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Freitag, 12. April 2013

11.4.2013 - Erneut Eskalation vor PAZ Rossauer Lände bei Demonstration gegen FRONTEX-Abschiebung

[letzte Aktualisierung der Linksammlung am Artikel-Ende: 16.4.] 
Am Donnerstag, 11. April 2013, versammelten sich ab ca. 18 Uhr bis zu 120 Personen vor dem Polizei-Anhaltezentrum (PAZ) Rossauer Lände um gegen eine Sammel-Abschiebung nach Nigeria zu protestieren. Ein Aufruf ("Stoppt die Charter-Massenabschiebung nach Nigeria!") findet sich u.a. auf no-racism.net. Es kursierte die Information, die Abschiebung solle noch im Verlauf dieser Nacht erfolgen, mit einem Abtransport aus dem PAZ sei ab 22 Uhr zu rechnen. Über die Anzahl der Personen, die erst in dieser Nacht aus dem PAZ zum Flughafen überstellt werden sollen, gab es nur sehr unterschiedliche Angaben.

Letztlich wurden jedoch mindestens 3 Gefangenen-Transporter der Polizei bei der Abfahrt aus dem PAZ beobachtet. Es kam zu Blockadeversuchen und in der Folge zu aggressiven Räumungs- und Vertreibungsversuchen durch die Polizei, bestehend aus behelmten Unterstützungseinheiten (EE) sowie etwa einem dutzend WEGA-Beamt(innen?) - insgesamt wohl 70-80 sowie ein halbes Dutzend Zivil- und LVT-Beamte.

Über den Verlauf der Demonstration und des aggressiven Polizeieinsatzes wurde auf Twitter insbes. von @stopdep und @nochrichten live berichtet. Erst vor wenigen Monaten, am 5. Dezember 2012, kam es bei einer Demonstration gegen eine am selben Abend geplante Abschiebungen zu ähnlichen Vorfällen, bei denen die Polizei mehrere Personen mit Knüppelhieben und Pfefferspray verletzte. Damals berichteten die Massenmedien kein Wort, trotz zweier Presseaussendungen (Sozialistische Jugend und Refugee Camp Vienna), die diese Polizeiübergriffe gegen die Demonstration schilderten.

Zur Chronologie:
 
18:43, ggü PAZ Rossauer Lände

18:30 Ca. 80 Personen sind, teils mit Transparenten und Megaphon, auf dem Grünstreifen zwischen Berggasse und Türkenstraße zur Kundgebung versammelt. Das PAZ ist zur Rossauer Lände hin komplett mit Tretgittern, die nur an den Gehsteigenden noch etwas geöffnet waren, abgeriegelt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hinter der Werbeplakatwand bzw. auf der Fläche daneben (mit Blick auf die Straße) war ein halbes Dutzend Zivil-Polizisten und Verfassungsschutz-Beamte postiert, die Notizen und Fotos machten und laufend über die Lage berieten und telefonierten. Um 19:51 Uhr traf schließlich auch LVT Wien-Chef Erich Zwettler persönlich vor Ort ein und unterhielt sich mit dem uniformierten Einsatzleiter.

19:00 Mittlerweile sind 110-120 DemonstrantInnen vor Ort. Bis ca. 21:00 bleibt die Lage äußerst ruhig, die Menge schrumpft leicht auf etwa 100 Personen.

19:16
19:45










 
ca. 21:25 Ein Gefangenentransporter kommt aus dem PAZ und fährt auf der Rossauer Lände Richtung Kundgebungsort - einige Leute laufen spontan auf die Straße, der Transporter biegt in hohem Tempo um die Kurve vor der Kundgebungsmenge in die Berggasse ab - und mehrere Straßen später Richtung Ring ein. Einige Personen strömen Richtung Ring, andere sind in die Berggasse gelaufen. Die meisten versammeln sich jedoch in großer Aufregung auf der Kreuzung Rossauer Lände / Türkenstraße und blockieren diese.

21:27 Nach kurzer Verwirrung riegeln PolizistInnen die Rossauer Lände ab, siehe Foto von @stopdep.

21:32
ca. 21:30 Die Polizei stürmt zum ersten Mal in die Menge und versucht diese - teils hängen sich die Leute zu Menschenketten ein - von der Straße zu drängen. Viele Personen versuchen stehen zu bleiben, woraufhin die Polizei zusehends aggressiver, lauter und gewalttätiger wird. Widerspenstige Menschenketten werden mit blitzartigen, sich wiederholenden, Knüppelstößen in den Hüftbereicht drangsaliert, wiederholt werden Personen beidhändig und mit voller Wucht gestoßen, wodurch es teilweise zu Stürzen kommt. Mehrere Personen mit Handy- und Digitalkameras, die diese Szenen Filmen, werden von einzelnen der behelmten Polizisten verfolgt, geschubst, gepackt und geschlagen. Dies zog wiederum immer mehr solidarische Menschen an, die diesen Polizisten folgte, sie verbal von ihren Übergriffen abzuhalten versuchte und dadurch zum Teil selbst wieder Ziel von weiteren aggressiven Polizisten wurden. So gab es in diesen etwa 5-10
21:35
Minuten gleich mehrere Hetzjagd-artigen Szenen, teilweise schien es, die Gruppenkommandanten hätten ihre Gruppen nicht unter Kontrolle. Ein besonders hartnäckiger Polizist, der sich in einen filmenden Aktivisten regelrecht verbiss, ihn verfolgte und attackierte, musste nach mehreren Minuten schließlich mit Körperkraft von einem seiner Kollegen 20-30 Meter zurück zum Rest der Truppe gebracht werden.

Dieses Video zeigt zunächst die Stürmung um ca. 21:30 und im Anschluss den weiteren Verlauf bis zur Kesselung am Ende:


21:40 Die Polizei hat die Menschenmenge auf mehrere Gehsteige der Rossauer Lände und Türkenstraße abgedrängt und ist in Reihen entlang der Gehsteige sowie am Mittelstreifen der Rossauer Lände aufgestellt (etwa 70-80 BeamtInnen, nach wie vor). Die Lage ist nun wieder ruhig, aber äußerst angespannt und durch das brutale Vorgehen der Polizei aufgeheizt. Auf Twitter wird berichtet: Betroffene schildert: Polizist fasst Demonstrantin bei Demo-Auflösung vor PAZ Rossauer Lände gewaltvoll an die Brüste um sie wegzuzerren!!.

21:46
21:43 Die Polizei verkündet nun per Megaphon Richtung Grünstreifen Berggasse-Türkenstraße, dass die Versammlung für aufgelöst erklärt wird. LVT-Chef Zwettler ist ebenfalls dort anwesend. 10 Minuten später erfolgt an der gleichen Stelle die zweite Durchsage. Die Polizei blockiert die Rossauer Lände zeitweise alleine.

22:00 Es gibt ansatzweise den Versuch, das PAZ Rossauer Lände zu umstellen, um alle Ausgänge im Blick zu haben. Es sind jedoch zu wenig Leute vor Ort und als kurz nach 22 Uhr eine Horde Polizisten beim hinaufstürmen der Rossauer Lände beobachtet werden kehren alle zum Kundgebungsort zurück.

Video auf ichmachpolitik.at zeigt ab Min. 0:40 wie Polizei brüllend auf Menge zustürmt und DemonstrantInnen gerempelt und weggezerrt werden.

ca. 22:10 Mehrere Reihen behelmter PolizistInnen stürmt die Rossauer Lände hinauf um die Straße für zwei Gefangenentransporter (die von mehreren Polizeifahrzeugen eskortiert werden) frei zu machen. Es kommt erneut zu tumultartigen Szenen, zahlreiche Personen versuchen vor die Transporter zu gelangen. Polizisten wenden nun auch Schlagstöcke und andere Formen der "unmittelbaren Zwangsgewalt" an um Personen von der Straße zu entfernen.
22:21, Kessel Türkenstr./R. Lände
22:15 Die Polizei versucht ihre Gruppen rund um die Kreuzung zu formieren und einen Kessel zuzuziehen. Da manche Gruppen trödelten gelang das nur zum Teil. Die meisten DemonstrantInnen rochen die Lunte rechtzeizig und brachten sich auf den umliegenden Gehsteigen (vorerst, später wurden Gruppen auch von den Gehsteigen abgedrängt) in Sicherheit. Etwa 30 Personen, die auf dem Gehsteig bzw. auf dem Grünstreifen Türkenstraße/Berggasse waren (wo vorhin per Megafon die Kundgebung aufgelöst wurde), wurden nun gekesselt. Rechtlich gesehen fast schon korrekt, wenn da nicht noch eine ganze Reihe von Personen, teils einige Minuten nach Beginn des Kessels, von Polizisten gepackt und zum Kessel gezerrt wurden. Mal ganz abgesehen davon, dass eine Auflösung einer Demonstration mit dem bloßen Argument eines flüssigen Verkehrs auf der Rossauer Lände verfassungsrechtlich - hier ist das Versammlungsrecht verankert - als äußerst zweifelhaft betrachtet werden muss.

Bis ca. 22:45 Uhr werden die gekesselten Personen im 1-2-Minutentakt einzeln zur Personalienaufnahme abgeführt. Dabei kommt es erneut zu einiger Aufregung, als eine Person von PolizistInnen hinter die Baustellenabsperrung gebracht wird und BeobachterInnen befürchten, es könnte zu Übergriffen kommen. Daraufhin werden auch die BeobachterInnen von einem Trupp PolizistInnen von der Ebene hinter den Plakatwänden verscheucht. In Befürchtung eines Kessels liefen die meisten Personen davon, ohne dass die Polizei direkt einschreiten musste.

Gegen 23 Uhr kann die Versammlung als aufgelöst betrachtet werden. Es gab dutzende Identitäts-Feststellungen und angeblich auch Verhaftungen (unbestätigt). Wie viele Personen in dieser Nacht tatsächlich abgeschoben wurden bzw. unmittelbar zuvor vom PAZ Rossauer Lände überstellt wurden, ist zur Zeit ebenso nicht klar.

Linksammlung: Videos und Berichte

Videos:
* welyman94 / Youtube: "Wiener Polizei geht gewaltsam gegen DemonstrantInnen vor." (12.04.) (Video vom Benutzer entfernt; Im Video war klar zu sehen, wie Polizisten sich auf einzelne DemonstrantInnen stürzen, an diesen zerren und versuchen diese hinter die eigenen Reihen zu bringen)
* Peter Romano Horn / ichmachpolitik.at: "11. April 2013 Rossauer Lände, Wien." (12.4.)
* RhabarberTV / Youtube: "Kundgebung gegen Massenabschiebung" (12.04.)

Berichte:
* Sozialistische Linkspartei (SLP): "Menschlichkeit im Kapitalismus? Massendeportation mit Polizeigewalt durchgeprügelt" (Bericht einer Aktivistin, 12.4.)
* Bernhard Jenny: gewaltbereit? die polizei. (12.4.)
* pizza.noblogs.org: repression überall (12.4.)
* Indymedia: Erich Zwettler - Leiter des Verfassungsschutz Wien (13.4.) 
* nochrichten.net: Protest gegen neuerliche Frontex-Sammelabschiebung nach Nigeria in Wien bzw. Radio Orange / cba.fro.at: Protest gegen Frontex-Sammelabschiebung nach Nigeria in Wien (13.4.) 

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Wien: Heftige Konfrontationen vor PAZ Rossauer Lände mit Polizei bei Versuch Abschiebungen zu verhindern (5.12.2012)

 [ Text: FMO, 6.12.2012 / alle Fotos (c) Daniel Hrncir ]

Am Abend des 5. Dezember 2012 versammelten sich gegen 19 Uhr zunächst etwa 30 Personen vor dem PAZ Rossauer Lände (Polizeianhaltezentrum, Schub-Gefängnis), um eine geplante Abschiebung nach Nigeria zu verhindern. Vermutlich wegen der vorangehenden Bildungsdemo waren bereits viele Polizei-Einheiten "bereit", und so füllte sich die Umgebung des PAZ Rossauer Lände rasch mit 10, 20 und schließlich 30 (!) VW-Bussen der Wiener Polizei. Etwa 200 PolizistInnen - also ca. 3 pro DemonstrantIn - "kümmerten" sich in der Folge um eine möglichst verzögerungsfreie Abschiebung. Lieber zigtausende Euro für das Durchboxen einer jeden Abschiebung mit Polizeigroßeinsätzen und Charterflügen investieren als den Leuten Asyl und eine Arbeitsbewilligung zur Selbsterhaltung zu geben. Eine interessante Umsetzung des "Leistungs"-Gedanken der österreichischen Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik! Sadismus muss einem schon was wert sein!

Polizei im Gewaltrausch

Auch die Zahl der Protestierenden wuchs auf etwa 70 Personen an, bis der erste Gefangenen-Transport Richtung Flughafen aus der Garagen-Ausfahrt fahren wollte. Die Menge versuchte am Gehsteig, die Ausfahrt zu blockieren, und als dies nicht gelang, versuchte man, die Transporter auf der Straße zu blockieren. Die Polizei ging dabei immer ruppiger vor.

Wie sich die Ereignisse im Detail zuspitzten, kann ich zur Zeit nicht genau rekonstruieren*, aber Fakt ist - das zeigen zum Teil Fotos und Videos, vor allem aber verschiedene Augenzeugenberichte bzw. Berichte von Beteiligten - dass die Polizei mit ungewohnter Gewalt gegen die unbewaffneten Protestierenden vorging. Es wurden Personen gewürgt bzw. im Würgegriff über die Straße gezerrt, von Blutergüssen, Schürf- und Kratzwunden erzählen andere. Laut einer Presseaussendung der SJ wurden auch Pfefferspray und Schlagstöcke gegen zum Teil noch SchülerInnen eingesetzt! Auch das Refugee Camp Vienna berichtet in einer Aussendung von Polizeigewalt.

Die Kommentare der PolizistInnen vervollständigen das Gesamtbild eines menschenverachtenden, zynischen Abschiebe-Apparats, der keine Skrupel hat, Menschen direkt ins Gefängnis des Herkunftslandes abzuschieben oder ihr Leben anderweitig aufs Spiel zu setzen, der lebensgefährlichen und oft traumatischen Flucht nach Europa Hohn spottend: "auf die frage "was soll das? warum so brutal?", die antwort: "weil ihr es verdient habt" ... auf die frage nach der dienstnummer, die antwort: "0664" (3mal!) und ein blödes grinsen", schildert eine Anwesende auf Facebook.

Wenn die Medien wegschauen


"Herkömmliche" Medien waren wieder mal keine vor Ort. Wenns die APA nicht weiß, macht sich auch sonst kein/e Journalist/in die Mühe, zu einer Spontandemo (über die Stunden im Voraus auch auf Facebook und Twitter durchaus öffentlich mobilisiert wurde) aufzubrechen. Klar, es gibt kaum noch "Reporter/innen" im klassischen Sinn - die auf der Straße Ereignisse beobachten, dokumentieren und zusammenfassend berichten. Das liegt an der Sparpolitik zwecks Gewinn-Maximierung bei Mediaprint, Raiffeisen- und anderen Konzern-Zeitungen (und leider nicht nur bei diesen), aber irgendwo müssen sich auch die JournalistInnen selber an die Nase greifen, denn das kann ja nicht sein, dass im Jahr 2012 PolizistInnen "unbeobachtet" SchülerInnen verprügeln - und niemand nimmt davon Notiz, auch wenn es noch so viele ZeugInnen gibt, denn wo kein "offizieller" Journalist, da keine glaubhafte Meldung (so offenbar das Credo) - meistens bleibt die Kronen Zeitung übrig, die ja ihre Informationen häufig direkt von der Polizei "zugesteckt" bekommt - bloß dann halt so, wie die Polizei gerne berichtet zu haben wünscht - die Krone liefert. Ein Armutszeugnis für den sich gern selbst beweihräuchernden "Watchdog der Demokratie".

Umso stärker empfehle ich daher jene JournalistInnen und Medien, die zwar nicht bei einem Medienkonzern arbeiten, dafür aber unabhängig agieren und keine Mühen scheuen, auch bei Schneeregen zu später Abendstunde und bei riskieren der eigenen Unversehrtheit jene Vorgänge zu dokumentieren, bei denen das offizielle Österreich, inklusive seine (Massen-)Medien, offenbar nur allzugerne wegschaut:




* eine ausführlichere Zusammenfassung der Ereignisse von jenem Journalisten, der von Anfang an dabei war und oben stehendes Video aufgenommen hat, findet man seit 6.12. hier: Richtigstellung von: Anti-Abschiebungs-Demo auf Rossauer Lände: Angeblich Polizeigewalt







Weitere Foto-/Video-/Textberichte:

- Daniel Hrncir: Abschiebung nach Nigeria (flickr)
- Daniel Weber: #NOBORDER Demo gegen eine Abschiebeaktion vor dem PAZ in #WIEN #stopdep (Fotos)
- neuwal.com / Daniel Weber: #NOBORDER Demonstration gegen eine Abschiebeaktion in #Wien (Artikel)
- vienna.at / Daniela Herger: Anti-Abschiebungs-Demo auf Rossauer Lände: Angeblich Polizeigewalt (Artikel)
- akin: PAZ Wien: Wieder Abschiebung durchgeprügelt

 

Mittwoch, 19. Januar 2011

In Deckung gehen, die größte Menschenrechtsorganisation ist unterwegs!

In den letzten Tagen wurden mehrere Verhaftungen von nigerianischen Flüchtlingen, die teilweise seit 8 bis 10 Jahren in Österreich leben, bekannt. In einem Fall sprang ein Mann aus dem Fenster seiner Wohnung und verletzte sich schwer. Auch ein (weiterer) FC Sans Papiers-Spieler soll unter den Verhafteten sein. In einem anderen Fall wurde eine Frau, die von Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen wurde, verhaftet, nachdem sie bei der Polizei eine Aussage gegen die Menschenhändler gemacht hatte. Die Polizei, befohlen von einer feigen und menschenverachtenden Politik, geht natürlich nicht gegen die Menschenhändler vor (diese sind ja gefährlich!) sondern gegen deren Opfer. Die Menschenhändler können also ungestört weiter machen, denn wer gegen sie aussagt wird von der österreichischen (!) Polizei (!) beseitigt (!). Dieses Vorgehen ist auch schon im Fall "abtrünniger" Tschetschenen bekannt, wo die tschetschenischen Auftraggeber von der österreichischen Polizei geschützt werden und politische Auftragsmorde folgenlos bleiben. Oder auf städtischer Ebene vom Bettelverbot, das sich angeblich gegen "organisiertes Betteln" wendet, aber in der Praxis nur gegen die Bettler selbst, nicht jedoch gegen etwaige Hintermänner angewendet wird.

"Menschenhandelsopfer, Brandanschlagsopfer, Fußballspieler und rund 30 mehr"

(Zitat: nochrichten.net)

Bei jenem Frontex-Abschiebeflug, der in der Nacht vom 19. auf 20. Jänner 2011 abgewickelt wird (vermutlich zwischen 0 und 1 Uhr) sollen dem Vernehmen nach insgesamt 15 (bis 20 oder 30) Personen abgeschoben werden. Ob ein Zusammenhang zu den Vorfällen im Wiener Tanzlokal "Congo" besteht, wo unter dem polizeiintern gebräuchlichen Schlagwort "Neger umhacken" mehrere afrikanisch-stämmige Personen beschimpft, schikaniert und unter fadenscheinigen Vorwürfen angezeigt wurden, besteht, ist nicht bekannt. Offenkundig ist aber das in letzter Zeit immer drastischere Vorgehen gegen Flüchtlinge mit dunkler Hautfarbe (von Populisten und Rechten pauschal als "Drogendealer" diffamiert) durch die Polizei (vgl. hierzu auch den kürzlich vor Gericht verhandelten Fall Mike Brennan).

Vor Gericht werden sich jene Beamte, die vor Ende des Verfahrens über humanitären Aufenthalt (beim MA 35 anhängig) vollendete Tatsachen geschaffen haben, jedoch nie verantworten müssen. Eine Verfahren zu "humanitärem Bleiberecht" hat keine aufschiebende Wirkung. Es ist zudem kein Recht, sondern wird nach freiem Ermessen der zuständigen (Weisungsgebundenen) Beamten gewährt oder auch nicht gewährt (oder das Verfahren wird überhaupt eingestellt, da die Polizei während des Verfahrens abschiebt).

kleine Demonstration - große Polizei

Am Vorabend des 19. Jänner wurde via Twitter und Facebook zu einer Demonstration um 17 Uhr vor dem Polizeianhaltezentrum (PAZ) Rossauer Lände aufgerufen. Etwa 50 Personen folgten dem Aufruf. Medienberichte, denen zufolge der Aufruf vom Verein Purplesheep stammt, sind nicht wahr und werden vom Verein auf Facebook dementiert. Die Kundgebung war nicht angemeldet und wurde nach wenigen Minuten eingekesselt und nach 1,5 Stunden Polizeikessel aufgelöst. Nachdem die versammelten Personen die Straße vor dem PAZ Rossauer Lände betraten wurde sofort die Auflösung und Räumung angekündigt bzw. angedroht. Die Menge setzte sich daraufhin (wie üblich) in Bewegung, die Polizei forderte Verstärkung an und stoppte die Demonstration auf Höhe Hörlgasse 14, Ecke Liechtensteinstraße. Die Personalien der DemonstrantInnen sowie unbeteiligter PassantInnen (auch die NEWS-Redakteurin Corinna Milborn befand sich darunter) wurden aufgenommen, Anzeigen wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und die Straßenverkehrsordnung drohen. Strafrahmen: Im Wiederholungsfall bis zu 700 €.

Gezählte 14 VW-Kleinbusse, 8 Streifenwagen und 1 (unbenötigter) Gefangenentransporter waren im Einsatz. Nach Auskunft anwesender Personen soll ein Beamte gesagt haben, dass es sich bei diesem überdimensionierten Einsatz um eine "Übung" für die No-WKR-Demonstration am 28. Jänner handeln soll.

Klotzen, nicht kleckern, heißt es, wenn es um Einsätze der Wiener Polizei gegen Men
schenrechtsaktivistInnen geht - ein Engagement, das man beim (kaum vorhandenen) Vorgehen gegen organisierte Kriminalität (und damit mein ich nicht TierschützerInnen, sondern Auftragsmorde, Korruption und rechtsextreme Brandanschläge) vermisst.







In der Tat sind solch überdimensionierte Einsätze selten, jedoch nicht ungewöhnlich (auch in der ersten Hälfte des Jahres 2010 wurde besonders massiv gegen Anti-Abschiebungs-Demonstrationen vorgegangen, ein Mal war sogar ein großer Polizeibus im Einsatz, die Demonstranten wurden von einer Hundertschaft von Polizisten ab dem Schwedenplatz durch die Innenstadt gejagt). Bekannt ist aber auch, dass die Polizei vor Großereignissen tatsächlich kleinere Ereignisse zum Anlass für hartes Durchgreifen heranzieht. So etwa im Vorfeld der EM 2008.

Rassistische Wortmeldungen von Polizisten

Mehrere rassistische Wortmeldungen von Polizisten wurden dokumentiert. Eine Passantin fragt, um was es bei der Demo geht. Antwort des Polizisten: "Das sind Menschen die nicht wollen das kriminelle Ausländer abgeschoben werden." Polizist zu einem Demonstranten: "Wegen a bor Nega gehts es demonstriern?" (Quelle)

Weitere Informationen (siehe auch Links im Fließtext)

- Daniel Weber: DEMO gegen die Abschiebung von mindestens 3 Asylwerbern nach Nigeria (Bericht mit Fotos und Videos)
- NEWS: Neuer Skandal um Abschiebung: Opfer von Frauenhandel droht in Nigeria der Tod
- No-Racism.net: Proteste gegen Sammelabschiebung am 20. Jänner 2011
- wirbelwind.noblogs.org: Demonstration gegen geplante Abschiebung nach Nigeria
- nochrichten.net: Menschenhandelsopfer, Brandanschlagsopfer, Fußballspieler und rund 30 mehr: Sammelabschiebung nach Nigeria in der Nacht auf 20. Jänner – Protestaktionen und Polizeikessel. (besonders ausführlich!)
- Grüne Wien / Klaus-Werner Lobo: Opfer von Menschenhandel darf nicht abgeschoben werden! (OTS-Aussendung)
- Martin Juen: Polizeikessel bei Demonstration gegen Abschiebung | 19.01.2011 (flickr-Fotoalbum)

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Freunde schützen: Kinder in Schubhaft – spontane Soli-Demo in Wiener Innenstadt

[Foto: Ausschnitt aus Video auf ichmachpolitik.at; CC by-nc-sa Stefan Deutsch]

Gestern Früh, 6:30 Uhr, wurden zwei achtjährige Kinder (in früheren Meldungen hieß es noch Neunjährige) gemeinsam mit ihrem Vater (die Mutter liegt wegen Suizidgefahr im Krankenhaus) von zivilen sowie uniformierten Polizisten der Fremdenpolizei und der WEGA festgenommen und in ein Schubhaftzentrum gebracht. "Anziehen und mitkommen", wurden die drei aus dem Schlaf gerissen (derstandard.at). Kaum noch eine Erwähnung wert, da bei frühmorgendlichen Abschiebungen in Österreich, zwischen 4 und 6:30 Früh, ganz normal: Die Kinder durften nicht einmal ihre Sachen einpacken (Kleine Zeitung). Sogar ein Stg77, ein Sturmgewehr, hatte zumindest einer der Beamten bei sich, als die Wohnung der drei künftigen "Schüblinge" betreten wurde.

Die bevollmächtigte Rechtsvertreterin der Familie Komani, Karin Klaric, wurde nicht als solche akzeptiert, obwohl sie den Beamten die schriftliche Vollmacht sogar vor die Nasen hielt. Die Familie Komani wurde ohne ihre Anwältin in das Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände gebracht.

[Foto: Die beiden Kinder im Polizeiwagen; CC by-nc-sa Stefan Deutsch]

Schließlich findet am Folgetag (7.10.) der nächste Frontex-Flug statt und es sind noch Plätze frei, die, wie wir mittlerweile alle wissen, aufgrund der hohen Kosten pro Flug auch gefüllt werden "sollten". Darauf ist Fekter stolz: Auf die professionellen, effizienten und vergleichsweise kostengünstigen Frontex-Abschiebeflüge, die Österreich zu einer beliebten Abschiebe-Drehscheibe für die gesamte EU machten. Schließlich muss mit unserem Steuergeld ja effizient umgegangen werden (ob es nicht effizienter wäre, gut integrierte, unbescholtene Bürger, die bestens deutsch sprechen einfach hier leben zu lassen, diese Frage kommt aus Angst vor Wahl-Gewinnen der FPÖ merkwürdigerweise niemandem in den Sinn. "Merkwürdigerweise" legt die FPÖ bei Wahlen aber trotzdem zu). Das ist auch der Grund, warum man nicht auf die "Genesung" der Mutter wartet. Zudem ist "der Zeitpunkt der Genesung ungewiss", wie die Vize-Präsidentin der Wiener Polizei die Abschiebung zum jetzigen Zeitpunkt unter anderem rechtfertigt (ZIB2, 6.10. (Youtube)). Anmerkung: Die Mutter wurde erst diesen Dienstag, also am Vortag, eingeliefert.

Um sicherzugehen, dass keine "linksextremen Terroristen" durch verbales Beschweren, filmen oder fotografieren die frühmorgendliche (immerhin nicht schon um 4 Uhr, wie auch schon oft genug geschehen, z.B. in Röthis) Amtshandlung sabotieren, waren auch Beamte des Amts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung anwesend. Die sind übrigens Stammgäste bei jeder Versammlung der Zivilgesellschaft (so nenne ich das), bzw. "[potentiellen?] Linksextremen" (so sieht das wohl ihre Chefin, Ministerin Fekter), daher erkennen sie viele auch sofort.

Die ganze Aktion war absehbar. Bereits vergangene Nacht wurde "Alarm ausgelöst" im "Freunde schützen"-Haus des vor kurzem neu gegründeten Vereins Purple Sheep. Unter den wenigen, die dem Alarm folgten und tatsächlich die Nacht in der Arndstraße 88 verbrachten, waren auch "Angehörige" von WienTV, das auch den ersten Videobericht nach der frühmorgendlichen Abschiebung veröffentlichte (Neunjährige Zwillinge mit Vater im Gefängnis). Die Wiener Zeitung lässt es sich übrigens nicht nehmen, über die Anwesenheit von WienTV und anderen Medien zu spotten: Würde nicht, wie schon bei den Zogajs, so ein "Medienrummel" um die Abschiebungen veranstaltet, hätte das Innenministerium ja "still und leise eine Lösung" finden können (!). Dass die Wiener Zeitung offensichtlich erst auf WienTV gesehen hat, was vor Ort eigentlich wirklich (abseits der Polizei-Pressemeldungen) geschehen ist, sagt sie natürlich nicht dazu.

Humanitäres Bleiberecht ist kein Recht

[Screenshot: (c) ORF, ZIB2, von tvthek.orf.at]


Was hat die Familie verbrochen? Nichts. Selbst der ORF zeigt mit einer anschaulichen Infotafel, dass die Familie alle Bedingungen des Humanitären Bleiberechts erfüllt. Doch: "Wenn das alles erfüllt ist, dann können die Behörden immer noch sein sagen", so der ORF.

Die ursprünglich "illegal" aus dem Kosovo geflohene Familie lebt seit sechs Jahren in Österreich, die Kinder sind hier aufgewachsen, die Familie ist unbescholten, gut integriert, sprechen ausgezeichnet deutsch, wie auch Armin Wolf in der ZIB2 betonte. Eigentlich eine Vorzeige-Immigranten-Familie. Doch das "Humanitäre Bleiberecht" ist kein Recht. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf. Die Behörden entscheiden letztendlich nach eigenem Ermessen, ob jemand aus humanitären Gründen bleiben darf, oder nicht. Und da diese Behörden dem Innenministerium unterstehen, dass eine klare Abschiebepolitik vorgibt, ist es kein Wunder, das 60 % der Anträge auf Humanitäres Bleiberecht, das sind 4.000 Fälle (Quelle: ZIB2, ORF, 6.10.2010), negativ beschieden werden. Ganz egal wie gut eine Familie deutsch spricht, wie brav sie arbeiten geht, wie gut sie integriert sind.

ORF und die Familie Komani

[Foto: Medien vor dem PAZ Rossauer Lände; CC by-nc-sa Daniel Hrncir]

Auch der ORF griff das Thema rasch auf und führte vor dem PAZ Rossauer Lände erste Interviews. Vor zwei Wochen hatte die ZIB2 noch den Umzug der Familie Komani ins damals neue "Freunde schützen"-Haus dokumentiert. Also berichtete die Zeit im Bild um 13 Uhr ("Schubhaft für Neunjährige" (Youtube-Link), Dauer 1:10), um 17 Uhr ("Heftige Kritik an Abschiebungen", Dauer 0:33), um 19:30 ("Dramatische Szenen", Dauer 1:38) und schließlich auch in der ZIB24, gegen Mitternacht ("Große Aufregung" (Youtube-Link), Dauer 2:12).

In der ZIB2 um 22 Uhr ("Kritik am Vorgehen der Polizei" (Youtube-Link), Dauer 9:37) lässt sich der ORF auch vom Neusprech der Polizei nicht beirren: "Weil man Kinder nicht einfach so in Schubhaft nehmen kann, nennt es die Polizei jetzt einfach anders – nämlich 'Festnahme zur Sicherung der Abschiebung' – kommt aber aufs Gleiche raus. Die Kinder sitzen hinter Gitter."

Ministerin Fekter wollte nicht in die ZIB2 kommen, da sie "Einzelfälle" nicht kommentiere (das mit den "Rehleinaugen" war wohl ebenso pauschal auf alle Asylsuchenden bezogen). Statt ihr kam die Vize-Präsidentin der Wiener Polizei, Michaela Kardeis, die die undankbare Aufgabe bekam, eine an Unmenschlichkeit kaum zu überbietende Handlung der Polizei zu rechtfertigen. Doch sie nahm die Aufgabe konsequent wahr und betonte, dass die Gesetzeslage nun mal so ist, wie sie ist. Sie erwähnte auch mehrmals bewusst, dass die Polizei die Gesetze schließlich nur "umzuschieben, äh, umzusetzen" (bei 6:05) habe, und dass diese im österreichischen Parlament beschlossen werden. Gesetze "umzuschieben", wenn es etwa um Landeshauptleute oder Journalisten geht, scheint kein Problem zu sein. Doch wenn es um zugewanderte Familien geht, die sich noch dazu einbilden, durch Integration der "Beendung ihres illegalen Aufenthaltsstatus" zu entgehen, da muss der "Rechtsstaat" hart durchgreifen.

Auf Fragen in die Richtung, ob Polizeibeamte oder sie selbst denn keine Bedenken hätten, auch aufgrund der Kritik, dass derartige Abschiebungen menschenrechtswidrig wären, ließ sie sich nicht ein. Nicht einmal indirekte Kritik wollte sie an der aktuellen Gesetzeslage bzw. Politik üben. Das Gesetz habe sich in der Praxis bewährt, antwortete sie kurz auf die entsprechende Frage.

Wenn achtjährige Kinder eine Bedrohung für die Republik Österreich darstellen

Dennoch offenbarte das Interview einige grundlegende Grausamkeiten, die die aktuelle Gesetzeslage in Österreich für den Umgang mit MigrantInnen vorsieht: Humanitäres Bleiberecht ist kein Recht, es ist Willkür. Und selbst wenn es gewährt werden würde, schaffen die Behörden mit vorschnellen Abschiebebescheiden oft vorzeitig "vollendete Tatsachen". Dass die Polizei menschenrechtlich gesehen nicht derart Familien zerreißen dürfe, wird auch von der Vize-Polizeipräsidentin mit dem einzig zulässigen Schlupfwinkel erklärt: die Abschiebung könne dennoch rechtlich korrekt erfolgen, wenn "es erforderlich ist, im Interesse des Wohles des Landes, der öffentlichen Sicherheit, Ruhe, Ordnung" (Zitat Kardeis, ZIB2, bei 6:50).

Dass diese unbescholtene Familie, deren Mutter bereits an den Rand des Selbstmords getrieben wurde (auch hier: unschöne Ähnlichkeit zum Fall Zogaj), abgeschoben wird, wird also mit der Bedrohung von Ruhe und Ordnung, der Bedrohung der "öffentlichen Sicherheit", ja einer Bedrohung für die Republik Österreich begründet! Merke: Flüchtlinge, Immigranten sind eine Bedrohung für dieses Land! So sieht es das Gesetz, auf jeden Fall aber seine Umsetzung in der Praxis.

Spontane Kundgebung

[Foto: Kundgebung vor dem PAZ Rossauer Lände gegen 18:30/19 Uhr; CC by-nc-sa Daniel Hrncir]

Im Laufe des Tages verbreitete sich die Kunde von dieser bevorstehenden, unmenschlichen Abschiebe-Aktion. Auf Facebook, Twitter, via Telefon und SMS wurde die Kunde von der Kundgebung um 18 Uhr vor dem Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände, wo bereits vor einigen Monaten die FC Sans Papiers-Soli-Demos abgehalten wurden, verbreitet. Einige Journalisten, Fotografen, der ORF sowie etwa 200 bis 300 DemonstrantInnen, inklusive mehrerer Grün-Politiker, folgten dem Aufruf. Und die Polizei folgte dem Gesetz: Gegen 19 Uhr wurde per Megaphon die Räumung der unangemeldeten Demo angekündigt. Teil dieser Tonband-Durchsage war auch, dass diese Versammlung eine "Bedrohung für die öffentliche Sicherheit" darstelle und, jetzt kommts, den Straßenverkehr behindere! (Die gesamte Durchsage im O-Ton auf diesem Video ab Minute 1:00) Ja, irgendwann lernt jeder guter Staatsbürger, dass in Österreich das Recht vom Recht auf freien Straßenverkehr und vom Recht auf freie Parkplätze abgeleitet wird.

Spontane Demo: Niemals stehen bleiben

[Foto: Nach mehrfacher Drohung der Auflösung der Kundgebung setzt diese sich via Kai in Bewegung; CC by-nc-sa Daniel Hrncir]

Außer lautstarkem Getöse und Buh-Rufen gab es jedoch keine Reaktion, auch nach der zweiten und dritten Ankündigung. Die Polizei stockte ihr (bescheidenes) Kontingent nach und nach auf. Einige Leute setzten sich auf die Straße. Als die Polizeikette mehrere Schritte nach vorne trat, setzte sich die Menge in Bewegung. Wie bei früheren unangemeldeten Demos hat sich auch hier wieder gezeigt, dass nur die Flucht nach Vorne bleibt: Immer in Bewegung bleiben! Das war dann auch das inoffizielle Motto der "unendlichen" Demonstration. Bloß nicht zu lange stehen bleiben, sonst wird gekesselt und es gibt eine Anzeigenflut. So zeigen es die Erfahrungen von früheren Demos gegen Abschiebungen, gegen Rechtsextremismus.

Seit der No-WKR-Demo im Jänner 2010 ist das Vertrauen in die Polizei bei Demonstranten ohnehin dahin. Damals wurden 677 Personen wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz angezeigt – obwohl laut Polizeiangaben nur 500 Personen an der Demo teilnahmen. Der Grund: es wurden rücksichtslos auch Büroangestellte am Nachhauseweg, verirrte Touristen, Lokal- und Café-Besucher und sogar Personen, die als letzte Kunden gegen 19 Uhr die Hofer-Filiale verließen, eingekesselt, teilweise bis 2 Uhr früh festgehalten (man ging die Sache gemütlich an, schließlich sollte nicht die Gelegenheit geboten werden, dass sich die "freigelassenen" Demonstranten anschließend wiederversammeln). Seither, und dazu muss man der Polizei wirklich gratulieren, fürchten viele Demonstrierende, bei jeder erstbesten Gelegenheit gekesselt, möglicherweise stundenlang festgehalten und auf jeden Fall wegen diverser "Vergehen" angezeigt zu werden. So viel zur Versammlungsfreiheit in Österreich, in Wien, 2010.

Folge dieser harten (wohl Fekter zuzuschreibenden) Politik, die eindeutig gegen "linke Demonstrationen" gerichtet ist (ungeachtet, ob die wirklich alle links sind oder sich einfach für Menschenrechte, für ihre Mitmenschen einsetzen) und zum Schutz des "rechten Establishments" (rassistische Gesetze, Burschenschafter-Bälle, rechtsextreme Demos, FPÖ-Veranstaltungen usw.) dient, ist unter anderem die Zunahme unangemeldeter, länger andauernder Demonstrationen auf spontan festgelegten Routen.

Demo-Verlauf

[Foto: Demo am Ring, Richtung Schottentor und Rathaus; CC by-nc-sa Daniel Hrncir]

Eine sehr laute Demo setzte sich in Bewegung. Etwa 300 Leute zogen über den Kai und die Maria-Theresien-Straße rauf zum Schottentor. Die Polizei sicherte die Straßen, der restliche Trott trottete hinterher. Ein paar haben sich auch in den VW-Bussen chauffieren lassen. Insgesamt aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht allzu viele. Jedenfalls nicht im Vergleich zu früheren Demos, und seien es bloß unibrennt-Demos gewesen.

Ziel war das Rathaus, das man über die Ringstraße und jene Seitenstraße neben der Uni erreichte. Die Polizei, genauer gesagt etwa 8 bis 10 Polizisten, versuchten, den breiten seitlichen Zugang zum Rathausplatz "abzuriegeln", was natürlich kaum jemanden beeindruckte. Eine hölzerne, rot-weiße, hüfthohe Baustellenabsperrung (!) wurde sogar verwendet (oder sie stand schon da, ist letztlich egal) um den Gehsteig (der Straße vor dem Rathaus) abzusperren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kam erstmals die Frage auf, ob die Polizei vielleicht unterbesetzt ist an diesem Tag. Denn bei vergleichbaren illegalen Demos hat man es oft rasch mit mehreren Hundert Polizisten und Kolonnen aus Dutzenden VW-Bussen, ja sogar großen Polizei-"Reisebussen" zu tun (so etwa bei einer der letzten Anti-Abschiebungsdemos vor den Sommerferien, an der etwa 200 Personen teilnahmen).

Viele sind sich aber auch sicher, dass die Polizei, wären nicht grüne Nationalratsabgeordnete und der ORF da, deutlich härter vorgegangen wäre. Man erinnere sich an vergleichbare Aktionen im Zuge der FC Sans Papiers-Abschiebungen: Als sich nach einer unangemeldeten Kundgebung vor dem PAZ Rossauer Lände die Leute in Bewegung setzten, blieb die Polizei dran und zerschlug die Demo auf Höhe Schwedenplatz – die Menge zerstreute sich in den Gassen der angrenzenden Innenstadt.

Am Weg zum Rathaus wurde "Nieder, nieder, nieder mit der SPÖ" geschrien. Anschließend ging es an der ÖVP-Zentrale vorbei, und es hieß "Nieder, nieder, nieder mit der ÖVP". Ebenfalls "Spruch des Zeitpunkts": Vor der Wahl, nach der Wahl, kein Mensch ist illegal. Dass sich Häupl als Bürgermeister nicht zu den Abschiebungen äußert, oder nach Vorbild des Bürgermeisters von Röthis in Vorarlberg, sich schützend vor integrierte Familien stellt, nehmen ihm viele krumm. Woher der Hass auf die ÖVP kommt, muss wohl nicht extra erklärt werden.

Die am häufigsten gerufen Parolen waren ohnehin eher folgende:
- Erst freie Menschen, dann freie Straßen
- Say it loud, say it here [oder: clear], refugees are welcome here
- Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord, Bleiberecht für alle und sofort
- Um Europa keine Mauer, Bleiberecht für alle und auf Dauer

[Foto: Beinahe wäre das Innenministerium gestürmt worden; CC by-nc-sa Daniel Hrncir]

Über Auerspergstraße, Schmerlingplatz und Bellariastraße ging es dann wieder zum Ring. Ein Teil dachte, die SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße wäre das nächste Ziel, doch die Mehrheit bog Richtung Heldenplatz ab. Das Ziel war nun das Innenministerium, das via Ballhausplatz am Minoritenplatz erreicht wurde. Nach wie vor waren etwa 250 Personen anwesend, der Minoritenplatz wurde gestürmt. Mehrere Polizisten postierten sich eilig vor dem Eingangstor des Innenministeriums, das Tor schloss sich langsam. Da die Demo von der ersten bis zur letzten Sekunde friedlich war, reichten diese fünf Polizisten, um eine Stürmung des Ministeriums zu verhindern. Die neue Parole am Minoritenplatz lautete nun: "MigrantInnen bleiben, Fekter vertreiben".

Eigentlich wäre der Minoritenplatz ein guter Ort für eine Art Schlusskundgebung gewesen. Doch von allen Seiten wurden wir längst von VW-Bussen der Polizei umkreist, und der Minoritenplatz gibt an sich einen guten "Kessel" ab. Der erfahrenere Teil der Demonstranten war ziemlich unruhig und drängte darauf, weiterzugehen. Nach 5 bis 10 Minuten zog die Menge daher auch tatsächlich weiter – allerdings gab es nun kein Ziel mehr. Erste Diskussionen entstanden in der Herrengasse. Da es eine spontane, unangemeldete Demo war, gab es niemanden, der für alle gültige Entscheidungen treffen konnte, also standen wir alle etwas ratlos da. Am liebsten wären viele wohl am Minoritenplatz geblieben, bis die Sache sich von selbst aufgelöst hätte – so mein Eindruck. Doch wie gesagt, Stillstand kills, niemand will eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrechtes, niemand will in einem Kessel gefangen werden.

Schließlich ziehen wir über die Freyung zum Schottentor. Eine Art "Notplenum" wird mitten auf der Kreuzung abgehalten. Nach 10 bis 15 Minuten Diskussion über eine Auflösung der Demo verschwinden die meisten. Etwa 30 bis 50 Personen ziehen jedoch weiter über den Ring, zurück zum PAZ Rossauer Lände.

Ende der polizeilichen Geduld

Mitten auf der Ringstraße zog diese Gruppe also Richtung Alte Börse hinunter. Auch die Polizei schien sich kurz zu beraten, mit dem Entschluss, die Leute auf den Gehsteig zu drängen. Dies gelang mit etwa 20 Beamten eher schlecht, als Recht – die "Gruppe" war auch sehr weit verstreut unterwegs. Erst in der Maria-Theresien-Straße machte die Polizei ernst. Mit Polizeiwägen wurden die Menschen von der Straße gedrängt, unter Mithilfe von behandschuhten PolizistInnen.

Nach mehreren "Umstellungen" von etwa 20 Personen am Gehsteig – zwischendurch ging es immer wieder ein Stückchen weiter (die Polizei verzichtete offenbar auf eine konsequente Einkesselung). Vor der Rossauer Kaserne dann die letzte "Anhaltung". Mittlerweile versammelten sich auch immer mehr PolizistInnen in der Umgebung. Das Verhältnis kippte zusehends deutlich zugunsten der Polizei. Was das ganze noch für einen Sinn haben sollte, unangemeldet, umgeben von 50, 70 und mehr Polizisten, vor dem PAZ zu demonstrieren, wo wir einst nach Räumungsdrohung weggegangen sind, erschließt sich mir nach einer erfolgreichen Demo quer durch die Innenstadt zwar nicht mehr, doch hab ich auch den letzten Zug bis zu dieser Stelle noch, mit etwas Abstand, begleitet.

In etwas Abstand standen auch ein paar "alte Bekannte". Verfassungsschützer, wie mir bei früheren Demos erzählt wurde. Wenn man wissen will, ob der Staat eine Demo ernst nimmt, sollte man nach diesen Geichtern immer Ausschau halten. Je mehr, umso besser ;) Man kann sie auch ansprechen, was weniger scheue Teilnehmer an Demonstrationen auch manchmal machen. Ich gehöre allerdings nicht dazu. Dennoch hab ich sie über die Demo resümieren gehört. Der eine meinte zum anderen, es sei ja vollkommen OK und ein demokratisches Grundrecht, wenn "270 Leute" auf der Ringstraße demonstrieren. Aber wenn am Schluss nur noch "30 Leute" unbedingt weiterhin am Ring demonstrieren wollen, dann sei das einfach eine unnötige Schikane des Verkehrs – so die durchaus pragmatische Einstellung dieser Staatsbeamten zur Versammlungsfreiheit. Warum die Polizei diese Leute nicht einfach von der Straße nehme, wegen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung, war der letzte Satz, dem ich noch gelauscht habe.

Danach ging ich. Der "harte Kern" aus etwa 20 Personen, der zu diesem Zeitpunkt bereits von etwa 50 Polizisten umgeben war, erhielt schließlich Anzeigen wegen Verstoßes gegen die Versammlungsfreiheit UND gegen die Straßenverkehrsordnung. Festnahmen gab es keine, so nochrichten, eine verlässliche Informationsquelle der Gegenöffentlichkeit auf Twitter.

Weitere Infos, Blogs, Videomaterial

Twitter:
- unter dem Hashtag #Abschiebung und/oder #purplesheep (nicht alle tweets verwende(te)n diesen Hashtag, aber viele), automatisch generierte Zusammenstellung der Links auf twazzup
- nochrichten auf Twitter: Chronik zur Demo (Achtung: wegen der täglich fortschreitenden Timeline nur in den nächsten Tagen ohne große Umstände nachsehbar)

Videos:
- ichmachpolitik.at: ungeschnittenes Video (31 Min) vom Eintreffen der Polizei und Mitnahme der Familie Komani (davon ein Zusammenschnitt, 2:16 Min)
- WienTV.org: ebenfalls von Anfang an vor Ort. Videobericht (bei Überlastung: Ersatzlink Youtube) von den Ereignissen gegen 6:30 Uhr
- Daniel Hrncir: "Abschiebungsdemo wegen Familie Komani" - geschnittenes Video von der gesamten Demo, sehr guter Überblick! (6:41 Min)

Fotos:
- kellerabteil auf flickr

Blogs (Stand: 7.10., 3 Uhr):
- bernhardjenny.wordpress.com: polizisten sind täter. kleine mädchen sind opfer. 6.10.
- franz-joseph.at: Abschiebung! Where the fuck is Häupl?, 7.10.
- haftwien.wordpress.com: Spontane Demonstration vor Schubgefängnis Rossauer Lände, 7.10.
- ... folgt noch? ;)

Mittwoch, 5. Mai 2010

Weitere Kundgebungen gegen Abschiebungen

Nach der spontanen Blockadeaktion am Hernalser Gürtel (DO, 29.4.2010), gegen die Abschiebung von Spielern des FC Sans Papier die seit 2002 bzw. 2004 in Österreich lebten (FMO berichtete, siehe auch Wien Heute vom 30.4.2010 sowie die ausführliche Dokumentation und Reportage von Wien TV (ca. 8 Min)), kam es Freitag-Mittag erneut zu einer kurzen, jedoch kaum besuchten, da unzureichend kommunizierten Kundgebung vor dem PAZ Rossauer Lände.

Am Samstag den 1. Mai gab es laut Berichten von Anwesenden jedoch gleich drei Kundgebungen, eine Vormittags, eine Mittags/Nachmittags und eine gegen Abend. Alle drei wurden binnen kurzer Zeit polizeilich aufgelöst bzw. lösten sich nach Eintreffen der Polizei selbst auf. Eine dieser Kundgebungen war beim Omofuma-Denkmal vor dem Museumsquartier mit etwa 100 bis 200 Leuten. Dort entstand nach einer Weile ein großes Polizeiaufgebot und ein Kessel, der aber nach ausbleibender Eskalation rasch wieder aufgegeben wurde. Über die anderen beiden Kundgebungen ist mir nichts bekannt, außer, dass sie stattgefunden haben. Indymedia berichtete allerdings: "Massive Repression beim Markus Omofuma-Stein" (war gegen 13 Uhr) - danach "Kundgebung und Polizeirepression vor Wiener Häfn" (danach, gegen 15:30 Uhr) und über die erste Kundgebung am Vormittag dürfte dieser Fotobericht auf Indymedia sein.

Sonntags und Montags dürfte es ruhig geblieben sein. Die nächste große Aktion fand am Dienstag statt:

Demonstration am Dienstag, 4. Mai

Mit Flyern und über das Internet wurde unter dem Motto "Solidarité avec les sans papiers" sowie "No Border, No Nation, stop Deportation" zu Aktionstagen gegen die Abschiebungen am 4. und 5. Mai aufgerufen. Indymedia berichtete den ganzen Tag mit Live-Ticker.

Die erste Kundgebung startete gegen 12 Uhr vor dem PAZ Rossauer Lände. Etwa 70 bis 100 Leute waren versammelt, als nach 12:30 die Gruppe vom Platz/Radweg an der Kreuzung die Straße zu blockieren begann.

Gegen 13 Uhr wollte die Polizei die Versammlung, die "angekündigt, aber nicht angemeldet" war, auflösen. Etwa 30 bis 50 Polizisten waren zu diesem Zeitpunkt anwesend. Diese Gruppe von Polizisten bewegte sich vom PAZ Richtung Versammlung zu. Doch noch bevor die Auflösung per Megaphon durchgesagt werden konnte, entschloss sich das Über-Ich dieser Versammlung, sich in Bewegung zu setzen. Die verdutzten Polizisten blieben vorerst zurück, die Kundgebung setzte sich den Donaukanal entlang in Bewegung - ohne Polizeibegleitung und in direkter Konfrontation mit hektischen Autofahrern.

Mehrere Kreuzungen wurden so passiert, nur wenige Autofahrer waren einsichtig genug, die Seite des Donaukanals zu wechseln. Stattdessen fuhren die meisten dicht an die Fersen der letzten Demo-Teilnehmer heran - darunter auch der Flughafen-Bus (!) der vom Westbahnhof zum Schwedenplatz unterwegs war.

Die Demo bog bei der Urania auf den Ring ab (Die Zeitung ÖSTERREICH, die offensichtlich nicht vor Ort war, druckte am nächsten Tag in der Zeitung einen Stadtplan ab, auf dem die Demoroute über den westlichen Ring (via Schottentor) eingezeichnet war. That is not correct!)

Die Polizei begann erst nach dem Schwedenplatz die Kreuzungen mit Motorrädern vorübergehend für den Verkehr zu sperren, und erst am Ring wurde die Demo mit Motorrädern und Einsatzfahrzeugen vorne und hinten "abgesichert". Bis zuletzt änderte sich am Vorgehen der Polizei nichts mehr, die Demo wurde offensichtlich toleriert. Der Demo schlossen sich bis zum Schwarzenbergplatz etwa zwei Dutzend FahrradfahrerInnen an, insgesamt vergrößerte sie sich auf über 200 TeilnehmerInnen.

Die Demo-Route im Überblick: Rossauer Lände - Urania - Ringstraße - Schwarzenbergplatz - Schloss Belvedere - Südbahnhof - Laxenburger Straße - Asylgerichtshof. Wegzeit: laut Indymedia-Ticker von 12:50 bis 14:30, also 1:40 Minuten für einige Kilometer. Gutes Tempo!

Unter den Blicken dutzender AnwohnerInnen, vorwiegend Migranten, wurde der Asylgerichtshof für knapp eine Stunde "belagert". Eine Delegation wurde hineingelassen, doch erklärten sich alle Anwesenden für unzuständig, abwesend oder inkompetent. Einige Anwohner und Geschäftstreibende, etwa ein Kebabverkäufer, drückten ihre Solidarität oder gar Dank aus und erzählten von eigenen Problemen mit den Asylbehörden. Der Kundgebung vor dem Asylgerichtshof schloss sich aber kaum jemand an, die meisten blieben Schaulustige.

Die Laxenburger Straße war in eine Fahrtrichtung blockiert, die Tramschienen und die andere Fahrtrichtung blieben frei. Etwa 150 waren bei der "Belagerung" noch anwesend. Gegen 15:30 löste sie sich auf. Eine weitere Kundgebung mit 50 bis 70 Teilnehmern fand gegen 19 und 20 Uhr am Flughafen Wien-Schwechat statt - ebenfalls ohne Zwischenfälle. Verhindert werden konnte die Abschiebung natürlich nicht, aber zahlreiche Medien berichteten über die Proteste des Tages. Darunter erneut Wien Heute (Mitschnitt), die, wie schon am Freitag zuvor, über die Protestaktionen als Headliner der Sendung berichteten.

Kundgebung am Mittwoch, 5. Mai

Für den darauffolgenden Mittwoch wurde für 16 Uhr zu einer Kundgebung auf der Uni-Rampe aufgerufen. Dem Vernehmen nach war diese erneut "angekündigt, aber nicht angemeldet", weshalb die Polizei per Megaphon - diesmal wirklich - durchsagte, dass diese Versammlung aufzulösen sei. Die TeilnehmerInnen hatten mehrere große Transparente bei sich, eines davon wurde zwischen den Bäumen vor der Uni-Rampe aufgehängt, wie folgendes ironisch kommentiertes Twitpic zeigt.

Die etwa 100 bis 150 TeilnehmerInnen zogen daraufhin in die Uni, ins Audimax und verkündeten dort die Anliegen dieses Protests, gegen die Abschiebung der FC Sans Papier-Spieler. Ein großes Transparent wurde auf dem Podium präsentiert. Nach einigen Minuten, in denen überlegt wurde, ob das Audimax besetzt werden solle (ein Vorschlag, dem nur wenige was abgewinnen konnten), verließen die Leute die Uni wieder. Der Hauptteil zog über den Votivpark (Sigmund-Freud-Park) zur Schottengasse, wo die Straße in Beschlag genommen wurde. Die spontane Demonstration zog nun über die Kolingasse an der Rossauer Kaserne vorbei zur Rossauer Lände / Donaukanal. Die Polizei erhöhte ihre Präsenz sukzessive und holte mit ihrem "Reisebus" die Demo kurz vor dem Schwedenplatz ein. Dort begannen die Demo-Teilnehmer Richtung Innenstadt zu laufen, allmählich löste sich die Kundgebung auf. Zuerst in zwei größere Gruppen, dann in immer kleinere. Ein Teil traf sich am Stephansplatz erneut, andere blieben irgendwo in den Gassen zwischen und rund um Schwedenplatz/Stephansplatz hängen. Die Demo endete also fast so spontan, wie sie begonnen hatte. Die Polizei verteilte sich nun überall in der Innenstadt zwischen Rossauer Lände, Schwedenplatz und Stephansplatz um auf erneute Versammlungen, die nicht mehr zustande kamen, reagieren zu können.

Hintergrundinformationen

Die Abschiebungen per Charterflug sind mittlerweile erfolgt - nähere Infos z.B. hier.

Zuletzt setzte, ausgehend vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR), sich auch eine Reihe von gegenseitigen Rügen und Ermahnungen auf gerichtlicher Ebene in Gang. Zuerst erklärte der EGMR, dass Asylanten, die die EU über Griechenland betraten, nicht "automatisch" nach Griechenland zurückgeschoben werden dürfen, was bisher in Österreich Praxis war, mit Verweis auf entsprechende EU-weite Asylrichtlinien. Dies sei menschenrechtswidrig, aufgrund der allgemein bekannten katastrophalen Bedingungen der total überlasteten Asylgefängnisse dort, so ein Beitrag in der ORF-Sendung Report am Dienstag, 4. Mai 2010. Im selben Beitrag wurde auch erwähnt, dass der EGMR für bedrohte Asylanten eine Hotline eingerichtet hat, da der Verfassungsgerichtshof in Österreich längst derart überlastet sei mit Beschwerden von "Opfern" des Asylgerichtshofes, dass dieser deren Schutz nicht mehr garantieren könne. Eine quasi-Enteignung der höchsten Instanz in Österreich!

Nun reagiert der VfGH offenbar darauf und rügt seinerseits den Asylgerichtshof, der solle gfälligst seine Arbeit gscheit machen, dann würden sich nicht so viele beim VfGH beschweren und dieser sich nicht ständig vom EGMR in Straßburg anpatzen lassen müssen. Im konkreten Wortlaut heißt es, in Bezug auf zwei konkrete Fälle von Abschiebungen, der Asylgerichtshof habe verfassungsmäßig garantierte Rechte verletzt.

Links

- Laufend mit aktuellen Berichten gefüttert wird Indymedia auf dieser fixen Übersichtsseite: https://at.indymedia.org/node/18058

- sowie no-racism.net, die eine laufend aktualisierte und sortierte "Presseschau" bietet: http://no-racism.net/article/3346

Freitag, 30. April 2010

Spontandemo gegen Abschiebung des FC Sans Papiers

Im Sommer 2002 wurde der Fußballverein "Sans Papiers - Die Bunten" in Wien gegründet. Er besteht hauptsächlich aus Asylwerbern und Menschen mit unklarem oder illegalem Aufenthaltsstatus in Österreich, da sie keine Papiere besitzen, die ihre Identität oder Staatsbürgerschaft nachweisen können. Immer wieder verlor der Verein - nach österreichischem (Un-)Recht "logischerweise" - Spieler durch Abschiebungen. Doch was sich gestern (DO, 29.4.2010) an der Marswiese, dem Trainingsplatz des Vereins, abspielte, war einmalig: Praktisch der gesamte Verein, inklusive Trainer, fünf der 16 Spieler (lt. Blog: sportswire.de), wurden in einer konzertierten Aktion, an der rund 100 Polizisten beteiligt waren, festgenommen und in Schubhaft gesteckt. Bereits heute Freitag, 7 Uhr, sollen die ersten abgeschoben werden (wohin eigentlich?).

Eine nach internationalem Vorbild (Sans Papiers-Vereine gibt es in einigen Ländern, allen voran in Frankreich, wo das ganze seinen Ursprung hat) aufgebaute Aktion für Toleranz und Menschenrechte fand somit ihr Ende durch ein intolerantes Unrechtssystem in Österreich, dem eine die Menschenrechte verhöhnende Ministerin vorsitzt und vergeblich als "eiserne Lady" der FPÖ Stimmen abzugraben versucht - ohne zu bemerken, dass die FPÖ-Sympathisanten diese harte Linie ohnehin als Verdienst der jahrelangen FPÖ-Vorarbeit werten und das ganze der ÖVP letztlich kaum eine Stimme bringen wird. Dass die ÖVP, und in ihrem Windschatten die SPÖ, schon seit Jahren FPÖ-Politik betreibt, ohne der FPÖ dadurch zu schaden (ganz im Gegenteil), ist ihnen offenbar noch immer nicht klar. Wen die ganze konzertierte Abschiebeaktion gegen organisierte Flüchtlinge an Operation Spring erinnert - zurecht.

Mobilisierung und Blockaden

Ab etwa 18 Uhr wurde die Verhaftungsaktion der Öffentlichkeikti via Twitter bekannt. Bereits kurz danach wurde zu einer Versammlung am Rathausplatz aufgerufen (Foto). Gegen (laut krone.at) 19:30 Uhr bildete sich schließlich eine Demonstration aus etwa 200 bis 300 Personen (manche Zeitungen schreiben 150 bis 200, der ORF/ZIB24 sagt 250, Teilnehmer sagen mitunter bis zu 400), die via SMS-Ketten, aber auch über Twitter und Facebook mobilisiert wurden, am Hernalser Gürtel [korrigiert, 30.4., 15:15h] (Foto 1, Foto 2), wo ein Polizeitransporter mit den Fußballspielern erblickt wurde und vorübergehend blockiert wurde. Dem Polizeitransporter wurde ein Reifen aufgeschlitzt, der Gefangene wurde in ein anderes Fahrzeug gebracht, der Polizeitransporter abtransportiert (Foto). Die Demo wurde gegen etwa 21 Uhr aufgelöst, es gab insgesamt etwa 46 (Indymedia) vorübergehende Verhaftungen (Video), denen Anzeigen wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand gegen die Staatsgewalt folgen werden. Bei der Auflösung der Blockaden wurden zahlreiche Personen grob von der Straße gezerrt, mindestens ein Demonstrant wurde beim Polizeeinsatz (an den Rippen) verletzt und ins Krankenhaus überstellt. Die Demo zog nach der Auflösung der Blockade (via Alser Straße) Richtung Polizeianhaltezentrum (PAZ) Rossauerlände, wo die Sans Papiers und die Demonstranten inhaftiert worden sein sollen (Fotos: Demo am Weg zur Rossauer Lände 1, 2).

Bis Mitternacht wurden die meisten der vorübergehend festgenommenen Demonstranten wieder (mit Anzeigen) frei gelassen, nach Mitternacht löste sich die Versammlung, die noch immer aus etwa 100 Personen bestand, allmählich auf. Zuletzt gab es noch die Androhung einer gewaltsamen Räumung der Blockade der Rossauer Lände seitens eines "Polizeivermittlers". Ab Mitternacht soll es unter dieser Adresse auch Livestream gegeben haben (jetzt wird dort ein Video von der Demo ab der Alser Straße gestreamt).

APA-Aussendung und Medienberichte ab etwa 22 Uhr

APA-Reporter dürften rasch von der Sache Wind bekommen haben und gegen 22 Uhr eine Aussendung hinausgegeben haben (und kamen damit offenbar und zum Glück der Polizei zuvor, die bekanntlich nur einseitige Meldungen herausgibt, die nichtsdestotrotz unhinterfragt von den meisten Medien abgeschrieben werden). So gab es bereits Donnerstag-Spätabend erste Meldungen - über die Qualität des Inhalts sowohl der APA-Meldung als auch der Redaktionen lässt sich allerdings streiten. Generell werden die Demonstranten als blöd dargestellt (sie hätten gegen eine Abschiebung mobilisiert, doch eigentlich ging es ja "nur" um eine "Überstellung" [in ein Schubhaftzentrum wohlgemerkt, aber das spielt ja keine Rolle]), die Kleine Zeitung lässt sich zur interessanten Formulierung hinreißen, "es kam zu einer Sachbeschädigung" [was stark nach Vandalismus klingt], fügt aber dann doch dazu, dass es sich dabei um den Reifen des Polizeitransporters handelt. In den Meldungen ist zudem dauernd von einem Nigerianer die Rede - also DER "Klischee-Afrikaner", der zudem von einschlägigen Politikern mit dem Attribut "Drogendealer" versehen ist - sprich, die denkbar beste Charakterisierung eines Ausländers, dessen Abschiebung der Bevölkerung möglichst sympathisch erscheinen soll. Ich wage daher diese Angaben zu bezweifeln, zumal es sich bei den Spielers des FC Sanspapiers zu einem Gutteil, wie der Name schon sagt, um papierlose, staatenlose handelt:
- derstandard.at
- news.at
- kleinezeitung.at
- diepresse.com
- Vienna Online
- ORF-ZIB24 (45 Sekunden)

Selbst die Krone berichtet über die Demo und zeigt von allen Zeitungen das eindeutig gewagteste Foto, auf dem zwei Polizisten zu sehen sind, die einen Demonstranten mit dem Kopf nach unten offenbar in diesem Moment grob von der Straße wegreißen: Titel des Berichts: "Wien: Turbulente Demonstration gegen Abschiebung" (die Überschrift erwähne ich deshalb, da es ab und zu vorkommt, dass Berichte, die zu positiv (und relativ neutral ist in der Krone schon "zu positiv" für den Chef) über jugendliche Aktivisten geschrieben sind, nachträglich "korrigiert" werden. So wurde aus einem Bericht über den Protest zu Ministerin Karls Angelobung aus einer Überschrift à la "Lautstarker Protest gegen Karl-Angelobung" (oder so ähnlich) "Wir begrüßen die neue Ministerin im Amt" [!], nicht wortwörtlich, aber sehr ähnlich!)

Auch die ÖH Wien brachte bereits um 22:33 Uhr eine OTS-Aussendung zur spontanen Demo heraus.

Die offizielle Webseite der Sans Papiers in Wien, http://www.fcsanspapiers.org, verzeichnete gestern (29.4.) 716 Abrufe - von 1.205 seit Start der Seite Anfang Jänner 2010 (davor dürfte der Verein unter anderer URL online gewesen sein).

zuletzt aktualisiert: 30.4., 3:30 Uhr (die Uhrzeit da unten stimmt überhaupt nicht)
 
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