, das Tor bleibt am Abend meist geschlossen. Der Wohnbereich wird mit einer versperrbaren Gittertür vom "öffentlichen" Bereich abgetrennt. Das System ist jedoch nicht weit genug durchdacht, da sich unter anderem Versammlungsräume im "privaten" Teil befinden, ebenso die Volxküche, über die viele Leute weiterhin in eigentlich "abgetrennte" Bereiche eindringen.

23. Oktober:
Versöhnlicher Sonntag: Ab Mittag betreibt "Tanz durch den Tag" Kunst & Auflegerei im Haus. Im Hof wurde ein Glühwein- und Bier-Stand aufgebaut, auch Kürbiscremesuppe wird ausgeteilt - auch hier: freie Spende! Man hat aus den Erfahrungen vom Freitag gelernt und von Anfang wurde vereinbart und auch an die Gäste kommuniziert, dass um 22 Uhr Schluss ist. Das Publikum - gegen Schluss hin um die 300 Leute - reagierte auf das Ende der 8-stündigen-Tagesparty mit Applaus und Jubel statt mit Enttäuschung und Frust. Es dürfte sich hierbei um die erste und einzige "Tanz durch den Tag"-Party gehandelt haben die - ohne Polizei-Einwirken - tatsächlich um 22 Uhr beendet wurde :)

24. Oktober:
Großes Haus-Plenum (nicht das erste, aber diesen Montag prägend: Gespräche, Reflexion, Diskussion)

26. Oktober:
Das Epizentrum begeht den Anti-Nationalfeiertag. Es gibt "Punk-Beisl" mit entsprechender Musik und Bier.

28. Oktober:
Auch diesen Freitag blieb es nicht ruhig im Haus. Es sollte früher geschlossen werden als sonst, tatsächlich wird aber erneut bis nach 5 Uhr Bier zusamen gesessen, geredet, gechillt, gefeiert. Nähere Aufzeichnungen liegen nicht vor ^^

29. Oktober:
Samstag. Schon wieder ein Grund zu feiern. Dieses Mal wird jedoch gegen Mitternacht das Tor geschlossen, die Nacht bleibt ruhig.

30. Oktober:
Sonntag: Ruhetag. Mehr oder weniger.

31. Oktober:
Bis zuletzt war nicht ganz klar ob ja oder nein: Letztlich begann aber doch um 23 Uhr das Psychedelic-Rock von "Half Baked Cheese" - etwa 70 Leute befanden sich deshalb im Beisl und lauschten wie gebannt der Musik. Nach einem zweistündigen Tekno-Intermezzo ging es gegen 2 Uhr nochmals mit einer Jam-Session weiter. Leider war das auch schon das letzte Konzert im Haus.

1. November:
Die Räumungsdiskussion gewinnt allmählich wieder Oberhand. Die BUWOG hatte die Verhandlungen für beendet erklärt und stellte (erneut) ein (letztes) Ultimatum zum Verlassen des Hauses bis Mittwoch, 18 Uhr.

2. November:
Als um 18 Uhr das BUWOG-Ultimatum endet befinden sich etwa 200 Personen im Areal. Darunter dutzende Vermummte, die bereit scheinen, das Haus zu verteidigen. Logischerweise kommt deshalb keine Polizei. Uniformierte, die das Haus beobachten, werden bald durch zivile Beamte und den Verfassungsschutz ersetzt. Dieser fotografiert aus dem Treppenhaus des gegenüberliegenden Gemeindebaus das Areal und auch das Dach, wo herumliegende Steine offenbar als Bedrohung wahrgenommen wurden.

3. bis 7. November:
Die Diskussionen um "Freiraum vs. Schutzraum" beanspruchen fast alle Energie. Zudem stellte die BUWOG den Strom ab, es gibt nur noch teilweise Strom, der mit Benzingenerator erzeugt wird. Es gibt nur noch wenig Programm im Haus, von Außen kommt viel Kritik und wenig Beteiligung.

8. November:
Der zweite Tag der neuen Woche, mit neuer Energie nach Tagen der Reflexion sollen neue Projekte vorangetrieben werden, etwa ein Proberaum für MusikerInnen, ein fixer Bar-Tag inklusive Ruhetagen, alternative Stromversorgung, Beheizungsmöglichkeiten über den Winter bzw. Isolierung von Fenstern und Dach uvm. - doch dazu kommt es nicht mehr. Ab 11 Uhr rücken rund 200 PolizistInnen zur Räumung an: Aufgrund der Steine am Dach des 62er-Hauses wird sogar ein Hubschrauber eingesetzt, dieses Haus wurde auch als erstes gestürmt um das Dach zu besetzen. Wegen dem massiven Stahltor und befürchteter schwerer Barrikaden wird erstmals seit Jahren auch der Räumungs-Panzer beigezogen - dient aber letztlich nur als Befestigung für das Absperrband mit der bezeichnenden Beschriftung "STOPP POLIZEI".

Die Räumung verläuft friedlich, das Polizeiaufgebot wirkt absurd. NachbarInnen vermuten einen Banküberfall, andere fühlen sich wie in einem Polizeistaat (vgl. Zeitungsberichte und Video-Beiträge im Pressespiegel).

Es kommt zu einer Spontandemonstration mit etwa 70 Beteiligten zur Neubaugasse/Mariahilfer Straße, wo die Demo mit einem Kessel beendet wird.

Demonstration am Abend

Die vom ersten Tag an angekündigte Demonstration um 18 Uhr an einem kurzfristig veröffentlichten Treffpunkt findet ebenfalls statt. Treffpunkt war Urban-Loritz-Platz, die Polizei wusste davon, aber viele SympathisantInnen nicht - insofern war die Geheimhaltung bis 17 Uhr unnötig, es wären mehr als 150 bis 200 Leute gekommen, hätten mehr davon früher gewusst. Zivil-Polizisten belauschten die wenig koordinierte Menge am Platz und informierten ihre Kollegen, dass die Demo über den Gürtel zum Westbahnhof und über die Mariahilfer Straße zum Museumsquartier ziehen will. Dementsprechend wurde der Gürtel zwischen Urban-Loritz-Platz und Westbahnhof rasch blockiert, ein Kessel hätte gebildet werden sollen, doch die Menge wechselte geistesgegenwärtig die Fahrtrichtung und zerstreute sich teilweise - ein Teil zog zurück zur U-Bahn-Station Burggasse und wurde dort am Bahnsteig gekesselt. Der Rest zog in Kleingruppen zum Museumsquartier. Der U-Bahn-Kessel wurde aufgelöst unter der Vereinbarung, dass die Leute friedlich über die Burggasse zum Museumsquartier ziehen - was dann auch geschah. Die Zugänge zum Museumsquartier wurden freilich von weiteren PolizistInnen bewacht - insgesamt 30 VW-Busse der Polizei wurden an diesem Abend gezählt, was mindestens 240 Einsatzkräfte bedeutet. Nachdem sich die Burggassen-Demo und die Leute vom Museumsquartier vereinten und - etwas planlos, da der Treffpunkt im MQ ausgelassen wurde - weiterzogen, kesselte die Polizei etwas zaghaft die Menge am Getreidemarkt. Die meisten Leute konnten entkommen, einige Unentschlossene durften nun 4 Stunden in der Kälte ausharren. Wer filmte oder fotografierte und den Amtshandlungen "zu nahe" kam wurde verhaftet. Insgesamt vier Verhaftungen wurden an diesem Abend vorgenommen, mindestens zwei davon nur wegen Filmens und Fotografieren. Nach mehreren Stunden Haft wurden sämtliche Personen wieder entlassen, vorgeworfen wird ihnen wohl irgendwas zwischen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, Versammlungsrecht und möglicherweise auch Körperverletzung - das übliche halt, um AktivistInnen und jene, die Aktivismus und Polizeihandlungen in diesem Zusammenhang dokumentieren, "auszudämpfen".

Kessel am Getreidemarkt - 40 DemonstrantInnen wurden bis zu 4 Stunden festgehalten

Weitere Vorfälle gab es keine - lediglich von einer eingeschlagenen Auslagenscheibe in der Neubaugasse erzählt die Polizei (wenngleich die Demo am Abend nie in der Neubaugasse war und niemand den Vorfall bestätigen konnte), angeblich wurde auch am Gürtel eine Fenster- oder Autoscheibe eingeschlagen, was ebenfalls nicht bestätigt werden kann. Dennoch ließen sich Krawallzeitungen dazu hinreißen, von Krawallen zu schreiben. Fragt sich, wie die Zeitungen es nennen werden, sollte es tatsächlich einmal zu Krawallen kommen. Vermutlich wird dies dann als Bürgerkrieg oder nuklearer Weltkrieg bezeichnet. Dem Superlativismus des Boulevards sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.

horrende Einsatzkosten

Ein großer Bus der Polizei wurde beim Einfahren in die Stiftskaserne gesichtet. Vorsichtig geschätzt kann man sicherlich von 300 PolizistInnen ausgehen, die ab der Räumung um 11 Uhr Mittag bis weit nach Mitternacht in Dienst oder Bereitschaft waren. Bei einem Brutto-Stundenlohn pro Dienststunde von 25 € (ohne Zuschläge!) ergibt allein das rund 4.000 Dienststunden bzw. 100.000 € Kosten. Zuschläge, Betriebsaufwand (Hubschrauber, Räumpanzer, Fahrtkosten, Straßensperren etc.) mit eingerechnet kommt sicher noch eine Menge dazu, die Einsatzkosten könnten also bis zu 200.000 € betragen oder mehr - Auskünfte dazu gibt die Polizei freilich keine. Man kann jedoch davon ausgehen dass die Wiener Polizei pro Jahr ein paar Millionen Euro nur für Demonstrationen und Räumungen aufwenden muss. Zumindest Räumungen von leerstehenden Häusern könnte sich die Polizei sparen, gäbe es - wie von Rot und Grün im Koalitionsabkommen vereinbart - endlich die legale Möglichkeit von Zwischennutzungen bis zum Abriss/Neuverwendung von leerstehenden Häusern. Doch bislang ist trotz vieler Ankündigungen seitens der Grünen nichts in diese Richtung geschehen, selbst Lippenbekenntnisse bleiben aus.

Wilde 13

11. November:
Nur 3 Tage nach der Räumung des epizentrums wurde ein Ausweichquartier in der Westbahnstraße 13 bezogen. Es hätte ein ruhiger Versammlungsort werden sollen, doch stattdessen rief der Künstler (der nach eigenen Angaben auch im Epizentrum war und die Sache unterstütz hat), der im Erdgeschoß Ausstellungsflächen, die nicht von der Besetzung betroffen waren, angemietet hat, die Polizei. Diese begann um 21 Uhr mit einer 24-stündigen Belagerung, die ergebnislos (das Haus blieb besetzt) beendet wurde. Ursprünglich hätte das Haus allem Anschein nach noch am selben Abend - ohne Räumungsbescheid, wie zuletzt im Sommer mehrmals geschehen - illegal geräumt werden sollen. Ebenso illegal war wohl das Eindringen der PolizistInnen in den Hof des Gebäudes, der auch von NachbarInnen genutzt wird, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Eigentümer ermittelt und kontaktiert werden konnte. Nichtsdestotrotz besetzte die Polizei um 23 Uhr den Hof und verbarrikadierte (!) das Einfahrtstor mit Holzlatten und bewachte die Eingänge zur Westbahnstraße.

Als eine 20 Mann/Frau starke Einsatzeinheit beigezogen wurde und in den Hauseingang drängte drohte die Lage zu eskalieren: Die BesetzerInnen im Haus waren entschlossen, die (illegale) Räumung nach nur wenigen Stunden Besetzung abzuwehren, zündeten Feuerwerkskörper (Foto) und schmissen Dosen und angeblich auch Bierflaschen auf die Straße und das dort geparkte Polizeifahrzeug. Die Polizei zog sich daraufhin zurück, blieb jedoch in ihren Einsatzfahrzeugen noch die ganze Nacht hindurch vor Ort in "Bereitschaft". Wozu die Bewachung eines besetzten Hauses gut sein soll, konnte sich nicht einmal die "Steuerzahler"-Watchdog-Zeitung "Heute" nicht erklären.

Zufälligerweise fand am selben Tag erneut eine "Occupy"-Demonstration statt, wie schon bei (kurz nach) der Besetzung des "epizentrum".

12. November:
in der Wilden 13
Das belagerte Haus wird von draußen mit Lebensmitteln und Wasser versorgt - Strom ist hingegen vorhanden. Außerdem gehen einige Leute über eine Leiter ein und aus, was die Polizei nicht bemerkt.

Am Abend zieht eine "Reclaim the Streets"-Tanzdemo vom Museumsquartier über die Mariahilfer Straße, Lindengasse, Ex-Epizentrum zur Westbahnstraße. Die Polizei stößt erst in der Lindengasse dazu, bis dahin steckten Streifenwägen im Verkehr fest. Die Polizei umstellte nun das Epizentrum, ein Teil folgte der Demo bis zur Westbahnstraße - dort eilten PolizistInnen rasch zu den Eingängen um ihre KameradInnen zu verstärken - doch diese ließen ihre ans Tor polternden Kollegen gar nicht erst hinein. Foto des Demo-Zuges und Bericht im Kurier.

der Ton wird rauer?
Die Demonstration, etwa 50 Leute, zerstreute sich nun und kehrte etwa eine Stunde später zum Haus zurück. Die Polizei war offenbar verwirrt und besetzte mit jeweils zwei Mannschaftswägen zentrale Punkte im Siebten Bezirk - mit Helm und Schildern aufgestellt! So etwa in der Lindengasse und in der Neubaugasse. Man befürchtete offenbar Krawalle.

Als gegen 20 Uhr erneut einige Leute vor der Westbahnstraße 13 versammelt waren zog die Polizei unvermittelt ab. Das Haus war nun wieder zugänglich.

14. November:
Ein Lokal-Augenschein des Standard ergibt, dass sich nur wenige Menschen im Haus und im Hof befinden. Leute im Hof, die sich um einer Feuertonne wärmten, werden mit "der harte Kern ist grad einkaufen oder so" zitiert ^^ - diese Chaoten!

15. November:
Erneut "Reclaim the Streets"-Tanzdemo. Dieses Mal nur rund 40 Personen, die ins Museumsquartier ziehen und ca. 1,5 Stunden mitten im Haupthof tanzen und Parolen rufen ("Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag"), auch auf das Sicherheitspolizeigesetz, das an diesem Tag vom Ministerrat abgesegnet wurde, wurde kritisch Bezug genommen. Securities und Polizei können keinen Grund zum Einschreiten finden - BesucherInnen des Museumsquartiers zeigen sich überwiegend amüsiert. Sogar ein Mann im Spiderman-artigen Superheldenkostüm mit "MQ"-Logo drauf ("MQ-Man"?) stoßt zur Menge und tanzt frenetisch zu "Fight for your right to party" - um danach ebenso unerkannt wieder zu verschwinden wie er aufgetaucht ist.

Audimax-Intermezzo:
Die Tanzdemo wird danach zur Hauptuni verlagert und zieht dort unter großer Verwunderung und teilweise Jubel der Publizistik-Erstsemestrigen ins Audimax ein. Die PUK-Vorlesung wird abgebrochen, die meisten Studierenden bleiben. Die nachfolgenden "Pharmazie"-Studierenden, die schon bei ihrem Versuch, Medizin studieren zu wollen, einen herben Rückschlag erfahren haben, verstehen hingegen keinen Spaß: Sie wollen ihre Vorlesung, ihr Professor und sein Schani preschen vor: der Schani zieht das Kabel, der Professor lässt abstimmen, ob seine Untergebenen lieber Vorlesung oder Besetzung hätten. Ohne Gegenreaktionen abzuwarten erklärt er unter großem Jubel die Besetzung für beendet. Pharmazie-Studierende werden derweil im Internet endgültig zu den uncoolsten Studierenden Österreichs verdammt.

Die TanzdemonstrantInnen nehmens gelassen und ziehen weiter zum C1, wo die Internationale Entwicklung Vollversammlung abhielt - ihr Studium soll bekanntlich abgeschafft werden. Dennoch wollen sich viele die "gute Gesprächsbasis" mit dem Rektor nicht verscherzen und überlassen es jedem/jeder einzelnen Studierenden selbst, ob sie besetzen wollen oder nicht. Etwa 50 Leute bleiben und erklären den C1, oder besser gesagt dessen Foyer, für besetzt. Es wird über das Sicherheitspolizeigesetz, Uni-Politik und Freiräume diskutiert und pleniert, folgender Text wurde veröffentlicht: Der Hut brennt und die Kacke dampft.

16. November:
Die C1-Besetzung wurde nach einer Nacht beendet. Polizeieinsatz gab es weder beim Audimax- noch beim C1-Intermezzo. Stattdessen "räumte" die Polizei die "Wilde 13", die jedoch bereits seit mindestens einem Tag ohnehin wieder leer stand. Ein "Heute"-Bericht am Dienstag berichtete von "Krawallen" im "Öko-Bobo-Bezirk Neubau" ohne jedoch zu erwähnen, dass sich die erwähnten Vorfälle am Freitag, also vier Tage zuvor, ereigneten, und wohl kaum die Bezeichnung verdienen. Es sei denn, eine hingeschmissene Bananenschale auf einem Gehsteig würde als Terroranschlag durchgehen.

... to be continued!

Dienstag, 25. Oktober 2011

BUWOG-Areal in Wien-Neubau besetzt - Epizentrum eröffnet!

[letztes Update: 25.10.2011]
Diesmal ist alles anders - und doch ist es nur die logische Fortsetzung dessen, was in Wien in den letzten Jahren, katalysiert durch die Audimax-Besetzung 2009, an alternativen Strukturen entstanden ist. Statt einer Hörsaal-Besetzung oder einer weiteren Demonstration mit verhältnismäßig (zu) geringer Beteiligung um in der festgefahrenen österreichischen Politik Gehör zu finden einfach machen, wovon andere bestenfalls reden - meist aber nicht einmal das. Wo von den Medien erfundene "Wutbürger[innen]" gegen - wie man meinen könnte - "eigentlich eh olles" demonstrieren (womit sie ja "eigentlich eh" auch recht haben) nehmen sich jene, die in der Reflektion und Analyse der "Euro/Schulden/Griechen/Kapitalismus/und eigentlich eh olles-Krise" schon ein Stück weiter sind, statt aufgestauten Frust und Wut (dieses Ventil ist bei jenen ohnehin permanent geöffnet) an unschuldigen Parks und Plätzen abzulassen, einfach den Raum der uns (eigentlich?) ohnehin allen zusteht / zustehen sollte.

In der Nacht von 13. auf 14. Oktober wurden die über einen Hof zusammenhängenden Gebäude Lindengasse 60-62 (bzw. Zieglergasse 19) besetzt. Exakt drei Monate nach der Räumung des Lobmeyr-Hofes, dessen Besetzung einiges an Staub aufgewirbelt hat und "Wiener Wohnen", den kapitalistisch bewaffneten Arm der Wiener SPÖ, gehörig in Erklärungsnotstand gebracht hat (ebenso die Grünen, die die "Legalisierung von Zwischennutzungen" ins Koalitionsprogramm hineinverhandelt hatten, sich nun aber machtlos dem Treiben von Inseraten-Stadtrat Michael Ludwig ausgeliefert sahen). Unnötig zu erwähnen, dass dieser Notstand bis heute nicht aufgelöst wurde. "Hände falten, Goschn halten" ist kein Verhaltensmonopol des Klein- und Spießbürgertums. Mehrere Beiträge von WienTV, in denen sowohl die Pressesprecherin der Wiener Polizei als auch die Direktorin von Wiener Wohnen interviewt worden, sagen mehr als tausend Worte (alle Videos im Blog-Eintrag vom 14. Juli).

Schutzzone, BUWOG und Neubauer Grüne - wie geht das zamm?

Dieses Mal jedoch ist das Haus nicht am Stadtrand sondern im Zentrum, es sind nicht Sommerferien sondern Semesterbeginn (wenngleich Studierende nur ein Teil des Ganzen sind), das Haus gehört nicht (mehr) der Stadt oder dem Staat sondern einem skandalumwitterten Immobilienkonzern und Neubaus Bezirksvertretung wird von den Grünen angeführt im Gegensatz zu Ottakring, wo sich Politik-Polizei-Medien-Verflechtungen offenbart haben, wie sie viele wohl kaum (noch) für möglich gehalten hätten. Doch hier geht es um Altbauten auf einem Grundstück mit Millionenwert in einer der städtischen Schutzzonen zur Erhaltung des Stadtbildes.

Das Gebäude Lindengasse 62 stammt aus der Biedermeierzeit und ist ebenso wie die anderen beiden Gebäude weder einsturzgefährdet noch baufällig oder sonst irgendwie gefährlich. Im Gegenteil: Noch bis vor ein bis zwei Jahren war im innen gut ausgebauten Gebäude Lindengasse 62 die "Neue Sentimental Film" untergebracht - ein Nachmieter wurde bezeichnenderweise wegen zu hoher Mietforderungen des vorherigen Eigentümers nicht gefunden. Dieser verkaufte schließlich an die BUWOG - die das Haus nun ohne jeden Anlass (außer der Profitinteressen - denn Strom, Wasser und sogar die Heizung funktionieren, das Haus ist weder baufällig, abrissreif noch sonst irgendwie gefährlich, wie ein Architekt und ein Statiker, die am 24.10. das Haus begutachteten, bestätigt haben - was willfährige Propaganda-Dreckschleudern wie die Gratiszeitung "Heute" freilich nicht davon abhält, gegen das Haus zu kampagnisieren) abreißen will und mit den Bezirksgrünen scheinbar auch schon einen Modus gefunden hat, wie dies vonstatten gehen soll: Ein kleiner Teil des Grundstücks an der Kreuzung Zieglergasse/Lindengasse soll als "öffentlicher Park" genutzt werden - ein "Verhandlungserfolg" der Grünen, der Millionenprofite für die BUWOG auf diesem Grundstück erst möglich macht - was ohne den Abriss der schutzwürdigen und gut erhaltenen Gebäude (die IG Denkmalschutz protestierte bereits im Jänner 2011 mit einem offenen Brief) nicht möglich wäre. Für einen Abriss der Gebäude wäre jedenfalls ein Bescheid der (grünen!) Bezirksbehörde nötig, der allem Anschein nach noch nicht ausgestellt wurde, wodurch den Grünen die entscheidende Verhandlungsposition zwischen BesetzerInnen und BUWOG zukommen könnte. Noch nie lag es so sehr an den Grünen, ob eine Zwischennutzung eines leerstehenden Hauses für längere Zeit möglich wird oder ob das seit Jahren andauernde Katz-und-Maus-Spiel in der Stadt der leeren Häuser mit einem weiteren kostspieligen Einsatz der Polizei-Spezialeinheit WEGA fortgesetzt wird.

Wiener Gemütlichkeit statt Wut an der 15. Oktober-Demo

Nicht ganz zufällig fand die Besetzung - die am 14. Oktober gegen 18 Uhr via Indymedia öffentlich bekannt gemacht wurde - am Vorabend der internationalen Proteste im Zeichen der "Occupy"-Bewegung statt, im Zeichen derer auch in Wien zur Demonstration aufgerufen wurde. Wie jedoch zu erwarten war dominierte die Wiener Gemütlichkeit - "Wutbürger/innen" sehen anders aus. Woanders jedenfalls. Immerhin 2.500 Menschen kamen - aber gingen auch relativ rasch, als zwischen Ankunft am Heldenplatz gegen 17 Uhr und Schlusskundgebung um 19 Uhr eine große Lücke klaffte und ohnehin absehbar war, dass außer verschiedenen Bekehrungsversuchen durch die üblichen - sowie einige weitere - Gruppierungen und Organisationen nicht mehr viel passieren wird. Dem war dann auch so.

Daher hat man das Haus auch schon am Vorabend besetzt - damit die Stube schon vorgewärmt ist für jene, die zwar nicht am Heldenplatz ausharren oder gar campieren wollen, aber auch nicht einfach nach Hause (in die "eigenen vier Wände", wie man so "schön" sagt) gehen wollten, wie das leider sonst immer der Fall ist bei Demonstrationen in Wien. Und da Zeltlager im kontinentaleuropäischen Winter nur etwas für ganz hartgesottene oder Wahnsinnige sind, ist die Besetzung eines Hauses, das viel Platz für Treffen und andere gemeinsame Aktivitäten bietet, eine gar nicht so abwegige Idee. Lediglich Anonymous Austria empfand die Hausbesetzung als "Missbrauch" der #Occupy-Bewegung - wie das denn nun zu verstehen sei, diese Antwort blieben sie trotz dutzendfacher Nachfrage auf Twitter schuldig.

Von "Eigentum" und "Besitz" - wie gerechtfertigt ist eine Haus-"Besetzung"?

Wie ein schöner, unerwartet tiefsinniger Spontan-Vortrag nach Ende des "Tanz durch den Tag"-Programms am Sonntag (23.10.) ausführte, beginnt das große "Missverständnis" von der Auffassung unseres Lebens als "freie", konsumierende Menschen schon mit den Begriffen von "Eigentum" und "Besitz", die sich sprachwissenschaftlich ebenso schön zerlegen und auf ihre lateinischen, altgriechischen oder althochdeutschen Wurzeln zurückführen lassen, wie Begriffe wie das "Subjekt" (--> "Unterworfene") oder die "Person" (--> "Maske"). Ohne näher auf die äußerst interessanten Ausführungen zur Sprache als steuerbares und gesteuertes Machtinstrument eingehen zu können (dazu fehlt mir schlicht die Expertise; eine Auseinandersetzung damit lohnt sich jedenfalls!) sei festgehalten, wie sehr sich unsere Weltanschauung doch durch derart geprägte Begriffe definiert - und wie sehr wir von der einen Minute auf die andere Dinge ganz anders wahrnehmen können, wenn wir bloß die Wörter, die wir verwenden, hinterfragen und auf ihre ursprünglichen Bedeutungen zurückführen. So kommt "Besitz" natürlich von "besitzen", bezeichnet also jene Dinge, die man tatsächlich benützt, gebraucht oder im wahrsten Sinne des Wortes be-sitzt, be-liegt oder was auch immer ... Ein leerstehendes Haus gehört - wenn man von den künstlichen Identitäten der "juristischen Person" und dem davon abgeleiteten "Eigentum" absieht - in Wahrheit niemandem. Erst wenn Menschen das "Objekt" mit Leben erfüllen hat es wieder "Be-sitzer".

Systematische Zerstörung von Altbauten in Wien - alle machen es

Ein gut erhaltenes altes Haus mutwillig unbewohnbar zu machen - etwa durch das künstliche Herbeiführen von Wasserschäden, die die Bausubstanz schädigen und das Haus mit Schimmel überwuchern lassen (so wie das "Wiener Wohnen" beim Lobmeyr-Hof gemacht hat) oder indirekt durch das nicht-abstellen der Wasserleitungen vor dem Wintereinbruch, was nach den ersten Frosttagen unausweichlich zu Wasserrohrbrüchen und ebenfalls Wasserschaden führt (laut einem Statiker, der heute das Haus begutachtet hat, gängige Praxis bei Altbauten in Wien, wenn profitorientierte Eigentümer eine Begründung für die Abbruchbewilligung brauchen um lukrativere Neubauprojekte zu ermöglichen) ist jener Umgang mit dem knappen Wohn- und Lebensraum in Großstädten, den Immobiliengesellschaften wie die BUWOG, aber auch die Stadt Wien selbst, systematisch an den Tag legen - bloß um Gründe für den Abriss vorweisen zu können. Zumindest dieses Mal kamen die Besetzer/innen den Eigentümern zuvor.

Alle bleiben

Was in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar war trat ein: Noch am Abend der offiziellen Besetzung (FR, 14.10.) pilgerten hunderte - schätzungsweise insgesamt an die 700 bis 800 Personen insgesamt - in die Lindengasse, die nur einen Pflastersteinwurf von Mariahilfer Straße, Westbahnhof, Gürtel und Neubaugasse entfernt im eigentlichen Herzen Wiens liegt ;). Bis zu ca. 400 Personen gleichzeitig belebten das Areal in den Nachtstunden - es herrschte eine Stimmung vor, die eher an die Audimax-Besetzung 2009 als an frühere Hausbesetzungen erinnerte. In mehreren Räumen wurde - jeweils umgeben von dutzenden enthusiasierten ZuhörerInnen - musiziert, es gab ein stundenlanges Hip Hop/Reggae-Jam, aus diversen Soundanlagen tönte elektronische Tanzmusik oder auch Punk, Kerzenschein und provisorische Lichtinstallationen prägten das Bild - im Hof gab es eine Feuer-Jonglage-Show. Kurzum: Allen war von Anfang an klar, dass hier ein neuer großer Freiraum für Alle eröffnet wurde - und machten auch sofort davon Gebrauch. So auch die ersten Graffiti-Artists, die einen tagelangen Spray-Marathon begannen und dem Haus so von Tag zu Tag ein immer anderes Erscheinungsbild zu geben.

Auch am Samstag sah es nicht viel anders aus - bloß eine Spur kleiner, was aber immer noch mehrere hundert Menschen bedeutet. Am Sonntag wurden erste Barrikaden gebaut, doch eine Räumung blieb aus. Ab da - mit Beginn der neuen Woche - gab es kein Halten mehr. Auf dem gesamten Areal stürzten sich Menschen in verschiedene Arbeiten und Projekte, die im Laufe der Woche aufgebaut wurden. Eine Übersicht sucht man am besten im Blog der Besetzung, http://epizentrum.noblogs.org - ein Ergebnis der Mediengruppe, die sich dank ausreichend vorhandener Infrastruktur rasch im Herzen des Gebäudes eingenistet hat - und nach mehrmaligem Übersiedelungen nun direkt neben Volxküche, Freie Universität Wien und Wohnzimmer situiert ist. Doch die Raumaufteilung ändert sich laufend - der ehemalige (viel zu kleine) Medienraum ist nun das Vokü-Lager ... das Wohnzimmer war zuvor Versuchsstation eines expressionistischen Künstlers, der jedoch nach Scheitern seines Projekts (einer Kunstinstallation unter Verwendung von Beton, der keiner war) nicht mehr gesehen wurde.

Feste feiern wie sie fallen

Es wäre zu viel, hier nun auf alle Initiativen, Ereignisse, Räume usw. einzugehen - ich verweise erneut auf den hervorragend betreuten Blog ;) - aber Highlights und in dieser Art einzigartig in der jüngeren Hausbesetzungsgeschichte von Wien waren definitiv die Errichtung einer Bar, die sich durch freie Spenden von Konzert- und PartybesucherInnen finanziert, und in weiterer Folge die Soli-Party des Lastenrad-Kollektivs (mit Besuch von CriticalMass), die mit Konzerten, Soli-Cocktail-Bar und Glühmost aufwartete - respektive der Tekkno-Party, die im Anschluss Haus & Hof nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Schätzungen gehen von über 1.000 BesucherInnen an diesem Abend aus. Genau deswegen (u.a.) wurde der darauffolgende Samstag zum Ruhetag erklärt - zum einen aus Rücksicht auf die Nachbarn, zu denen ein gutes Verhältnis aufrecht erhalten werden soll, zum anderen auch ob der suboptimalen Begleiterscheinungen derartig großer Feste, die auch Unannehmlichkeiten und Stress mit sich bringen. Und schließlich um zu reflektieren, wie man mit all dem am besten umgeht, Stress vorbeugt und das nötige Verantwortungsgefühl im Umgang mit Haus und BewohnerInnen bei den BesucherInnen erwecken kann.

Bereits am Tag darauf, Sonntag, gab es mit dem Programm von "Tanz durch den Tag" ab 12 Uhr Gelegenheit, die Lehren dieser Erfahrungen anzuwenden. So war etwa von Anfang an klar, das um 22 Uhr - dann ohnehin nach schon zehn Stunden - die Party zu Ende sein muss - was offenbar auch gut kommuniziert wurde und vom Publikum erstaunlich gut angenommen wurde, das nach Abdrehen der Musik laut jubelte und klatschte. Die Tekkno-Party am Freitag musste ja am frühen morgen etwas abrupter beendet werden, was bei DJs wie Publikum gleichermaßen Unverständnis hervorrief.

Zum Abschluss noch ein paar Eindrücke aus dem Haus. Ein Pressespiegel findet sich ebenfalls im Blog des Epizentrums, hier sei lediglich noch auf einen Beitrag samt Interview-Mitschnitt (vom 24.10.) von Radio Orange auf nochrichten.net verwiesen.




Freitag, 5. August 2011

Der Wiener Weg: Die Stadt gehört sicher nicht dir! - oder: Squat til you drop!

[Update: In der Nacht von 4. auf 5.8. wurde kurrzeitig die Triester Straße 114 ("MA 2412") wieder besetzt. Sollten dort laut Wohnbaustadtrad Ludwig nicht seit Montag die Umbauarbeiten stattfinden? --> Meldung auf Indymedia, 5.8.]
letztes Update: 5.8.2011
Nach der (überraschenden, da bereits Sonntagvormittag, 31. Juli, geschehenen) Räumung der Triester Straße 114 (diente einst als Kulisse der ORF-Sitcom "MA 2412") ließen sich die BesetzerInnen nicht lange lumpen und besetzten kurzerhand - am Abend des selben Tages - ein leer stehendes 4-Sterne-Hotel in der Grünbergstraße 11. Die Besetzung war "still", wurde also nicht nach außen bekannt gegeben. Erst am nächsten Morgen wurde via Twitter und Indymedia dazu eingeladen, auf eine Pizza vorbei zu schauen. Doch kaum war diese Meldung draußen, wurde das Hotel von der WEGA in Begleitung des LVT gestürmt, mehrere Personen wurden sogar vorübergehend festgenommen (alle Angaben laut der einzigen Mitteilung der BesetzerInnen auf Indymedia). Daraufhin zog eine Spontandemonstration via Gudrunstraße u.a. zum zuständigen Polizeirevier/Gefängnis, bis einige Stunden später alle frei gelassen wurden.

Über Details zur Räumung, den Gründen der Verhaftung und ob das Hotel tatsächlich leer stand (es hieß, die Betten seien gemacht gewesen und jemand meinte, das Hotel sei nur zur Renovierung geschlossen - Angaben, die ich persönlich leider nicht überprüfen konnte und kann, da ich derzeit nicht in Wien bin) wurde nach außen nichts bekannt gegeben, wäre jedoch noch interessant. Denn wenn es zu Verhaftungen kam und augenscheinlich nicht einmal einen Räumungsbescheid gab [Foto des Räumungsbescheids bei Martin Juen] (auch bei der Triester Straße-Räumung hieß es bereit, es hätte laut Einsatzleiter keinen Räumungsbescheid gegeben; kann dies mittlerweile bestätigt werden?), dann liegt es mit dem Rechts- und Polizeistaat gleich in mehrerlei Hinsicht im Argen.

Wien ist und bleibt anders. Keine Frage. keine Diskussion.

Es ist augenscheinlich, dass die Stadt - und mit ihr und sowieso die Polizei und der LVT - nervös ist. Der Vorteil einer Hausbesetzung in Österreich ist, dass die Politik eine solche nur schlecht "aussitzen" kann (und eine solche sowohl zivil- als auch verwaltungs- und strafrechtlich schwer zu fassen ist). Und aussitzen ist die stärkste Waffe, die die österreichische Politik kennt - zumal man Problemen am liebsten aus dem Weg geht und sich dadurch Konfrontationen erspart. Bei Hausbesetzungen geht das nicht. Daher kommt nun Aufgregung in den friedlich vor sich hin dampfenden Misthaufen namens Wiener Stadtverwaltung und dem mit ihr eng verflechteten Polizeiapparat. Wenn aussitzen nicht funktioniert - und für diese Erkenntnis braucht man selbst in Wien nicht lange, wozu gibts denn die Experten vom LVT? - greift man bekanntlich zur nächstbesten Methode, wenn man auf dem längeren Ast sitzt: ausgrenzen, aussperren, austreiben. Oder anders gesagt: Gewalt, Repression.

Daher ist es kein Wunder, dass Stadt & Polizei nun bei jeder neuerlichen Besetzung, kaum wird diese öffentlich bekannt (oder sogar schon davor), umgehend mit der WEGA antanzt. Und wer beim ersten Mal (Lobmeyr-Hof) nicht hören will (wo man sich noch Mühe gegeben hat, den Schein zu wahren), braucht bei den nächsten Malen wirklich nicht zu erwarten, dass sich der Moloch namens Wien auch nur einen Deut um Gesetze, Verfassungsrechte oder sonstigen Gutmenschen-Schnickschnack schert: Raus mit dem Pack, aber zackig! Am besten gleich einsperren, rechtliches Zeugs hin- oder her, und für ein paar Stunden U-Haft braucht es ja nicht mal irgendeinen haltbaren Vorwurf. Praktisch!

Und somit ist es allerhöchste Zeit, sich zu fragen, wie das ganze weitergehen soll. Der "Wiener Weg" ist klar vorgegeben - war er auch immer schon - und es war klar, dass sich die Stadt nicht von ein paar Grünen in "ihrer" Regierung oder ein paar "Antikapitalisten" davon abbringen wird: Wohnbaustadtrat Michael "bekannt aus Inseraten in ihrer Gratiszeitung" Ludwig hat erst vor wenigen Tagen nochmal betont: "Hausbesetzungen werden nicht toleriert." Punkt. Fertig. Ende der (nie begonnenen) Diskussion.

Wie weiter?

So weit, so schlecht, so klar, so absehbar. Mit jedem Mal wird die Repressionsstufe weiter erhöht. Das Ziel ist eindeutig: Es soll auch dem letzten Möchtegern-Hausbesetzer (innen und am besten überhaupt außen) so rasch wie möglich klar werden: Wien bleibt Wien, mia bleim mia und ihr kinnts eich schleichen! Wer Freiraum will, kann ja auf die Donauinsel. Wer "irgendwas autonomes" will, soll ins EKH oder Amerlinghaus gehen (und Krankenhaus gibts ja auch schon eines, wozu noch eins?) und wem das alles nicht passt, soll doch auswandern.

Auch wenn einem das alles bewusst ist, droht es einen doch irgendwann zu zermalmen. Was kann man dagegen machen? Eins ist klar: jetzt aufgeben bringt gar nix. Nächstes Jahr wird es sicher nicht leichter. Es sei denn, die Wirtschaftskrise schlägt voll durch und auch zweiseitige "Heute"-Inserate trösten die WienerInnen nicht mehr über immer höher werdende Mieten hinweg - Bobo-Aufstand in Neubau und in der Josefstadt! Dass so etwas möglich ist, dafür gibt es täglich mehr Beispiele: die großen Proteste (kürzlich 150.000 Demonstrierende auf den Straßen in den Städten des Landes) gegen explodierende Mieten in Israel, die man vor wenigen Wochen noch nicht für möglich gehalten hätte, sind nur das jüngste. Dass in Spanien immer noch täglich Plena in den Stadtbezirken (barrios) abgehalten werden, steht zwar in keiner Zeitung, passiert aber trotzdem. Und es wird noch bald genug wieder so weit sein, dass auch bei uns wieder was darüber in der Zeitung steht. Und dass es in Italien schon seit Jahren gärt, kümmert zwar keinen Café Latte-Trinker in den Lieblings-Cafés der Wiener JournalistInnen, aber auch das ist trotzdem (dürfens denn das?) so! Echt!

Aufstand im Bobo-Land

Aber wahrscheinlich ist ein solcher Bobo-Aufstand trotzdem nicht. Von nichts kommt nichts. Aber wie sich schon vor zwei Jahren bei der erstmaligen Besetzung der Triester Straße 114 gezeigt hat, haben Hausbesetzungen (und Besetzungen als radikales Mittel der Verneinung herrschender (Besitz-)Verhältnisse) enormes Potenzial, Proteste zu katalysieren. Nur zwei Wochen nach Räumung der Triester Straße im Oktober 2009 wurde die Akademie der bildenden Künste und schließlich das Audimax der Universität besetzt: für zwei Monate! Und jetzt sage niemand, das habe eh alles nix gebracht ... wenn dem so wäre, warum ließt du dann eigentlich diesen Blog??? Und warum schreibe ich ihn? ;)

à propos Medien, da sind wir eh schon beim richtigen Thema: die Besetzung des Lobmeyr-Hofes und jene der Triester Straße (also alle diesjährigen Besetzungen, die mehr als zwei Tage Bestand hatten!) haben es zu - je nach Perspektive - erstaunlich großer Medienberichterstattung gebracht (nicht nur derstandard.at - ganz im Gegenteil, die MA2412-Räumung war am ersten Tag de facto eine Exklusiv-Story des ORF). Und auch wenn die Kronen Zeitung als offizielles Organ der Stadt Wien verlautbart, dass es nur der Sicherheit der Nachbarn gedient habe, den Lobmeyr-Hof zu räumen, gibt es dennoch - sogar bei der Krone - jedes mal ein paar Tausend LeserInnen, ich wage sogar zu behaupten, ein paar Hunderttausend - die ganz genau wissen, was für Bullshit ihnen da aufgetischt wird, und dass die Suppe anders gekocht wurde, als sie ihnen serviert wird.

Und überhaupt: Über die Qualität der Berichte lässt sich bei allen Medien vortrefflich streiten (bzw. auch nicht, da wir uns vermutlich rasch einig sein werden), denn dass die meisten JournalistInnen keine Ahnung haben, was das ganze überhaupt soll und ob das nicht irgendwie lächerlich ist, sowas in Wien aufzuführen (wieder mal: dürfens denn das??), das geben sie in ihrer Überforderheit mit dem Thema sogar schon selber zu (vgl. Roman Rafreider in der ZIB 24). Aber: es wird berichtet. Und mit jedem Bericht wird die Sensibilität für neue Besetzungen erhöht. Mit jedem Bericht steigt der Kreis jener Menschen, die das ganze nicht nur als Lückenfüller im Sommerloch sondern als eine Entwicklung oder Bewegung wahrnehmen. Und mit jedem und jeder, der dies so wahrnimmt, steigt die Zahl jener, die beim nächsten mal einen Teppich vorbeibringen, oder eine Couch, oder eine Matratze - oder sich selbst. Das weiß auch die Stadt (daher die immer schnelleren Räumungen) und das sollten daher auch die BesetzerInnen wissen.

Squat til you drop

Mit jedem Bericht steigen auch die Kenntnisse der JournalistInnen, die durch die Ereignisse (und das Sommerloch) gezwungen werden, sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Und ja, ich glaube, manchen macht das sogar Spaß ;) Kapitalismuskritik ist ja derzeit ziemlich in Mode, HausbesetzerInnen hätten das Zeug, in gewisser Weise als Trendsetter wahrgenommen zu werden (auch wenn ich vermute, dass es nur wenig gibt, was sie mehr ankotzen würde; aber man muss es ja auch nicht so PR- und werbegestört formulieren, wie ich es gerade tue. Aber man kann es. Und es zeigt, dass die Mechanismen, mit denen uns tagtäglich das neue beste ultrageile Waschmittel verkauft wird im Grunde genau so gut durch subversive Botschaften ersetzt werden könnten. In diesem Sinne muss Squatting also Trendsport werden ;)).

Man muss eben die richtige Mischung aus "streichelweich" und "radikal" finden, dann wird man womöglich sogar noch Liebling der Woche in der Tierecke bei Maggie Entenfellner - und es gibt nichts in diesem Land, wovor die Herrschenden mehr Angst hätten ...

Wenn Hausbesetzen nicht nur Mittel zum Zweck (zB. Wohnen) ist, sondern ein politisches Statement, eine Kampfansage an den Kapitalismus - oder auch einfach "nur" das Vorzeigen einer Alternative zu festgefahrenen Lebensentwürfen, dann brauchen Hausbesetzungen auch öffentliche Aufmerksamkeit. Und wenn mehr als nur "die üblichen Verdächtigen" erreicht werden soll, braucht es mehr, als Indymedia und Blogs wie diesen. In diesem Sinne halte ich es durchaus für berechtigt, sich Gedanken zu machen, ob und wie man in den Medien vor- bzw. ankommt, selbst wenn es noch so verabscheuungswürdige Produkte wie Krone, Heute oder Österreich sind. Und es ist ja nicht so, dass sich niemand darüber Gedanken machen würde. Lobmeyr-Hof und das MA2412-Gebäude waren ja regelrechte "PR-Erfolge", wenn man so will.

Umso wichtiger ist es daher, jetzt nicht nachzulassen, die eigenen Botschaften weiter auszuformulieren (wenn in der Zeitung steht, man würde "Sanierungen bekämpfen", ist irgendwas schief gelaufen ;)) und sich von Polizeigewalt und systematischen Gesetzesverstößen der Repressionsbehörden nicht einschüchtern zu lassen, sondern ganz im Gegenteil, diese zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Das sorgt für Gesprächsstoff und bringt die Verantwortlichen unter Druck. Denn ist eine Information erst einmal (im Internet) veröffentlicht, findet sie immer ihren Weg zu jenen, die sie am dringendsten benötigen - und auch zu jenen, denen sie am unangenehmsten ist.

siehe auch:
- Indymedia, 1. August 2011: 4* Hotel besetzt
- Indymedia, 1. August 2011: [wien] Besetztes Hotel wurde heute geräumt
- Martin Juen, 1. August 2011: Besetztes Haus Kaiserpark Schönbrunn – eine Zusammenfassung | Wien 01.08.2011
- ORF, ZIB 24, 3. August 2011: Hausbesetzung 2.0 (youtube)
 
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