Mittwoch, 6. Juni 2012

IE bleibt unbequem - Protestkultur der Marke "Internationale Entwicklung" in Wien


[folgendes Kommentar wurde im Mai 2012 für die Juni-Ausgabe der über.morgen verfasst, konnte dort jedoch aus Platzgründen nicht abgedruckt werden; hier nun in einer leicht überarbeiteten und erweiterten Fassung]

Für viele überraschend entwickelte sich der bereits lang andauernde Kampf der Studierenden derInternationalen Entwicklung (IE) zu einem „heißen Frühling“ an der Uni Wien – ein kleiner Rückblick: Am 13. März startet die IE mit einem fast schon zum leeren Ritual verkommenen „Rektoratsfrühstück“ in das Sommersemester. Mit 50 TeilnehmerInnen – bei rund 3.000 Studierenden – fiel die Beteiligung schwach aus. Zur Erinnerung: Sowohl das alte wie auch das neue Rektorat zeigen sich kompromisslos in ihrer Weigerung, das aufgrund seiner interdisziplinären und Machtstrukturen hinterfragenden Ausrichtung beliebte Studium vollständig aufrecht zu erhalten.
Foto: Im besetzten Rektorat
Beim nächsten „Rektoratsfrühstück“ am 19. April gelang der perfekte Überraschungsmoment, als Punkt 11 Uhr über 100 Protestierende in das Rektorat eindrangen. Als die Polizei eintraf, bildete sich im dortigen Prunksaal eine ineinander verschränkte Sitzblockade. Fest entschlossen ließen sich fast alle von der Polizei aus der Blockade reißen und hinaustragen. So dauerte die Rektoratsbesetzung über drei Stunden – so lange wie noch nie. Im Anschluss zog eine Spontandemo zum Campus, von wo aus rund 300 TeilnehmerInnen zur Audimax-Besetzung aufbrachen. Diese war nie als „Dauerbesetzung“ angedacht, dennoch ließ das hochnervöse Rektorat noch vor 22 Uhr die WEGA anrücken. Ohne die gesetzliche Abzugsfrist zu gewährleisten, hielt die Polizei alle Studierende 15 Minuten im Audimax eingeschlossen, bevor alle Personalien aufgenommen wurden. Hunderte Solidarische bejubelten die rausbegleiteten BesetzerInnen hinter dem Uni-Gebäude – vereinzelt flogen Bananenschalen Richtung abziehende WEGA-Beamte.


Foto: Polizei, so weit das Auge reicht - nach der Räumung von rund 500 protestierenden StudentInnen aus dem Gang vor der "geheimen" Senatssitzung ...
Am 26. April riefen ÖH, „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ (ABS) und „Stop STEOP“ zum Protest gegen „autonome Studiengebühren“ auf – auch IE-Studierende beteiligten sich. Bis zu 500 kamen und blockierten den Senatssitzungssaal, sodass ein Ausweichquartier gefunden werden musste. Dann wurde es sehr laut in den Gängen der Universität und ein Teil ließ seine Wut an der Tür des Sitzungsbüros aus, die mit Klappleiter und Eisenstangen aufgebrochen werden sollte. Erst nach 20 Minuten gelang es der Polizei, in den Gang vorzudringen, es gab Tumulte, zunächst wurde die Polizei sogar ein Stück weit zurückgedrängt – schließlich belagerten über 100 PolizistInnen das Senatsbüro – also wurde der Ring blockiert.

Foto: Motorrad-Polizisten unterstützen überrannte Polizisten am Eingang des Wissenschaftsministeriums
Am 3. Mai wurde das Wissenschaftsministerium für etwa eine Stunde besetzt. Und auch an den wöchentlichen After-Protest-Partys der IE am Campus kam es zu Momenten von Selbstermächtigung und Solidarisierung. Mehrere Polizeieinsätze wegen zB. nächtlicher Graffitis oder angeblicher Ruhestörung wurden durch solidarisches Auftreten – völlig gewaltlos – abgewehrt – Anzeigen verhindert. 

Foto: Polizeieinsatz am Campus am 21. April gegen 1:30 Uhr
Der erste fand an der Party in der Nacht vom 20. auf 21. April statt - also unmittelbar nach den belastenden Räumungen der Rektorats- und Audimax-Besetzung des Vortages - entsprechend ausgelassen wurde gefeiert, Frust in Tanzen kanalisiert. Nachdem Securities Tagging-Stifte von Anwesenden klauten griffen einige zu Spraydosen und sprühten Parolen gegen Rektorat, Securities u.a. an diverse Wände. Daraufhin folgte ein Polizeieinsatz, der durch immer weitere Einheiten verstärkt wurde. Da keine Schuldigen für die Graffitis identifiziert werden konnten und die mittlerweile 8 PolizistInnen immer lauterem (aber friedlichen) Widerstand (z.B. "Haut ab"-Rufe) ausgesetzt waren, zogen sie unverrichteter Dinge ab.

Foto (Quelle): Anlass für nächtlichen Polizeigroßeinsatz am Campus am 20./21. April
Um 5:30 kehrten sie zurück - diesmal mit 2 WEGA-Beamten als Verstärkung - und ließen die Musik unverzüglich abstellen. Damit hätte der Einsatz auch schon wieder vorbei sein können, doch insbesondere ein besonders "motivierter" Polizist suchte die Konfrontation und versuchte in der Folge zwei Personen wegen Beamtenbeleidigung (oder etwas in der Art) anzuzeigen. Eine dieser Personen wurde offenbar nur wegen ihrer dunklen Hautfarbe von mehreren Polizisten provoziert - die noch etwa 80 Personen große "Party-Meute" wies jedoch alle Aggressionen der Polizei solidarisch und entschlossen zurück. Nach heftigen Diskussionen und beinahe tumultartigen Situationen, als der "besonders motivierte" Polizist von umstehenden eingekesselt wurde, zogen die PolizistInnen dann doch ohne Anzeigen ab.

Ein weiterer Polizeieinsatz (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) erfolgte bei der IE-Party im Hof 2 zwei oder drei Wochen später: Diesmal wurde es versäumt, sich solidarisch gegen den Einsatz zu stellen, viele bemerkten die anrückende Polizei nicht einmal. Offenbar kamen nur zwei PolizistInnen als "Delegation" zur Musikanlage um deren Abschaltung zu veranlassen - eine sicher entfernte Ecke weiter warteten rund 10 PolizistInnen, darunter erneut WEGA-Beamte (zwei oder vier?) und einer mit Polizeihund, als Verstärkung. Erst nach etwa 30 Minuten ohne Musik, als das gesamte Dutzend Polizei sichtbar wurde und geschlossen abzog, setzte es noch einige Pfiffe und Buh-Rufe hinterher. Eine ähnliche Party wurde dann an anderer Stelle bis spätmorgens ohne weitere Polizeieinsätze fortgesetzt ;)

Zuletzt gab es eine (fast-)nackt-Intervention am Life Ball am 19. Mai (vgl. ichmachpolitik.at, Daniel Weber/flickr), ein Parkfest am 24. Mai sowie den Bildungsaktionstag am 5. Juni (vgl. derstandard.at, orf.at). All dies brachte in diesem Semester die „unverständliche“ Abschaffung des beliebten, international ausgerichteten Studiums in aller Munde – und damit jede Menge Solidarisierungspotenzial für künftige Proteste.

--> siehe auch: Indymedia-Feature "Uniproteste gegen Studiengebühren und für die IE!"
 
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