[letzte Aktualisierung der Linksammlung am Artikel-Ende: 16.4.]
Am Donnerstag, 11. April 2013, versammelten sich ab ca. 18 Uhr bis zu 120 Personen vor dem Polizei-Anhaltezentrum (PAZ) Rossauer Lände um gegen eine Sammel-Abschiebung nach Nigeria zu protestieren. Ein Aufruf ("Stoppt die Charter-Massenabschiebung nach Nigeria!") findet sich u.a. auf no-racism.net. Es kursierte die Information, die Abschiebung solle noch im Verlauf dieser Nacht erfolgen, mit einem Abtransport aus dem PAZ sei ab 22 Uhr zu rechnen. Über die Anzahl der Personen, die erst in dieser Nacht aus dem PAZ zum Flughafen überstellt werden sollen, gab es nur sehr unterschiedliche Angaben.
Letztlich wurden jedoch mindestens 3 Gefangenen-Transporter der Polizei bei der Abfahrt aus dem PAZ beobachtet. Es kam zu Blockadeversuchen und in der Folge zu aggressiven Räumungs- und Vertreibungsversuchen durch die Polizei, bestehend aus behelmten Unterstützungseinheiten (EE) sowie etwa einem dutzend WEGA-Beamt(innen?) - insgesamt wohl 70-80 sowie ein halbes Dutzend Zivil- und LVT-Beamte.
Über den Verlauf der Demonstration und des aggressiven Polizeieinsatzes wurde auf Twitter insbes. von @stopdep und @nochrichten live berichtet. Erst vor wenigen Monaten, am 5. Dezember 2012, kam es bei einer Demonstration gegen eine am selben Abend geplante Abschiebungen zu ähnlichen Vorfällen, bei denen die Polizei mehrere Personen mit Knüppelhieben und Pfefferspray verletzte. Damals berichteten die Massenmedien kein Wort, trotz zweier Presseaussendungen (Sozialistische Jugend und Refugee Camp Vienna), die diese Polizeiübergriffe gegen die Demonstration schilderten.
Zur Chronologie:
18:43, ggü PAZ Rossauer Lände
18:30 Ca. 80 Personen sind, teils mit Transparenten und Megaphon, auf dem Grünstreifen zwischen Berggasse und Türkenstraße zur Kundgebung versammelt. Das PAZ ist zur Rossauer Lände hin komplett mit Tretgittern, die nur an den Gehsteigenden noch etwas geöffnet waren, abgeriegelt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hinter der Werbeplakatwand bzw. auf der Fläche daneben (mit Blick auf die Straße) war ein halbes Dutzend Zivil-Polizisten und Verfassungsschutz-Beamte postiert, die Notizen und Fotos machten und laufend über die Lage berieten und telefonierten. Um 19:51 Uhr traf schließlich auch LVT Wien-Chef Erich Zwettler persönlich vor Ort ein und unterhielt sich mit dem uniformierten Einsatzleiter.
19:00 Mittlerweile sind 110-120 DemonstrantInnen vor Ort. Bis ca. 21:00 bleibt die Lage äußerst ruhig, die Menge schrumpft leicht auf etwa 100 Personen.
19:16
19:45
ca. 21:25 Ein Gefangenentransporter kommt aus dem PAZ und fährt auf der Rossauer Lände Richtung Kundgebungsort - einige Leute laufen spontan auf die Straße, der Transporter biegt in hohem Tempo um die Kurve vor der Kundgebungsmenge in die Berggasse ab - und mehrere Straßen später Richtung Ring ein. Einige Personen strömen Richtung Ring, andere sind in die Berggasse gelaufen. Die meisten versammeln sich jedoch in großer Aufregung auf der Kreuzung Rossauer Lände / Türkenstraße und blockieren diese.
21:27 Nach kurzer Verwirrung riegeln PolizistInnen die Rossauer Lände ab, siehe Foto von @stopdep.
21:32
ca. 21:30 Die Polizei stürmt zum ersten Mal in die Menge und versucht diese - teils hängen sich die Leute zu Menschenketten ein - von der Straße zu drängen. Viele Personen versuchen stehen zu bleiben, woraufhin die Polizei zusehends aggressiver, lauter und gewalttätiger wird. Widerspenstige Menschenketten werden mit blitzartigen, sich wiederholenden, Knüppelstößen in den Hüftbereicht drangsaliert, wiederholt werden Personen beidhändig und mit voller Wucht gestoßen, wodurch es teilweise zu Stürzen kommt. Mehrere Personen mit Handy- und Digitalkameras, die diese Szenen Filmen, werden von einzelnen der behelmten Polizisten verfolgt, geschubst, gepackt und geschlagen. Dies zog wiederum immer mehr solidarische Menschen an, die diesen Polizisten folgte, sie verbal von ihren Übergriffen abzuhalten versuchte und dadurch zum Teil selbst wieder Ziel von weiteren aggressiven Polizisten wurden. So gab es in diesen etwa 5-10
21:35
Minuten gleich mehrere Hetzjagd-artigen Szenen, teilweise schien es, die Gruppenkommandanten hätten ihre Gruppen nicht unter Kontrolle. Ein besonders hartnäckiger Polizist, der sich in einen filmenden Aktivisten regelrecht verbiss, ihn verfolgte und attackierte, musste nach mehreren Minuten schließlich mit Körperkraft von einem seiner Kollegen 20-30 Meter zurück zum Rest der Truppe gebracht werden.
Dieses Video zeigt zunächst die Stürmung um ca. 21:30 und im Anschluss den weiteren Verlauf bis zur Kesselung am Ende:
21:40 Die Polizei hat die Menschenmenge auf mehrere Gehsteige der Rossauer Lände und Türkenstraße abgedrängt und ist in Reihen entlang der Gehsteige sowie am Mittelstreifen der Rossauer Lände aufgestellt (etwa 70-80 BeamtInnen, nach wie vor). Die Lage ist nun wieder ruhig, aber äußerst angespannt und durch das brutale Vorgehen der Polizei aufgeheizt. Auf Twitter wird berichtet: Betroffene schildert: Polizist fasst Demonstrantin bei Demo-Auflösung
vor PAZ Rossauer Lände gewaltvoll an die Brüste um sie wegzuzerren!!.
21:46
21:43 Die Polizei verkündet nun per Megaphon Richtung Grünstreifen Berggasse-Türkenstraße, dass die Versammlung für aufgelöst erklärt wird. LVT-Chef Zwettler ist ebenfalls dort anwesend. 10 Minuten später erfolgt an der gleichen Stelle die zweite Durchsage. Die Polizei blockiert die Rossauer Lände zeitweise alleine.
22:00 Es gibt ansatzweise den Versuch, das PAZ Rossauer Lände zu umstellen, um alle Ausgänge im Blick zu haben. Es sind jedoch zu wenig Leute vor Ort und als kurz nach 22 Uhr eine Horde Polizisten beim hinaufstürmen der Rossauer Lände beobachtet werden kehren alle zum Kundgebungsort zurück.
Video auf ichmachpolitik.at zeigt ab Min. 0:40 wie Polizei brüllend auf Menge zustürmt und DemonstrantInnen gerempelt und weggezerrt werden.
ca. 22:10 Mehrere Reihen behelmter PolizistInnen stürmt die Rossauer Lände hinauf um die Straße für zwei Gefangenentransporter (die von mehreren Polizeifahrzeugen eskortiert werden) frei zu machen. Es kommt erneut zu tumultartigen Szenen, zahlreiche Personen versuchen vor die Transporter zu gelangen. Polizisten wenden nun auch Schlagstöcke und andere Formen der "unmittelbaren Zwangsgewalt" an um Personen von der Straße zu entfernen.
22:21, Kessel Türkenstr./R. Lände
22:15 Die Polizei versucht ihre Gruppen rund um die Kreuzung zu formieren und einen Kessel zuzuziehen. Da manche Gruppen trödelten gelang das nur zum Teil. Die meisten DemonstrantInnen rochen die Lunte rechtzeizig und brachten sich auf den umliegenden Gehsteigen (vorerst, später wurden Gruppen auch von den Gehsteigen abgedrängt) in Sicherheit. Etwa 30 Personen, die auf dem Gehsteig bzw. auf dem Grünstreifen Türkenstraße/Berggasse waren (wo vorhin per Megafon die Kundgebung aufgelöst wurde), wurden nun gekesselt. Rechtlich gesehen fast schon korrekt, wenn da nicht noch eine ganze Reihe von Personen, teils einige Minuten nach Beginn des Kessels, von Polizisten gepackt und zum Kessel gezerrt wurden. Mal ganz abgesehen davon, dass eine Auflösung einer Demonstration mit dem bloßen Argument eines flüssigen Verkehrs auf der Rossauer Lände verfassungsrechtlich - hier ist das Versammlungsrecht verankert - als äußerst zweifelhaft betrachtet werden muss.
Bis ca. 22:45 Uhr werden die gekesselten Personen im 1-2-Minutentakt einzeln zur Personalienaufnahme abgeführt. Dabei kommt es erneut zu einiger Aufregung, als eine Person von PolizistInnen hinter die Baustellenabsperrung gebracht wird und BeobachterInnen befürchten, es könnte zu Übergriffen kommen. Daraufhin werden auch die BeobachterInnen von einem Trupp PolizistInnen von der Ebene hinter den Plakatwänden verscheucht. In Befürchtung eines Kessels liefen die meisten Personen davon, ohne dass die Polizei direkt einschreiten musste.
Gegen 23 Uhr kann die Versammlung als aufgelöst betrachtet werden. Es gab dutzende Identitäts-Feststellungen und angeblich auch Verhaftungen (unbestätigt). Wie viele Personen in dieser Nacht tatsächlich abgeschoben wurden bzw. unmittelbar zuvor vom PAZ Rossauer Lände überstellt wurden, ist zur Zeit ebenso nicht klar.
[ Text: FMO, 6.12.2012 / alle Fotos (c)Daniel Hrncir ]
Am Abend des 5. Dezember 2012 versammelten sich gegen 19 Uhr zunächst etwa 30 Personen vor dem PAZ Rossauer Lände (Polizeianhaltezentrum, Schub-Gefängnis), um eine geplante Abschiebung nach Nigeria zu verhindern. Vermutlich wegen der vorangehenden Bildungsdemo waren bereits viele Polizei-Einheiten "bereit", und so füllte sich die Umgebung des PAZ Rossauer Lände rasch mit 10, 20 und schließlich 30 (!) VW-Bussen der Wiener Polizei. Etwa 200 PolizistInnen - also ca. 3 pro DemonstrantIn - "kümmerten" sich in der Folge um eine möglichst verzögerungsfreie Abschiebung. Lieber zigtausende Euro für das Durchboxen einer jeden Abschiebung mit Polizeigroßeinsätzen und Charterflügen investieren als den Leuten Asyl und eine Arbeitsbewilligung zur Selbsterhaltung zu geben. Eine interessante Umsetzung des "Leistungs"-Gedanken der österreichischen Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik! Sadismus muss einem schon was wert sein!
Polizei im Gewaltrausch
Auch die Zahl der Protestierenden wuchs auf etwa 70 Personen an, bis der erste Gefangenen-Transport Richtung Flughafen aus der Garagen-Ausfahrt fahren wollte. Die Menge versuchte am Gehsteig, die Ausfahrt zu blockieren, und als dies nicht gelang, versuchte man, die Transporter auf der Straße zu blockieren. Die Polizei ging dabei immer ruppiger vor.
Wie sich die Ereignisse im Detail zuspitzten, kann ich zur Zeit nicht genau rekonstruieren*, aber Fakt ist - das zeigen zum Teil Fotos und Videos, vor allem aber verschiedene Augenzeugenberichte bzw. Berichte von Beteiligten - dass die Polizei mit ungewohnter Gewalt gegen die unbewaffneten Protestierenden vorging. Es wurden Personen gewürgt bzw. im Würgegriff über die Straße gezerrt, von Blutergüssen, Schürf- und Kratzwunden erzählen andere. Laut einer Presseaussendung der SJ wurden auch Pfefferspray und Schlagstöcke gegen zum Teil noch SchülerInnen eingesetzt! Auch das Refugee Camp Vienna berichtet in einer Aussendung von Polizeigewalt.
Die Kommentare der PolizistInnen vervollständigen das Gesamtbild eines menschenverachtenden, zynischen Abschiebe-Apparats, der keine Skrupel hat, Menschen direkt ins Gefängnis des Herkunftslandes abzuschieben oder ihr Leben anderweitig aufs Spiel zu setzen, der lebensgefährlichen und oft traumatischen Flucht nach Europa Hohn spottend: "auf die frage "was soll das? warum so brutal?", die antwort: "weil ihr es verdient habt" ... auf die frage nach der dienstnummer, die antwort: "0664" (3mal!) und ein blödes grinsen", schildert eine Anwesende auf Facebook.
Wenn die Medien wegschauen
"Herkömmliche" Medien waren wieder mal keine vor Ort. Wenns die APA nicht weiß, macht sich auch sonst kein/e Journalist/in die Mühe, zu einer Spontandemo (über die Stunden im Voraus auch auf Facebook und Twitter durchaus öffentlich mobilisiert wurde) aufzubrechen. Klar, es gibt kaum noch "Reporter/innen" im klassischen Sinn - die auf der Straße Ereignisse beobachten, dokumentieren und zusammenfassend berichten. Das liegt an der Sparpolitik zwecks Gewinn-Maximierung bei Mediaprint, Raiffeisen- und anderen Konzern-Zeitungen (und leider nicht nur bei diesen), aber irgendwo müssen sich auch die JournalistInnen selber an die Nase greifen, denn das kann ja nicht sein, dass im Jahr 2012 PolizistInnen "unbeobachtet" SchülerInnen verprügeln - und niemand nimmt davon Notiz, auch wenn es noch so viele ZeugInnen gibt, denn wo kein "offizieller" Journalist, da keine glaubhafte Meldung (so offenbar das Credo) - meistens bleibt die Kronen Zeitung übrig, die ja ihre Informationen häufig direkt von der Polizei "zugesteckt" bekommt - bloß dann halt so, wie die Polizei gerne berichtet zu haben wünscht - die Krone liefert. Ein Armutszeugnis für den sich gern selbst beweihräuchernden "Watchdog der Demokratie".
Umso stärker empfehle ich daher jene JournalistInnen und Medien, die zwar nicht bei einem Medienkonzern arbeiten, dafür aber unabhängig agieren und keine Mühen scheuen, auch bei Schneeregen zu später Abendstunde und bei riskieren der eigenen Unversehrtheit jene Vorgänge zu dokumentieren, bei denen das offizielle Österreich, inklusive seine (Massen-)Medien, offenbar nur allzugerne wegschaut:
*** Ab 2. August gab es mehrere illegale Räumungsversuche, die jedoch allesamt abgewehrt werden konnten *** was von 2.-8. August geschah (Paul und Paula aus dem Haus geben Auskunft im Radio Stimme auf Radio Orange 94.0) *** stay informed on pizza.noblogs.org! #pizzableibt ***
Seit der Räumung
des "Epizentrums einer Bewegung" am 8. November 2011 ist es ruhig geworden in Wien -
könnte man meinen. Mit einer Dauer von 26 Tagen und insgesamt wohl
mehreren Tausend direkt erreichten BesucherInnen war es definitiv die in jeder
Hinsicht größte Hausbesetzung in Wien seit der Erkämpfung des EKH ab 1990 als
Gipfel des Wiener Ausläufers der 80er-Jahre-Bewegung (GaGa,
Aegidigasse/Spalowskygasse, Opernballkrawalle 1988/1989).
Doch was geschah wirklich seit der Räumung des
Epizentrums? Haben die AktivistInnen kapituliert, angesichts der
Übermacht der Staatsgewalt, die am 8. November mit Räumpanzer und
Hubschrauber anrückte und den Siebten Bezirk rund um die Lindengasse
über mehrere Straßenblöcke komplett abriegelte und nur noch
Kindergartengruppen hineinließ, während JournalistInnen "aus
Sicherheitsgründen" 200 Meter Abstand halten mussten? Hat die Verhaftung
von drei Amateur-FilmerInnen und -FotografInnen an der Demo am Abend
der Epizentrum-Räumung ihr Ziel erreicht und die Menschen im erwünschten
Ausmaß eingeschüchtert?
Natürlich nicht.
Rückblick: Wilde 13
Schon drei Tage nach der - sogar für einschlägige Krawallmedien als besonders friedlich
empfundenen - Räumung des Epizentrums am 8. November und den anschließenden
Demonstrationen gegen Mittag sowie am Abend,
wurden nur zwei Parallelstraßen weiter die oberen Stockwerke des
weitgehend leerstehenden Häuserensembles Westbahnstraße 13 besetzt. Offenbar hat die Besetzung des "Epizentrums" auch andere motiviert, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Denn ausser der Nähe hatte die Besetzung, die eigentlich eine "stille" Besetzung sein hätte sollen, nicht viel mit dem Epizentrum zu tun. Das Gebäude verfügte über nur
wenige und kleine Räume. Doch die Polizei des Bezirks wollte, nach den Erfahrungen mit dem Epizentrum, sofort Präsenz zeigen und Härte demonstrieren und begann
bereits gegen 20 Uhr mit einer fast 24-stündigen Belagerung des Hauses,
die mit einem illegalen Räumungsversuch (der Hauseigentümer konnte zu
diesem frühen Zeitpunkt von der Polizei noch nicht eruiert werden und
folglich auch keinen Räumungsauftrag unterschreiben) und einer von
Krawallmedien als "Krawallnacht im sonst so friedlichen Öko-Bobo-Bezirk
Neubau" titulierten Hausverteidigung gipfelte. Eine andere
Krawallzeitung wunderte sich ebenfalls: die Polizei bewache nun das Haus
- "Wozu, ist unbekannt."
Als das nach ein paar Tagen bereits aufgegebene Haus - der Galerist, der einige Wochen später das Foxhouse eröffnete (gegen den Abriss des Hauses hat sich nun eine Protestgruppe gebildet!), informierte die Polizei, als die BesetzerInnen sich ihm anvertrauten - von einem Polizeigroßaufgebot geräumt wurde, war keine Spur mehr von den BesetzerInnen. Die Kälte trug ihren Teil dazu bei, dass keine weiteren Besetzungen folgten.
Pizzeria Anarchia - Zwischennutzung mit Ablaufdatum?
Doch dann
geschieht etwas völlig unerwartetes: die Pankahyttn (ein von der Stadt Wien als "Sozialprojekt" legalisierter "Squat", der weder mit der Besetzung des "Epizentrums" noch der "Wilden 13" zu tun hat) erhält - nicht zum ersten Mal - Besuch von einem Hauseigentümer. Er bietet den Leuten (die seit der Tolerierung ihres Hauses durch die Stadt eigentlich keine Besetzungen mehr machen) ein
nahezu leerstehendes Haus im Zweiten Bezirk zu einer symbolischen Miete zuzüglich Betriebskosten an. Die Leute
sind skeptisch, nach einigen Überlegungen entschließt man sich jedoch,
das Angebot für beheizbare Räumlichkeiten im Winter doch anzunehmen - zu groß war die Wohnungsnot kurz vor Wintereinbruch unter den Jugendlichen.
Man entschließt sich, die Sache ruhig anzugehen. Keine große
Ankündigung einer Raumeröffnung, keine Einweihungspartys - zumindest
keine offiziellen. Im Haus leben noch drei Mietparteien mit
unbefristeten Mietverträgen - von Anfang an war die an sich selbst
gestellte Bedingung, in gutem Einvernehmen mit den MieterInnen im Haus
auszukommen. Die ersten Tage und Wochen sind freilich trotzdem etwas
chaotisch, es gibt wie immer viel zu wenig Räume um alle Leute
unterzubringen, man kennt einander teilweise noch kaum, eine bunte
Mischung junger Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen - es dauert
ein paar Tage, bis ein Verein (Name der Redaktion bekannt) gegründet und
im Vereinsregister eingetragen werden kann, um einen Nutzungsvertrag zu unterzeichnen.
Nach ein paar Wochen
Aufbau-, Orientierungs- und Kennenlernphase finden sich Personen
zusammen, die das leerstehende (und ebenfalls angemietete) Pizza-Lokal
im Erdgeschoß für Außenstehende zugänglich machen wollen. Es dauert noch
bis Februar 2012, als sich der Sonntag als wöchentlicher Volxküche-Tag
etabliert. Zunächst sind es noch 20, 30 Leute, die Sonntagabend zum
gemeinschaftlichen Pizza backen und essen vorbeikommen, doch schon nach
2, 3 Wochen platzt das Lokal aus allen Nähten: 50 Leute, 70 Leute - die
Nebenräume der ehemaligen Gaststätte werden nun ebenfalls eingerichtet.
Im hintersten Raum entsteht ein Kostnixladen mit Kleidung und anderen
Second Hand-Gegenständen, im mittleren Raum wird ein Infoladen samt
Leinwand und Sitzgelegenheiten für das Kostnixkino, das bald darauf als
Dienstags-Fixpunkt etabliert wird, eingerichtet. Ein weiterer Raum dient
als erweiterter "Speisesaal" - das Platzproblem kann damit nachhaltig
entschärft werden.
Woche für Woche für geht,
immer mehr Menschen kommen, jede Woche viele neue Gesichter:
SchülerInnen, StudentInnen, Lehrlinge, (junge) ArbeiterInnen,
Arbeitslose, aber auch NachbarInnen und PassantInnen interessieren sich
für das gemeinsame Pizza backen und was dahinter steckt. Manche kennen
einander schon aus dem Epizentrum - jetzt hat man endlich Zeit und Ruhe,
sich besser kennen zu lernen. Bisheriger Höhepunkt war wohl das DIY
Straßenfest mit DJs, Konzerten, Volxküche uvm. in den Straßen um die
PizzAria, zu dem die MayDay-Parade der Prekären am 1. Mai mitsamt rund
500 TeilnehmerInnen hinzog.
Was steckt dahinter?
Aber was steckt nun
wirklich hinter dem ganzen Ding? Welcher Hauseigentümer vermietet sein
Haus zum Spottpreis an alternative Jugendliche? Warum sind nur noch drei
Mietparteien im Haus?
Die Antwort führt uns direkt ins Herz der
Bestie Immobilienspekulation (es gilt die Unmutsverschuldung), die es
laut offiziellen Stellen der Stadt, insbesondere laut Propagandaminister
von Steuerzahlers Gnaden, Inseratenkaiser und Faymann-Nachfolger in
dieser Aufgabe, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, überhaupt nicht gibt.
Dass die Stadt Wien in Wahrheit selbst tief im Geschäft mit der
"Aufwertung" alten, günstigen Wohnraums drin steckt (mutwillige
Zerstörung des Lobmeyr-Hofs in Ottakring im Auftrag der Stadt um
Aufwertungspläne, die in etwa eine Verdoppelung der Miete zur Folge
haben, schneller durchziehen zu können), ist ein offenes Geheimnis, das
durch großzügiges Verteilen von Steuergeldern an praktisch alle
reichweitenstarken Wiener Zeitungen, die ohnehin nur aufs Geschäft und
nicht auf journalistische Sorgfalt achten, offenbar ganz gut unter der
Decke gehalten werden kann. Gelegentliche Reportagen der Stadtzeitung Falter oder - noch mehr - in der Straßenzeitung Augustin sind die
Ausnahme - und stoßen auf nur wenig Resonanz in der Öffentlichkeit.
Die Jugendlichen selbst machten sich ebenfalls keine Illusionen über die Motivation ihrer Einquartierung: "die vorgeblich wohltätige Motivation wurde von Beginn an angezweifelt.
Als klar war, dass es in dem Haus noch verbleibende reguläre
Mietparteien gab, war der eigentliche Hintergedanke nicht mehr schwer zu
erraten: Menschen, denen nachgesagt wird, sie wären per se laut und
würden viel Dreck machen, sollten das Leben für die anderen
Bewohner_innen unerträglich machen, so dass diese “freiwillig” gehen
oder sich mit einer geringen Abfindung zufrieden geben. Dieses Spiel
wollte natürlich keine_r mitspielen."
Der Fall Mühlfeldgasse 12
Am
17. November 2011 erscheint in der Straßenzeitung Augustin der Artikel
"Bestandsfreimachung - ein Unwort". Er beschäftigt sich mit dem Haus
Mühlfeldgasse 12 in der Leopoldstadt - also vor dem Beginn der
Zwischennutzung als "PizzAria". Ein Mieter erzählt darin
davon, wie der Hauseigentümer, der das Haus vor drei Jahren geerbt habe,
alle MieterInnen des Hauses "hinausgeekelt" habe. Durch das Dach regnete es plötzlich herein, es entstand Wasserschaden
und Schimmel, doch der Eigentümer weigert sich, die nötigen Reparaturen
durchzuführen. Doch drei Mietparteien mit unbefristeten Mietverträgen ließen sich nicht einschüchtern. Der Eigentümer verkaufte das Haus an die Castella GmbH - und seither häufen sich merkwürdige Vorfälle im Haus, auch gibt es regelmäßig Besuch durch "Detektivkanzleien", die mitunter spätnachts heftig an den Türen klopfen um die Leute danach zum Auszug zu überreden, vor einem "kalten Winter" zu "warnen" und ähnliches. Die Castella GmbH besitzt auch mehrere weitere Häuser, u.a. im Zweiten Bezirk, aus denen MieterInnen ähnliches berichten.
Es
ist also naheliegend, anzunehmen, dass die fast kostenlose
Zwischennutzung des Hauses durch alternative Jugendliche weniger eine
Gutherzenstat denn ein weiteres Manöver zur "Bestandsfreimachung" des
Hauses ist. Umso mehr sind die neuen, jungen BewohnerInnen darauf
bedacht, ein gutes Verhältnis zu den noch im Haus befindlichen
Mietparteien aufrecht zu erhalten, was im großen und ganzen auch ganz
gut funktionieren soll. Unlängst beschwerte sich ein/e Mieter/in im Haus
sogar darüber, dass die Jugendlichen jede Woche das Treppenhaus putzen -
dies sei schließlich Aufgabe der (total untätigen) Hausverwaltung und
im Mietvertrag werde schließlich dafür bezahlt.
... Medienaufmerksamkeit?
Umso
bedauernswerter - und leider bezeichnend für das unterirdische Niveau
Wiener Massenblätter - ist daher, dass Zdenko P. in einem gegen das
alternative Zwischennutzungsprojekt gerichteten Artikel der Wiener
Bezirkszeitung als Opfer bzw. Gegner der Jugendlichen dargestellt wird,
obwohl er sich in Wahrheit nur über den Hauseigentümer aufregt. Die
Bezirkszeitung zitiert - zufälligerweise? - dann auch noch den
SPÖ-Bezirksvorsteher, der sich allen ernstes darüber beschwert, dass die
"Hausbesetzer" [sic!] in der Sonne (!) am Gehsteig sitzen (!) - was die
Nachbarn fürchterlich stören würde. Über die ans kriminelle grenzenden
Praktiken der "Bestandsfreimachung" durch eine darauf spezialisierte
Firma mitten in "seinem" Bezirk sagt er nichts - oder die Bezirkszeitung
lässt diesen Teil bewusst aus. So oder so alles andere als ein
unabhängiger Bericht, hinter dem entweder eine massive Vernachlässigung
journalistischer Sorgfaltspflichten (dazu gehören etwa Recherche, z.B.
dass es keine Hausbesetzung sondern eine Zwischennutzung auf
Vertragsbasis ist) steckt. Von böser Absicht wollen wir natürlich nicht
ausgehen. Es gilt die Unmutsverschuldung.
[folgendes Kommentar wurde im Mai 2012 für die Juni-Ausgabe der über.morgen verfasst, konnte dort jedoch aus Platzgründen nicht abgedruckt werden; hier nun in einer leicht überarbeiteten und erweiterten Fassung]
Für viele überraschend entwickelte
sich der bereits lang andauernde Kampf der Studierenden derInternationalen Entwicklung (IE) zu einem „heißen Frühling“ an
der Uni Wien – ein kleiner Rückblick: Am 13. März startet die IE
mit einem fast schon zum leeren Ritual verkommenen
„Rektoratsfrühstück“ in das Sommersemester. Mit 50
TeilnehmerInnen – bei rund 3.000 Studierenden – fiel die
Beteiligung schwach aus. Zur Erinnerung: Sowohl das alte wie auch das
neue Rektorat zeigen sich kompromisslos in ihrer Weigerung, das
aufgrund seiner interdisziplinären und Machtstrukturen
hinterfragenden Ausrichtung beliebte Studium vollständig aufrecht zu
erhalten.
Foto: Im besetzten Rektorat
Beim nächsten „Rektoratsfrühstück“
am 19. April gelang der perfekte Überraschungsmoment, als Punkt 11
Uhr über 100 Protestierende in das Rektorat eindrangen. Als die
Polizei eintraf, bildete sich im dortigen Prunksaal eine ineinander
verschränkte Sitzblockade. Fest entschlossen ließen sich fast alle
von der Polizei aus der Blockade reißen und hinaustragen. So dauerte
die Rektoratsbesetzung über drei Stunden – so lange wie noch nie.
Im Anschluss zog eine Spontandemo zum Campus, von wo aus rund 300
TeilnehmerInnen zur Audimax-Besetzung aufbrachen. Diese war nie als
„Dauerbesetzung“ angedacht, dennoch ließ das hochnervöse
Rektorat noch vor 22 Uhr die WEGA anrücken. Ohne die gesetzliche
Abzugsfrist zu gewährleisten, hielt die Polizei alle Studierende 15
Minuten im Audimax eingeschlossen, bevor alle Personalien aufgenommen
wurden. Hunderte Solidarische bejubelten die rausbegleiteten
BesetzerInnen hinter dem Uni-Gebäude – vereinzelt flogen
Bananenschalen Richtung abziehende WEGA-Beamte.
Foto: Polizei, so weit das Auge reicht - nach der Räumung von rund 500 protestierenden StudentInnen aus dem Gang vor der "geheimen" Senatssitzung ...
Am 26. April riefen ÖH,
„Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ (ABS) und „Stop STEOP“
zum Protest gegen „autonome Studiengebühren“ auf – auch
IE-Studierende beteiligten sich. Bis zu 500 kamen und blockierten den
Senatssitzungssaal, sodass ein Ausweichquartier gefunden werden
musste. Dann wurde es sehr laut in den Gängen der Universität und
ein Teil ließ seine Wut an der Tür des Sitzungsbüros aus, die mit
Klappleiter und Eisenstangen aufgebrochen werden sollte. Erst nach 20
Minuten gelang es der Polizei, in den Gang vorzudringen, es gab
Tumulte, zunächst wurde die Polizei sogar ein Stück weit
zurückgedrängt – schließlich belagerten über 100 PolizistInnen
das Senatsbüro – also wurde der Ring blockiert.
Foto: Motorrad-Polizisten unterstützen überrannte Polizisten am Eingang des Wissenschaftsministeriums
Am 3. Mai wurde
das Wissenschaftsministerium für etwa eine Stunde besetzt. Und auch
an den wöchentlichen After-Protest-Partys der IE am Campus kam es zu
Momenten von Selbstermächtigung und Solidarisierung. Mehrere
Polizeieinsätze wegen zB. nächtlicher Graffitis oder angeblicher
Ruhestörung wurden durch solidarisches Auftreten – völlig
gewaltlos – abgewehrt – Anzeigen verhindert.
Foto: Polizeieinsatz am Campus am 21. April gegen 1:30 Uhr
Der erste fand an der Party in der Nacht vom 20. auf 21. April statt - also unmittelbar nach den belastenden Räumungen der Rektorats- und Audimax-Besetzung des Vortages - entsprechend ausgelassen wurde gefeiert, Frust in Tanzen kanalisiert. Nachdem Securities Tagging-Stifte von Anwesenden klauten griffen einige zu Spraydosen und sprühten Parolen gegen Rektorat, Securities u.a. an diverse Wände. Daraufhin folgte ein Polizeieinsatz, der durch immer weitere Einheiten verstärkt wurde. Da keine Schuldigen für die Graffitis identifiziert werden konnten und die mittlerweile 8 PolizistInnen immer lauterem (aber friedlichen) Widerstand (z.B. "Haut ab"-Rufe) ausgesetzt waren, zogen sie unverrichteter Dinge ab.
Foto (Quelle): Anlass für nächtlichen Polizeigroßeinsatz am Campus am 20./21. April
Um 5:30 kehrten sie zurück - diesmal mit 2 WEGA-Beamten als Verstärkung - und ließen die Musik unverzüglich abstellen. Damit hätte der Einsatz auch schon wieder vorbei sein können, doch insbesondere ein besonders "motivierter" Polizist suchte die Konfrontation und versuchte in der Folge zwei Personen wegen Beamtenbeleidigung (oder etwas in der Art) anzuzeigen. Eine dieser Personen wurde offenbar nur wegen ihrer dunklen Hautfarbe von mehreren Polizisten provoziert - die noch etwa 80 Personen große "Party-Meute" wies jedoch alle Aggressionen der Polizei solidarisch
und entschlossen zurück. Nach heftigen Diskussionen und beinahe
tumultartigen Situationen, als der "besonders motivierte" Polizist von
umstehenden eingekesselt wurde, zogen die PolizistInnen dann doch ohne Anzeigen ab.
Ein weiterer Polizeieinsatz (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) erfolgte bei der IE-Party im Hof 2 zwei oder drei Wochen später: Diesmal wurde es versäumt, sich solidarisch gegen den Einsatz zu stellen, viele bemerkten die anrückende Polizei nicht einmal. Offenbar kamen nur zwei PolizistInnen als "Delegation" zur Musikanlage um deren Abschaltung zu veranlassen - eine sicher entfernte Ecke weiter warteten rund 10 PolizistInnen, darunter erneut WEGA-Beamte (zwei oder vier?) und einer mit Polizeihund, als Verstärkung. Erst nach etwa 30 Minuten ohne Musik, als das gesamte Dutzend Polizei sichtbar wurde und geschlossen abzog, setzte es noch einige Pfiffe und Buh-Rufe hinterher. Eine ähnliche Party wurde dann an anderer Stelle bis spätmorgens ohne weitere Polizeieinsätze fortgesetzt ;)
Zuletzt gab es eine
(fast-)nackt-Intervention am Life Ball am 19. Mai (vgl. ichmachpolitik.at, Daniel Weber/flickr), ein Parkfest am
24. Mai sowie den Bildungsaktionstag am 5. Juni (vgl. derstandard.at, orf.at). All dies brachte in diesem Semester die „unverständliche“
Abschaffung des beliebten, international ausgerichteten Studiums in
aller Munde – und damit jede Menge Solidarisierungspotenzial für
künftige Proteste.
Das Freie Medium Ottensheim (FMO) beschäftigt sich mit der österreichischen Politik, Gesellschaft und Medien. Manchmal auch mit etwas anderem. Der Fokus liegt auf zivilgesellschaftlichen sowie autonomen Bewegungen und Aktionen. Die Beiträge erscheinen unregelmäßig und anlassbezogen: als Korrektiv zu Mainstream-Medienberichten, ergänzend zu anderen unabhängigen Berichten (vgl. Indymedia) und als Beteiligung zur Herstellung einer Gegenöffentlichkeit.
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die jüngsten forderungen der FPÖ niederösterreich, kreuze verpflichtend in
allen klassenzimmern anzubringen und verstärkte nikolo- und krampusbesuche
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Verordnete Obdachlosigkeit für AsylwerberInnen
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der noTA...
If the kids are united..!?
-
Artikel erst-veröffentlicht in der Ausgabe 3/2013, der Kulturrisse Die FPÖ
wird in der Steiermark stärkste Patei bei den Nationalratswahlen 2013. Die
SPÖ w...