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Donnerstag, 12. Juli 2012

Pizzeria Anarchia - Hausprojekt in der Leopoldstadt im Clinch mit Immobilienspekulanten

*** Ab 2. August gab es mehrere illegale Räumungsversuche, die jedoch allesamt abgewehrt werden konnten *** was von 2.-8. August geschah (Paul und Paula aus dem Haus geben Auskunft im Radio Stimme auf Radio Orange 94.0) *** stay informed on pizza.noblogs.org#pizzableibt ***

[letztes Update: 8. August 2012]

Bericht von WienTV.org vom 2. August (siehe auch W24-Bericht "Solidarität in der Mühlfeldgasse" vom 12. Juli)
 
 Seit der Räumung des "Epizentrums einer Bewegung" am 8. November 2011 ist es ruhig geworden in Wien - könnte man meinen. Mit einer Dauer von 26 Tagen und insgesamt wohl mehreren Tausend direkt erreichten BesucherInnen war es definitiv die in jeder Hinsicht größte Hausbesetzung in Wien seit der Erkämpfung des EKH ab 1990 als Gipfel des Wiener Ausläufers der 80er-Jahre-Bewegung (GaGa, Aegidigasse/Spalowskygasse, Opernballkrawalle 1988/1989).

Doch was geschah wirklich seit der Räumung des Epizentrums? Haben die AktivistInnen kapituliert, angesichts der Übermacht der Staatsgewalt, die am 8. November mit Räumpanzer und Hubschrauber anrückte und den Siebten Bezirk rund um die Lindengasse über mehrere Straßenblöcke komplett abriegelte und nur noch Kindergartengruppen hineinließ, während JournalistInnen "aus Sicherheitsgründen" 200 Meter Abstand halten mussten? Hat die Verhaftung von drei Amateur-FilmerInnen und -FotografInnen an der Demo am Abend der Epizentrum-Räumung ihr Ziel erreicht und die Menschen im erwünschten Ausmaß eingeschüchtert?

Natürlich nicht.

Rückblick: Wilde 13

Schon drei Tage nach der - sogar für einschlägige Krawallmedien als besonders friedlich empfundenen - Räumung des Epizentrums am 8. November und den anschließenden Demonstrationen gegen Mittag sowie am Abend, wurden nur zwei Parallelstraßen weiter die oberen Stockwerke des weitgehend leerstehenden Häuserensembles Westbahnstraße 13 besetzt. Offenbar hat die Besetzung des "Epizentrums" auch andere motiviert, etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Denn ausser der Nähe hatte die Besetzung, die eigentlich eine "stille" Besetzung sein hätte sollen, nicht viel mit dem Epizentrum zu tun. Das Gebäude verfügte über nur wenige und kleine Räume. Doch die Polizei des Bezirks wollte, nach den Erfahrungen mit dem Epizentrum, sofort Präsenz zeigen und Härte demonstrieren und begann bereits gegen 20 Uhr mit einer fast 24-stündigen Belagerung des Hauses, die mit einem illegalen Räumungsversuch (der Hauseigentümer konnte zu diesem frühen Zeitpunkt von der Polizei noch nicht eruiert werden und folglich auch keinen Räumungsauftrag unterschreiben) und einer von Krawallmedien als "Krawallnacht im sonst so friedlichen Öko-Bobo-Bezirk Neubau" titulierten Hausverteidigung gipfelte. Eine andere Krawallzeitung wunderte sich ebenfalls: die Polizei bewache nun das Haus - "Wozu, ist unbekannt."

Als das nach ein paar Tagen bereits aufgegebene Haus - der Galerist, der einige Wochen später das Foxhouse eröffnete (gegen den Abriss des Hauses hat sich nun eine Protestgruppe gebildet!), informierte die Polizei, als die BesetzerInnen sich ihm anvertrauten - von einem Polizeigroßaufgebot geräumt wurde, war keine Spur mehr von den BesetzerInnen. Die Kälte trug ihren Teil dazu bei, dass keine weiteren Besetzungen folgten.

Pizzeria Anarchia - Zwischennutzung mit Ablaufdatum?


Doch dann geschieht etwas völlig unerwartetes: die Pankahyttn (ein von der Stadt Wien als "Sozialprojekt" legalisierter "Squat", der weder mit der Besetzung des "Epizentrums" noch der "Wilden 13" zu tun hat) erhält - nicht zum ersten Mal - Besuch von einem Hauseigentümer. Er bietet den Leuten (die seit der Tolerierung ihres Hauses durch die Stadt eigentlich keine Besetzungen mehr machen) ein nahezu leerstehendes Haus im Zweiten Bezirk zu einer symbolischen Miete zuzüglich Betriebskosten an. Die Leute sind skeptisch, nach einigen Überlegungen entschließt man sich jedoch, das Angebot für beheizbare Räumlichkeiten im Winter doch anzunehmen - zu groß war die Wohnungsnot kurz vor Wintereinbruch unter den Jugendlichen.

Man entschließt sich, die Sache ruhig anzugehen. Keine große Ankündigung einer Raumeröffnung, keine Einweihungspartys - zumindest keine offiziellen. Im Haus leben noch drei Mietparteien mit unbefristeten Mietverträgen - von Anfang an war die an sich selbst gestellte Bedingung, in gutem Einvernehmen mit den MieterInnen im Haus auszukommen. Die ersten Tage und Wochen sind freilich trotzdem etwas chaotisch, es gibt wie immer viel zu wenig Räume um alle Leute unterzubringen, man kennt einander teilweise noch kaum, eine bunte Mischung junger Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen - es dauert ein paar Tage, bis ein Verein (Name der Redaktion bekannt) gegründet und im Vereinsregister eingetragen werden kann, um einen Nutzungsvertrag zu unterzeichnen.

Nach ein paar Wochen Aufbau-, Orientierungs- und Kennenlernphase finden sich Personen zusammen, die das leerstehende (und ebenfalls angemietete) Pizza-Lokal im Erdgeschoß für Außenstehende zugänglich machen wollen. Es dauert noch bis Februar 2012, als sich der Sonntag als wöchentlicher Volxküche-Tag etabliert. Zunächst sind es noch 20, 30 Leute, die Sonntagabend zum gemeinschaftlichen Pizza backen und essen vorbeikommen, doch schon nach 2, 3 Wochen platzt das Lokal aus allen Nähten: 50 Leute, 70 Leute - die Nebenräume der ehemaligen Gaststätte werden nun ebenfalls eingerichtet. Im hintersten Raum entsteht ein Kostnixladen mit Kleidung und anderen Second Hand-Gegenständen, im mittleren Raum wird ein Infoladen samt Leinwand und Sitzgelegenheiten für das Kostnixkino, das bald darauf als Dienstags-Fixpunkt etabliert wird, eingerichtet. Ein weiterer Raum dient als erweiterter "Speisesaal" - das Platzproblem kann damit nachhaltig entschärft werden.

Woche für Woche für geht, immer mehr Menschen kommen, jede Woche viele neue Gesichter: SchülerInnen, StudentInnen, Lehrlinge, (junge) ArbeiterInnen, Arbeitslose, aber auch NachbarInnen und PassantInnen interessieren sich für das gemeinsame Pizza backen und was dahinter steckt. Manche kennen einander schon aus dem Epizentrum - jetzt hat man endlich Zeit und Ruhe, sich besser kennen zu lernen. Bisheriger Höhepunkt war wohl das DIY Straßenfest mit DJs, Konzerten, Volxküche uvm. in den Straßen um die PizzAria, zu dem die MayDay-Parade der Prekären am 1. Mai mitsamt rund 500 TeilnehmerInnen hinzog. 


Was steckt dahinter?

Aber was steckt nun wirklich hinter dem ganzen Ding? Welcher Hauseigentümer vermietet sein Haus zum Spottpreis an alternative Jugendliche? Warum sind nur noch drei Mietparteien im Haus?

Die Antwort führt uns direkt ins Herz der Bestie Immobilienspekulation (es gilt die Unmutsverschuldung), die es laut offiziellen Stellen der Stadt, insbesondere laut Propagandaminister von Steuerzahlers Gnaden, Inseratenkaiser und Faymann-Nachfolger in dieser Aufgabe, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, überhaupt nicht gibt. Dass die Stadt Wien in Wahrheit selbst tief im Geschäft mit der "Aufwertung" alten, günstigen Wohnraums drin steckt (mutwillige Zerstörung des Lobmeyr-Hofs in Ottakring im Auftrag der Stadt um Aufwertungspläne, die in etwa eine Verdoppelung der Miete zur Folge haben, schneller durchziehen zu können), ist ein offenes Geheimnis, das durch großzügiges Verteilen von Steuergeldern an praktisch alle reichweitenstarken Wiener Zeitungen, die ohnehin nur aufs Geschäft und nicht auf journalistische Sorgfalt achten, offenbar ganz gut unter der Decke gehalten werden kann. Gelegentliche Reportagen der Stadtzeitung Falter oder - noch mehr - in der Straßenzeitung Augustin sind die Ausnahme - und stoßen auf nur wenig Resonanz in der Öffentlichkeit.
Die Jugendlichen selbst machten sich ebenfalls keine Illusionen über die Motivation ihrer Einquartierung: "die vorgeblich wohltätige Motivation wurde von Beginn an angezweifelt. Als klar war, dass es in dem Haus noch verbleibende reguläre Mietparteien gab, war der eigentliche Hintergedanke nicht mehr schwer zu erraten: Menschen, denen nachgesagt wird, sie wären per se laut und würden viel Dreck machen, sollten das Leben für die anderen Bewohner_innen unerträglich machen, so dass diese “freiwillig” gehen oder sich mit einer geringen Abfindung zufrieden geben. Dieses Spiel wollte natürlich keine_r mitspielen."

Der Fall Mühlfeldgasse 12

Am 17. November 2011 erscheint in der Straßenzeitung Augustin der Artikel "Bestandsfreimachung - ein Unwort". Er beschäftigt sich mit dem Haus Mühlfeldgasse 12 in der Leopoldstadt - also vor dem Beginn der Zwischennutzung als "PizzAria". Ein Mieter erzählt darin davon, wie der Hauseigentümer, der das Haus vor drei Jahren geerbt habe, alle MieterInnen des Hauses "hinausgeekelt" habe. Durch das Dach regnete es plötzlich herein, es entstand Wasserschaden und Schimmel, doch der Eigentümer weigert sich, die nötigen Reparaturen durchzuführen. Doch drei Mietparteien mit unbefristeten Mietverträgen ließen sich nicht einschüchtern. Der Eigentümer verkaufte das Haus an die Castella GmbH - und seither häufen sich merkwürdige Vorfälle im Haus, auch gibt es regelmäßig Besuch durch "Detektivkanzleien", die mitunter spätnachts heftig an den Türen klopfen um die Leute danach zum Auszug zu überreden, vor einem "kalten Winter" zu "warnen" und ähnliches. Die Castella GmbH besitzt auch mehrere weitere Häuser, u.a. im Zweiten Bezirk, aus denen MieterInnen ähnliches berichten.

Es ist also naheliegend, anzunehmen, dass die fast kostenlose Zwischennutzung des Hauses durch alternative Jugendliche weniger eine Gutherzenstat denn ein weiteres Manöver zur "Bestandsfreimachung" des Hauses ist. Umso mehr sind die neuen, jungen BewohnerInnen darauf bedacht, ein gutes Verhältnis zu den noch im Haus befindlichen Mietparteien aufrecht zu erhalten, was im großen und ganzen auch ganz gut funktionieren soll. Unlängst beschwerte sich ein/e Mieter/in im Haus sogar darüber, dass die Jugendlichen jede Woche das Treppenhaus putzen - dies sei schließlich Aufgabe der (total untätigen) Hausverwaltung und im Mietvertrag werde schließlich dafür bezahlt.

... Medienaufmerksamkeit?

Umso bedauernswerter - und leider bezeichnend für das unterirdische Niveau Wiener Massenblätter - ist daher, dass Zdenko P. in einem gegen das alternative Zwischennutzungsprojekt gerichteten Artikel der Wiener Bezirkszeitung als Opfer bzw. Gegner der Jugendlichen dargestellt wird, obwohl er sich in Wahrheit nur über den Hauseigentümer aufregt. Die Bezirkszeitung zitiert - zufälligerweise? - dann auch noch den SPÖ-Bezirksvorsteher, der sich allen ernstes darüber beschwert, dass die "Hausbesetzer" [sic!] in der Sonne (!) am Gehsteig sitzen (!) - was die Nachbarn fürchterlich stören würde. Über die ans kriminelle grenzenden Praktiken der "Bestandsfreimachung" durch eine darauf spezialisierte Firma mitten in "seinem" Bezirk sagt er nichts - oder die Bezirkszeitung lässt diesen Teil bewusst aus. So oder so alles andere als ein unabhängiger Bericht, hinter dem entweder eine massive Vernachlässigung journalistischer Sorgfaltspflichten (dazu gehören etwa Recherche, z.B. dass es keine Hausbesetzung sondern eine Zwischennutzung auf Vertragsbasis ist) steckt. Von böser Absicht wollen wir natürlich nicht ausgehen. Es gilt die Unmutsverschuldung.

--> ein laufend aktualisierter Pressespiegel findet sich auf pizza.noblogs.org/pressespiegel

Freitag, 20. April 2012

Chronologie der Rektorats- und Audimax-Besetzungen in Wien am 19. April 2012

[letztes Update: 20. April, 23 Uhr]
Einzigartige Szenen an der Uni Wien am 19. und 20. April 2012. Die seit langem angekündigte und gut vorbereitete Protestwoche der Internationalen Entwicklung (17. - 20. April) schlug sich in einer Besetzung des Rektorats um Punkt 11 Uhr Vormittag, einer Audimax- sowie einer kurzfristigen HS1 im NIG-Besetzung am Nachmittag nieder. Alle Besetzungen wurden noch am selben Tag geräumt, aus dem NIG wurde freiwillig abgezogen.

Chronologischer Rückblick

[die Links im Text beziehen sich in der Regel auf unibrennt-Tweets, die live vor Ort ausgeschickt wurden - teilweise bebildert]

eine umfassende(re!), sehr zu empfehlende, Video-Chronologie des Tages von WienTV.org / Daniel Hrncir ist nun online abrufbar:



10 Uhr
Treffpunkt für das "Rektoratsfrühstück" vor dem Rektorat der Uni Wien. Je ein Security "bewacht" die Eingänge des Rektorats sowie zum Festsaal. Nach einer halben Stunde sind etwa 100 bis 150 Protestierende vor Ort und frühstücken am Gang vor dem Rektorat.

11 Uhr
Ein Anzugträger klingelt an der Rektoratstüre, er wird hineingelassen. Studierende halten die Tür auf, im selben Augenblick stürmen immer mehr Studierende zur Tür, drängen den Security ab. Über 100 Leute dringen nun in die Räumlichkeiten des Rektorats vor und besetzen dieses.

11:20 Uhr
Ein Mitarbeiter stellt ein Ultimatum: 5 Minuten zum Verlassen des Büros oder polizeiliche Räumung. Auf die Forderungen der Studierenden wird nicht eingangen, der Rektor ist bereits geflohen, Gesprächsangebote oder Stellungnahmen von seiner Seite gibt es bis dahin nicht. Eine Sponsionsfeier, die zwischen 10 und 12 Uhr angesetzt war und in vollem Gange war, wird in den Arkadenhof verlegt.

11:25 Uhr
Polizeibeamte stehen vor der Tür des Rektorats und erkundigen sich nach etwaigen freiwilligen Abzugsplänen der BesetzerInnen. Mehrere Rebel Clowns kümmern sich um weitere konstruktive Gespräche mit der Polizei ...

11:30 - 11:40 Uhr
Polizei in Zivil und Verfassungsschutzbeamte stehen zu fünft im Vorraum des Rektorats, einer davon outet sich als "Behördenvertreter", als er kurz vor 11:39 Uhr die Räumung androht bzw. ankündigt.

11:48 - 12:02 Uhr
Die Infanterie (WEGA, EE) rückt an - die BesetzerInnen, es sind noch etwa 100, verschanzen sich im Prunksaal des Rektorats und verketten sich zu einer Sitzblockade - die Tür wird kurzzeitig geschlossen und zugehalten, von der Polizei aber schließlich aufgedrückt - in weiterer Folge (12:02 Uhr) werden die Flügeltüren abtransportiert (Foto).

ca. 12:07 Uhr
Die Räumung beginnt. Die BesetzerInnen skandieren Parolen wie "Wir besetzen bis der Rektor kommt, bis der Rektor kommt, bis der Rektor kommt"; in Bezug auf den filmenden Zivilbeamten (Verfassungsschutz?) ruft jemand "Wir kämpfen nur für unser Studium, wir sind nicht kriminell!"

12:29 Uhr
WEGA-Beamte tragen stets zwei, manchmal auch drei oder vier Personen auf einmal hinaus, bis mehrere Minuten Pause gemacht wird (vermutlich weil der filmende LVT-Beamte die Leute beim raustragen begleitet - die nächsten Personen werden immer erst hinausgetragen, wenn er wieder zurück ist. In diesem Tempo wurden binnen knapp 30 Minuten erst schätzungsweise 20 Personen hinausbefördert - inklusive einzelner "Freiwilliger" (die aber genau so mit einer Anzeige rechnen müssen), die wegen Prüfungen oder Toilettendrang von selbst hinausgingen.

13 Uhr
Es wird getwittert, dass gerade Sanitäter ins Rektorat gegangen seien. Ob sich diese um die "leichte Verletzung am Ellbogen" (angeblich eine Schnittwunde), die sich eine Rektoratsmitarbeiterin offenbar im Gedränge zwischen Polizei und Studierenden - angeblich als die Polizei die Tür zum Rektorats-Prunksaal aufgedrückt hat - zugezogen hat (es gab zu keinem Zeitpunkt vorsätzliche Übergriffe seitens der BesetzerInnen), ist mir nicht bekannt. Der Beginn der Besetzung liegt jedenfalls schon 2 Stunden zurück, die Mitarbeiterin wurde dabei definitiv nicht verletzt, da sie noch inhaltliche Gespräche mit Studierenden im Büro geführt hat, bevor die Polizei das Rektorat stürmte.

Fakt ist, dass auch BesetzerInnen "leichte Verletzungen" von sich getragen haben, dafür aber freilich keine Ambulanz zugezogen haben. Einige Studierende wurden von der WEGA - teils kopfüber - den Boden hinausgeschliffen; wer sich passiv, durch still stehen, gegen den Abtransport wehrte, bekam von der WEGA ein paar Hiebe mit Händen und Füßen auf diverse Körperstellen. Abgesehen davon war die Stimmung im Rektoratssaal aber relativ entspannt, mit manchen Beamten wurde gescherzt; eine Besetzerin ließ sich sogar von einem einzelnen Beamten, mit den Händen um seinen Hals (wie nach einer Hochzeit) hinaustragen, was für viel Gelächter auf beiden Seiten sorgte ;) Von einem freiwilligen Verlassen des Rektorats, wie von Polizei oder Rektorat gelegentlich behauptet, kann aber keine Rede sein. Die Umstände ließen keine andere Möglichkeit zu, als still sitzend den "Abtransport" abzuwarten ...

13:26 Uhr
Noch immer sind rund 20 bis 30 Personen im Rektorat. Auf der Treppe davor befinden sich etwa 150 bis 200 Solidarische, die alle hinausbeförderten lautstark bejubeln. Teilweise sind sie bis in das ganz hinten im Rektorat gelegene Zimmer hinein zu hören.

13:59 Uhr
Nachdem alle BesetzerInnen aus dem Rektorat befördert wurden, versammelte man sich vor der Universität und zog in einer Spontandemo zum Campus, wo für 14:30 seit langem der Treffpunkt für "kollektiven w-IE-derstand" angekündigt war. Der Campus wird um 14:19 Uhr erreicht.

Polizei-Großaufgebot vor der Uni: schätzungsweise 100 bis 200 BeamtInnen im Einsatz oder "im Hintergrund"













ca. 14:30
im Foyer des C1 versammeln sich 100, gegen Ende um die 200, Personen zum Aktionsplenum. Es wird diskutiert, wies weitergeht. Als das Plenum beinahe ins Endlosdiskutieren abzudriften droht setzt sich doch rasch die Erkenntnis durch, dass nun besser rasch das schon oft in Erwägung gezogene Audimax angesteuert wird, wo schließlich immer noch ausführlich weiter diskutiert werden könne, unter deutlich besseren Platz- und Akustiverhältnissen. Auch vor dem C1 warteten die ganze Zeit über 50 bis 150 Personen auf den "kollektiven w-IE-derstand".

15:30 Uhr
Die Demo zieht los. Sie darf aber nicht direkt zur Alser Straße hinaus, da die Polizei die Verbindungsgänge zwischen Hof 2 und den angrenzenden Höfen, insbesondere Hof 1, für alle Personen gesperrt hat. Sie muss daher via Garnisongasse hinaus. Als Grund nennt die Polizei eine Bundesheer-Angelobung, die im "Ostarrichipark" vor der Nationalbank (neben dem Campus/Alser Straße) abgehalten werden soll und die "nicht gestört werden darf".

Das sorgt für Unverständnis insbesondere bei jenen am Campus, die am Weg zu Lehrveranstaltungen, Prüfungen oder Billa sind. Als sich eine Studentin ungeduldig durchdrängt und von einer Polizisten festgehalten wird, pfeift sie ihr Vorgesetzter zurück: "einzelne Personen sind ok, die Demo ist eh schon in die andere Richtung unterwegs" [sinngemäß zitiert] - daraufhin verstehen die BeamtInnen selbst den Sinn ihrer Blockade nicht mehr wirklich: "oida wir san a kaschperltheater, i stö mi jetzt aufd seiten", sagt eine Beamtin daraufhin, wortwörtlich zitiert von @unibrennt.

15:50 Uhr
Die rund 300 Personen starke Demo, unterstützt durch eine Samba-Tromme-Gruppe, erreicht das NIG in der Universitätsstraße. Es gibt eine Hörsaaltour und Platzregen. Nachdem beides vorbei ist geht es - nach einer Runde ums Jonas-Reindl und kurzer Blockade der Kreuzung Schottentor - direkt ins Audimax. Polizei und Securities sind gezwungen, tatenlos zuzusehen.

ca. 16:15 Uhr
einige Minuten nach der Erstürmung des Audimax wird vom PC am Podium des größten Hörsaals Österreichs getwittert: #AUDIMAX BESETZT

Eine Psychologie-Prüfung muss abgesagt werden, was bei den schlecht vorbereiteten für Begeisterung sorgt, bei den gut vorbereiteten für Ärger und Frust. Die Prüfung wird um eine Woche verschoben.

17:24 Uhr
die Forderungen der BesetzerInnen werden getwittert:
1. Beibehaltung des Ie Studiums
2. Abschaffung der und mehr prüfungstermine bei der
3. Keine Studiengebühren (Senatssitzung 26.4)

17:29 Uhr
Securities versuchen nun, die Zugänge zum Audimax zu blockieren, was ihnen aber nicht gelingt. Lediglich der Haupteingang kann versperrt werden, was aber ausschließlich "brave" Studierende betrifft. Mit der Weile werden auch die übrigen Eingänge ins Uni-Hauptgebäude von Securities und Polizei gemeinsam versperrt.

ca. 18:13 Uhr
Am Hintereingang zum Audimax-Gang versammelt sich eine Menge, der es gelingt, die Türen aufzudrücken.

18:18 Uhr
Die Polizei rückt an und versperrt den Hintereingang mit zwei Fahrzeugen und einem Dutzendfachen an BeamtInnen.

versperrte Zugänge zum Audimax, Fotos von 18:14, 18:18 und 18:25 Uhr























19:23 Uhr
Ein Gesprächsangebot des Rektors für die Tage nach (!) der entscheidenden Senatssitzung am 26. April wird dem Audimax übergeben. Gleichzeitig wird ein Ultimatum zum Verlassen des Audimax bis 20 Uhr angekündigt. Das Plenum diskutiert und nach langem Hin- und Her entschließt man sich - mit Blick auf frühere Erfahrungen - nicht auf dieses Angebot einzugehen. Ein Antwortschreiben wird verfasst und um ca. 20:40 Uhr dem Plenum zwecks letzter Korrekturen vorgetragen.

19:25 Uhr
Ein Teil der verzweifelt auf Einlass wartenden Menge vor dem Audimax begibt sich zu einem Spontandemo-Versuch (Foto) auf den Ring (kurze Ringblockade), wird aber binnen Minuten von der Polizei abgedrängt.

19:50 Uhr
Etwa 100 Personen (rund 50 bleiben weiterhin vor dem versperrten Audimax-Eingang) ziehen auf die Universitätsstraße und demonstrieren spontan zum NIG, wo der Hörsaal 1 eingenommen wird.

20:19 Uhr
Hilferuf aus dem Audimax: Es gibt nix zu essen, nix zu trinken ... "Belagerungszustand"! Der Verfassungsschutz hält die Lage für die Polizei von innen unter Beobachtung und garantiert so die Sicherheit der österreichischen Bevölkerung vor wahnwitzigen Terroranschlägen der radikalisierten Studierendenmeute (vgl. unibrennt-Tweet 20:22 Uhr).

ca. 19 bis 21 Uhr
Immer wieder gelangen Leute auf unerklärlichen Wegen ins Audimax ;) irgendwann bemerkt die Polizei jedoch die Schwachstelle und blockiert sie. Schätzungsweise 30 bis 50 Personen dürften so nachträglich ins Audimax gelangt sein. [Update 20.4.:] Der Liveticker (!) der Gratiszeitung Heute (!) berichtet um 20:52 Uhr davon, dass der Schleichweg durch den Keller von der Polizei entdeckt wurde und nun bewacht wird. Lebensmittelspenden durften über den gesperrten Audimax-Eingang am Schottentor durchgereicht werden und trafen nach dem ersten Aufruf nach und nach ein :)

20:43 Uhr
Via Skype-Liveaschaltung ist das Audimax mit dem HS 1 im NIG verbunden. Dort wird von Polizeigewalt am Eingang berichtet, das Gebäude sei von der WEGA umstellt worden. Die Zahl der BesetzerInnen schrumpft auf unter 50. [Update 20.4. 17:20:] Laut Augenzeuge lösten die Studierenden die Besetzung schließlich freiwillig auf, hätten "aber die Security mit der Information gefüttert, es hätten sich 10 Leute im Gebäude versteckt. WEGA durchkämmt also umsonst das gesamte Gebäude."

20:52 bis 21:03 Uhr
Polizei zieht Einheiten beim Hintereingang zusammen. Die Räumung des Audimax steht scheinbar unmittelbar bevor. Rund 80 PolizistInnen betreten das Gebäude ...

21:51 bis ca. 23 Uhr - Räumung
Jetzt beginnt die Räumung tatsächlich. Die Kommunikation mit den BesetzerInnen reißt ab. Die Ereignisse ab dem Betreten des Audimax durch die Polizei: Auf unverständliche Weise sagt der "Behördenvertreter" das übliche durch. Laut Gesetz muss den BesetzerInnen eine angemessene Frist zum freiwilligen Verlassen (ohne Personalienaufnahme!) gesetzt werden. Jedoch ist vom Beginn weg, mit Betreten/Versperren aller Audimax-Ausgänge durch die Polizei, kein Hinauskommen möglich. Rund 10 bis 15 Minuten darf NIEMAND den Saal verlassen. DANACH wird begonnen, tröpfchenweise Personen gegen Personalienaufnahme (= Anzeige folgt) über den Audimax-Gang zum Hinterausgang hinauszulassen. Allen Personen wird vorgeworfen, den besetzten Hörsaal nicht in der gesetzten Frist freiwillig zu verlassen haben - und werden deswegen angezeigt. Ein gut und vielfach erprobtes Instrumentarium der Wiener Polizei zur Kriminalisierung von Protesten.

Es gibt keine ernsthaften Zwischenfälle während der Räumung, er herrscht jedoch großer Ärger über das gesetzwidrige Vorgehen der Polizei. Ein Polizist wird von Studierenden nach dem Grund gefragt, warum niemand den Saal verlassen darf - man fragt ihn nach seiner Dienstnummer, dessen Herausgabe dieser jedoch verweigert. Als man ihn dabei mit Handykamera filmt packen Kollegen den Filmenden von Hinten und zerren ihn aus dem Audimax - was ein lautes Aufschreien der BesetzerInnen hervorruft. Doch man ist der Polizei hoffnungslos ausgeliefert.

Vor dem Hintereingang des Audimax versammeln sich nach und nach um die 200 bis 300 Personen, die alle Hinausbegleiteten lautstark begrüßen - darunter zahlreiche MedienvertreterInnen. Ein eigens aufgestellter Scheinwerferturm am Anhänger eines Polizei-Offroaders blendet alle Herausgehenden und garantiert der Polizei, dass ihre Handlungen nicht aus dem Dunklen heraus gestört werden. Es fliegen unter lauten Buh-Rufen dennoch einige Bananenschalen, als die Räumungseinheiten der Polizei als letztes das Audimax verlassen.

Was den BesetzerInnen nicht gelingt, besorgt das Rektorat: Die Uni kündigt an, dass am nächsten Tag (Freitag) das Hauptgebäude einschließlich Freitag bis Montag geschlossen bleibt und alle Termine entfallen, vgl. @koalakatze:

Niemand blockiert die Uni so effektiv wie das Rektorat, morgen keine lvs


Nach 13 Stunden effektivem Protest und einem Dauer-Polizeieinsatz, der wohl um die 300 BeamtInnen miteinbezogen haben muss (was bei vom Innenministerium veranschlagten Kosten von 25 € brutto pro Personalstunde um die 100.000 € steuermittelfinanzierte Gesamtkosten für das gewaltsame Unterdrücken von Studierendenprotesten bedeutet) verabschieden sich alle vom Ort des Geschehens und verweisen auf die Termine am Folgetag: 11 Uhr Pressekonferenz des Rektors, 13 Uhr Plenum der IE-Proteste am Campus. Außerdem gab es ein Sit-In in einer Erste Bank-Filiale, um dort, wo alles Geld "verschwindet", ein Plenum abzuhalten.

Am Montag, 23. April, lädt das Rektorat zu öffentlichen Gesprächen ... und wir sich dabei wohl einiges anhören müssen, insbesondere wegen der Sammlung der Daten der protestierenden Studierenden und deren behördlicher Verfolung im Auftrag des Rektorats!

Der @unibrennt-Twitter-Account hat im Zuge des Protesttages um weitere 200 Follower/innen zugelegt, nachdem erst kürzlich die 10.000 Follower-Grenze überschritten wurde. Wir gratulieren! :)

Pressespiegel

[folgt - in Arbeit!]

bis dahin: siehe
https://pad.riseup.net/p/IE-WIEN_PRESSESPIEGEL

Mittwoch, 8. Februar 2012

Zürcher Polizei bricht Häuserfrieden - Uwaga am 8. Februar 2012 geräumt

letztes Update: 21.2.2012
Zürich, 8. Februar 2012. Das "Uwaga", ein seit 19. Oktober 2011 besetztes Gewerbeareal in der Brandschenkestraße 60-64, zwischen Bahnhof Enge und Bahnhof Sellnau, wird geräumt. Laut AktivistInnen soll dies ein klarer Fall einer "Räumung auf Vorrat" sein - was aufgrund der anhaltenden großen Wohnungsnot und einem eskalierten Häuserkämpf seit 1989 gemäß Verordnung des Stadtrates nicht mehr passieren sollte.

Die Eigentümerin des leerstehenden Gebäudes, die Agruna AG, argumentiert die Notwendigkeit der Räumung mit "Probebohrungen". Andererseits hat das Unternehmen bereits von Anfang an versucht, den BesetzerInnen das Leben im Haus schwer zu machen und das Beispiel der seit Jahren besetzten "Binz" zeigt, dass es für Probebohrungen keines Abrisses Bedarf - zumal der angedachte, noch nicht umsetzungsreife Neubau-Projekt-Plan frühstens in zwei Jahren begonnen werden kann. Ein Räumungsbescheid wird am 23. Januar vom Grünen Polizei-Stadtrat Daniel Leupi unterschrieben, der Räumungstermin für den 8. Februar um 8 Uhr morgens festgelegt.

Für viele BesetzerInnen und AktivistInnen in Zürich ist das ein klarer Bruch der 1989 ausgerufenen Befriedung des Häuserkämpfes. Mit Ausnahme der "Wohlgroth"-Räumung 1993 gab es seither keine größeren Zwischenfälle bei Räumungsaktionen - meist sind die Häuser bereits verlassen, wenn der - in der Regel großzügig zuvor angekündigte - Räumungstermin erreicht wird, da der Eigentümer nur eine Abriss-Genehmigung erhält, wenn ein projektierter Neubau bewilligt ist und Bauarbeiten unmittelbar bevorstehen. Dieses Mal wurde nach Meinung vieler AktivistInnen klar gegen diese seit 23 Jahren bewährte Praxis verstoßen.

"Aus diesem Grund ist es notwendig endlich wieder einmal ein besetztes Haus zu verteidigen, von drinnen und draussen, was leider in Zureich etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint…" heißt es in einem Aufruf zur Verteidigung des Hauses, der am 6. Februar auf Indymedia.ch veröffentlicht wurde. Der Aufruf fand jedoch nur wenig Gehör, was zum einen an den tiefwinterlichen Temperaturen, zum anderen auf mangelnde Kommunikations- und Vernetzungsarbeit in der Anfangsphase der Besetzung zurückzuführen sein dürfte.

Räumung

Wie angekündigt rückte die Polizei gegen 8 Uhr morgens zur Räumung aus. Ein Augenzeuge schildert das, was nun passiert, detailliert auf Indymedia: Rund 30 Personen hatten sich aus Solidarität vor dem Gebäude versammelt und errichteten notdürftig Barrikaden, als 25 PolizistInnen in voller Kampfmontur die Brandschenkestrasse heraufzogen. Diese beginnen umgehend auf Distanz eine Salve Gummischrot auf die Leute abzufeuern. Die Ansammlung zerstreut sich. Mehrere Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch am Dach - auch sie verlassen das Gebäude jedoch unerkannt noch vor dem Eindringen der Polizei. Der Gummischrot-Einsatz wird zunächst mit den "Steineschmeißern vom Dach", auf die ausschließlich gezielt sein worden soll, erklärt. In einer anderen Mitteilung an die Presse werden die Barrikaden als Ursache und Ziel genannt. Widersprüchlichkeiten in der Kommunikation der Polizei mit der "Außenwelt", die sich wie ein roter Faden wohl nicht nur durch diesen Polizeieinsatz ziehen - vgl. auch "Erklärungen", warum der Abriss nicht mit den Richtlinien der Polizei für Räumungen in Konflikt stehen soll im Abschnitt "... polizeiliche Desinformation".

Gummischrot säen ...

Mit nur 30 bis 50 PolizistInnen wurde das Uwaga in zwei Stunden geräumt - während Räumungen vergleichbar großer Besetzungen in Wien etwa 100 bis 250 BeamtInnen eingesetzt werden. Der (scheinbare) Vorteil dieses Vorgehens für die Polizei liegt also auf der Hand. Dass die Reaktionen auf Gummischrot anders ausfallen als auf "sanftes Abdrängen" - man denke nur an den vergangenen September mit vier Krawallen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden wegen ein paar aufgelöster „illegaler“ Partys am Stadtrand - wird ignoriert, geleugnet oder als „zusammenhangslos“ abgestempelt.

Medien und Bevölkerung Zürichs halten Gummischrotgewehre - die der Polizei in den meisten „westlichen Demokratien“, inklusive Deutschland und Österreich, verboten sind - offenbar widerspruchslos für ein angemessenes Kommunikationsmittel im Umgang mit Leuten, die leerstehende Flächen und Gebäude bewohnen und mit öffentlichen Werkstätten, Küchen und Veranstaltungen beleben.

Merkwürdig ist in diesem Fall jedoch, dass das "Erstaunen" jedes Mal groß ist, wenn in Zürich Krawalle ausbrechen. „Woher kommt bloß diese Gewaltbereitschaft bei der Jugend?“ lautet dann jedes Mal die offenbar auch noch ernst gemeinte Frage der JournalistInnen und der Bevölkerung.

Keine Versammlungsfreiheit für GesellschaftskritikerInnen

Versammlungsfreiheit gibt es in Zürich de facto nicht. Jedenfalls nicht für Menschen, die nach Freiräumen verlangen, Abschiebungen (Ausschaffungen) ablehnen oder sonst irgendwie ihre Unzufriedenheit mit den herrschenden Zuständen in Stadt, Kanton und Land äußern wollen. Wird eine Demo spontan, ohne Anmeldung bei (und Genehmigung durch) die Polizei abgehalten, muss man auf eine diskussionslose, gewaltvolle Beseitigung aus dem Stadtbild vorbereitet sein. Das Ergebnis: friedliebende Menschen bleiben lieber zu Hause - zur Demonstration kommt oft nur, wer für „Krieg“ mit der Polizei gerüstet ist oder diesen zumindest in kauf nimmt, was der Polizei im Nachhinein natürlich die Rechtfertigung ihrer Gewaltanwendung erleichtert.

Da sich diese Strategie der Zürcher Polizei selbst erfüllt - je mehr Gewalt, desto mehr Gewalt - wird sie auch nach über 40 Jahren nicht infrage gestellt. Die krawall-lüsternen Medien betonen meist die Gewaltbereitschaft der Jugend und zitieren bereitwillig die berechenbaren Kommentare konservativer und rechter PolitikerInnen, die jede Gelegenheit nutzen, nach mehr PolizistInnen und mehr Befugnissen für die Polizei zu rufen. Schon nach dem zweiten Krawall im September 2011 forderte man von seiten der SVP FDP gar die Besetzung Zürichs durch die Armee, das u.a. dem Gratisblatt „Blick am Abend“ eine große Schlagzeile wert war. Die Frage, wessen Kinder sich aus welchen Gründen in Zürichs Innenstadt der Polizei in die Schusslinie stellen, wird selten gestellt und nie beantwortet. Das Gerücht, dass jugendliche „Chaoten“ und „Randalierer“ von einem anderen Planeten (wenn nicht gar aus Deutschland!) kommen, hält sich jedenfalls hartnäckig.

Räumung nach zwei Stunden beendet

Die Räumung des Uwaga geht indessen zügig voran. Auf dem vereisten Vorplatz des Haupteinganges nehmen PolizistInnen mit Vorschlaghammer Anlauf auf die Türe - und rutschen auf der Eisfläche aus. Sie brechen schließlich die Türe auf und lösen die Alarmanlage des Gebäudes aus - die erst nach etwa eineinhalb Stunden abgeschaltet werden kann. Die vielen Barrikaden an allen Seiten des Gebäudes verlieren angesichts des Eindringens durch den Haupteingang jede Bedeutung. Nur das Vordringen in die obersten Stockwerke verzögert sich dem Anschein nach. Lautes rumpeln und das Donnern des Vorschlaghammers sind noch bis Mittag zu hören.

Nach knapp zwei Stunden „erobert“ die Polizei das Dach. Kurz darauf wird die Räumung für abgeschlossen erklärt. FotografInnen und Kameraleute, die zuvor mit Verweis auf „Steine vom Dach schmeißende“ BesetzerInnen etwas abgedrängt wurden, wurden nun von Pressesprecher der Polizei, Mario Cortesi herbeigerufen, um an einer Besichtigung des Inneren des Gebäudes teilzunehmen - „auf eigene Gefahr“, wie es nun heißt. Man betritt das mit Scherben bedeckte Foyer des Gebäudes, von der steinernen Treppe sind fast nur noch die mit Steinplatten-Resten und Glasscherben bedeckten Betonträger übrig - über diese geht es in die oberen Stockwerke - nicht alle MedienvertreterInnen trauen sich. Beim Anblick der Barrikaden, herumliegender Möbel, Gerümpel und Kleidung, bemalter und bekritzelter Wände, wird über das „Schöner Wohnen“-Verständnis der BesetzerInnen gescherzt. Der Tages-Anzeiger veröffentlicht eine Reihe von Fotos aus dem Inneren des Gebäudes - unter anderem hat jemand einige Setzlinge im Haus zurückgelassen ...

Medien vs. polizeiliche Desinformation

Eine Fernsehjournalistin schüttet Cortesi ihr Herz aus: die HausbesetzerInnen seien unfreundlich und arrogant gewesen, als sie das Haus erreichte und die große Kamera auspackte. „Man kooperiere nicht mit Journalisten“, hat man ihr angeblich gesagt - und ihre Dreharbeiten behindert. Cortesi lächelt ihr zustimmend zu und erklärt schließlich die Polizei-Version der Dinge: Das Haus würde nun „unbewohnbar gemacht“, ein Sicherheitsdienst werde das Haus für „2, 3 Tage“ bewachen und anschließend würden die Abbrucharbeiten beginnen. Ob das Haus denn nun weiterhin leer stehe? „Nein, nein“, antwortet der Sprecher mit Verweis auf das „Merkblatt für Hausbesitzer“ - das wäre ja gar nicht erlaubt - es müsse einer der drei auf dem Merkblatt genannten Punkte vorliegen, damit geräumt werden dürfe. Es würde bald mit dem Bau eines „neuen Projektes“ begonnen werden - welches, wusste er jedoch nicht. Die anwesenden drei, vier JournalistInnen nicken verständnisvoll. Auf meinen Einwand hin, dass das Haus „angeblich“ noch zwei Jahre leer stehen würde, reagiert der Sprecher verneinend: das seien nur Gerüchte, die ich offenbar den HausbesetzerInnen entnommen hätte.

Als danach noch zwei, drei JournalistInnen den Polizisten in Rüstung und mit dem roten Megafon befragen, erzählt dieser voll überzeugter Gewissheit, dass das Haus „noch heute“ abgerissen würde und es für den Abbruch „keine Genehmigung brauche“ - während der Pressesprecher zehn Minuten zuvor noch erklärte, dass gemäß den „drei Punkten“ auf seinem Merkblatt Genehmigungen vorliegen müssten. Totale Verwirrung also, zumal auf Aspekte wie die Probebohrung, die vor einem Neubau wegen des unter dem Gebäude liegenden Bahntunnels durchgeführt werden müssen und das Gebäude voraussichtlich weitere zwei Jahre leer stehen wird bzw. das Grundstück im Falle eines Abrisses noch längere Zeit brach liegen würde, gar nicht erst eingegangen wurde. "Wir führen nur Befehle aus".

Uwaga geht - die Leute bleiben

Rund 30 Personen lebten nach Eigenangaben zuletzt im mehrere tausend Quadratmeter großen Gebäude. Dutzende Matratzen in bewohnt (und überstürzt verlassen wirkenden) Zimmern des weitläufigen Gebäudes bezeugen dies. In der großen Volxküche stehen noch Lebensmittel herum, überall liegt Kleidung, Handy-Ladegeräte und anderer Hausrat. Wer die Leute sind, die in dem Haus seit 19. Oktober gewohnt hatten, wollen sie nicht verraten. Lediglich von einem Occupy-Aktivisten ist zu erfahren, dass auch von ihnen „ein paar“ Leute im Haus gelebt haben - und sie sich diese Delogierung mitten im Winter keinesfalls gefallen lassen möchten.

die VoKü nach der Räumung ...
Insgesamt war es eine bunte Mischung aus Menschen, die in dem Haus lebten, was auch zu diversen Kommunikations- und Organisationsproblemen führte, die in den letzten Monaten manchmal kritisiert wurden. Doch man habe aus diesen Erfahrungen viel gelernt und für 2012 hatte man sich bereits viel vorgenommen, was die vielfältige Nutzung und Bespielung des Hauses betrifft - der nahezu unbegrenzt scheinende Raum wurde bereits von vielen für Werkstätten und Ateliers benutzt (vgl. auch Mediencommuniqué vom 25. Januar), weitere Einrichtungen waren geplant. Wie es nun weitergehen soll ist nicht klar - nur, dass es weitergehend wird.

Anmerkung: ein bis zwei Videos der Räumung sollen demnächst folgen und werden hier ehestmöglich verlinkt

Nachtrag 9.2.
- die Gratiszeitung "Blick am Abend" berichtet am 8.2. (S. 10) auch von folgendem, an keiner anderen Stelle erwähnten, Vorfall: "Nach der Räumung flüchteten die Besetzer laut einem Leserreporter über die Geleise der Sihltalbahn, kamen zurück und demolierten auf dem Hürlimann-Areal einen abgestellten Streifenwagen."
- "Freunde des Uwaga-Kollektivs" fordern "
Solidarität für das Uwaga-Kollektiv" (Indymedia Schweiz)

Nachtrag 10.2.
- In der Nacht auf 9.2. wurde in "Solidarität mit dem Uwaga Kollektiv und allen BesetzerInnen" das Haus von Stadtrat und Polizeidepartement-Vorsteher Daniel Leupi "besucht", es seien "Sprays und brennende Container" hinterlassen worden, denn "ihr Häuserkampf ist Teil von unserem Klassenkampf!", wie es im (angeblichen) Bekenner-Posting auf Indymedia heißt

Mittwoch, 16. November 2011

Herbst, Nebel, Squatting Action

Bevor sich hier gar niemand mehr auskennt - verloren zwischen Übertreibungen, Untertreibungen, Polizei-Aussendungen, Boulevard-Medien-Gewäsch und Szene-Klatsch - ein möglichst knapp gehaltener Rückblick über die unangekündigte Herbst-"Squatting Action", die als Begleiterscheinung der "Occupy"-Bewegung - ohne aber mit dieser in direktem Zusammenhang zu stehen - Mitte Oktober über Wien hereinbrach.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit! Was die Einrichtungen im Haus betrifft (Frauenraum, Medienraum, Kunsträume, Freie Universität, Plenarsaal etc.) und was die Reaktionen der Medien betrifft (insbesondere "Heute" betrieb mit untergriffigen Anschuldigungen eine Kampagne gegen die HausbesetzerInnen, während sich der "große Bruder" Kronen Zeitung eher zurückhielt und "nur" Polizei- und BUWOG-Mitteilungen zitierte) sei auf den Blog (epizentrum.noblogs.org) bzw. den dortigen umfangreichen und gut sortierten Pressespiegel verwiesen.

Ein turbulentes Monat liegt hinter Neubau:
- 2 Hausbesetzungen (27 und 5 Tage) im Siebten Bezirk (Neubau)
- 1 spontane Kleindemo unmittelbar nach der Epizentrum Räumung im Siebten.
- 1 "Groß"-Demo mit 150 bis 200 TeilnehmerInnen nach der Epizentrum-Räumung im Siebten.
- 3 Reclaim the Streets / spontane Klein-Demos durch den Siebten (14.10., 12.11., 15.11.) mit je 40 bis 80 TeilnehmerInnen
- Kurzzeit-Besetzung des Audimax und des C1 am Campus am 15.11.

epizentrum - Lindengasse 60-62 - 13. Oktober bis 8. November (27 Tage)
- 13. Oktober 2011:
am Abend wird das Areal Lindengasse 60-62 still besetzt.

- 14. Oktober:
am Vorabend der lang angekündigten "Occupy Austria"-Proteste wird die Besetzung veröffentlicht, zunächst gegen 17 Uhr auf Indymedia. Nach und nach kommen nun Leute ins Haus, gegen 22:30 Uhr treffen etwa 35 Leute von einem kleinen Reclaim the Streets-Umzug mit mobilem Soundsystem im Haus ein. Das Areal füllt sich mit Leuten, deren Zahl kann nur grob geschätzt werden: bis zu 400 Leute dürften zum Höhepunkt gleichzeitig im Haus gewesen sein, in jedem Stockwerk in jedem Raum waren Leute versammelt, chillten, diskutierten, musizierten. Auch am Dach, im 62er-Haus und im Hof befanden sich viele Menschen. Berücksichtigt man das ständige kommen und gehen dürften wohl 700 bis 800 Leute, vielleicht sogar mehr, zumindest für eine Weile im Areal gewesen sein. Bier wird palettenweise angeliefert, ein fliegender Bier-Verkäufer überbrückt Engpässe. Klar, die Bier trinkenden Linken, werden sich nun manche reflexartig denken (oh, wie schlimm!). Aber was passiert eigentlich genau an JVP-Festen, bei Heimfesten in Bastionen der "Aktionsgemeinschaft" wie dem Pfeilheim ("Dein Weg zum Gipfel und zum Titel führt über 11 Stockwerke und jeder Menge Alkohol"), an den WU-Cocktail-Partys und bei Burschenschafter-Treffen? Na eben! Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen - oder anders gesagt: Belügt euch nicht selbst ;)

- 15. Oktober:
Der Tag beginnt mit dem großen Aufräumen. Ja, richtig, "Chaoten" räumen auch auf. Das steht zwar nicht in "Heute", "Krone" und "Österreich" - dafür stehts hier. Ist offenbar ein Aspekt, der viel zu wenig beachtet wird (sonst würde nicht ständig von "Chaoten" geschrieben werden). An der Occupy-Demonstration am Abend über die Mariahilfer Straße werden Flyer verteilt, die zum Besuch des neuen Freiraums "epizentrum" einladen. Bis zu 200 Leute halten sich gleichzeitig im Haus auf, einige hundert mehr dürften insgesamt an diesem Tag vorbeigeschaut haben.

- 16. Oktober:
Es ist Sonntag. Üblicherweise wird Montags geräumt. Es werden Barrikaden (weiter) gebaut, etwa 100 Leute versammeln sich am Abend, viele übernachten.

- 17. Oktober:
Graffiti im Hof
Montag. Keine Räumung. Nun werden Pläne für die kommende Woche geschmiedet. Erstmals in einem besetzten Haus in Wien seit vielen vielen Jahren soll ein eigenes Beisl für Veranstaltungen und um Spenden hereinzubringen errichtet werden - und natürlich, weils Spaß macht :) Viele nutzten den Tag aber um einmal zu entspannen, mit "nur" 50 Leuten am Abend war dies der bisher ruhigste Tag.

- 18. Oktober:
Sprayer (leider kaum Sprayerinnen) übernehmen allmählich das Areal: An immer mehr Orten arbeiten - großteils - Künstler an kleinen und großen Werken, übermalen hässliche (und ja, meinetwegen auch schöne) Tags. Am Abend wieder mehr los im Haus, es herrscht Aufbruchstimmung.

- 19. Oktober:
Barbetrieb ab 20. Oktober - keine Preise - freie Spende!
die erste Getränke-Lieferung erreicht das Haus: 11 Kisten Kozel Bier, 11 Kisten Club Mate. Die Getränke werden nicht verkauft sondern gegen freie Spenden hergegeben. Das Prinzip funktioniert - trotz großer Skepsis bei vielen. Da die Getränke in Flaschen geliefert werden wird eine Menge Dosen-Müll eingespart, das Leergut wird vom Lieferanten wieder abgeholt.

- 20. Oktober:
die Bar ist fertig und wird feierlich eingeweiht! Musik kommt aus dem CD-Player, Boxen werden angeschlossen. Viele Leute besuchen das neue Beisl, auch Nachbarn aus dem Bezirk. Alle (ja, wirklich alle!) sind begeistert, was sich auch in großer Spendenbereitschaft ausdrückt.

- 21. Oktober:
Critical Mass zieht ins Epizentrum
Das Highlight, wenn man so will, der epizentrum-Besetzung. Weit über 1.000 (!) Leute - genaueres lässt sich nicht sagen, vielleicht warens auch 2.000? - kamen an diesem Abend, in dieser Nacht, für kurz oder lang zum Haus. Gleichzeitig waren sicherlich über 500, 600 Leute im Areal, am Tor herrscht reger Ein- und Ausgangsbetrieb. Der Grund: Um 19:30 traf die Oktober-CriticalMass-Fahrrad-Demo mit dem Epizentrum als Zielpunkt ein. Ab 20 Uhr begann das Lastenrad-Kollektiv mit seiner Soli-Party, die eigens vom Tüwi hierher verlegt wurde. Es gab Soli-Cocktails, Glühmost, Volxküche und Bar-Betrieb.

Critical Mass zieht in den - um 20 Uhr noch relativ "leeren" Hof ein
Zwei Konzerte fanden statt (die ersten im Haus). Ein oder zwei Stunden nach Mitternacht begann ein Tekno-Soundsystem, vermutlich Fazit:0, im Beisl aufzulegen. Die Stimmung war einzigartig und euphorisch. So weit die "Sonnenseite". Da es noch keine strikte Raum-Aufteilung (öffentlich/privat) im Haus gab, litten jedoch einige HausbewohnerInnen auch unter diesem Auflauf. Es kam auch mehrere Zwischenfälle mit alkoholisierten Personen bzw. Personen, die übergriffig wurden und rausgeschmissen werden mussten. Das ist die Schattenseite, die solche Veranstaltungen leider zwangsläufig (?) mit sich bringen. Um 5:30 wurde aus genannten Gründen - nach mehreren Ankündigungen/Bitten, die Party ausklingen zu lassen - das Soundsystem abgestellt, Teile der etwa 100 tanzenden Gäste sowie die DJs [das Soundsystem legt Wert auf die Feststellung, das man sich nicht über das Ende der Party empört hat sondern nur am WIE - hineingreifen ins Mischpult - etwas auszusetzen hatte; Anm. v. 20.11.] konnten diesen Schritt nicht nachvollziehen und empörten sich, es gab Buh- und "Widerstand"-Rufe. Es gelang ohnehin nicht, die große Zahl Menschen aus dem Areal zu befördern - niemand sah sich dazu imstande oder war willens. So dauerte es bis etwa 8 Uhr früh, bis nahezu alle Gäste das Areal verließen.

An diesem Freitag zeigte sich am besten der Widerspruch, der zwischen den verschiedenen Interessen und Zielen von Hausbesetzungen besteht: einerseits möchte man einen Freiraum für möglichst viele Menschen schaffen und das beste Rezept gegen eine polizeiliche Räumung ist ein volles Haus - andererseits ist es energieraubend für jene, die auch im Haus wohnen und sich verantwortlich fühlen, sich ständig darum kümmern zu müssen, dass das Tor durchgehend kontrolliert wird, das Menschen, die ihre eigenen Grenzen nicht kennen und/oder ignorieren und dabei viele andere Menschen belästigen, verbal oder physisch attackieren, hinauszuschmeißen. Freiraum kann nicht bedeuten, dass jedes Verhalten geduldet wird. Ein Freiraum setzt von seinen Nutzer/innen ein großes Maß an Eigenverantwortung voraus. Dies muss deutlicher kommuniziert werden, Gäste müssen aus ihrem "KonsumentInnen"-Schema ausbrechen und ebenfalls Verantwortungsgefühl für den Ort, den Freiraum und das Zusammenleben entwickeln. Insbesondere sexistische Verhaltensweisen wurden vielfach kritisiert und wurden vielfach den BesetzerInnen angelastet, dass diese sie "dulden" oder ignorieren würden.

22. Oktober:
Samstag. Katerstimmung. Aufräumen. Es wird ein Ruhetag ausgerufen, das Tor bleibt am Abend meist geschlossen. Der Wohnbereich wird mit einer versperrbaren Gittertür vom "öffentlichen" Bereich abgetrennt. Das System ist jedoch nicht weit genug durchdacht, da sich unter anderem Versammlungsräume im "privaten" Teil befinden, ebenso die Volxküche, über die viele Leute weiterhin in eigentlich "abgetrennte" Bereiche eindringen.

23. Oktober:
Versöhnlicher Sonntag: Ab Mittag betreibt "Tanz durch den Tag" Kunst & Auflegerei im Haus. Im Hof wurde ein Glühwein- und Bier-Stand aufgebaut, auch Kürbiscremesuppe wird ausgeteilt - auch hier: freie Spende! Man hat aus den Erfahrungen vom Freitag gelernt und von Anfang wurde vereinbart und auch an die Gäste kommuniziert, dass um 22 Uhr Schluss ist. Das Publikum - gegen Schluss hin um die 300 Leute - reagierte auf das Ende der 8-stündigen-Tagesparty mit Applaus und Jubel statt mit Enttäuschung und Frust. Es dürfte sich hierbei um die erste und einzige "Tanz durch den Tag"-Party gehandelt haben die - ohne Polizei-Einwirken - tatsächlich um 22 Uhr beendet wurde :)

24. Oktober:
Großes Haus-Plenum (nicht das erste, aber diesen Montag prägend: Gespräche, Reflexion, Diskussion)

26. Oktober:
Das Epizentrum begeht den Anti-Nationalfeiertag. Es gibt "Punk-Beisl" mit entsprechender Musik und Bier.

28. Oktober:
Auch diesen Freitag blieb es nicht ruhig im Haus. Es sollte früher geschlossen werden als sonst, tatsächlich wird aber erneut bis nach 5 Uhr Bier zusamen gesessen, geredet, gechillt, gefeiert. Nähere Aufzeichnungen liegen nicht vor ^^

29. Oktober:
Samstag. Schon wieder ein Grund zu feiern. Dieses Mal wird jedoch gegen Mitternacht das Tor geschlossen, die Nacht bleibt ruhig.

30. Oktober:
Sonntag: Ruhetag. Mehr oder weniger.

31. Oktober:
Bis zuletzt war nicht ganz klar ob ja oder nein: Letztlich begann aber doch um 23 Uhr das Psychedelic-Rock von "Half Baked Cheese" - etwa 70 Leute befanden sich deshalb im Beisl und lauschten wie gebannt der Musik. Nach einem zweistündigen Tekno-Intermezzo ging es gegen 2 Uhr nochmals mit einer Jam-Session weiter. Leider war das auch schon das letzte Konzert im Haus.

1. November:
Die Räumungsdiskussion gewinnt allmählich wieder Oberhand. Die BUWOG hatte die Verhandlungen für beendet erklärt und stellte (erneut) ein (letztes) Ultimatum zum Verlassen des Hauses bis Mittwoch, 18 Uhr.

2. November:
Als um 18 Uhr das BUWOG-Ultimatum endet befinden sich etwa 200 Personen im Areal. Darunter dutzende Vermummte, die bereit scheinen, das Haus zu verteidigen. Logischerweise kommt deshalb keine Polizei. Uniformierte, die das Haus beobachten, werden bald durch zivile Beamte und den Verfassungsschutz ersetzt. Dieser fotografiert aus dem Treppenhaus des gegenüberliegenden Gemeindebaus das Areal und auch das Dach, wo herumliegende Steine offenbar als Bedrohung wahrgenommen wurden.

3. bis 7. November:
Die Diskussionen um "Freiraum vs. Schutzraum" beanspruchen fast alle Energie. Zudem stellte die BUWOG den Strom ab, es gibt nur noch teilweise Strom, der mit Benzingenerator erzeugt wird. Es gibt nur noch wenig Programm im Haus, von Außen kommt viel Kritik und wenig Beteiligung.

8. November:
Der zweite Tag der neuen Woche, mit neuer Energie nach Tagen der Reflexion sollen neue Projekte vorangetrieben werden, etwa ein Proberaum für MusikerInnen, ein fixer Bar-Tag inklusive Ruhetagen, alternative Stromversorgung, Beheizungsmöglichkeiten über den Winter bzw. Isolierung von Fenstern und Dach uvm. - doch dazu kommt es nicht mehr. Ab 11 Uhr rücken rund 200 PolizistInnen zur Räumung an: Aufgrund der Steine am Dach des 62er-Hauses wird sogar ein Hubschrauber eingesetzt, dieses Haus wurde auch als erstes gestürmt um das Dach zu besetzen. Wegen dem massiven Stahltor und befürchteter schwerer Barrikaden wird erstmals seit Jahren auch der Räumungs-Panzer beigezogen - dient aber letztlich nur als Befestigung für das Absperrband mit der bezeichnenden Beschriftung "STOPP POLIZEI".

Die Räumung verläuft friedlich, das Polizeiaufgebot wirkt absurd. NachbarInnen vermuten einen Banküberfall, andere fühlen sich wie in einem Polizeistaat (vgl. Zeitungsberichte und Video-Beiträge im Pressespiegel).

Es kommt zu einer Spontandemonstration mit etwa 70 Beteiligten zur Neubaugasse/Mariahilfer Straße, wo die Demo mit einem Kessel beendet wird.

Demonstration am Abend

Die vom ersten Tag an angekündigte Demonstration um 18 Uhr an einem kurzfristig veröffentlichten Treffpunkt findet ebenfalls statt. Treffpunkt war Urban-Loritz-Platz, die Polizei wusste davon, aber viele SympathisantInnen nicht - insofern war die Geheimhaltung bis 17 Uhr unnötig, es wären mehr als 150 bis 200 Leute gekommen, hätten mehr davon früher gewusst. Zivil-Polizisten belauschten die wenig koordinierte Menge am Platz und informierten ihre Kollegen, dass die Demo über den Gürtel zum Westbahnhof und über die Mariahilfer Straße zum Museumsquartier ziehen will. Dementsprechend wurde der Gürtel zwischen Urban-Loritz-Platz und Westbahnhof rasch blockiert, ein Kessel hätte gebildet werden sollen, doch die Menge wechselte geistesgegenwärtig die Fahrtrichtung und zerstreute sich teilweise - ein Teil zog zurück zur U-Bahn-Station Burggasse und wurde dort am Bahnsteig gekesselt. Der Rest zog in Kleingruppen zum Museumsquartier. Der U-Bahn-Kessel wurde aufgelöst unter der Vereinbarung, dass die Leute friedlich über die Burggasse zum Museumsquartier ziehen - was dann auch geschah. Die Zugänge zum Museumsquartier wurden freilich von weiteren PolizistInnen bewacht - insgesamt 30 VW-Busse der Polizei wurden an diesem Abend gezählt, was mindestens 240 Einsatzkräfte bedeutet. Nachdem sich die Burggassen-Demo und die Leute vom Museumsquartier vereinten und - etwas planlos, da der Treffpunkt im MQ ausgelassen wurde - weiterzogen, kesselte die Polizei etwas zaghaft die Menge am Getreidemarkt. Die meisten Leute konnten entkommen, einige Unentschlossene durften nun 4 Stunden in der Kälte ausharren. Wer filmte oder fotografierte und den Amtshandlungen "zu nahe" kam wurde verhaftet. Insgesamt vier Verhaftungen wurden an diesem Abend vorgenommen, mindestens zwei davon nur wegen Filmens und Fotografieren. Nach mehreren Stunden Haft wurden sämtliche Personen wieder entlassen, vorgeworfen wird ihnen wohl irgendwas zwischen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, Versammlungsrecht und möglicherweise auch Körperverletzung - das übliche halt, um AktivistInnen und jene, die Aktivismus und Polizeihandlungen in diesem Zusammenhang dokumentieren, "auszudämpfen".

Kessel am Getreidemarkt - 40 DemonstrantInnen wurden bis zu 4 Stunden festgehalten

Weitere Vorfälle gab es keine - lediglich von einer eingeschlagenen Auslagenscheibe in der Neubaugasse erzählt die Polizei (wenngleich die Demo am Abend nie in der Neubaugasse war und niemand den Vorfall bestätigen konnte), angeblich wurde auch am Gürtel eine Fenster- oder Autoscheibe eingeschlagen, was ebenfalls nicht bestätigt werden kann. Dennoch ließen sich Krawallzeitungen dazu hinreißen, von Krawallen zu schreiben. Fragt sich, wie die Zeitungen es nennen werden, sollte es tatsächlich einmal zu Krawallen kommen. Vermutlich wird dies dann als Bürgerkrieg oder nuklearer Weltkrieg bezeichnet. Dem Superlativismus des Boulevards sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.

horrende Einsatzkosten

Ein großer Bus der Polizei wurde beim Einfahren in die Stiftskaserne gesichtet. Vorsichtig geschätzt kann man sicherlich von 300 PolizistInnen ausgehen, die ab der Räumung um 11 Uhr Mittag bis weit nach Mitternacht in Dienst oder Bereitschaft waren. Bei einem Brutto-Stundenlohn pro Dienststunde von 25 € (ohne Zuschläge!) ergibt allein das rund 4.000 Dienststunden bzw. 100.000 € Kosten. Zuschläge, Betriebsaufwand (Hubschrauber, Räumpanzer, Fahrtkosten, Straßensperren etc.) mit eingerechnet kommt sicher noch eine Menge dazu, die Einsatzkosten könnten also bis zu 200.000 € betragen oder mehr - Auskünfte dazu gibt die Polizei freilich keine. Man kann jedoch davon ausgehen dass die Wiener Polizei pro Jahr ein paar Millionen Euro nur für Demonstrationen und Räumungen aufwenden muss. Zumindest Räumungen von leerstehenden Häusern könnte sich die Polizei sparen, gäbe es - wie von Rot und Grün im Koalitionsabkommen vereinbart - endlich die legale Möglichkeit von Zwischennutzungen bis zum Abriss/Neuverwendung von leerstehenden Häusern. Doch bislang ist trotz vieler Ankündigungen seitens der Grünen nichts in diese Richtung geschehen, selbst Lippenbekenntnisse bleiben aus.

Wilde 13

11. November:
Nur 3 Tage nach der Räumung des epizentrums wurde ein Ausweichquartier in der Westbahnstraße 13 bezogen. Es hätte ein ruhiger Versammlungsort werden sollen, doch stattdessen rief der Künstler (der nach eigenen Angaben auch im Epizentrum war und die Sache unterstütz hat), der im Erdgeschoß Ausstellungsflächen, die nicht von der Besetzung betroffen waren, angemietet hat, die Polizei. Diese begann um 21 Uhr mit einer 24-stündigen Belagerung, die ergebnislos (das Haus blieb besetzt) beendet wurde. Ursprünglich hätte das Haus allem Anschein nach noch am selben Abend - ohne Räumungsbescheid, wie zuletzt im Sommer mehrmals geschehen - illegal geräumt werden sollen. Ebenso illegal war wohl das Eindringen der PolizistInnen in den Hof des Gebäudes, der auch von NachbarInnen genutzt wird, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Eigentümer ermittelt und kontaktiert werden konnte. Nichtsdestotrotz besetzte die Polizei um 23 Uhr den Hof und verbarrikadierte (!) das Einfahrtstor mit Holzlatten und bewachte die Eingänge zur Westbahnstraße.

Als eine 20 Mann/Frau starke Einsatzeinheit beigezogen wurde und in den Hauseingang drängte drohte die Lage zu eskalieren: Die BesetzerInnen im Haus waren entschlossen, die (illegale) Räumung nach nur wenigen Stunden Besetzung abzuwehren, zündeten Feuerwerkskörper (Foto) und schmissen Dosen und angeblich auch Bierflaschen auf die Straße und das dort geparkte Polizeifahrzeug. Die Polizei zog sich daraufhin zurück, blieb jedoch in ihren Einsatzfahrzeugen noch die ganze Nacht hindurch vor Ort in "Bereitschaft". Wozu die Bewachung eines besetzten Hauses gut sein soll, konnte sich nicht einmal die "Steuerzahler"-Watchdog-Zeitung "Heute" nicht erklären.

Zufälligerweise fand am selben Tag erneut eine "Occupy"-Demonstration statt, wie schon bei (kurz nach) der Besetzung des "epizentrum".

12. November:
in der Wilden 13
Das belagerte Haus wird von draußen mit Lebensmitteln und Wasser versorgt - Strom ist hingegen vorhanden. Außerdem gehen einige Leute über eine Leiter ein und aus, was die Polizei nicht bemerkt.

Am Abend zieht eine "Reclaim the Streets"-Tanzdemo vom Museumsquartier über die Mariahilfer Straße, Lindengasse, Ex-Epizentrum zur Westbahnstraße. Die Polizei stößt erst in der Lindengasse dazu, bis dahin steckten Streifenwägen im Verkehr fest. Die Polizei umstellte nun das Epizentrum, ein Teil folgte der Demo bis zur Westbahnstraße - dort eilten PolizistInnen rasch zu den Eingängen um ihre KameradInnen zu verstärken - doch diese ließen ihre ans Tor polternden Kollegen gar nicht erst hinein. Foto des Demo-Zuges und Bericht im Kurier.

der Ton wird rauer?
Die Demonstration, etwa 50 Leute, zerstreute sich nun und kehrte etwa eine Stunde später zum Haus zurück. Die Polizei war offenbar verwirrt und besetzte mit jeweils zwei Mannschaftswägen zentrale Punkte im Siebten Bezirk - mit Helm und Schildern aufgestellt! So etwa in der Lindengasse und in der Neubaugasse. Man befürchtete offenbar Krawalle.

Als gegen 20 Uhr erneut einige Leute vor der Westbahnstraße 13 versammelt waren zog die Polizei unvermittelt ab. Das Haus war nun wieder zugänglich.

14. November:
Ein Lokal-Augenschein des Standard ergibt, dass sich nur wenige Menschen im Haus und im Hof befinden. Leute im Hof, die sich um einer Feuertonne wärmten, werden mit "der harte Kern ist grad einkaufen oder so" zitiert ^^ - diese Chaoten!

15. November:
Erneut "Reclaim the Streets"-Tanzdemo. Dieses Mal nur rund 40 Personen, die ins Museumsquartier ziehen und ca. 1,5 Stunden mitten im Haupthof tanzen und Parolen rufen ("Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag"), auch auf das Sicherheitspolizeigesetz, das an diesem Tag vom Ministerrat abgesegnet wurde, wurde kritisch Bezug genommen. Securities und Polizei können keinen Grund zum Einschreiten finden - BesucherInnen des Museumsquartiers zeigen sich überwiegend amüsiert. Sogar ein Mann im Spiderman-artigen Superheldenkostüm mit "MQ"-Logo drauf ("MQ-Man"?) stoßt zur Menge und tanzt frenetisch zu "Fight for your right to party" - um danach ebenso unerkannt wieder zu verschwinden wie er aufgetaucht ist.

Audimax-Intermezzo:
Die Tanzdemo wird danach zur Hauptuni verlagert und zieht dort unter großer Verwunderung und teilweise Jubel der Publizistik-Erstsemestrigen ins Audimax ein. Die PUK-Vorlesung wird abgebrochen, die meisten Studierenden bleiben. Die nachfolgenden "Pharmazie"-Studierenden, die schon bei ihrem Versuch, Medizin studieren zu wollen, einen herben Rückschlag erfahren haben, verstehen hingegen keinen Spaß: Sie wollen ihre Vorlesung, ihr Professor und sein Schani preschen vor: der Schani zieht das Kabel, der Professor lässt abstimmen, ob seine Untergebenen lieber Vorlesung oder Besetzung hätten. Ohne Gegenreaktionen abzuwarten erklärt er unter großem Jubel die Besetzung für beendet. Pharmazie-Studierende werden derweil im Internet endgültig zu den uncoolsten Studierenden Österreichs verdammt.

Die TanzdemonstrantInnen nehmens gelassen und ziehen weiter zum C1, wo die Internationale Entwicklung Vollversammlung abhielt - ihr Studium soll bekanntlich abgeschafft werden. Dennoch wollen sich viele die "gute Gesprächsbasis" mit dem Rektor nicht verscherzen und überlassen es jedem/jeder einzelnen Studierenden selbst, ob sie besetzen wollen oder nicht. Etwa 50 Leute bleiben und erklären den C1, oder besser gesagt dessen Foyer, für besetzt. Es wird über das Sicherheitspolizeigesetz, Uni-Politik und Freiräume diskutiert und pleniert, folgender Text wurde veröffentlicht: Der Hut brennt und die Kacke dampft.

16. November:
Die C1-Besetzung wurde nach einer Nacht beendet. Polizeieinsatz gab es weder beim Audimax- noch beim C1-Intermezzo. Stattdessen "räumte" die Polizei die "Wilde 13", die jedoch bereits seit mindestens einem Tag ohnehin wieder leer stand. Ein "Heute"-Bericht am Dienstag berichtete von "Krawallen" im "Öko-Bobo-Bezirk Neubau" ohne jedoch zu erwähnen, dass sich die erwähnten Vorfälle am Freitag, also vier Tage zuvor, ereigneten, und wohl kaum die Bezeichnung verdienen. Es sei denn, eine hingeschmissene Bananenschale auf einem Gehsteig würde als Terroranschlag durchgehen.

... to be continued!

Samstag, 30. Juli 2011

Hausprojekt reloaded: Schwarze Katze kapert Triester Straße 114

+++ Update: Sonntagvormittag (31.7.) wurde unangekündigt und unerwartet geräumt, laut Presseaussendung der BesetzerInnen (ASK) ohne Räumungsbescheid! Berichte dazu (Auswahl) am Ende des Beitrags +++

Nach über einem Monat Rätselraten (seit Ankündigung auf dem Blog der "Aktion Schwarze Katze", ask.noblogs.org) ist das Geheimnis nun gelüftet:
die Triester Straße 114 ist wieder besetzt! Das Haus wurde bereits im Oktober 2009, nur knapp drei Wochen vor Ausbruch der größten Uni-Proteste Österreichs mit der Besetzung der Akademie der Bildenden Künste durch Studierende und Lehrende, für zehn Tage besetzt. Damals wurde im Haus binnen kürzester Zeit ein soziales Zentrum mit starker künstlerischer Ausprägung eingerichtet, von der Stadt eine Woche lang "geduldet" und nach dem zweiten Wochenende am frühen Morgen geräumt. Seit Freitag, 29. Juli 2011, ist es wieder besetzt.

Lügen, auch gedruckt: Sprechrituale von Eigentümern leerstehender Immobilien

Wie immer bei einer Besetzung kommt von der Eigentümerseite her als erstes die Behauptung, das (meist seit Jahren) leer stehende Gebäude XY würde "sofort", "demnächst", "nächste Woche" oder "nächstes Monat" umgebaut/abgerissen/neu gebaut/renoviert/saniert/neu genutzt. Wie immer sind das reine Lippenbekenntnisse, die von Außenstehenden nicht überprüft werden können. JournalistInnen, sofern sie überhaupt auf die Besetzung aufmerksam werden, begnügen sich ebenso routiniert Jahr für Jahr aufs neue mit diesen Antworten der Eigentümer. Besonders professionell in diesem Spiel des routinierten Belügens ist die Stadt Wien, respektive die Abteilung des Wohnbaustadtrates Michael Ludwig. Aus dessen Büro hört man zu besetzten Liegenschaften in städtischem Eigentum nicht nur stets die Behauptung, es würden "fixe Pläne", die "bewilligt"/"beauftragt"/"geplant"/"finanziert"/"baureif" etc. für ein Grundstück/Immobilie vorliegen (vgl. sämtliche Stellungnahmen der Stadt Wien zu Besetzungen in den letzten Jahre) - nein! Um das Spiel über Jahre hinweg erfolgreich fortzuführen, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren, hat sich Ludwigs Abteilung noch etwas besseres einfallen lassen: Visualisierungen!

Besonders schön sieht man das am Beispiel der Triester Straße 114. Im Oktober 2009 hieß es dazu, die Stadt benötige das (seit 2007 leer stehende und in seiner Außenansicht aus der ORF-Sitcom "MA 2412" bekannte) Gebäude umgehend für ein neues Büroprojekt bzw. "Amtsräume". Zur Untermauerung wurde nach der Räumung eine große, anschauliche
Tafel an die Fassade des Gebäudes geheftet, mit einer kühnen Behauptung:

"Baubeginn: November 2009 - Geplantes Bauende: November 2011" (Foto vom 29. Juli 2011)

Na dann werfen wir doch einmal einen Blick auf den Baufortschritt!

auf den ersten Blick scheint sich nicht viel verändert zu haben ...














... ein Blick auf die Rückseite bestätigt den ersten Eindruck



Doch wirft man einen Blick auf das Innere des Gebäudes zeigt sich: der Fußbodenbelag wurde rausgerissen - ebenso alles, was jemals irgendwie an den Mauern befestigt war. Die Stadt halt also keine Kosten und Mühen gescheut, den Umbau vorzubereiten. Doch warum zögert sie, den Umbau endlich zu beginnen? Ob das alles in zwei Monaten noch zu schaffen ist?



















Das gleiche Vorgehen kann man nun auch beim Lobmeyr-Hof mitverfolgen. Wenige Tage nach der Räumung (und Interviews mit Stadtpolitikern der SPÖ, dass bereits bewilligte Baupläne vorliegen würden) wurde etwa ein Eintrag zum Lobmeyr-Hof auf wienweb.at am 15. Juli 2011 "aktualisiert" - und zwar indem eine Visualisierung des generalsanierten Lobmeyr-Hofs in der Zukunft eingefügt wurde. Mit Baubeginn wurde "voraussichtlich 2012" angegeben. Laut Insidern darf dies jedoch bezweifelt werden, da es entgegen der Behauptungen seitens der Stadt noch keinen genauen "Fahrplan" geschweige denn vergebene Aufträge an Baugesellschaften gebe. Fazit: Einer Besetzung soll wieder einmal mit dem Argument des bevorstehenden Umbaus die Legitimation entzogen werden. In Wahrheit scheint sich das "übliche" Szenario abzuzeichnen: Auf jahrelangen Leerstand folgt eine Besetzung folgt jahrelanger Leerstand.

andere fragwürdige Rituale: wenn die Polizei durchs Kellerfenster klettert ...

Kurz nachdem Freitagabend mehrere Dutzend BesetzerInnen durch ein offen stehendes Kellerfenster ins Haus gelangt sind, ein Staunen: zwei Polizisten stürmen das Treppenhaus hinauf, eine Stampede setzt sich in den zweiten Stock in Bewegung. Frage: Wie sind die Polizisten ins Haus gelangt? Und wie konnten sie so schnell von der neuerlichen Besetzung erfahren?

Ungeachtet dieser Fragen ist die rechtliche Lage klar: ohne Auftrag durch den Besitzer/die Besitzerin, hat die Polizei auf einem "privaten" Grundstück nichts zu suchen. HausbesetzerInnen können - das ist im Sicherheitspolizeigesetz (SPG) klar definiert - nur mit einem Räumungsbescheid, der vom Eigentümer unterschrieben ist, aus einem Haus befördert werden. Klar bietet das SPG willkommene Schlupflöcher, allen voran die "Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung" - und das kann die Polizei definieren, wie sie will. Dennoch: Die Polizeistreifen des Bezirks Favoriten hatten keinen derartigen Auftrag. Auf welche Weise auch immer bekamen sie rasch von der Besetzung Wind und dürften offenbar in gleicher Weise wie die BesetzerInnen - vermutlich als Exekutivbeamte mit klaren Do's & Dont's sogar noch unbefugter - durchs Kellerfenster geklettert sein. Die Verwirrung war perfekt, die Ausflüchte der Beamten originell: "Wir ziehen da jetzt auch ein", war eine der Reaktionen auf den Hinweis, dass nach § 37 SPG eine Hausbesetzung nur mit Räumungsbescheid geräumt werden kann.

Auf Du & Du mit dem LVT - oder: A Kiwara is ka Hawara

"Leider" war die Motivation der zur Verstärkung angeforderten KollegInnen etwas geringer: Bis auf ein oder zwei WEGA-Beamte (herbeigerufene Sektorstreife) zeigte niemand Lust, ebenfalls durchs Kellerfenster zu klettern. Nach über einer halben Stunde - es waren bereits 10 bis 15 Streifenwägen und VW-Busse vor Ort, sogar Polizeihunde wurden angeliefert - zogen die Einheiten wieder ab. Offenbar ging es nicht schneller, um auf dem Amtsweg zur selben Erkenntnis zu kommen, wie von den BesetzerInnen von Anfang an geäußert. Vermutlich wurde in dieser Zeit der für Hausbesetzungen zuständige LVT (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) kontaktiert, die daraufhin die Polizei ablösten. Mehrmals wurde in den folgenden Stunden Zivilbeamte um das Haus vermutet - in der Finsternis und angeblich mit Kapuzenpullis bekleidet auf den ersten Blick kaum erkennbar. So oder so dürfte aber außer Frage stehen, dass das Haus von nun an beobachtet wird.

"Kumts aufa!" - wenn das Funkgerät nicht funkt, muss man schreien. Dem Aufruf zur Besetzung ("wir ziehen da jetzt auch ein") wollten die KollegInnen der beiden eingedrungenen Polizeibeamten nicht Folge leisten. Dennoch blieben sie über eine halbe Stunde lang.



unnötiger Polizeieinsatz: dabei ist das SPG (vgl. § 37 im Wortlaut und erläutert) eindeutig formuliert: ohne Räumungsbescheid keine Räumung!

ein kleiner Rückblick: "Hausprojekt" Triester Straße 114, 2. - 12. Oktober 2009

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Medienberichte 2009 (Auswahl):
- derstandard.at: Hausbesetzung bei der “MA 2412“ (Fotostory)
- diepresse.com: Wien: Hausbesetzung 2.0 in einer alten Schule
- hausprojekt.noblogs.org: Einträge im offiziellen Blog

Linksammlung & Pressespiegel Besetzung 2011
- offizieller Blog: http://ask.noblogs.org
- (29.7.) Indymedia: Triesterstraße 114 besetzt
- (30.7.) nochrichten.net:
Sommer, Sonne, Squatting Action: Triester Straße 114 besetzt!
- (30.7.) Radio Widerhall auf Radio Orange / cba.fro.at: Sendungsmitschnitt: Sommer, Sonne, Squatting

zur Räumung:
- (31.7.) ORF / orf.at: "MA 2412" war von Aktivisten besetzt
- (31.7.) Kronen Zeitung / krone.at: Besetzte "MA 2412" von Wiener Polizei geräumt
- (31.7.) ORF / Wien Heute: "MA 2412" am Rande der Stadt geräumt (02:01) (kurze Erwähnung auch am Ende der Zeit im Bild: Hausbesetzung von der Polizei aufgelöst (0:40)
 
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