Dienstag, 22. Mai 2012

Café Rosa in Wien besetzt

Am Montag, den 21. Mai 2012, wurde gegen Mittag das Café Rosa in der Währinger Straße 18 besetzt. Ein Kommuniqué wurde auf Indymedia und der Café Rosa-Webseite veröffentlicht. Der reguläre Betrieb war aufgrund finanzieller Probleme bereits vor einigen Wochen ausgesetzt worden, während ein Verein aus motivierten Studierenden das Lokal dann eine Weile ehrenamtlich weiter betrieb. Da die ÖH (der Uni Wien) mit dem Beschluss, das Lokal in Zukunft kommerziell zu verpachten, ihre Ideale und alternativen Ansprüche  aufgegeben hat, wollte auch der Verein nicht mehr weitermachen.

Eine Gruppe Studierender und nicht systemkonformer Jugendlicher - die Wiener Zeitung nennt sie "Studenten, Punks und Hippies" - ergriff daraufhin die Initiative und besetzte kurzerhand das Café.  Ziel ist es, das kapitalistischen Sachzwängen geopferte Konzept eines selbstverwalteten Studi-Lokals, für welches in der ÖH rund zehn Jahre mühsam gekämpft worden war, nicht nur wieder zu beleben, sondern auch auszubauen. Der Gegenbeweis zur These der ÖH, dass ein autonomes Studi-Beisl in der Praxis nicht realisierbar sei, soll nun angetreten werden. Dass ausgerechnet eine sich selbst als "links" definierende ÖH dieses Langzeitprojekt, für das sich über ÖH-Generationen viele Personen stark gemacht haben, zu Grabe trägt und den Betrieb an einen "befreundeten" Wirt verpachten will, brachte den Geduldsfaden der Studierenden endgültig zum reißen. Viele fühlen sich von ihren gewählten Vertretern belogen und betrogen, wie eine Besetzerin im Radio Orange-Interview erklärt. 


Kurzer Rückblick - Medienkampagne, "Pleite", "Privatisierung"

Im Mai 2011 gründete die linke Koalition der ÖH Uni Wien (VSStÖ, GRAS, KSV lili) das Café Rosa. In den letzten Monaten lancierte die Opposition (insbesondere Aktionsgemeinschaft (AG) und Ring Freiheitlicher Studenten (RFS)) eine einseitige Berichterstattung in den Medien, allen voran die Gratis- und Boulevardzeitungen Heute, Österreich und Krone. Das Café-Projekt sah sich nun einer massiven und untergriffigen Hetzkampagne ausgesetzt. So wurde erfolgreich der Eindruck vermittelt, eine halbe Million Euro aus ÖH-Beiträgen sei vollständig "in den Sand gesetzt worden". In Wahrheit sind die Investitionen freilich nicht verloren. Der tatsächliche Verlust für die ÖH beträgt das, was der laufende Geschäftsbetrieb über einige Monate nicht erwirtschaften konnte - also deutlich weniger. Bei rund 90.000 ÖH-Beiträge zahlenden Studierenden keine Katastrophe, wenn auch alles andere als erfreulich.

Etwa zwei Wochen lang war das Café Rosa nun fast durchgehend geschlossen und wurde nur noch zu zwei Anlässen vorübergehend geöffnet. Grund ist, dass aufgrund des defizitären laufenden Betriebs (die Miete beträgt nach uneinheitlichen Angaben etwa 3.000 bis 3.500 Euro, mit Betriebskosten kommt es auf 5.000 € im Monat) Weil die Lizenz zum Betrieb einer Küche und eines Schanigartens wider Erwartens nicht erteilt wurde, war das Erreichen eines ausgeglichenen Geschäftsbetriebs bei fairer Bezahlung des Personals und fairen Preisen für KonsumentInnen unmöglich. Daraufhin zog die ÖH die Notbremse und kündigte dem Personal. Jedoch ein eigens gegründeter Verein war, im Irrglauben, dabei von der ÖH unterstützt zu werden, motiviert, das ganze auf ehrenamtlicher Basis fortzuführen.

Die Ernüchterung folgte aber bald, als die ÖH Uni Wien mehrheitlich beschloss, den Barbetrieb an ein (noch auszuschreibendes) Unternehmen auszulagern, während die "inhaltliche Arbeit" kostenlos, quasi parallel zum kommerziellen Schankbetrieb, weitergeführt werden sollen. Nun schmiss auch der Verein das Handtuch. Vom ursprünglichen Konzept eines autonomen, nicht kommerziellen und selbstverwalteten "Studi-Beisls" ist der neue Plan der ÖH noch viel weiter entfernt, als es der reguläre Geschäftsbetrieb vor der "Quasi-Pleite" schon war. Selbstausbeutung, während alle Einnahmen einem Privatunternehmer zugute kommen, wäre wohl so ziemlich das Gegenteil davon.

Besetzung

Die Besetzung des geschlossenen Lokals lief zunächst reibungslos ab, die Räume konnten ohne Gewaltanwendung betreten werden. Die Zugangsdaten zur Webseite http://www.cafe-rosa.at sowie zum Twitter-Account waren praktischerweise auf dem Desktop des Computers im Lokal zu finden. Keine böse Absichten verfolgend wurden die Passwörter nicht geändert, sodass die ÖH am späten Nachmittag die Kontrolle über beide Kanäle zurückgewonnen  und die gesamte Webseite ersatzlos offline genommen hatte. Über Twitter wurde eine ÖH-Presseaussendung verbreitet. Währenddessen werden im Hintergrund ÖH-Fraktions-Grabenkämpfe weitergeführt. Das Niveau kann getrost als unterirdisch und einer Universität als unwürdig bezeichnet werden (vgl. auch Presseaussendungen...).

Nachdem die Besetzer das Durcheinenander, welches sie vorgefunden hatten, aufgeräumt  und die VolxköchInnen ihren Betrieb aufgenommen haben, strömten gegen Abend immer mehr Menschen in das Lokal. Über Hundert waren es zu den Spitzenzeiten. Ein Riesentopf Karotten-Kartoffel-Curry-Gulasch (so in der Art) sorgte für den kulinarischen Höhepunkt - der Barbetrieb wurde gegen freie Spenden fortgeführt. Die Getränkelager waren nur teilweise gefüllt, am späten Abend ließ man auf eigene Rechnung für den nötigen Vorrat an Club Mate, Mate Cola und Wostok sorgen. Sämtliche Spenden kommen dem antkapitalistischen Erhalt des Café Rosa zu Gute. Letztendlich ging das Bier aus. Dies war aber aufgrund der hitzigen Diskussionen zwischen allen vorhandenen Fronten im Plenum ohnehin im Interesse der BesetzerInnen. Sämtliche anderen Alkoholika wurden im Lager eingeschlossen, eine Party sollte, das wurde bereits vorab beschlossen, keinesfalls stattfinden. Vor allem nicht an diesem ersten, heiklen Abend.

Unkommerzieller Betrieb auf freier Spendenbasis? "Wohl noch nicht im richtigen Leben angekommen, oder?"

So und so ähnlich lauteten viele Kommentare in LeserInnen-Foren von Online-Medien. Daher soll kurz auf die Praxistauglichkeit des Konzepts eingegangen werden: Das Spendenaufkommen am ersten Tag war überaus erfreulich und übertraf selbst die positivsten Erwartungen (genaue Zahlen sollen keine genannt werden) - und das, obwohl ab etwa 20 Uhr kein Alkohol mehr ausgeschenkt wurde. Jedenfalls scheint die Durchführbarkeit eines unkommerziellen Betriebs auf Basis freier Spenden nach diesem Abend noch viel realistischer als aus bisherigen Erfahrungen (z.B. im Epizentrum und manch anderen gut besuchten und gut geführten autonomen Räumen in Wien) ohnehin angenommen worden war. Das Epizentrum, das vergleichsweise teures Bier ausschenkte, erwirtschaftete an zwei bis drei Tagen mit abendlichem Barbetrieb nur durch freie Spenden im Schnitt 400€ Überschuss pro Woche - und das, obwohl das Publikum überwiegend aus wenig zahlungskräftigen Schichten stammte. Beim Café Rosa in der Währinger Straße ist bei gut organisiertem Programm sicherlich von höheren Überschüssen auszugehen - das zeigte bereits der gestrige Tag.



Das erste Plenum

Im ersten Plenum, das aufgrund ganztägiger Interventionen von zahlreichen ÖH- und Vereins-Mitgliedern mit über zwei Stunden Verspätung begann, endete in einer emotional geführten Endlosdiskussion über die Verantwortung über das Lokal und wer für etwaige Schäden (bis jetzt: keine) aufzukommen habe. Ohne weiter ins Detail zu gehen - es laufen derzeit intensive Gespräche und Rechtsberatungen - war an diesem Abend kaum an inhaltliche Diskussionen und Programmgestaltung zu denken. Aus diesem Grund wurde von den BesetzerInnen beschlossen, das Lokal heute Dienstag widerwillig erst am Abend für alle zu öffnen, um zumindest ein paar Stunden Zeit zu haben, intern und in entspannter Atmosphäre über Organisatorisches, Rechtliches, Programm, Konzepte, Ziele und ihre Umsetzbarkeit zu diskutieren.

Ab 16 Uhr soll für ein Arbeitsgruppen-Treffen geöffnet werden - ein chaotisches Plenum, das sich stundenlang im Kreis dreht und von ÖH-Mitgliedern zur Selbstinszenierung und Sabotage der Gesprächsbasis durch haarsträubende Behauptungen missbraucht wird, soll auf jeden Fall vermieden werden. Zielgerichtete Diskussionen in kleineren Gruppen sollen im Vordergrund stehen. Die für 20 Uhr angekündigte Diskussion über soziale Kämpfe in Griechenland, möglicherweise auch mit Filmvorführung(en), soll wie geplant stattfinden. An weiteren Programmpunkten für die nächsten Tage wird bereits gearbeitet. Mehrere Diskussionsveranstaltungen, welche von Gruppen, die gestern zur Besetzung dazustießen, vorgeschlagen wurden (etwa zur Blockupy Frankfurt letzte Woche und der Solila-Landbesetzung in Floridsdorf, aber auch zur Kindergartenfrage am ÖH-Campus), stehen kurz vor der Umsetzung. Derzeit stehen den BefreierInnen jedoch keine Kommunikationskanäle nach Außen zur Verfügung, da die ÖH ja die Webseite lahmgelegt und Twitter besetzt hat. Lediglich telefonisch ist der Ort weiterhin erreichbar (01/3190954).

Als im Plenum eine nur kurz anwesende Person feststellte, dass in den Reihen der Plenierenden mehrheitlich Vertreter des männlichen Geschlechts zu finden seien, entstand auch gleich wieder ein Text über den unerträglichen Sexismus vermeintlicher "Sexisten-Nazis" in der Szene, mitsamt der Aufforderung, sich deshalb von Besetzungen fern zu halten. Dies soll zumindest der Vollständigkeit halber nicht verschwiegen werden. [--> siehe auch: Kommentare]

Nachtrag 23.5.: Mittlerweile gibt es auch konkretere Kritik an der Café Rosa-Besetzung vom Basisgruppen-Frauen*Plenum (siehe: "Kritik an der vorgestrigen Besetzung des Café Rosa") sowie eine Stellungnahme zum "Sexisten-Nazis"-Text (Anm.: wurde von der Indymedia-Moderation gelöscht - nachlesbar als "versteckter Beitrag"), der offenbar verfasst wurde, bevor die sachliche, nachvollziehbar verfasste Kritik des Frauen*Plenums veröffentlicht wurde. // Gegen Mittag wurde die Besetzung für beendet erklärt.


Medienberichte & Presseaussendungen

- APA-Agenturmeldung (hier z.B. auf derstandard.at / Basis aller Medienberichte zur Besetzung, nur folgende zwei Zeitungen haben eigene Reporter hingeschickt)
- Vienna Online: Lokal-Besetzung in Wien-Alsergrund: Studenten besetzen linkes Studibeisl Cafe Rosa (mit einem kleinen eigenständig recherchierten Absatz ;))
- Wiener Zeitung: ÖH-Café Rosa besetzt - "Verbrennt euer Geld" (ebenfalls mit einem eigenständigen Absatz, am zweiten Tag auch noch kurz aktualisiert, waren auch als erste dort)
- Wiener Zeitung: Hauptstadtszene - Zur Karikatur verkommen

- FM4: Café Rosa ausge(t)räumt

- OTS der ÖH Uni Wien: ÖH Uni Wien: Stellungnahme zur aktuellen Situation - Wir sind gesprächsbereit
- Stellungnahme des VSStÖ-Wien zur Besetzung des Cafe Rosa
- Stellungnahme der GRAS-Wien: Freiräume - aber wie
- OTS des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS): RFS: Aktuelle Entwicklung im Café Rosa ist an Peinlichkeit nicht mehrzu überbieten


... to be continued
 

Montag, 14. Mai 2012

8. Mai 2012-Nachlese


Etwa 600 (eigene Schätzung) bis 1.000, 1.100 (nochrichten.net) DemonstrantInnen versammelten sich am 8. Mai 2012 ab 17 Uhr bei der Unirampe am Schottentor um, wie bereits im Vorjahr, gegen das "Heldengedenken" deutschnationaler Burschenschaften am Heldenplatz zu protestieren. Da auch dieses Jahr wieder ein "zivilgesellschaftliches" (wenn man so will) Bündnis aus u.a. SPÖ Wien, Grünen und Israelitischer Kultusgemeinde (IKG) eine Kundgebung am Heldenplatz anmeldete, war dieser zum zweiten Mal in Folge teilweise für GegendemonstrantInnen zugänglich. Bereits am Nachmittag wurden unter Anwesenheit hunderter ZuhörerInnen Reden abgehalten, darunter Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani und der neue Präsident der IKG, Oskar Deutsch, der im Anschluss mit koscherem Sekt auf die Befreiung Österreichs vom NS-Regime anstoßen ließ. Um etwa 18:15 Uhr zog die Demonstration los. Am Heldenplatz warteten gegen 19 Uhr laut nochrichten.net bereits rund 300 Personen auf die eintreffende Demo.

Je nach Quelle befanden sich also zwischen 900 und 1.400 (laut Polizei: 1.200) Personen auf den antifaschistischen 8. Mai-Kundgebungen und -Demonstrationen. Ab 16:30 Uhr herrschten großflächig Platzverbote - der Heldenplatz war zwar keine Sperrzone, wurde aber dennoch bis auf einen kleinen Teil vor der Nationalbibliothek hermetisch abgeriegt, was insbesondere älteren TeilnehmerInnen der Gedenkkundgebung Schwierigkeiten bereitete (vgl. Video von AUGE IUG) - von TouristInnen und Sonnenhungrigen ganz abgesehen, die zum "Schutz" der Burschenschafter knapp 4 Stunden vor Beginn deres Aufmarsches des Platzes verwiesen wurden. Davon völlig unbeeindruckt zeigten sich in etwa zur gleichen Zeit über 150 TeilnehmerInnen eines "Freeze"-Flashmobs am Stephansplatz, die an diesem denkwürdigen Datum ihrer unpolitischen Überzeugung bzw. politischen Gleichgültigkeit Ausdruck verliehen.
 

Auch Anonymous Austria nahm wieder an den Protesten teil - und ließ den Wiener Korporationsring (WKR), (Mit)veranstalter des Totengedenkens am Heldenplatz, auf ihrer "Heimseite" den "Helden der Roten Armee" - so eines der sich abwechselnden Motive - gedenken. Über 24 Stunden lang war wkr.at auf diese Weise offenbar hilflos der aufsehenerregenden digitalen Protestaktion ausgeliefert - so lange, dass die gehackte Seite schon in den Google-Suchergebnissen aktualisiert wurde (vgl. Bild oben).

zwischen 600 und 1.000 DemonstrantInnen in zwei Gruppen konzentriert - Antideutsche & K-Gruppen im Bild rechts hinten - Basisgruppen & alle Anderen im Bild vorne

Bis zum Eintreffen der Burschenschafter gegen 20 Uhr verließen jedoch bereits viele wieder den Heldenplatz, vor dessen mit elektronischer Musik bespielter Bühne sich genau niemand versammelte - lieber genoss man noch die letzten Sonnenstrahlen im letzten nicht abgesperrten Fleckchen Wiese des Heldenplatzes (nachdem die Polizei ab 16:30 alle Leute von den Wiesen vertrieben hatte). Das Polizeiaufgebot war wieder enorm, auch der Polizeihubschrauber (Kostenpunkt: 65 € pro Minute) kreiste über dem ach so unübersichtlichen Heldenplatz. Nicht zu Unrecht bemerken Gastkommentare in der bürgerlichen Presse die Unverhältnismäßigkeit, ja gar Absurdität des ganzen 8. Mai in Wien, wo der geschichtsträchtigste Platz der Stadt nicht zur Feier der Befreiung vom Nationalsozialismus genützt wird, sondern ewiggestrig uniformierte, mit Säbeln bewaffnete Burschenschafter unter gigantischem Polizeischutz regelrecht einmarschieren, um den toten deutschen Soldaten des Krieges zu gedenken:

>> Wenn die rechten Burschenschafter und einzelne schlagende FPÖ-Mandatare wirklich dem Ende des Dritten Reiches nachtrauern wollen, dann sollen sie das doch bitte in ihren Klublokalen oder sonst wo tun, aber nicht öffentlich auf dem Heldenplatz unter dem Schutz der Wiener Polizei und des Innenministeriums. << (Gerhard Zeilinger: Befreit den Heldenplatz endlich von diesem Spuk!, Der Standard, 10. Mai 2012)

>> Die einzige öffentliche Veranstaltung an diesem bedeutungsgeladenen Ort war kein Staatsakt, sondern eine " Gegenveranstaltung", bei der Vertreter der SPÖ, der Wiener Grünen, der Israelitischen Kultusgemeinde und des Personenkomitees "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" auftraten. Was aber heißt "Gegenveranstaltung"? Schreiben wir wirklich das Jahr 2012?
An diesem Tag wurde sogar, was äußerst selten geschieht, das große Burgtor gesperrt und das Areal hermetisch abgeriegelt. Das Platzverbot wurde vom Wiener Polizeipräsidenten damit begründet, dass "aufgrund zu befürchtender gewalttätiger Ausschreitungen anlässlich des Umzugs zum ' Totengedenken des Rings Volktreuer Verbände' (...) anzunehmen (ist), dass eine allgemeine Gefahr für Leben (!) oder Gesundheit mehrerer Menschen und für Eigentum im großen (!) Ausmaß (...) entstehen wird".

Wie gut, dass die Polizei uns vor diesen Umtrieblern schützt, könnte man sich da zunächst denken. Aber das dicke Ende kommt im Paragrafen 3 der Verordnung, denn dort wird klar, dass es just umgekehrt ist: Die " Totengedenkler" dürfen rein in den Sperrbezirk und alle anderen nicht. Die Polizei ist demzufolge also nicht dazu da, die Mehrheit vor einer Belästigung durch die Umtriebe dieses Häufleins Verirrter - Sieger sehen wahrhaft anders aus! - zu schützen, sondern dazu, die "Volktreuen" vor jenen zu schützen, die an diesem 8. Mai wieder einmal das internationale Ansehen Österreichs durch ihr Auftreten gerettet haben, darunter viele Jugendliche, die den großteils nicht viel älteren Polizisten in ihren Star-Wars-Anzügen überwiegend mit entwaffnender Gelassenheit und ebensolchem Humor begegnet sind. << (Peter Zawrel: 8.-Mai-Gedenktag: Schreiben wir wirklich das Jahr 2012?, Der Standard, 9. Mai 2012)

Am Heldenplatz

Zugang zum Heldenplatz vom Ring bei der Nationalbibliothek

Anders als im Vorjahr blieb das Burgtor dieses Mal aber vollständig geschlossen. Die Demo konnte durch das geöffnete Eisengitter-Tor neben der Nationalbibliothek am Ring zuströmen - auf der gegenüberliegenden Seite war auch eine Passage durch die Hofburg frei. Befürchtungen, die Polizei könnte die Menge - wie im Vorjahr - beim abströmen, zeitgleich/parallel zu den Burschenschaftern, hindern bzw. einkesseln, bewahrheiteten sich nicht
--> die diesjährige polizeiliche Sperrzone und ihre Begründung

Polizei zieht Tretgitter-Reihen wieder zusammen, Menge wich zurück
Die antifaschistische Kundgebung am Heldenplatz verlief weitgehend zwischenfallsfrei und spürbar ruhiger als im Vorjahr. Die Pufferzone zwischen den beiden "Veranstaltungen" war von der Polizei aber dieses Mal deutlich größer angelegt und mit doppelten Gitterreihen getrennt. Das sorgte dann auch für den einzigen Vorfall, als nach einem lauten Böllerknall der nicht-kommunistische Teil der Demo (Antideutsche und kommunistische Gruppen konzentrierten sich auf einen anderen Teil der Sperre und erhielten von der Polizei, die sich hinter und vor den KommunistInnen massiv konzentrierte, ungeteilte Aufmerksamkeit) an der ersten der beiden Sperrgitter-Reihen zerrte und diese um etwa 10 Meter nach hinten zog (vgl. nebenstehendes Bild) - die Polizei konnte dennoch schnell eingreifen und zog im Anschluss die Gitter wieder zusammen. Eine Person dürfte dabei über die Gitter gelangt sein und planlos Richtung Burschenschafter-Gedenken gestürmt sein, wurde dabei aber natürlich von der Polizei abgefangen. Die zwei Personen, die aufs Dach des Burgtors "gelangt" sind und dort herumliefen stellten sich übrigens als Beamte des Inlandsgeheimdienstes (BVT) heraus. Überhaupt war das Zivi- und Verfassungsschutz-Aufgebot dieses Mal noch größer als ohnehin - auf bis zu 50, 60 Beamte gehen die Schätzungen, wobei dieses Mal offenbar eine große Zahl unqualifizierter Beamter als Aushilfs-Zivis eingesetzt worden sein dürfte, die sich gar nicht erst die Mühe machten, unauffällig zu wirken und sich mit Kopfhörer im Ohr mit uniformierten Beamten austauschten. Positiv vermerkt wurde (auf Twitter), dass auch der Burschenschafter-Umzug dieses Jahr unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand bzw. genau so gefilmt wurde wie die Gegendemo.

Nachdemo

Nachdemo am Ring Richtung Burgtheater
Deutlich souveräner als im Vorjahr gewährte die Polizei, als die Burschenschafter nach ihrem Gedenken auf einer polizeilich abgesperrten und stark gesicherten Route via Minoritenplatz zur Mölker Bastei zurückkehrte, allen DemonstrantInnen den Zugang zur Ringstraße, von wo aus sich eine Nachdemo aus etwa 300 Personen in Bewegung setzte - weitere 100 bis 200 Personen kamen individuell (nachdem die Polizei im Vorjahr auf Höhe Lueger-Ring - wenn auch erfolglos - versuchte, die Demo aufzuhalten) bis zur Mölker Bastei bzw. Schottengasse. Die Polizei fuhr mit Mannschaftswägen vor, ein Teil begleitete die unangemeldete Nachdemo.

Polizeiaufgebot am Schottentor, bevor die Tretgitter "aktiviert" wurden
Was "souverän" bei der Polizei bedeutet ist allerdings eine andere Frage ... Wie schon im Vorjahr (vgl. "Eskalation bei Demo 8.Mai 2011 (Schottentor ca 22:00)") erfolgten im Verlauf der Nachdemo mehrere polizeiliche Übergriffe. Zunächst brach die Demo beim Burgtheater Richtung Innenstadt aus, wurde aber in der Löwelstraße, teils unter Einsatz von Gewalt, von der Polizei gestoppt, dabei gab es dem Vernehmen nach eine Perlustrierung bzw. vorübergehende Festnahme. Dabei dürfte ohnehin nicht ganz klar gewesen sein, wohin dieser Ausbruch führen sollte, da etwa die Teinfaltstraße, die direkt zur Schottengasse / Mölker Bastei geführt hätte, zu diesem Zeitpunkt nur mit der Standardbesatzung bewacht wurde (eine Reihe Tretgitter, ein quer gestellter Mannschaftswagen, eine Hand voll BeamtInnen). AktivistInnen, die darauf hinwiesen, wurden nicht wahrgenommen.

Überhaupt hatte diese (Nach-)Demo eine deutlich schwächere Kommunikationsstruktur als etwa die noWKR-Demos oder die 8. Mai-Demo vom Vorjahr - was wohl an der geringeren Mobilisierung und Vorbereitung im Vorhinein liegt. Hätten doppelt so viele Personen teil genommen, die untereinander mehr kommuniziert hätten, hätte dieser Tag in die Geschichte des 8. Mai in Wien eingehen können ... aber Wien ist nunmal weder Chicago noch Athen, und der 8. Mai ist nicht noWKR!

An diesem 8. Mai wirkten die meisten Leute eher unmotiviert, den Burschenschafter-Aufmarsch ernsthaft zu stören - man begnügte sich mit Ententanz (ein bisschen hin- und herwackeln und in die Kameras lächeln) vor den Polizeisperren. Demonstrationen werden offenbar von vielen immer noch als sinnentleertes Ritual nicht nur akzeptiert, man fühlt sich dabei offenbar auch ganz wohl. Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass dieses Mal wieder viele zum ersten oder zweiten Mal auf einer antifaschistischen Demonstration dieser Größenordnung bzw. an diesem Datum waren - dafür muss man nur die TeilnehmerInnen-Zahlen der letzten Jahre miteinander vergleichen (mehr dazu im Abschnitt "Mobilisierung").

Nach dem Zwischenfall in der Löwelstraße zog die Demo - als wäre nichts geschehen (wäre man noch länger dort geblieben, wäre man womöglich gekesselt worden) - weiter. Bei Ankunft am Schottentor wurde die mit Polizeikette abgeriegelte Schottengasse nach einigen Minuten mit Tretgittern verstärkt. Die Burschenschafter wurden augenscheinlich auf anderen Wegen aus der Sperrzone gebracht. Kleingruppen, die es vom Schottentor (unter großen Umwegen) zu den anderen Seiten der Sperrzone in der Schottengasse schafften, wo sich Burschenschafter und Begleitung in Restaurants begaben oder auf Taxis warteten, wurden in Ruhe gelassen, sofern sie die von der Polizei für die Burschenschafter vorgesehene Ausfahrtsroute nicht behinderten. Diese - so stellte sich nach einer Weile heraus - befand sich in der Schreyvoglgasse/Teinfaltstraße.

Polizeiangriffe in Teinfaltstraße
 


Als eine Kleingruppe von etwa 10 bis 20 Personen dorthin vordrang war es nur noch eine Frage von Minuten, bis diese von der dort massiv konzentrierten Polizeipräsenz - darunter 20 bis 40 voll ausgerüstete WEGA-Beamte, angegriffen wurden. Als ich in der Teinfaltstraße eintraf, liefen mir gerade mehrere Personen entgegen - hinter ihnen jagten WEGA- und EE-Beamte hinterher. Etwa 9 oder 10 DemonstrantInnen wurden erwischt, für etwa 30 Minuten an eine Baustellenwand gestellt und perlustriert. Als etwa 20 Minuten später weitere Solidarische tröpfchenweise über die Rosengasse zur Teinfaltstraße kommen startet die WEGA die nächste Hetzjagd - in einer wilden Jagd werden die Leute zurück Richtung Löwelgasse getrieben, 3 oder 4 werden dabei erwischt und grob gestellt - einer wird dabei mehrmals mit dem Kopf gegen eine Glasscheibe gedroschen und dabei auch noch als "Scheiß Piefke" beschimpft. Aber was die Verbalausritte der Polizei betrifft, fangen wir besser gar nicht erst an aufzuzählen ... für ihre Gosch'n ist die Wiener Polizei ja ohnehin weltberühmt. Wer es wagt, sich an einen Beamten mit einer Frage zu wenden und dabei nicht mindestens genau so g'schert daherredet wie die Beamten selbst, kriegt als Antwort gleich ein "San sie überhaupt von do?".

Das muss wohl der "Wiener Schmäh" sein: Wiener Polizisten schützen die Faschisten - und beschimpfen Deutsche als "Scheiß-Piefke".

Auch das "lustige" Dienstnummern-Roulette erfuhr eine weitere Runde - noch ist nicht klar, ob die Betroffenen von Polizeigewalt tatsächlich echte Dienstnummern in Erfahrung bringen konnte oder ob die Polizisten wieder Zahlen in willkürlicher Reihenfolge ausfolgte. Was spricht eigentlich gegen Dienstnummern auf den Uniformen? Achja - Polizeigewalt könnte besser nachverfolgt werden ... das würde ja die Autorität des Staates untergraben, wenn die Polizei nicht mehr anonym prügeln könnte.

Eine spezielle Erwähnung verdient auch das mehrköpfige Fahrrad-Team der Polizei, das an diesem Abend eigens dafür eingesetzt wurde, FahrradfahrerInnen wegen irgendwelcher Kleinigkeiten abzufangen und anzuzeigen. Auch die Wiener Linien zeigten mit einer Schwerpunktkontrolle am Schottentor während des Demo-Treffpunkts bei der Uni-Rampe wieder einmal deutlich, wofür das Rote Wien von heute steht: "Der Heldenplatz den Deutschnationalen Burschenschaften - keine Gnade den SchwarzfahrerInnen unter den Fans der Befreiung Österreichs!"

Nachdem gegen 22 Uhr klar war, dass keine effektiven Blockaden aufrecht erhalten werden können, geschweige denn Perlustrierungen solidarisch verhindert werden können - sowohl wegen geringer Beteiligung, geringer Kommunikation als auch geringer Motivation - lösten sich die Proteste langsam auf.

Die Rechtshilfe berichtete von zwei oder drei Verhaftungen, die Teile der Nacht im PAZ Rossauer Lände verbringen mussten. Neben einer wie immer unbekannten und ungenannten Anzahl von durch Schlägen und Tritte (leicht) verletzter DemonstrantInnen melden offizielle Stellen, dass ein Polizist durch einen Flaschenwurf verletzt worden sei.

Mobilisierung - Top oder Flop?

Bei aller möglicher und berechtigter Kritik muss doch festgehalten werden, dass seit dem Auftreten der Bündnisse "Offensive gegen Rechts" und "jetztzeichensetzen" (Grüne, SPÖ Wien, IKG, Asyl in Not uvm.!) im Vorjahr deutlich mehr Menschen zu den Kundgebungen und Demonstrationen mobilisiert werden können als in den Vorjahren. Dazu kam 2011 auch die massive Mobilisierung durch HC Strache, der seinen Auftritt als Gastredner groß ankündigte und schließlich wegen "einem wichtigen Treffen" mehrere Tage (angeblich im Ausland) untertauchte, was in der Boulevardpresse tagelang als Top-Thema aufgegriffen wurde. Etwa 1.700, laut Polizei 700, sollen daraufhin zu den Demonstrationen erschienen sein (vgl. Bericht vom Vorjahr). Also etwa um ein Drittel oder die Hälfte mehr als 2012.

Zum Vergleich: 2010 gab es eine antideutsch geprägte Befreiungsdemo mit vielen Nationalflaggen und sowjetischen Hymnen, zu der sich etwa 250 bis 380 hinreißen ließen - die Demo ging vom Schwarzenbergplatz aus bereits am Nachmittag durch den Ersten Bezirk, fernab des Burschenschafter-Aufmarsches. 2009 versammelte sich eine antifaschistische Kundgebung mit etwa 100 TeilnehmerInnen im Sigmund-Freud-Park (Votivpark) neben der Universität Wien - und durchbrachen eine Polizeisperre, womit sie offenbar nicht nur die Polizei sondern auch sich selbst überraschten. Ein unsolidarisches "wie komm ich hier möglichst schnell wieder raus ohne verhaftet zu werden?" griff um sich, als Erfolg kann das wohl kaum gewertet werden.

Fazit: Mit dem Heldenplatz als Kundgebungsort und dank Straches PR-Aktion im Vorjahr, gelingt es (auch dieses Jahr) mehr Leute zu mobilisieren als je zuvor. Möchte man den Aufmarsch aber blockieren oder verzögern, müssten sich die Leute aber schon im Vorhinein (besser) organisieren, Bezugsgruppen bilden, mehr untereinander kommunizieren. Dann könnte es auch in Wien vielleicht schon beim nächsten Mal heißen: "8. Mai - Wien nazifrei!"

LINKS

[:Videos:]
- ORF, Wien Heute: Totengedenken und Gegendemonstration
- ORF, ZiB24: Geteiltes Gedenken an NS-Kapitulation
- AUGE IUG: 8. Mai 2012 - wer heute nicht feiert, hat schon verloren 
- AUGE IUG: 8. Mai 2012 - Richard Wadani
- AUGE IUG: 8. Mai 2012 - Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde


[:Fotos:]
- Martin Juen: Totengedenken der Bruschenschaften & Gegendemonstration | Wien 08.05,2012

- cg-politics: 8. Mai - Wien, Heldenplatz #nowkr
- Daniel Weber: #NOWKR 8. Mai 2012 - Tag der Befreiung am Heldenplatz! 
- Die Presse: Proteste gegen das Totengedenken

[:Texte:]
- nochrichten.net: 8. Mai in Wien: Von Befreiungsfeiern zu lautstarken Störungen deutschnational/-völkischen Gedenkens.
- ÖSTERREICH: "Aufmarsch gegen Burschenschafter", 9. Mai 2012
 
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