Zum Anlass der Demo und den tatsächlichen Geschehnissen bis einschließlich 9. Mai, 3:30 Uhr
Österreich, du Opfer!
Dass es in Österreich nach 1945 eine ideologische, geistige Kontinuität der nationalsozialistischen Grundgedanken gegeben hat und immer noch gibt, dafür muss man keine großen psychologischen oder soziologischen Studien bemühen. Um das zu zeigen genügt der Verweis auf die geschichtsträchtige Affäre Waldheim (Bundespräsidentschaftswahl 1986), als die Aufdeckung von Waldheims Lügen zu seiner Zeit als SS-Soldat dazu führte, ihn als Opfer einer Medienkampagne und von Kräften "von der Ostküste" (Neonazi-Chiffre für jüdische Weltherrschaftstheorien) zu stilisieren, was ihm auch die Wiederwahl brachte (eine Prozedur, die auf peinlich-durchschaubare wie hoffnungslose Weise auch bei Barbara Rosenkranz zu wiederholen versucht wurde ("wir wählen, wen wir wollen" - richtig: das nennt man Demokratie, liebe FPÖ!). Oder der Blick auf den Wahlkampf Bruno Kreiskys in den 70er-Jahren, als der ÖVP-Herausforderer auf Wahlplakaten kein besseres Argument für seine Wahl hervorzustreichen hatte, als "ein echter Österreicher" - wobei man sich die Frage stellen muss, was an Bruno Kreisky denn nicht "echt österreichisch" sein sollte. Es wird doch wohl keine Anspielung auf die jüdische Herkunft Kreiskys gewesen sein? Und dann die Haider-Ära: Von SPÖ wie ÖVP umworben, mittlerweile vielfach imitiert, kann niemand mehr behaupten, Österreich hätte seine Geschichte sauber aufgearbeitet. Zwar wird die Opfer-These heute nicht mehr in der Schule unterrichtet oder von führenden Politikern vertreten, doch zeigt allein die Aussage der Bundespräsidentschaftskandidatin Rosenkranz, sie habe "das Wissen, dass ein Österreicher, der zwischen 1964 und 1976 in österreichischen Schulen war - das ist also mein Wissen von der Geschichte, und daran habe ich überhaupt keine Änderung vorzunehmen" mehr als deutlich, wie es noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs um das vorherrschende Geschichtsbild Österreichs bestellt war.
Befreiungsdemo Wien 2010
Das alles, und vor allem die Tatsache, dass heute wie damals Burschenschaften rechtsextremen Ideen huldigen und einem Großdeutschland wahlweise nachtrauern oder darauf hinarbeiten und an pompösen Bällen, Umzügen und Festveranstaltungen ihre guten Kontakte zu weiten Kreisen der Politik und Wirtschaft pflegen, ist mit ein Grund, warum an diesem 8. Mai 2010 in Wien zur "Befreiungsdemo" aufgerufen wurde. Während ein großer Teil der Innenstadt, zwischen Herrengasse und Ringstraße, zwischen Schottentor und Burggarten, polizeilich gesicherte "Burschi-Zone" war, in der keine Demonstration abgehalten werden durfte, fanden sich die Gegner dieser falschen Geschichtspflege und des dort gepredigten rechtsextremen Gedankenguts am Schwarenbergplatz zu einer Kundgebung und Feier ein, um, im Gegensatz zu den Burschenschaftern am Heldenplatz, nicht den Untergang Nazi-Deutschlands zu betrauern, sondern die Befreiung Österreichs davon.
So weit der äußerst positive Grundgedanke dieser Veranstaltung.
Verlauf der Demo und Feierlichkeiten
Zu Ehren der Befreiung Österreichs durch die damaligen Allierten wurden deren Fahnen geschwungen und Hymnen gespielt, ebenso auch jene Israels. Mit all diesen Fahnen an vorderster Front zog die Demonstration, angeführt auch von einem Kleintransporter mit Soundsystem, ihre geplante Route (zumindest weitgehend) durch die Innenstadt (siehe Grafik-Link "Burschi-Zone"). Die gelegentlichen Sprechchöre waren - natürlich - vor allem antifaschistisch, aber auch anti-national, was angesichts der geschwenkten Fahnen doch etwas merkwürdig wirkte. Nach einer halben Stunde driftete die anfangs party-orientierte Musik zunehmend ins sowjetische ab. Deutsche, hochpathetische sozialistische, kommunistische Beschwörungen, der bewaffnete Kampf von Bauern und Arbeitern, dominierten nun die schon rein akustisch kaum zu ertragende Musik. "Mos-kau, Mos-kau ... hahahahaha" tönte ein nicht ganz unbekannter Schlager, der wohl aus der DDR stammen muss. Zum Ausgleich hätten wir jetzt zumindest - stellvertretend für die USA - einige kapitalistische Lobeshymnen, meinetwegen Britney Spears oder 50 Cent - hören müssen, was zum Glück aber nicht der Fall war. Auch Chansons, Klezmer, und was auch immer typisch britische Musik sein soll, blieben rar.
Der Eindruck, den die Demo bei mir hinterließ, war ein sehr verwirrter.
Einen kleinen "Zwischenfall" gab es übrigens, als die Demo angeblich "unangemeldet" am Deutschmeisterplatz anhielt und eine Zwischen-Kundgebung ansetzte. Polizeieinheiten drängten die Demo daraufhin "sanft" von der Straße ab und zwangen die Demo zu ihrer Fortsetzung.
Afterparty in der Akademie der bildenden Künste
Vor diesem Hintergrund sind vielleicht auch die Ereignisse nach der Abschlusskundgebung vor der Akademie der bildenden Künste zu sehen. In der Akademie legten in der Folge die ganze Nacht DJs auf und sorgten für ausgelassene Party-Stimmung unter den mehreren Hundert Besuchern.
Gegen 2 Uhr brannten nämlich plötzlich Mülltonnen auf der Kreuzung neben der Akademie am Schillerplatz. Das lodernde Schauspiel wirkte allerdings eher beschaulich denn so, als hätte es irgendwie mit Protest zu tun. Die brennende Mülltonne passte ebenso wenig ins Gesamtbild des Abends, wie die Sprüche und die Musik der Demo zu ihrem eigentlichen Anlass - und somit irgendwie doch wieder ganz gut. Genau so verwirrt, wie die Demo am Nachmittag wirkte, wirkten nun die brennenden Mülltonnen auf der Straße. Einige Schaulustige wurden dadurch von der Akademie zur Kreuzung gelockt, von Brandstiftern, "Revolutionären" oder sonstigen Aufmüpfigen keine Spur. Als nach einer ganzen Weile, schätzungsweise 20 bis 30 Minuten nach dem Ausbruch des Brandes (den ich nicht gesehen habe) traf ein Polizeiwagen ein, die Schaulustigen verschwanden. Nach und nach trafen weitere Polizisten ein. Erst als bereits an die 20 Polizisten mit mehreren Fahrzeugen vor Ort waren traf nun auch die Feuerwehr ein und löschte das letzte Häufchen brennenden Plastiks.
Fotos auf Twitpic: Brennende Mülltonne (1), Brennende Mülltonne (2), Gemenge in der Akademie, Feuerlöschung
Nach einer Weile beschließt die Polizei, in die Akademie zu gehen, was rasch heftiges "Haut ab"-Geschrei nach sich zieht. Zahlreiche Leute, die auf der Treppe vor der Akademie saßen, strömten nun in das Gebäude - ebenso strömten von innen Leute in das Foyer, wo die Polizei - was auch immer - suchte. Vermutlich Verantwortliche dieser Veranstaltung, da diese quasi rechtlich irgendwie zuständig sein müssten... Das ganze wirkte jedenfalls wie ein Stich in ein Wespennest, die Musik wurde abgestellt (vermutlich musste sie abgestellt werden), was natürlich noch mehr Leute ins Foyer lockte. Aufgrund des lauten Geschreis ("Haut ab") im Foyer rannten einige weitere Polizisten eifrig in das Gebäude um - was auch immer - zu tun. Also eigentlich nichts. Nach einer Weile aufgeregtem Gerede - worum es ging, kann man nur ahnen - geschah: nichts. Alle, bis auf einen Polizisten, zogen sich wieder vor das Gebäude zurück. Doch nach und nach trafen immer weitere Polizisten ein. Währenddessen ging an der anderen Kreuzung neben der Akademie ein weiterer Plastik-Container in Flammen auf. Die Feuerwehr wechselte ihre Position, eine Einsatzeinheit der Polizei rückte auf.
Mir wurde es ehrlich gesagt allmählich zu blöd - an Party war nicht mehr zu denken, die Polizei war offensichtlich nicht daran interessiert, diese unbehelligt weiterlaufen zu lassen. Konkrete Personen als Verdächtige auszuforschen, diese Mühe erwartet man sich von der Polizei ohnehin nicht. Also stand die Polizei einfach vor der Akademie herum, beobachtete einige aufgebrachte und sicher auch betrunkene Party-Gänger, wie sie sich durch die Polizei-Präsenz provozieren lassen, und nahmen dies sogleich als interne Begründung für das Anfordern weiterer Verstärkung.
Das war dann in etwa der Punkt als ich mich zum Nachhausegehen entschloss. Ich vermute, die Polizei wird nicht umsonst nach und nach auf 100 und mehr Einheiten aufgestockt haben und die Party wird nicht geräuschlos zu Ende gegangen sein. Aber das ist reine Spekulation. Was nach ca. 3:30 Uhr geschah (oder auch nicht), kann ich nicht sagen. Hier möcht ich nur mal den "Befreiungstag" bis dahin nachgezeichnet wissen, subjektiv interpretiert, wohlgemerkt. In den Presse-Aussendungen der Polizei, den davon abgeschriebenen APA-Meldungen und den davon abgeschriebenen Medienberichten werdet ihr allerdings keine objektiveren Angaben finden. Letztlich müsst ihr euch selbst die Mühe machen, Subjektives und Interpretation von den (berichteten, behaupteten) Fakten abzugrenzen und die Glaubwürdigkeit einschätzen, egal, ob es im ORF, in der Presse, im Standard, in der Krone, auf FM4, Ö3 oder hier berichtet wird.
Links
- Webseite der Befreiungsdemo
- Fotos von der Befreiungsdemo (by Daniel Weber / flickr)
- Fotos von der Trauerfeier der Burschenschaft Germania am Heldenplatz (by Martin Juen / flickr)
WiderstandsChronologie 21. Oktober bis 18. November 2024
-
+++ Deserteursgedenken +++ Gedenken an Kobanê 2014 +++ Gedenken
Novemberpogrome +++ https://cba.media/685412 *** 26. Oktober 2024: „Nie
wieder Gleichschrit...
vor 2 Tagen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen