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Mittwoch, 16. November 2011

Herbst, Nebel, Squatting Action

Bevor sich hier gar niemand mehr auskennt - verloren zwischen Übertreibungen, Untertreibungen, Polizei-Aussendungen, Boulevard-Medien-Gewäsch und Szene-Klatsch - ein möglichst knapp gehaltener Rückblick über die unangekündigte Herbst-"Squatting Action", die als Begleiterscheinung der "Occupy"-Bewegung - ohne aber mit dieser in direktem Zusammenhang zu stehen - Mitte Oktober über Wien hereinbrach.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit! Was die Einrichtungen im Haus betrifft (Frauenraum, Medienraum, Kunsträume, Freie Universität, Plenarsaal etc.) und was die Reaktionen der Medien betrifft (insbesondere "Heute" betrieb mit untergriffigen Anschuldigungen eine Kampagne gegen die HausbesetzerInnen, während sich der "große Bruder" Kronen Zeitung eher zurückhielt und "nur" Polizei- und BUWOG-Mitteilungen zitierte) sei auf den Blog (epizentrum.noblogs.org) bzw. den dortigen umfangreichen und gut sortierten Pressespiegel verwiesen.

Ein turbulentes Monat liegt hinter Neubau:
- 2 Hausbesetzungen (27 und 5 Tage) im Siebten Bezirk (Neubau)
- 1 spontane Kleindemo unmittelbar nach der Epizentrum Räumung im Siebten.
- 1 "Groß"-Demo mit 150 bis 200 TeilnehmerInnen nach der Epizentrum-Räumung im Siebten.
- 3 Reclaim the Streets / spontane Klein-Demos durch den Siebten (14.10., 12.11., 15.11.) mit je 40 bis 80 TeilnehmerInnen
- Kurzzeit-Besetzung des Audimax und des C1 am Campus am 15.11.

epizentrum - Lindengasse 60-62 - 13. Oktober bis 8. November (27 Tage)
- 13. Oktober 2011:
am Abend wird das Areal Lindengasse 60-62 still besetzt.

- 14. Oktober:
am Vorabend der lang angekündigten "Occupy Austria"-Proteste wird die Besetzung veröffentlicht, zunächst gegen 17 Uhr auf Indymedia. Nach und nach kommen nun Leute ins Haus, gegen 22:30 Uhr treffen etwa 35 Leute von einem kleinen Reclaim the Streets-Umzug mit mobilem Soundsystem im Haus ein. Das Areal füllt sich mit Leuten, deren Zahl kann nur grob geschätzt werden: bis zu 400 Leute dürften zum Höhepunkt gleichzeitig im Haus gewesen sein, in jedem Stockwerk in jedem Raum waren Leute versammelt, chillten, diskutierten, musizierten. Auch am Dach, im 62er-Haus und im Hof befanden sich viele Menschen. Berücksichtigt man das ständige kommen und gehen dürften wohl 700 bis 800 Leute, vielleicht sogar mehr, zumindest für eine Weile im Areal gewesen sein. Bier wird palettenweise angeliefert, ein fliegender Bier-Verkäufer überbrückt Engpässe. Klar, die Bier trinkenden Linken, werden sich nun manche reflexartig denken (oh, wie schlimm!). Aber was passiert eigentlich genau an JVP-Festen, bei Heimfesten in Bastionen der "Aktionsgemeinschaft" wie dem Pfeilheim ("Dein Weg zum Gipfel und zum Titel führt über 11 Stockwerke und jeder Menge Alkohol"), an den WU-Cocktail-Partys und bei Burschenschafter-Treffen? Na eben! Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen - oder anders gesagt: Belügt euch nicht selbst ;)

- 15. Oktober:
Der Tag beginnt mit dem großen Aufräumen. Ja, richtig, "Chaoten" räumen auch auf. Das steht zwar nicht in "Heute", "Krone" und "Österreich" - dafür stehts hier. Ist offenbar ein Aspekt, der viel zu wenig beachtet wird (sonst würde nicht ständig von "Chaoten" geschrieben werden). An der Occupy-Demonstration am Abend über die Mariahilfer Straße werden Flyer verteilt, die zum Besuch des neuen Freiraums "epizentrum" einladen. Bis zu 200 Leute halten sich gleichzeitig im Haus auf, einige hundert mehr dürften insgesamt an diesem Tag vorbeigeschaut haben.

- 16. Oktober:
Es ist Sonntag. Üblicherweise wird Montags geräumt. Es werden Barrikaden (weiter) gebaut, etwa 100 Leute versammeln sich am Abend, viele übernachten.

- 17. Oktober:
Graffiti im Hof
Montag. Keine Räumung. Nun werden Pläne für die kommende Woche geschmiedet. Erstmals in einem besetzten Haus in Wien seit vielen vielen Jahren soll ein eigenes Beisl für Veranstaltungen und um Spenden hereinzubringen errichtet werden - und natürlich, weils Spaß macht :) Viele nutzten den Tag aber um einmal zu entspannen, mit "nur" 50 Leuten am Abend war dies der bisher ruhigste Tag.

- 18. Oktober:
Sprayer (leider kaum Sprayerinnen) übernehmen allmählich das Areal: An immer mehr Orten arbeiten - großteils - Künstler an kleinen und großen Werken, übermalen hässliche (und ja, meinetwegen auch schöne) Tags. Am Abend wieder mehr los im Haus, es herrscht Aufbruchstimmung.

- 19. Oktober:
Barbetrieb ab 20. Oktober - keine Preise - freie Spende!
die erste Getränke-Lieferung erreicht das Haus: 11 Kisten Kozel Bier, 11 Kisten Club Mate. Die Getränke werden nicht verkauft sondern gegen freie Spenden hergegeben. Das Prinzip funktioniert - trotz großer Skepsis bei vielen. Da die Getränke in Flaschen geliefert werden wird eine Menge Dosen-Müll eingespart, das Leergut wird vom Lieferanten wieder abgeholt.

- 20. Oktober:
die Bar ist fertig und wird feierlich eingeweiht! Musik kommt aus dem CD-Player, Boxen werden angeschlossen. Viele Leute besuchen das neue Beisl, auch Nachbarn aus dem Bezirk. Alle (ja, wirklich alle!) sind begeistert, was sich auch in großer Spendenbereitschaft ausdrückt.

- 21. Oktober:
Critical Mass zieht ins Epizentrum
Das Highlight, wenn man so will, der epizentrum-Besetzung. Weit über 1.000 (!) Leute - genaueres lässt sich nicht sagen, vielleicht warens auch 2.000? - kamen an diesem Abend, in dieser Nacht, für kurz oder lang zum Haus. Gleichzeitig waren sicherlich über 500, 600 Leute im Areal, am Tor herrscht reger Ein- und Ausgangsbetrieb. Der Grund: Um 19:30 traf die Oktober-CriticalMass-Fahrrad-Demo mit dem Epizentrum als Zielpunkt ein. Ab 20 Uhr begann das Lastenrad-Kollektiv mit seiner Soli-Party, die eigens vom Tüwi hierher verlegt wurde. Es gab Soli-Cocktails, Glühmost, Volxküche und Bar-Betrieb.

Critical Mass zieht in den - um 20 Uhr noch relativ "leeren" Hof ein
Zwei Konzerte fanden statt (die ersten im Haus). Ein oder zwei Stunden nach Mitternacht begann ein Tekno-Soundsystem, vermutlich Fazit:0, im Beisl aufzulegen. Die Stimmung war einzigartig und euphorisch. So weit die "Sonnenseite". Da es noch keine strikte Raum-Aufteilung (öffentlich/privat) im Haus gab, litten jedoch einige HausbewohnerInnen auch unter diesem Auflauf. Es kam auch mehrere Zwischenfälle mit alkoholisierten Personen bzw. Personen, die übergriffig wurden und rausgeschmissen werden mussten. Das ist die Schattenseite, die solche Veranstaltungen leider zwangsläufig (?) mit sich bringen. Um 5:30 wurde aus genannten Gründen - nach mehreren Ankündigungen/Bitten, die Party ausklingen zu lassen - das Soundsystem abgestellt, Teile der etwa 100 tanzenden Gäste sowie die DJs [das Soundsystem legt Wert auf die Feststellung, das man sich nicht über das Ende der Party empört hat sondern nur am WIE - hineingreifen ins Mischpult - etwas auszusetzen hatte; Anm. v. 20.11.] konnten diesen Schritt nicht nachvollziehen und empörten sich, es gab Buh- und "Widerstand"-Rufe. Es gelang ohnehin nicht, die große Zahl Menschen aus dem Areal zu befördern - niemand sah sich dazu imstande oder war willens. So dauerte es bis etwa 8 Uhr früh, bis nahezu alle Gäste das Areal verließen.

An diesem Freitag zeigte sich am besten der Widerspruch, der zwischen den verschiedenen Interessen und Zielen von Hausbesetzungen besteht: einerseits möchte man einen Freiraum für möglichst viele Menschen schaffen und das beste Rezept gegen eine polizeiliche Räumung ist ein volles Haus - andererseits ist es energieraubend für jene, die auch im Haus wohnen und sich verantwortlich fühlen, sich ständig darum kümmern zu müssen, dass das Tor durchgehend kontrolliert wird, das Menschen, die ihre eigenen Grenzen nicht kennen und/oder ignorieren und dabei viele andere Menschen belästigen, verbal oder physisch attackieren, hinauszuschmeißen. Freiraum kann nicht bedeuten, dass jedes Verhalten geduldet wird. Ein Freiraum setzt von seinen Nutzer/innen ein großes Maß an Eigenverantwortung voraus. Dies muss deutlicher kommuniziert werden, Gäste müssen aus ihrem "KonsumentInnen"-Schema ausbrechen und ebenfalls Verantwortungsgefühl für den Ort, den Freiraum und das Zusammenleben entwickeln. Insbesondere sexistische Verhaltensweisen wurden vielfach kritisiert und wurden vielfach den BesetzerInnen angelastet, dass diese sie "dulden" oder ignorieren würden.

22. Oktober:
Samstag. Katerstimmung. Aufräumen. Es wird ein Ruhetag ausgerufen, das Tor bleibt am Abend meist geschlossen. Der Wohnbereich wird mit einer versperrbaren Gittertür vom "öffentlichen" Bereich abgetrennt. Das System ist jedoch nicht weit genug durchdacht, da sich unter anderem Versammlungsräume im "privaten" Teil befinden, ebenso die Volxküche, über die viele Leute weiterhin in eigentlich "abgetrennte" Bereiche eindringen.

23. Oktober:
Versöhnlicher Sonntag: Ab Mittag betreibt "Tanz durch den Tag" Kunst & Auflegerei im Haus. Im Hof wurde ein Glühwein- und Bier-Stand aufgebaut, auch Kürbiscremesuppe wird ausgeteilt - auch hier: freie Spende! Man hat aus den Erfahrungen vom Freitag gelernt und von Anfang wurde vereinbart und auch an die Gäste kommuniziert, dass um 22 Uhr Schluss ist. Das Publikum - gegen Schluss hin um die 300 Leute - reagierte auf das Ende der 8-stündigen-Tagesparty mit Applaus und Jubel statt mit Enttäuschung und Frust. Es dürfte sich hierbei um die erste und einzige "Tanz durch den Tag"-Party gehandelt haben die - ohne Polizei-Einwirken - tatsächlich um 22 Uhr beendet wurde :)

24. Oktober:
Großes Haus-Plenum (nicht das erste, aber diesen Montag prägend: Gespräche, Reflexion, Diskussion)

26. Oktober:
Das Epizentrum begeht den Anti-Nationalfeiertag. Es gibt "Punk-Beisl" mit entsprechender Musik und Bier.

28. Oktober:
Auch diesen Freitag blieb es nicht ruhig im Haus. Es sollte früher geschlossen werden als sonst, tatsächlich wird aber erneut bis nach 5 Uhr Bier zusamen gesessen, geredet, gechillt, gefeiert. Nähere Aufzeichnungen liegen nicht vor ^^

29. Oktober:
Samstag. Schon wieder ein Grund zu feiern. Dieses Mal wird jedoch gegen Mitternacht das Tor geschlossen, die Nacht bleibt ruhig.

30. Oktober:
Sonntag: Ruhetag. Mehr oder weniger.

31. Oktober:
Bis zuletzt war nicht ganz klar ob ja oder nein: Letztlich begann aber doch um 23 Uhr das Psychedelic-Rock von "Half Baked Cheese" - etwa 70 Leute befanden sich deshalb im Beisl und lauschten wie gebannt der Musik. Nach einem zweistündigen Tekno-Intermezzo ging es gegen 2 Uhr nochmals mit einer Jam-Session weiter. Leider war das auch schon das letzte Konzert im Haus.

1. November:
Die Räumungsdiskussion gewinnt allmählich wieder Oberhand. Die BUWOG hatte die Verhandlungen für beendet erklärt und stellte (erneut) ein (letztes) Ultimatum zum Verlassen des Hauses bis Mittwoch, 18 Uhr.

2. November:
Als um 18 Uhr das BUWOG-Ultimatum endet befinden sich etwa 200 Personen im Areal. Darunter dutzende Vermummte, die bereit scheinen, das Haus zu verteidigen. Logischerweise kommt deshalb keine Polizei. Uniformierte, die das Haus beobachten, werden bald durch zivile Beamte und den Verfassungsschutz ersetzt. Dieser fotografiert aus dem Treppenhaus des gegenüberliegenden Gemeindebaus das Areal und auch das Dach, wo herumliegende Steine offenbar als Bedrohung wahrgenommen wurden.

3. bis 7. November:
Die Diskussionen um "Freiraum vs. Schutzraum" beanspruchen fast alle Energie. Zudem stellte die BUWOG den Strom ab, es gibt nur noch teilweise Strom, der mit Benzingenerator erzeugt wird. Es gibt nur noch wenig Programm im Haus, von Außen kommt viel Kritik und wenig Beteiligung.

8. November:
Der zweite Tag der neuen Woche, mit neuer Energie nach Tagen der Reflexion sollen neue Projekte vorangetrieben werden, etwa ein Proberaum für MusikerInnen, ein fixer Bar-Tag inklusive Ruhetagen, alternative Stromversorgung, Beheizungsmöglichkeiten über den Winter bzw. Isolierung von Fenstern und Dach uvm. - doch dazu kommt es nicht mehr. Ab 11 Uhr rücken rund 200 PolizistInnen zur Räumung an: Aufgrund der Steine am Dach des 62er-Hauses wird sogar ein Hubschrauber eingesetzt, dieses Haus wurde auch als erstes gestürmt um das Dach zu besetzen. Wegen dem massiven Stahltor und befürchteter schwerer Barrikaden wird erstmals seit Jahren auch der Räumungs-Panzer beigezogen - dient aber letztlich nur als Befestigung für das Absperrband mit der bezeichnenden Beschriftung "STOPP POLIZEI".

Die Räumung verläuft friedlich, das Polizeiaufgebot wirkt absurd. NachbarInnen vermuten einen Banküberfall, andere fühlen sich wie in einem Polizeistaat (vgl. Zeitungsberichte und Video-Beiträge im Pressespiegel).

Es kommt zu einer Spontandemonstration mit etwa 70 Beteiligten zur Neubaugasse/Mariahilfer Straße, wo die Demo mit einem Kessel beendet wird.

Demonstration am Abend

Die vom ersten Tag an angekündigte Demonstration um 18 Uhr an einem kurzfristig veröffentlichten Treffpunkt findet ebenfalls statt. Treffpunkt war Urban-Loritz-Platz, die Polizei wusste davon, aber viele SympathisantInnen nicht - insofern war die Geheimhaltung bis 17 Uhr unnötig, es wären mehr als 150 bis 200 Leute gekommen, hätten mehr davon früher gewusst. Zivil-Polizisten belauschten die wenig koordinierte Menge am Platz und informierten ihre Kollegen, dass die Demo über den Gürtel zum Westbahnhof und über die Mariahilfer Straße zum Museumsquartier ziehen will. Dementsprechend wurde der Gürtel zwischen Urban-Loritz-Platz und Westbahnhof rasch blockiert, ein Kessel hätte gebildet werden sollen, doch die Menge wechselte geistesgegenwärtig die Fahrtrichtung und zerstreute sich teilweise - ein Teil zog zurück zur U-Bahn-Station Burggasse und wurde dort am Bahnsteig gekesselt. Der Rest zog in Kleingruppen zum Museumsquartier. Der U-Bahn-Kessel wurde aufgelöst unter der Vereinbarung, dass die Leute friedlich über die Burggasse zum Museumsquartier ziehen - was dann auch geschah. Die Zugänge zum Museumsquartier wurden freilich von weiteren PolizistInnen bewacht - insgesamt 30 VW-Busse der Polizei wurden an diesem Abend gezählt, was mindestens 240 Einsatzkräfte bedeutet. Nachdem sich die Burggassen-Demo und die Leute vom Museumsquartier vereinten und - etwas planlos, da der Treffpunkt im MQ ausgelassen wurde - weiterzogen, kesselte die Polizei etwas zaghaft die Menge am Getreidemarkt. Die meisten Leute konnten entkommen, einige Unentschlossene durften nun 4 Stunden in der Kälte ausharren. Wer filmte oder fotografierte und den Amtshandlungen "zu nahe" kam wurde verhaftet. Insgesamt vier Verhaftungen wurden an diesem Abend vorgenommen, mindestens zwei davon nur wegen Filmens und Fotografieren. Nach mehreren Stunden Haft wurden sämtliche Personen wieder entlassen, vorgeworfen wird ihnen wohl irgendwas zwischen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, Versammlungsrecht und möglicherweise auch Körperverletzung - das übliche halt, um AktivistInnen und jene, die Aktivismus und Polizeihandlungen in diesem Zusammenhang dokumentieren, "auszudämpfen".

Kessel am Getreidemarkt - 40 DemonstrantInnen wurden bis zu 4 Stunden festgehalten

Weitere Vorfälle gab es keine - lediglich von einer eingeschlagenen Auslagenscheibe in der Neubaugasse erzählt die Polizei (wenngleich die Demo am Abend nie in der Neubaugasse war und niemand den Vorfall bestätigen konnte), angeblich wurde auch am Gürtel eine Fenster- oder Autoscheibe eingeschlagen, was ebenfalls nicht bestätigt werden kann. Dennoch ließen sich Krawallzeitungen dazu hinreißen, von Krawallen zu schreiben. Fragt sich, wie die Zeitungen es nennen werden, sollte es tatsächlich einmal zu Krawallen kommen. Vermutlich wird dies dann als Bürgerkrieg oder nuklearer Weltkrieg bezeichnet. Dem Superlativismus des Boulevards sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.

horrende Einsatzkosten

Ein großer Bus der Polizei wurde beim Einfahren in die Stiftskaserne gesichtet. Vorsichtig geschätzt kann man sicherlich von 300 PolizistInnen ausgehen, die ab der Räumung um 11 Uhr Mittag bis weit nach Mitternacht in Dienst oder Bereitschaft waren. Bei einem Brutto-Stundenlohn pro Dienststunde von 25 € (ohne Zuschläge!) ergibt allein das rund 4.000 Dienststunden bzw. 100.000 € Kosten. Zuschläge, Betriebsaufwand (Hubschrauber, Räumpanzer, Fahrtkosten, Straßensperren etc.) mit eingerechnet kommt sicher noch eine Menge dazu, die Einsatzkosten könnten also bis zu 200.000 € betragen oder mehr - Auskünfte dazu gibt die Polizei freilich keine. Man kann jedoch davon ausgehen dass die Wiener Polizei pro Jahr ein paar Millionen Euro nur für Demonstrationen und Räumungen aufwenden muss. Zumindest Räumungen von leerstehenden Häusern könnte sich die Polizei sparen, gäbe es - wie von Rot und Grün im Koalitionsabkommen vereinbart - endlich die legale Möglichkeit von Zwischennutzungen bis zum Abriss/Neuverwendung von leerstehenden Häusern. Doch bislang ist trotz vieler Ankündigungen seitens der Grünen nichts in diese Richtung geschehen, selbst Lippenbekenntnisse bleiben aus.

Wilde 13

11. November:
Nur 3 Tage nach der Räumung des epizentrums wurde ein Ausweichquartier in der Westbahnstraße 13 bezogen. Es hätte ein ruhiger Versammlungsort werden sollen, doch stattdessen rief der Künstler (der nach eigenen Angaben auch im Epizentrum war und die Sache unterstütz hat), der im Erdgeschoß Ausstellungsflächen, die nicht von der Besetzung betroffen waren, angemietet hat, die Polizei. Diese begann um 21 Uhr mit einer 24-stündigen Belagerung, die ergebnislos (das Haus blieb besetzt) beendet wurde. Ursprünglich hätte das Haus allem Anschein nach noch am selben Abend - ohne Räumungsbescheid, wie zuletzt im Sommer mehrmals geschehen - illegal geräumt werden sollen. Ebenso illegal war wohl das Eindringen der PolizistInnen in den Hof des Gebäudes, der auch von NachbarInnen genutzt wird, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Eigentümer ermittelt und kontaktiert werden konnte. Nichtsdestotrotz besetzte die Polizei um 23 Uhr den Hof und verbarrikadierte (!) das Einfahrtstor mit Holzlatten und bewachte die Eingänge zur Westbahnstraße.

Als eine 20 Mann/Frau starke Einsatzeinheit beigezogen wurde und in den Hauseingang drängte drohte die Lage zu eskalieren: Die BesetzerInnen im Haus waren entschlossen, die (illegale) Räumung nach nur wenigen Stunden Besetzung abzuwehren, zündeten Feuerwerkskörper (Foto) und schmissen Dosen und angeblich auch Bierflaschen auf die Straße und das dort geparkte Polizeifahrzeug. Die Polizei zog sich daraufhin zurück, blieb jedoch in ihren Einsatzfahrzeugen noch die ganze Nacht hindurch vor Ort in "Bereitschaft". Wozu die Bewachung eines besetzten Hauses gut sein soll, konnte sich nicht einmal die "Steuerzahler"-Watchdog-Zeitung "Heute" nicht erklären.

Zufälligerweise fand am selben Tag erneut eine "Occupy"-Demonstration statt, wie schon bei (kurz nach) der Besetzung des "epizentrum".

12. November:
in der Wilden 13
Das belagerte Haus wird von draußen mit Lebensmitteln und Wasser versorgt - Strom ist hingegen vorhanden. Außerdem gehen einige Leute über eine Leiter ein und aus, was die Polizei nicht bemerkt.

Am Abend zieht eine "Reclaim the Streets"-Tanzdemo vom Museumsquartier über die Mariahilfer Straße, Lindengasse, Ex-Epizentrum zur Westbahnstraße. Die Polizei stößt erst in der Lindengasse dazu, bis dahin steckten Streifenwägen im Verkehr fest. Die Polizei umstellte nun das Epizentrum, ein Teil folgte der Demo bis zur Westbahnstraße - dort eilten PolizistInnen rasch zu den Eingängen um ihre KameradInnen zu verstärken - doch diese ließen ihre ans Tor polternden Kollegen gar nicht erst hinein. Foto des Demo-Zuges und Bericht im Kurier.

der Ton wird rauer?
Die Demonstration, etwa 50 Leute, zerstreute sich nun und kehrte etwa eine Stunde später zum Haus zurück. Die Polizei war offenbar verwirrt und besetzte mit jeweils zwei Mannschaftswägen zentrale Punkte im Siebten Bezirk - mit Helm und Schildern aufgestellt! So etwa in der Lindengasse und in der Neubaugasse. Man befürchtete offenbar Krawalle.

Als gegen 20 Uhr erneut einige Leute vor der Westbahnstraße 13 versammelt waren zog die Polizei unvermittelt ab. Das Haus war nun wieder zugänglich.

14. November:
Ein Lokal-Augenschein des Standard ergibt, dass sich nur wenige Menschen im Haus und im Hof befinden. Leute im Hof, die sich um einer Feuertonne wärmten, werden mit "der harte Kern ist grad einkaufen oder so" zitiert ^^ - diese Chaoten!

15. November:
Erneut "Reclaim the Streets"-Tanzdemo. Dieses Mal nur rund 40 Personen, die ins Museumsquartier ziehen und ca. 1,5 Stunden mitten im Haupthof tanzen und Parolen rufen ("Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag"), auch auf das Sicherheitspolizeigesetz, das an diesem Tag vom Ministerrat abgesegnet wurde, wurde kritisch Bezug genommen. Securities und Polizei können keinen Grund zum Einschreiten finden - BesucherInnen des Museumsquartiers zeigen sich überwiegend amüsiert. Sogar ein Mann im Spiderman-artigen Superheldenkostüm mit "MQ"-Logo drauf ("MQ-Man"?) stoßt zur Menge und tanzt frenetisch zu "Fight for your right to party" - um danach ebenso unerkannt wieder zu verschwinden wie er aufgetaucht ist.

Audimax-Intermezzo:
Die Tanzdemo wird danach zur Hauptuni verlagert und zieht dort unter großer Verwunderung und teilweise Jubel der Publizistik-Erstsemestrigen ins Audimax ein. Die PUK-Vorlesung wird abgebrochen, die meisten Studierenden bleiben. Die nachfolgenden "Pharmazie"-Studierenden, die schon bei ihrem Versuch, Medizin studieren zu wollen, einen herben Rückschlag erfahren haben, verstehen hingegen keinen Spaß: Sie wollen ihre Vorlesung, ihr Professor und sein Schani preschen vor: der Schani zieht das Kabel, der Professor lässt abstimmen, ob seine Untergebenen lieber Vorlesung oder Besetzung hätten. Ohne Gegenreaktionen abzuwarten erklärt er unter großem Jubel die Besetzung für beendet. Pharmazie-Studierende werden derweil im Internet endgültig zu den uncoolsten Studierenden Österreichs verdammt.

Die TanzdemonstrantInnen nehmens gelassen und ziehen weiter zum C1, wo die Internationale Entwicklung Vollversammlung abhielt - ihr Studium soll bekanntlich abgeschafft werden. Dennoch wollen sich viele die "gute Gesprächsbasis" mit dem Rektor nicht verscherzen und überlassen es jedem/jeder einzelnen Studierenden selbst, ob sie besetzen wollen oder nicht. Etwa 50 Leute bleiben und erklären den C1, oder besser gesagt dessen Foyer, für besetzt. Es wird über das Sicherheitspolizeigesetz, Uni-Politik und Freiräume diskutiert und pleniert, folgender Text wurde veröffentlicht: Der Hut brennt und die Kacke dampft.

16. November:
Die C1-Besetzung wurde nach einer Nacht beendet. Polizeieinsatz gab es weder beim Audimax- noch beim C1-Intermezzo. Stattdessen "räumte" die Polizei die "Wilde 13", die jedoch bereits seit mindestens einem Tag ohnehin wieder leer stand. Ein "Heute"-Bericht am Dienstag berichtete von "Krawallen" im "Öko-Bobo-Bezirk Neubau" ohne jedoch zu erwähnen, dass sich die erwähnten Vorfälle am Freitag, also vier Tage zuvor, ereigneten, und wohl kaum die Bezeichnung verdienen. Es sei denn, eine hingeschmissene Bananenschale auf einem Gehsteig würde als Terroranschlag durchgehen.

... to be continued!

Dienstag, 25. Oktober 2011

BUWOG-Areal in Wien-Neubau besetzt - Epizentrum eröffnet!

[letztes Update: 25.10.2011]
Diesmal ist alles anders - und doch ist es nur die logische Fortsetzung dessen, was in Wien in den letzten Jahren, katalysiert durch die Audimax-Besetzung 2009, an alternativen Strukturen entstanden ist. Statt einer Hörsaal-Besetzung oder einer weiteren Demonstration mit verhältnismäßig (zu) geringer Beteiligung um in der festgefahrenen österreichischen Politik Gehör zu finden einfach machen, wovon andere bestenfalls reden - meist aber nicht einmal das. Wo von den Medien erfundene "Wutbürger[innen]" gegen - wie man meinen könnte - "eigentlich eh olles" demonstrieren (womit sie ja "eigentlich eh" auch recht haben) nehmen sich jene, die in der Reflektion und Analyse der "Euro/Schulden/Griechen/Kapitalismus/und eigentlich eh olles-Krise" schon ein Stück weiter sind, statt aufgestauten Frust und Wut (dieses Ventil ist bei jenen ohnehin permanent geöffnet) an unschuldigen Parks und Plätzen abzulassen, einfach den Raum der uns (eigentlich?) ohnehin allen zusteht / zustehen sollte.

In der Nacht von 13. auf 14. Oktober wurden die über einen Hof zusammenhängenden Gebäude Lindengasse 60-62 (bzw. Zieglergasse 19) besetzt. Exakt drei Monate nach der Räumung des Lobmeyr-Hofes, dessen Besetzung einiges an Staub aufgewirbelt hat und "Wiener Wohnen", den kapitalistisch bewaffneten Arm der Wiener SPÖ, gehörig in Erklärungsnotstand gebracht hat (ebenso die Grünen, die die "Legalisierung von Zwischennutzungen" ins Koalitionsprogramm hineinverhandelt hatten, sich nun aber machtlos dem Treiben von Inseraten-Stadtrat Michael Ludwig ausgeliefert sahen). Unnötig zu erwähnen, dass dieser Notstand bis heute nicht aufgelöst wurde. "Hände falten, Goschn halten" ist kein Verhaltensmonopol des Klein- und Spießbürgertums. Mehrere Beiträge von WienTV, in denen sowohl die Pressesprecherin der Wiener Polizei als auch die Direktorin von Wiener Wohnen interviewt worden, sagen mehr als tausend Worte (alle Videos im Blog-Eintrag vom 14. Juli).

Schutzzone, BUWOG und Neubauer Grüne - wie geht das zamm?

Dieses Mal jedoch ist das Haus nicht am Stadtrand sondern im Zentrum, es sind nicht Sommerferien sondern Semesterbeginn (wenngleich Studierende nur ein Teil des Ganzen sind), das Haus gehört nicht (mehr) der Stadt oder dem Staat sondern einem skandalumwitterten Immobilienkonzern und Neubaus Bezirksvertretung wird von den Grünen angeführt im Gegensatz zu Ottakring, wo sich Politik-Polizei-Medien-Verflechtungen offenbart haben, wie sie viele wohl kaum (noch) für möglich gehalten hätten. Doch hier geht es um Altbauten auf einem Grundstück mit Millionenwert in einer der städtischen Schutzzonen zur Erhaltung des Stadtbildes.

Das Gebäude Lindengasse 62 stammt aus der Biedermeierzeit und ist ebenso wie die anderen beiden Gebäude weder einsturzgefährdet noch baufällig oder sonst irgendwie gefährlich. Im Gegenteil: Noch bis vor ein bis zwei Jahren war im innen gut ausgebauten Gebäude Lindengasse 62 die "Neue Sentimental Film" untergebracht - ein Nachmieter wurde bezeichnenderweise wegen zu hoher Mietforderungen des vorherigen Eigentümers nicht gefunden. Dieser verkaufte schließlich an die BUWOG - die das Haus nun ohne jeden Anlass (außer der Profitinteressen - denn Strom, Wasser und sogar die Heizung funktionieren, das Haus ist weder baufällig, abrissreif noch sonst irgendwie gefährlich, wie ein Architekt und ein Statiker, die am 24.10. das Haus begutachteten, bestätigt haben - was willfährige Propaganda-Dreckschleudern wie die Gratiszeitung "Heute" freilich nicht davon abhält, gegen das Haus zu kampagnisieren) abreißen will und mit den Bezirksgrünen scheinbar auch schon einen Modus gefunden hat, wie dies vonstatten gehen soll: Ein kleiner Teil des Grundstücks an der Kreuzung Zieglergasse/Lindengasse soll als "öffentlicher Park" genutzt werden - ein "Verhandlungserfolg" der Grünen, der Millionenprofite für die BUWOG auf diesem Grundstück erst möglich macht - was ohne den Abriss der schutzwürdigen und gut erhaltenen Gebäude (die IG Denkmalschutz protestierte bereits im Jänner 2011 mit einem offenen Brief) nicht möglich wäre. Für einen Abriss der Gebäude wäre jedenfalls ein Bescheid der (grünen!) Bezirksbehörde nötig, der allem Anschein nach noch nicht ausgestellt wurde, wodurch den Grünen die entscheidende Verhandlungsposition zwischen BesetzerInnen und BUWOG zukommen könnte. Noch nie lag es so sehr an den Grünen, ob eine Zwischennutzung eines leerstehenden Hauses für längere Zeit möglich wird oder ob das seit Jahren andauernde Katz-und-Maus-Spiel in der Stadt der leeren Häuser mit einem weiteren kostspieligen Einsatz der Polizei-Spezialeinheit WEGA fortgesetzt wird.

Wiener Gemütlichkeit statt Wut an der 15. Oktober-Demo

Nicht ganz zufällig fand die Besetzung - die am 14. Oktober gegen 18 Uhr via Indymedia öffentlich bekannt gemacht wurde - am Vorabend der internationalen Proteste im Zeichen der "Occupy"-Bewegung statt, im Zeichen derer auch in Wien zur Demonstration aufgerufen wurde. Wie jedoch zu erwarten war dominierte die Wiener Gemütlichkeit - "Wutbürger/innen" sehen anders aus. Woanders jedenfalls. Immerhin 2.500 Menschen kamen - aber gingen auch relativ rasch, als zwischen Ankunft am Heldenplatz gegen 17 Uhr und Schlusskundgebung um 19 Uhr eine große Lücke klaffte und ohnehin absehbar war, dass außer verschiedenen Bekehrungsversuchen durch die üblichen - sowie einige weitere - Gruppierungen und Organisationen nicht mehr viel passieren wird. Dem war dann auch so.

Daher hat man das Haus auch schon am Vorabend besetzt - damit die Stube schon vorgewärmt ist für jene, die zwar nicht am Heldenplatz ausharren oder gar campieren wollen, aber auch nicht einfach nach Hause (in die "eigenen vier Wände", wie man so "schön" sagt) gehen wollten, wie das leider sonst immer der Fall ist bei Demonstrationen in Wien. Und da Zeltlager im kontinentaleuropäischen Winter nur etwas für ganz hartgesottene oder Wahnsinnige sind, ist die Besetzung eines Hauses, das viel Platz für Treffen und andere gemeinsame Aktivitäten bietet, eine gar nicht so abwegige Idee. Lediglich Anonymous Austria empfand die Hausbesetzung als "Missbrauch" der #Occupy-Bewegung - wie das denn nun zu verstehen sei, diese Antwort blieben sie trotz dutzendfacher Nachfrage auf Twitter schuldig.

Von "Eigentum" und "Besitz" - wie gerechtfertigt ist eine Haus-"Besetzung"?

Wie ein schöner, unerwartet tiefsinniger Spontan-Vortrag nach Ende des "Tanz durch den Tag"-Programms am Sonntag (23.10.) ausführte, beginnt das große "Missverständnis" von der Auffassung unseres Lebens als "freie", konsumierende Menschen schon mit den Begriffen von "Eigentum" und "Besitz", die sich sprachwissenschaftlich ebenso schön zerlegen und auf ihre lateinischen, altgriechischen oder althochdeutschen Wurzeln zurückführen lassen, wie Begriffe wie das "Subjekt" (--> "Unterworfene") oder die "Person" (--> "Maske"). Ohne näher auf die äußerst interessanten Ausführungen zur Sprache als steuerbares und gesteuertes Machtinstrument eingehen zu können (dazu fehlt mir schlicht die Expertise; eine Auseinandersetzung damit lohnt sich jedenfalls!) sei festgehalten, wie sehr sich unsere Weltanschauung doch durch derart geprägte Begriffe definiert - und wie sehr wir von der einen Minute auf die andere Dinge ganz anders wahrnehmen können, wenn wir bloß die Wörter, die wir verwenden, hinterfragen und auf ihre ursprünglichen Bedeutungen zurückführen. So kommt "Besitz" natürlich von "besitzen", bezeichnet also jene Dinge, die man tatsächlich benützt, gebraucht oder im wahrsten Sinne des Wortes be-sitzt, be-liegt oder was auch immer ... Ein leerstehendes Haus gehört - wenn man von den künstlichen Identitäten der "juristischen Person" und dem davon abgeleiteten "Eigentum" absieht - in Wahrheit niemandem. Erst wenn Menschen das "Objekt" mit Leben erfüllen hat es wieder "Be-sitzer".

Systematische Zerstörung von Altbauten in Wien - alle machen es

Ein gut erhaltenes altes Haus mutwillig unbewohnbar zu machen - etwa durch das künstliche Herbeiführen von Wasserschäden, die die Bausubstanz schädigen und das Haus mit Schimmel überwuchern lassen (so wie das "Wiener Wohnen" beim Lobmeyr-Hof gemacht hat) oder indirekt durch das nicht-abstellen der Wasserleitungen vor dem Wintereinbruch, was nach den ersten Frosttagen unausweichlich zu Wasserrohrbrüchen und ebenfalls Wasserschaden führt (laut einem Statiker, der heute das Haus begutachtet hat, gängige Praxis bei Altbauten in Wien, wenn profitorientierte Eigentümer eine Begründung für die Abbruchbewilligung brauchen um lukrativere Neubauprojekte zu ermöglichen) ist jener Umgang mit dem knappen Wohn- und Lebensraum in Großstädten, den Immobiliengesellschaften wie die BUWOG, aber auch die Stadt Wien selbst, systematisch an den Tag legen - bloß um Gründe für den Abriss vorweisen zu können. Zumindest dieses Mal kamen die Besetzer/innen den Eigentümern zuvor.

Alle bleiben

Was in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar war trat ein: Noch am Abend der offiziellen Besetzung (FR, 14.10.) pilgerten hunderte - schätzungsweise insgesamt an die 700 bis 800 Personen insgesamt - in die Lindengasse, die nur einen Pflastersteinwurf von Mariahilfer Straße, Westbahnhof, Gürtel und Neubaugasse entfernt im eigentlichen Herzen Wiens liegt ;). Bis zu ca. 400 Personen gleichzeitig belebten das Areal in den Nachtstunden - es herrschte eine Stimmung vor, die eher an die Audimax-Besetzung 2009 als an frühere Hausbesetzungen erinnerte. In mehreren Räumen wurde - jeweils umgeben von dutzenden enthusiasierten ZuhörerInnen - musiziert, es gab ein stundenlanges Hip Hop/Reggae-Jam, aus diversen Soundanlagen tönte elektronische Tanzmusik oder auch Punk, Kerzenschein und provisorische Lichtinstallationen prägten das Bild - im Hof gab es eine Feuer-Jonglage-Show. Kurzum: Allen war von Anfang an klar, dass hier ein neuer großer Freiraum für Alle eröffnet wurde - und machten auch sofort davon Gebrauch. So auch die ersten Graffiti-Artists, die einen tagelangen Spray-Marathon begannen und dem Haus so von Tag zu Tag ein immer anderes Erscheinungsbild zu geben.

Auch am Samstag sah es nicht viel anders aus - bloß eine Spur kleiner, was aber immer noch mehrere hundert Menschen bedeutet. Am Sonntag wurden erste Barrikaden gebaut, doch eine Räumung blieb aus. Ab da - mit Beginn der neuen Woche - gab es kein Halten mehr. Auf dem gesamten Areal stürzten sich Menschen in verschiedene Arbeiten und Projekte, die im Laufe der Woche aufgebaut wurden. Eine Übersicht sucht man am besten im Blog der Besetzung, http://epizentrum.noblogs.org - ein Ergebnis der Mediengruppe, die sich dank ausreichend vorhandener Infrastruktur rasch im Herzen des Gebäudes eingenistet hat - und nach mehrmaligem Übersiedelungen nun direkt neben Volxküche, Freie Universität Wien und Wohnzimmer situiert ist. Doch die Raumaufteilung ändert sich laufend - der ehemalige (viel zu kleine) Medienraum ist nun das Vokü-Lager ... das Wohnzimmer war zuvor Versuchsstation eines expressionistischen Künstlers, der jedoch nach Scheitern seines Projekts (einer Kunstinstallation unter Verwendung von Beton, der keiner war) nicht mehr gesehen wurde.

Feste feiern wie sie fallen

Es wäre zu viel, hier nun auf alle Initiativen, Ereignisse, Räume usw. einzugehen - ich verweise erneut auf den hervorragend betreuten Blog ;) - aber Highlights und in dieser Art einzigartig in der jüngeren Hausbesetzungsgeschichte von Wien waren definitiv die Errichtung einer Bar, die sich durch freie Spenden von Konzert- und PartybesucherInnen finanziert, und in weiterer Folge die Soli-Party des Lastenrad-Kollektivs (mit Besuch von CriticalMass), die mit Konzerten, Soli-Cocktail-Bar und Glühmost aufwartete - respektive der Tekkno-Party, die im Anschluss Haus & Hof nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Schätzungen gehen von über 1.000 BesucherInnen an diesem Abend aus. Genau deswegen (u.a.) wurde der darauffolgende Samstag zum Ruhetag erklärt - zum einen aus Rücksicht auf die Nachbarn, zu denen ein gutes Verhältnis aufrecht erhalten werden soll, zum anderen auch ob der suboptimalen Begleiterscheinungen derartig großer Feste, die auch Unannehmlichkeiten und Stress mit sich bringen. Und schließlich um zu reflektieren, wie man mit all dem am besten umgeht, Stress vorbeugt und das nötige Verantwortungsgefühl im Umgang mit Haus und BewohnerInnen bei den BesucherInnen erwecken kann.

Bereits am Tag darauf, Sonntag, gab es mit dem Programm von "Tanz durch den Tag" ab 12 Uhr Gelegenheit, die Lehren dieser Erfahrungen anzuwenden. So war etwa von Anfang an klar, das um 22 Uhr - dann ohnehin nach schon zehn Stunden - die Party zu Ende sein muss - was offenbar auch gut kommuniziert wurde und vom Publikum erstaunlich gut angenommen wurde, das nach Abdrehen der Musik laut jubelte und klatschte. Die Tekkno-Party am Freitag musste ja am frühen morgen etwas abrupter beendet werden, was bei DJs wie Publikum gleichermaßen Unverständnis hervorrief.

Zum Abschluss noch ein paar Eindrücke aus dem Haus. Ein Pressespiegel findet sich ebenfalls im Blog des Epizentrums, hier sei lediglich noch auf einen Beitrag samt Interview-Mitschnitt (vom 24.10.) von Radio Orange auf nochrichten.net verwiesen.




 
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