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Mittwoch, 8. Februar 2012

Zürcher Polizei bricht Häuserfrieden - Uwaga am 8. Februar 2012 geräumt

letztes Update: 21.2.2012
Zürich, 8. Februar 2012. Das "Uwaga", ein seit 19. Oktober 2011 besetztes Gewerbeareal in der Brandschenkestraße 60-64, zwischen Bahnhof Enge und Bahnhof Sellnau, wird geräumt. Laut AktivistInnen soll dies ein klarer Fall einer "Räumung auf Vorrat" sein - was aufgrund der anhaltenden großen Wohnungsnot und einem eskalierten Häuserkämpf seit 1989 gemäß Verordnung des Stadtrates nicht mehr passieren sollte.

Die Eigentümerin des leerstehenden Gebäudes, die Agruna AG, argumentiert die Notwendigkeit der Räumung mit "Probebohrungen". Andererseits hat das Unternehmen bereits von Anfang an versucht, den BesetzerInnen das Leben im Haus schwer zu machen und das Beispiel der seit Jahren besetzten "Binz" zeigt, dass es für Probebohrungen keines Abrisses Bedarf - zumal der angedachte, noch nicht umsetzungsreife Neubau-Projekt-Plan frühstens in zwei Jahren begonnen werden kann. Ein Räumungsbescheid wird am 23. Januar vom Grünen Polizei-Stadtrat Daniel Leupi unterschrieben, der Räumungstermin für den 8. Februar um 8 Uhr morgens festgelegt.

Für viele BesetzerInnen und AktivistInnen in Zürich ist das ein klarer Bruch der 1989 ausgerufenen Befriedung des Häuserkämpfes. Mit Ausnahme der "Wohlgroth"-Räumung 1993 gab es seither keine größeren Zwischenfälle bei Räumungsaktionen - meist sind die Häuser bereits verlassen, wenn der - in der Regel großzügig zuvor angekündigte - Räumungstermin erreicht wird, da der Eigentümer nur eine Abriss-Genehmigung erhält, wenn ein projektierter Neubau bewilligt ist und Bauarbeiten unmittelbar bevorstehen. Dieses Mal wurde nach Meinung vieler AktivistInnen klar gegen diese seit 23 Jahren bewährte Praxis verstoßen.

"Aus diesem Grund ist es notwendig endlich wieder einmal ein besetztes Haus zu verteidigen, von drinnen und draussen, was leider in Zureich etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint…" heißt es in einem Aufruf zur Verteidigung des Hauses, der am 6. Februar auf Indymedia.ch veröffentlicht wurde. Der Aufruf fand jedoch nur wenig Gehör, was zum einen an den tiefwinterlichen Temperaturen, zum anderen auf mangelnde Kommunikations- und Vernetzungsarbeit in der Anfangsphase der Besetzung zurückzuführen sein dürfte.

Räumung

Wie angekündigt rückte die Polizei gegen 8 Uhr morgens zur Räumung aus. Ein Augenzeuge schildert das, was nun passiert, detailliert auf Indymedia: Rund 30 Personen hatten sich aus Solidarität vor dem Gebäude versammelt und errichteten notdürftig Barrikaden, als 25 PolizistInnen in voller Kampfmontur die Brandschenkestrasse heraufzogen. Diese beginnen umgehend auf Distanz eine Salve Gummischrot auf die Leute abzufeuern. Die Ansammlung zerstreut sich. Mehrere Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch am Dach - auch sie verlassen das Gebäude jedoch unerkannt noch vor dem Eindringen der Polizei. Der Gummischrot-Einsatz wird zunächst mit den "Steineschmeißern vom Dach", auf die ausschließlich gezielt sein worden soll, erklärt. In einer anderen Mitteilung an die Presse werden die Barrikaden als Ursache und Ziel genannt. Widersprüchlichkeiten in der Kommunikation der Polizei mit der "Außenwelt", die sich wie ein roter Faden wohl nicht nur durch diesen Polizeieinsatz ziehen - vgl. auch "Erklärungen", warum der Abriss nicht mit den Richtlinien der Polizei für Räumungen in Konflikt stehen soll im Abschnitt "... polizeiliche Desinformation".

Gummischrot säen ...

Mit nur 30 bis 50 PolizistInnen wurde das Uwaga in zwei Stunden geräumt - während Räumungen vergleichbar großer Besetzungen in Wien etwa 100 bis 250 BeamtInnen eingesetzt werden. Der (scheinbare) Vorteil dieses Vorgehens für die Polizei liegt also auf der Hand. Dass die Reaktionen auf Gummischrot anders ausfallen als auf "sanftes Abdrängen" - man denke nur an den vergangenen September mit vier Krawallen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden wegen ein paar aufgelöster „illegaler“ Partys am Stadtrand - wird ignoriert, geleugnet oder als „zusammenhangslos“ abgestempelt.

Medien und Bevölkerung Zürichs halten Gummischrotgewehre - die der Polizei in den meisten „westlichen Demokratien“, inklusive Deutschland und Österreich, verboten sind - offenbar widerspruchslos für ein angemessenes Kommunikationsmittel im Umgang mit Leuten, die leerstehende Flächen und Gebäude bewohnen und mit öffentlichen Werkstätten, Küchen und Veranstaltungen beleben.

Merkwürdig ist in diesem Fall jedoch, dass das "Erstaunen" jedes Mal groß ist, wenn in Zürich Krawalle ausbrechen. „Woher kommt bloß diese Gewaltbereitschaft bei der Jugend?“ lautet dann jedes Mal die offenbar auch noch ernst gemeinte Frage der JournalistInnen und der Bevölkerung.

Keine Versammlungsfreiheit für GesellschaftskritikerInnen

Versammlungsfreiheit gibt es in Zürich de facto nicht. Jedenfalls nicht für Menschen, die nach Freiräumen verlangen, Abschiebungen (Ausschaffungen) ablehnen oder sonst irgendwie ihre Unzufriedenheit mit den herrschenden Zuständen in Stadt, Kanton und Land äußern wollen. Wird eine Demo spontan, ohne Anmeldung bei (und Genehmigung durch) die Polizei abgehalten, muss man auf eine diskussionslose, gewaltvolle Beseitigung aus dem Stadtbild vorbereitet sein. Das Ergebnis: friedliebende Menschen bleiben lieber zu Hause - zur Demonstration kommt oft nur, wer für „Krieg“ mit der Polizei gerüstet ist oder diesen zumindest in kauf nimmt, was der Polizei im Nachhinein natürlich die Rechtfertigung ihrer Gewaltanwendung erleichtert.

Da sich diese Strategie der Zürcher Polizei selbst erfüllt - je mehr Gewalt, desto mehr Gewalt - wird sie auch nach über 40 Jahren nicht infrage gestellt. Die krawall-lüsternen Medien betonen meist die Gewaltbereitschaft der Jugend und zitieren bereitwillig die berechenbaren Kommentare konservativer und rechter PolitikerInnen, die jede Gelegenheit nutzen, nach mehr PolizistInnen und mehr Befugnissen für die Polizei zu rufen. Schon nach dem zweiten Krawall im September 2011 forderte man von seiten der SVP FDP gar die Besetzung Zürichs durch die Armee, das u.a. dem Gratisblatt „Blick am Abend“ eine große Schlagzeile wert war. Die Frage, wessen Kinder sich aus welchen Gründen in Zürichs Innenstadt der Polizei in die Schusslinie stellen, wird selten gestellt und nie beantwortet. Das Gerücht, dass jugendliche „Chaoten“ und „Randalierer“ von einem anderen Planeten (wenn nicht gar aus Deutschland!) kommen, hält sich jedenfalls hartnäckig.

Räumung nach zwei Stunden beendet

Die Räumung des Uwaga geht indessen zügig voran. Auf dem vereisten Vorplatz des Haupteinganges nehmen PolizistInnen mit Vorschlaghammer Anlauf auf die Türe - und rutschen auf der Eisfläche aus. Sie brechen schließlich die Türe auf und lösen die Alarmanlage des Gebäudes aus - die erst nach etwa eineinhalb Stunden abgeschaltet werden kann. Die vielen Barrikaden an allen Seiten des Gebäudes verlieren angesichts des Eindringens durch den Haupteingang jede Bedeutung. Nur das Vordringen in die obersten Stockwerke verzögert sich dem Anschein nach. Lautes rumpeln und das Donnern des Vorschlaghammers sind noch bis Mittag zu hören.

Nach knapp zwei Stunden „erobert“ die Polizei das Dach. Kurz darauf wird die Räumung für abgeschlossen erklärt. FotografInnen und Kameraleute, die zuvor mit Verweis auf „Steine vom Dach schmeißende“ BesetzerInnen etwas abgedrängt wurden, wurden nun von Pressesprecher der Polizei, Mario Cortesi herbeigerufen, um an einer Besichtigung des Inneren des Gebäudes teilzunehmen - „auf eigene Gefahr“, wie es nun heißt. Man betritt das mit Scherben bedeckte Foyer des Gebäudes, von der steinernen Treppe sind fast nur noch die mit Steinplatten-Resten und Glasscherben bedeckten Betonträger übrig - über diese geht es in die oberen Stockwerke - nicht alle MedienvertreterInnen trauen sich. Beim Anblick der Barrikaden, herumliegender Möbel, Gerümpel und Kleidung, bemalter und bekritzelter Wände, wird über das „Schöner Wohnen“-Verständnis der BesetzerInnen gescherzt. Der Tages-Anzeiger veröffentlicht eine Reihe von Fotos aus dem Inneren des Gebäudes - unter anderem hat jemand einige Setzlinge im Haus zurückgelassen ...

Medien vs. polizeiliche Desinformation

Eine Fernsehjournalistin schüttet Cortesi ihr Herz aus: die HausbesetzerInnen seien unfreundlich und arrogant gewesen, als sie das Haus erreichte und die große Kamera auspackte. „Man kooperiere nicht mit Journalisten“, hat man ihr angeblich gesagt - und ihre Dreharbeiten behindert. Cortesi lächelt ihr zustimmend zu und erklärt schließlich die Polizei-Version der Dinge: Das Haus würde nun „unbewohnbar gemacht“, ein Sicherheitsdienst werde das Haus für „2, 3 Tage“ bewachen und anschließend würden die Abbrucharbeiten beginnen. Ob das Haus denn nun weiterhin leer stehe? „Nein, nein“, antwortet der Sprecher mit Verweis auf das „Merkblatt für Hausbesitzer“ - das wäre ja gar nicht erlaubt - es müsse einer der drei auf dem Merkblatt genannten Punkte vorliegen, damit geräumt werden dürfe. Es würde bald mit dem Bau eines „neuen Projektes“ begonnen werden - welches, wusste er jedoch nicht. Die anwesenden drei, vier JournalistInnen nicken verständnisvoll. Auf meinen Einwand hin, dass das Haus „angeblich“ noch zwei Jahre leer stehen würde, reagiert der Sprecher verneinend: das seien nur Gerüchte, die ich offenbar den HausbesetzerInnen entnommen hätte.

Als danach noch zwei, drei JournalistInnen den Polizisten in Rüstung und mit dem roten Megafon befragen, erzählt dieser voll überzeugter Gewissheit, dass das Haus „noch heute“ abgerissen würde und es für den Abbruch „keine Genehmigung brauche“ - während der Pressesprecher zehn Minuten zuvor noch erklärte, dass gemäß den „drei Punkten“ auf seinem Merkblatt Genehmigungen vorliegen müssten. Totale Verwirrung also, zumal auf Aspekte wie die Probebohrung, die vor einem Neubau wegen des unter dem Gebäude liegenden Bahntunnels durchgeführt werden müssen und das Gebäude voraussichtlich weitere zwei Jahre leer stehen wird bzw. das Grundstück im Falle eines Abrisses noch längere Zeit brach liegen würde, gar nicht erst eingegangen wurde. "Wir führen nur Befehle aus".

Uwaga geht - die Leute bleiben

Rund 30 Personen lebten nach Eigenangaben zuletzt im mehrere tausend Quadratmeter großen Gebäude. Dutzende Matratzen in bewohnt (und überstürzt verlassen wirkenden) Zimmern des weitläufigen Gebäudes bezeugen dies. In der großen Volxküche stehen noch Lebensmittel herum, überall liegt Kleidung, Handy-Ladegeräte und anderer Hausrat. Wer die Leute sind, die in dem Haus seit 19. Oktober gewohnt hatten, wollen sie nicht verraten. Lediglich von einem Occupy-Aktivisten ist zu erfahren, dass auch von ihnen „ein paar“ Leute im Haus gelebt haben - und sie sich diese Delogierung mitten im Winter keinesfalls gefallen lassen möchten.

die VoKü nach der Räumung ...
Insgesamt war es eine bunte Mischung aus Menschen, die in dem Haus lebten, was auch zu diversen Kommunikations- und Organisationsproblemen führte, die in den letzten Monaten manchmal kritisiert wurden. Doch man habe aus diesen Erfahrungen viel gelernt und für 2012 hatte man sich bereits viel vorgenommen, was die vielfältige Nutzung und Bespielung des Hauses betrifft - der nahezu unbegrenzt scheinende Raum wurde bereits von vielen für Werkstätten und Ateliers benutzt (vgl. auch Mediencommuniqué vom 25. Januar), weitere Einrichtungen waren geplant. Wie es nun weitergehen soll ist nicht klar - nur, dass es weitergehend wird.

Anmerkung: ein bis zwei Videos der Räumung sollen demnächst folgen und werden hier ehestmöglich verlinkt

Nachtrag 9.2.
- die Gratiszeitung "Blick am Abend" berichtet am 8.2. (S. 10) auch von folgendem, an keiner anderen Stelle erwähnten, Vorfall: "Nach der Räumung flüchteten die Besetzer laut einem Leserreporter über die Geleise der Sihltalbahn, kamen zurück und demolierten auf dem Hürlimann-Areal einen abgestellten Streifenwagen."
- "Freunde des Uwaga-Kollektivs" fordern "
Solidarität für das Uwaga-Kollektiv" (Indymedia Schweiz)

Nachtrag 10.2.
- In der Nacht auf 9.2. wurde in "Solidarität mit dem Uwaga Kollektiv und allen BesetzerInnen" das Haus von Stadtrat und Polizeidepartement-Vorsteher Daniel Leupi "besucht", es seien "Sprays und brennende Container" hinterlassen worden, denn "ihr Häuserkampf ist Teil von unserem Klassenkampf!", wie es im (angeblichen) Bekenner-Posting auf Indymedia heißt

Donnerstag, 9. Juni 2011

Groteske um noWEF 2011 - die Ruhe vor dem Sturm?

Für Kenner der linken Szene - zu denen, am Verfolgungswahn gemessen, eigentlich auch der Verfassungsschutz und die Polizei zählen sollte - war von Anfang an (relativ) klar: 1.000 oder gar 1.500 DemonstrantInnen werden das bei den noWEF-Protesten sicherlich nicht. Möglicherweise lag diese Fehleinschätzung bei den Anmeldern der Demo (ein kommunistisches Bündnis?) selbst, als man die Zahl der TeilnehmerInnen in selbstbewusster Selbstüberschätzung mit 1.000 angab. Möglicherweise wollte die Polizei auch nur "auf Nummer sicher" gehen und rechnete großzügig hunderte DemonstrantInnen aus dem Ausland (wie zuletzt bei Bologna Burns 2010 der Fall) dazu. Möglicherweise aber gelang die wochenlange Einschüchterungskampagne der Behörden via Medien besser, als von allen Seiten vermutet. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus all diesen Faktoren, in Kombination mit schlechter Vernetzung und Mobilisierung im Vorfeld der Demo. Dem Vernehmen nach soll das Interesse an derartigen Treffen nahezu bei Null gelegen sein. Insofern ist dem kommunistischen Bündnis, das hunderte ihrer Anhänger mobilisieren konnte, auch überhaupt nichts vorzuwerfen. Offenbar haben sie als einzige den WEF-Gipfel überhaupt ernst genommen.

Medienspektakel

Die Medien, die in ihrer beschämenden Ahnungslosigkeit der Wiener Szene wie immer den Darstellungen der Polizei nachplapperten, stürzten sich in erwartungsvoller Vorfreude auf die angekündigten Proteste und malten sich, mithilfe unmissverständlicher Andeutungen seitens der Polizei, Straßenschlachten zwischen "linken Chaoten" und hochgerüsteten PolizistInnen mit Wasserwerfern und Hubschraubereinsatz in der Wiener Innenstadt aus. "Immerhin" gab es vor 9 (!!!) Jahren in Salzburg (!) ja eh auch Zwischenfälle bei den Protesten gegen das dortige WEF-Treffen. Diese "Zwischenfälle" waren zwar äußerst einseitig und wären eher als Ausschreitungen der Polizei gegenüber DemonstrantInnen zu bezeichnen, aber das spielt natürlich keine Rolle, weil sich ja die DemonstrantInnen ja eh immer als unschuldig bezeichnen und die Polizei sicher ihre Gründe gehabt haben wird. Immerhin: die sind die Polizei, warum sollten die lügen? Und außerdem: In Davos, Big Town City und in Far Far Away gibts ja auch immer heftige "Krawalle" - womit sich jegliche Recherche für die Wiener JournalistInnen zum Glück vollkommen erübrigt: es ist ja eh alles klar!

Also wiederholten die Äffchen in den Wiener Redaktionen brav, was ihnen die Polizei vorplapperte: Gewaltbereite linke Chaoten aus dem Ausland, Urlaubssperre für die Wiener Polizei, Schengen wird aus Sicherheitsgründen außer Kraft gesetzt, der Luftraum wird gesperrt, Sperrzonen und Platzverbote um die Hofburg, Festnahmestraße mit "Schnellrichtern", eine ganze Etage im PAZ Rossauer Lände für 80 Personen frei gemacht, fliegende Spaghettimonster drohen mit Angriffen ...

"Ausnahmezustand in der City: Scharfschützen und Wasserwerfer" warnte die Kronen Zeitung am Tag der Auftaktdemo, "Stau und Krawalle" lieferte Österreich als Appetizer auf ihrer Titelseite, und auch Der Standard stimmte, wie alle anderen Zeitungen, wenn auch um eigene Angaben ergänzt und etwas weniger schreierisch, in den "Sicherheitsvorkehrungs"-Kanon der Polizei und der APA ein.

Volkstheater

Zur Demo selbst kamen schließlich vor allem kommunistische Gruppen. Rote Fahnen schwenkend bestimmten sie das Erscheinungsbild der Demo, obwohl die Hälfte der TeilnehmerInnen durchaus anderen Teilen der Linken zuzuordnen gewesen wäre. Doch "Mitläufer" ohne Transparente oder Schilder fallen eben weniger auf. Der "revolutionäre Block" war ebenso mit Kommunisten gefüllt wie der Block der Maoisten, die mit ihrem großen Mao-Transparent nicht zu übersehen waren und mit Sprechchören wie "Alle Macht im Staat, dem Proletariat" und "Hammer, Sichel und Gewehr ..." wohl nicht ganz unschuldig daran waren, dass am Westbahnhof kaum noch 300 DemonstrantInnen übrig waren und am Weg zum Volkstheater bis auf 150 auch der Rest verschwand. Auf Indymedia wurden mehrere Beiträge gepostet, die sich über die "aus einer feministischen, antikapitalistisch/emanzipatorischen Sicht jenseitigen Gruppen" empörten und neben der "Präsenz von K-Gruppen, AntiImps und KPÖ" nur "dazwischen ein paar Undogmatische und Autonome" finden konnten. "Nicht dabei sind die angekündigten ausländischen Gewalttäter_innen, wurden wahrscheinlich alle bei den Passkontollen an der Grenze erwischt." (Der Standard widerspricht: "Bis Dienstag wurden jedenfalls keine Personen, die als Gefahr für den WEF-Gipfel eingestuft werden könnten, bei den Grenzkontrollen entdeckt" 8.6., S. 5)

Tatsächlich dürften viele potentielle DemonstrantInnen durch das gerüchteweise 4.500 PolizistInnen umfassende Polizeiaufgebot (davon vermutlich maximal die Hälfte tatsächlich in Wien) samt Wasserwerfern und Schnellrichterstraße sowie bisherige Erfahrungen mit der Polizei an Demonstrationen in Wien abgeschreckt worden sein. Warum sollten sich Randalierer und Krawallmacher durch die Polizei abschrecken lassen, mögen nun manche fragen: Ganz einfach: es gibt fast keine "linken Chaoten" in Wien. Die Masse der TeilnehmerInnen an antifaschistischen, antirassistischen oder antikapitalistischen Demonstrationen ist pazifistisch veranlagt - entgegen der weit verbreiteten Darstellungen der Polizei und der Medien. Die Folge derartiger Panikmache ist tatsächlich eine "demokratiepolitische Katastrophe", wie ein Aktivist gegenüber der APA sagte. Denn die Abschreckung funktioniert: "ich will ned schon wieder eine Anzeige" hört man immer wieder von politisch an sich interessierten und kritischen Menschen, die wahlweise bei der Demonstrationen gegen WKR-Ball 2010 (über 670 Anzeigen!), noWKR 2011 (etwa 150 Anzeigen), diversen Demonstrationen gegen Abschiebungen (immer wieder dutzende Anzeigen) oder zuletzt nach dem Freispruch der Tierschützer in Wiener Neustadt, als in Wien etwa 35 DemonstrantInnen (aus einer Demo mit etwa 150 TeilnehmerInnen) von der Polizei überrascht wurden.

Einschüchterung mit System

Es zeugt zwar nicht gerade von politischem Rückgrat, sich der durchschaubaren Einschüchterung der Polizei widerstandslos unterzuordnen, andererseits sind wir alle in das selbe System gezwängt, in dem eine Verwaltungsstrafe über 70, 100 oder gar 350 Euro durchaus dazu führen können, sich lieber noch mal genau zu überlegen, warum man eigentlich uneigennützig für gemeinsame Interessen auf die Straße gehen sollte. Dass es in Wien keine gut organisierte Freiraum-Szene gibt (autonome und/oder besetzte Häuser), sondern lediglich ein paar Plätze, an denen die meisten AktivistInnen entweder zu sehr mit dem reinen Überleben der Initiative beschäftigt sind, oder einfach mit dem Kochen eines eigenen Süppchens zufrieden sind, tut sein übriges.

Und wenn sich die Polizei es bei monate- oder wochenlang vorbereiteten Demonstrationen bis unmittelbar (!) vor Demo-Beginn die Option offen lässt, die Demo zu verbieten, ist jenes Grundvertrauen in die demokratische Funktionsweise verloren, das es benötigt, mit gutem Gewissen und ohne Angst vor Polizeirepression eine Demo zu besuchen. Wenn man bei (in einem rechts dominierten Staat) "brisanten" Themen wie Anti-Kapitalismus oder Anti-Rassismus immer damit rechnen muss, dass die Polizei eine derartige Demo wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" untersagt, ist vielen der praktische Ausdruck von Kritik am herrschenden System schlicht "zu heiß". Und das in Wien, demokratische Republik Österreich, 2011.

die Ruhe vor dem Sturm?

Und so herrscht in Wien derzeit eine Ruhe, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Dass es auch in Wien nicht immer ruhig bleiben muss, hat der Ausnahmezustand rund um die Ernennung der Schwarz-Blauen Koalition ebenso gezeigt, wie der "heiße Herbst" 2009 mit mehreren großen Studierendendemonstrationen und reihenweise Hörsaalbesetzungen. Dabei ist viel Energie verbrannt worden, ganz im Sinne der "Aussitzen"-Strategie der "Aussitz"-erprobten "Groß"-Parteien. Den ÖsterreicherInnen geht es derzeit - gerade im internationalen Vergleich - offenbar tatsächlich noch "zu" gut. Dennoch funktioniert auch Österreich nach der kapitalistischen Logik, der Neoliberalismus hat viele sozialistische und sozialpartnerschaftliche Errungenschaften weggenommen oder beschädigt. Die Menschen äußern ihre Frustration, indem sie FPÖ wählen, wenngleich ihnen vielfach selbst bewusst ist, dass dadurch nichts besser wird. Sie tun es dennoch, denn es ist die österreichische Weise, Protest auszudrücken.

Aber es wird nicht immer so ruhig bleiben, und angesichts der rasanten Entwicklungen in und um die EU, in der ein ums Überleben kämpfender Kapitalismus den Menschen seine hässliche Seite zeigt und sie dadurch massenhaft auf die Straßen treibt, fragt sich, ob es nicht die Ruhe vor dem Sturm ist.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Gratiszeitung "Heute" als Diener des Neoliberalismus

Gratis- und Boulevardzeitungen wie - in Österreich - "Krone", "Heute" oder "Österreich" - nehmen gerne für sich in Anspruch, nahe am "Volkswillen" zu sitzen und unverblümt das zu schreiben, was sich angeblich "eh alle denken", aber in den "sogenannten" Qualitätsmedien aus welchen Gründen auch immer ("Großkopfertheit", "Abhängigkeit" von Politik, Wirtschaft oder irgendwelchen Ideologien etc.) unter den Tisch fällt. Mal abgesehen davon, dass die Boulevardblätter vor allem durch Inserate der Regierung und regierungsabhängiger bzw. -naher Unternehmen und Institutionen finanziert werden und viele sogenannte "Artikel" ungekennzeichnete bezahlte Einschaltungen von Großunternehmen sind, hinkt diese Selbstdarstellung des Boulevards (die von den orientierungslosen Regierungsparteien sogar widerspruchslos angenommen wird) der Realität besonders in der aktuellen Wirtschaftskrise deutlich nach.

"Heute" bejubelt totale Privatisierung griechischer Infrastruktur

"Schlussverkauf bei den Pleite-Griechen" lautet heute, 25.5.2011, die Jubelmeldung der Wiener Gratiszeitung "Heute" auf Seite 4. Das Blatt, das über ein treuhändisches Konstrukt verschleiert mehrheitlich im Eigentum der SPÖ, der Kronen Zeitung und einer österreichischen Bank steht, feiert die kürzlich angekündigte Privatisierungswelle in Griechenland: "Jetzt verscherbeln sie sogar das Meer" lautet der Untertitel zur Überschrift, und das ist gar nicht vorwurfsvoll, sondern spottend und zustimmend gemeint: "Jahrzehntelang wurschtelten die Griechen auf EU-Kosten vor sich hin." lautet sogleich die Rechtfertigung, die "Heute" diesem Vorgang beimisst. "Um das Defizit zu senken und damit weitere EU-Hilfe zu bekommen, sollen selbst Teile des Meeres verkauft werden - samt darunter liegendre Gasvorkommen."

Bevor näher auf den Wert dieser Meldung eingegangen wird, muss man wissen, dass der Großteil des griechischen Staatsdefizites nicht aus dem "laufenden Geschäft" stammt (also staatliche Einnahmen minus staatliche Ausgaben), sondern aus Zinszahlungen, die das Land für seine - in der Tat - hohen Staatsschulden leisten muss. Der Zinssatz dafür ist in den letzten drei Jahren von ein paar wenigen Prozent auf bis zu 15 bis 20 % geklettert. Der Grund dafür? Abstufungen der Kreditwürdigkeit durch Rating-Agenturen, die einen Teufelskreis auslösen: Der Staat benötigt jährlich mehr Geld, bloß um die Zinsen zu begleichen. Da die Zinsen stark gestiegen sind, muss das Land Kredite aufnehmen, um die Zinsen zu bezahlen. Da dies schwierig ist, steigen die Zinsen weiter. Die Folge: Das Land benötigt noch mehr Kredite, um die noch höheren Zinsen zu zahlen. Würde Österreich, das mit derzeit etwa 70 % Staatsverschuldung (inkl. ÖBB, ÖIAG und ASFINAG sogar über 80 %) auch nicht besonders weit von den "Pleite-Staaten" Griechenland, Irland, Island und Portugal entfernt liegt, ein ähnliches Schicksal (Abstufung durch Rating-Agenturen, etwa mit Verweis auf das "hohe Osteuropa-Risiko" und das geringe Eigenkapital der österreichischen Banken) erleiden und die Zinsen von 3 bis 4 % auf zB. 12 bis 15 % klettern, hätte das eine vervier- oder verfünffachung der jährlichen Zinszahlungen zu Folge. Das bedeutet, dass Österreich statt derzeit rund 8 Milliarden Euro, die jährlich als Zinsen an verschiedene Banken und andere Geldgeber bezahlt werden (ohne, dass dadurch die zugrunde liegende Schuldlast von etwa 170 Mrd. € sinken würde) plötzlich 32 bis 40 Mrd. Euro an Zinsen bezahlen müsste. Wo soll das Geld herkommen? Entweder durch Kredite von Banken (natürlich unter horrenden Zinssätzen wegen des hohen Ausfallsrisikos), von Staaten oder durch Einsparungen bei den Staatsausgaben, obwohl diese ja gar nicht der Grund für das - plötzlich - hohe Defizit von - in diesem hypothetischen Fall - 15 bis 20 % sind.

"Pleite-Ösis" statt "Pleite-Griechen"?

Was könnte oder sollte Österreich in diesem Fall tun? Wenn es nach den österreichischen Boulevardzeitungen geht, hat Österreich in diesem Fall "jahrzehntelang über seine Verhältnisse" gelebt. Als Beleg dafür könnte man auf das im internationalen Vergleich sehr niedrige durchschnittliche Pensionsalter verweisen, das mehr als 10 Jahre unter dem offiziellen Pensionsantrittsalter von 65-67 Jahren liegt. Weiters könnte man auf die Privilegien der Beamten (Zulagen!), ineffizientes Bildungs- und Gesundheitssystem (weltweit eines der teuersten, aber im internationalen Vergleich nur mittelmäßig), unnötige sündteure Anschaffungen aufgrund dubioser Abmachungen und tolerierter Korruption (Koralmtunnel, Eurofighter-Ankauf, Justiz-Tower etc.) usw. usw.

Würden "Heute", "Österreich" und "Krone" tatsächlich so über Österreich herfallen? Wohl kaum! Eher würden diese Boulevardblätter über die ungerechte Behandlung des Auslands (Stichwort: "böse EU", "böse Banken" usw.) herziehen, denn ausländische Boulevardblätter ("Bild", "Sun", "Blick") etc. würden keine Sekunde zögern, uns als "Pleite-Ösis" oder "Alpen-Griechen" darzustellen.

Nationalismus und patriotisches Halbstarkentum statt "Stimme des Volkes"

Aber da es ja nicht um Österreich, sondern Griechenland geht, überwiegt doch eher die Freude, auf jemand angeblich schwächeren einprügeln zu können, um sich selbst dadurch besser fühlen und in vermeintlicher Sicherheit wiegen zu können. So simpel ist die Logik des Boulevards. Das ist zwar kein Geheimnis und sicherlich keine neue Erkenntnis, aber genau so wie uns der Boulevard jeden Tag neue, aber doch immergleiche "Skandale", "Katastrophen" und "Bürgerkriege" (so der Boulevard über die Ausschreitungen beim Wiener Derby!) auftischt und von uns Empörung einfordert, muss auch dieser simple Sachverhalt ab und zu in aller Klarheit wiederholt werden.

Also da sitzen sie nun, die österreichischen Redakteure des Boulevards, in diesem Fall Wolfgang Bartosch, der offenbar in Euphorie verfällt, wenn er schreibt: "Runter mit dem Defizit, alles muss raus! Nach anfänglichem Zögern startet Griechenlands Regierung endlich die umfangreiche Privatisierungswelle. Weg müssen Anteile am auf 1,2 Milliarden geschätzten Telekomkonzern OTE. Ebenfalls verklopft werden Aktien des Wasserversorgers Athens Water (Marktwert 555 Millionen). Bis zu 535 Millionen könnte das Hafenpaket (Piräus, Thessaloniki), vier Milliarden das Wettunternehmen OPAP, bis zu 2,4 Milliarden der Energieversorger DEI bringen. Zudem veräußert Athen Erdgasvorkommen unter dem Meer vor Kavala, Autobahn-Mautrechte, Flughägen, den Gasversorger DEPA, ein Lastwagen- und ein Alu-Werk, Mobilfunkfrequenzen, ein Kasino, die Waffenindustrie sowie die Bahn."

Österreichische Wasser- und Energieversorgung als gewinnorientierte Privatunternehmen. Ja bitte?

Man stelle sich vor, Österreich müsste unter internationalem Druck die Wiener Wasserwerke privatisieren, die OMV (vollständig) verkaufen, Casinos Austria "verscherbeln", die Österreichischen Lotterien ans Ausland abtreten, die ASFINAG (samt Mauteinhebungs-Rechte) privatisieren, sowie sämtliche Donau-Häfen ... was würde "Krone", "Heute" und "Österreich" dazu sagen? Wir wissen es bereits, man betrachte bloß die Berichterstattung der letzten zehn Jahre (was zumindest bei der "Krone" möglich ist). "Unser Wasser" ans Ausland zu verkaufen wird praktisch als Todsünde betrachtet, "unsere" VOEST zu privatisieren war ebenfalls ein "Skandal sondergleichen", das "verscherbeln" von Energieversorgern wie "Energie AG" oder "Verbund" - undenkbar! Aber bei Griechenland? Keine Spur von Solidarität: Im Boulevard zählt nicht der Mensch und die Solidarität der Menschen untereinander, es zählt die Nation! Sollen doch die anderen Nationen untergehen, alles verkaufen, an ihrem Elend sprichwörtlich verrecken: wir stehen daneben und jubeln, und wehe, eine von uns käme auf die Idee, den Griechen zu helfen: bloß keinen Cent überweisen, ist sich der Boulevard mit der FPÖ einig. Aber - (der nicht existierende und daher bloß sprichwörtliche) Gott behüte - Österreich würde aus natürlich völlig undenkbaren Umständen in eine ähnliche Situation geraten und die internationale Presse aus bereits erläuterten Gründen nur Spott und Hohn für die "über den Verhältnissen lebenden Ösis" bereit haben, wie groß wäre wohl der Katzenjammer von genau den selben Herren (eher seltener: Damen) in den Leitartikeln der Boulevardmedien. Herr Bartosch, das traue ich mich wetten, würde als erster lautstark die große "Ungerechtigkeit" der internationalen Presse und des "Auslands" beklagen.

wir brauchen mehr Emotionen: wie wärs mit Spott, Hohn und Schadenfreude?

Aber soweit denkt im Boulevard niemand. Wozu denn auch? Es zählt die knackige Schlagzeile, "die Emotionen", oder genauer gesagt: die Schadenfreude!

Dass vielleicht irgendetwas falsch ist, an all den Vorgängen rund um Griechenland derzeit, auf diese Idee käme kein Dichand, kein Fellner und kein Ainetter. Und das, obwohl ironischer Weise direkt neben dem Artikel über die "Pleite-Griechen" zwei kurze Artikel Österreichs Lehrer beiläufig als "Privilegienkaiser" darstellen und Österreich als "zu korrupt" betiteln. Würde der Boulevard also eventuell doch eine totale Privatisierung der gesamten staatlichen Infrastruktur von Trinkwasser, Energie über Schiene, Autobahn und Rohstoffe verlangen?

Dauererpressungszustand: die Lüge des drohenden Bankencrashs

Kommen wir mal kurz zur Quintessenz des Ganzen, warum man eigentlich sofort aufschreien müsste (gerade der Boulevard!), dass dieses Total-Privatisierungsprogramm eigentlich keine Maßnahme zur Schuldentilgung ist, sondern ein Überfall unter vorgehaltener Schulden-Waffe ist. Die "totale Privatisierung" der griechischen Infrastruktur bringt insgesamt vielleicht 20, vielleicht 30 Milliarden ein. Was passiert damit? Werden damit die mehreren hundert Milliarden Staatsschulden reduziert? Wohl kaum. Selbst wenn, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Geld wird eher für die laufende Zinsleistung benötigt, die sich ja, wie bereits erwähnt, vervielfacht hat. Sogar die Qualitätszeitung "Der Standard" macht bei diesem Spiel mit. An und für sich erfahrene Wirtschaftsredakteure wie András Szigetvari kommen nicht auf die Idee, im Interview mit dem Direktor der Europäischen Zentralbank, Lorenzo Bini Smaghi, dieses pseudointelligente "Lösungs"-Prinzip zu hinterfragen: das staatliche "Eigenkapital" inklusive Reduzierung des "Umsatzes" und "Gewinnes" reduzieren, um EIN EINZIGES MAL einen KLEINEN TEIL der JÄHRLICHEN Zinsen zu bezahlen? Keine Bank der Welt, kein Unternehmer, ja nicht mal die Tochter einer Schottergrubendynastie würde als Finanzverantwortlicher so einem Vorgehen zustimmen. Wie soll das "Unternehmen Staat" denn weitergeführt werden, wenn die Kapitalbasis veräußert wurde und gleichzeitig ein "Maßnahmenbündel zur umfassenden und dauerhaften Einnahmensbeschneidung" umgesetzt wird? (die Begleitmaßnahmen sind ja bekanntlich Einsparungen bei Gehältern der Staatsbediensteten und im Sozialbereich, wodurch die Kaufkraft, der Konsum und ergo die Produktion und damit sämtliche Steuereinnahmen drastisch zurückgehen). Jeder auch nur über einen Funken Verstand besitzende Unternehmer würde bei derartigen Forderungen der Gläubiger sofort den Konkurs anmelden. Die Gläubiger müssen sich gefälligst mit einer Quote begnügen, auch die Finanzwirtschaft ist kein Selbstbedienungsladen der Banken. Warum spielen alle Staaten da mit? Entweder glauben sie die Lüge, dass der Ausfall willkürlich erfundener Fantasie-Forderungen die Banken ruinieren würde (die Fantasie-Summen würden abgeschrieben werden und die Bilanzsummen der Banken wären wieder auf dem Niveau vor dem Griechenland-Jackpot), was wiederum ein totales Versagen der gesamten europäischen Politik inklusive ihrer Berater bedeuten würden, deren Volkswirtschaftskenntnisse ausnahmslos (!) offenbar nichteinmal HAK-Matura-Niveau erreichen. Das wäre so dumm, dass es selbst bei größtem Pessimismus nicht vorstellbar wäre.

Wahrscheinlicher ist, dass alle entscheidenden Personen massivst von Lobbyisten und Medien bearbeitet werden, quasi windelweich geprügelt werden, dass sie aus Angst, in der Weltfinanzkrise ihre eigenen Staaten zu ruinieren, auch den dämlichsten und fantasievollsten Forderungen der Banken - die währenddessen ungeniert und eigentlich entlarvend Rekordgewinne verbuchen - zustimmen. Das wiederum würde bedeuten, dass die Politiker schlicht zu wenig Rückgrat und Mut besitzen (aber aufgrund der öffentlichen Meinung, die durch Massenboulevardblätter wie "Heute" konstruiert wird) und - wiedermal: ironischerweise - die Aussage des Bankers Andreas Treichl bestätigen, der den Politikern eben genau diesen fehlenden Mut bescheinigt. Ironisch deshalb, da er selbst aufgrund dieses fehlenden Mutes Rekordgewinne verbuchen darf und sich selbst und seinen obersten Managern und Aufsichtsräten die Gehälter und Boni-Zahlungen deutlich erhöht.

ich verkaufe mein Haus um die Zinsen zu bezahlen ... und dann wollen sie auch noch mein Auto, mit dem ich zur Arbeit fahre ... hä? It's the economy, stupid!

Zurück zum eigentlichen Sachverhalt: Die staatliche Infrastruktur wird also an Investoren verkauft, um die vom Finanzmarkt hochgetriebenen Zinsen an die Banken zu zahlen. Oder noch kürzer gesagt: das ganze Geld geht direkt als Gewinn in die Bilanzen der Banken, womöglich sogar noch unbesteuert. Solange die Banken und Investoren die Zinsen auf diesem hohen Niveau (10 bis 20 % oder sogar darüber) halten, können sie praktisch ALLES einfordern was sie wollen. Und der "Witz" an dem ganzen ist: selbst wenn sie alles kriegen, wird sich an der Höhe ihrer Forderungen nichts ändern. Erst wenn alles privatisiert ist, was privatisiert werden kann, werden sie vielleicht - aber nur vielleicht - Ruhe geben. Oder Griechenland meldet dann doch noch Konkurs an (immerhin entgehen dem Land durch die Privatisierung aller staatlichen Unternehmen ja auch deren Umsätze und Gewinne, während die Ausgaben kaum sinken - das Budgetdefizit wird durch die Privatisierungen also noch größer! Und nach einigen Jahren wird es doch wieder der Staat sein, der die bis dahin verfallenen Anlagen (wie man aus den USA und Großbritannien weiß, haben Privatunternehmen wenig Interesse daran, in die Instandhaltung von Strom- und Wasserleitungen oder Schienennetze zu investieren, das würde ja die Gewinne abschöpfen ...) zu reparieren hat (die Unternehmen werden nach zehn oder zwanzig Jahren wieder verstaatlicht, um die staatliche Grundversorgung zu gewährleisten: sprich: nachdem die Unternehmen 20 Jahre lang fette Gewinne abgeschöpft haben (da sie ja nicht in die Instandhaltung investieren), werden sie enteignet und der Staat hat 20 Jahre Investitionen nachzuholen. Fragt sich nur mit welchem Geld dann? Aber dann kann man ja das Spiel nochmals von vorne beginnen ...).

Und wieder mal die SPÖ: an vorderster Front dabei, die neoliberale Verblendung des Volkes zu gewährleisten

"Heute" bejubelt also, dass Griechenland seine Infrastruktur an die Banken verschenkt (nichts anderes ist es, wenn der Finanzmarkt zuerst die Zinsen auf ein unbezahlbares Niveau hochtreibt und im Gegenzug dafür alles kassiert, was der zahlungsunfähige Schuldner besitzt). Und die SPÖ finanziert mit ihren Inseraten die Existenz dieses Blattes. Das soll hier mal in aller Deutlichkeit festgehalten werden. Merken wir uns das einfach, falls wieder einmal behauptet wird, der Boulevard spreche doch nur das aus, was sich eine angebliche Mehrheit der Bevölkerung im Land "wünscht". In Wahrheit ist der Boulevard ein nationalistisches Machwerk, das bestenfalls als Totengräber von Aufklärung, sozialen Errungenschaften und Demokratie dienen kann. Dass so etwas durch Millionen-Inserate vor allem der SPÖ am Leben gehalten wird, obwohl es vor allem der FPÖ nützt, sagt auch einiges über den Zustand und Positionierung der SPÖ aus.

Immer nur nörgeln? Nein: So wäre es richtig:

Achja, und bevor ichs vergess: ich will ja natürlich nicht nur alles kritisieren und mir dann vorwerfen lassen, ich wüsste nicht, wie es besser ginge. Freilich weiß ich das ;)

"Heute" und alle anderen Boulevardblätter sollten Farbe bekennen, dass sie auf der Seite der Völker (bzw. Bevölkerung/Menschheit; lassen wir mal die in diesem Fall nebensächliche Begriffsdefinitionsdiskussion beiseite) sind und nicht auf der Seite der Finanzwirtschaft, die uns Enteignung von Volkseigentum als Lösung von Problemen, die durch eine schrankenlose Finanzwirtschaft herbeigeführt wurden, verkaufen und und uns somit verblenden wollen. Die Einschränkung der Finanzwirtschaft und Zurückgewinnung (bzw. erstmalige Erlangung) der vollen Souveränität der Völker (Bevölkerung) über ihre Schicksale, denen die Wirtschaft als Diener untergeordnet ist - und nicht umgekehrt! - sollte die Botschaft sein, die ein Boulevardblatt, das seiner selbsternannten Rolle als Sprachrohr des Volkes gerecht werden will, verbreiten sollte.

Dass dies nicht so ist zeigt nur, wie es um die tatsächliche Rolle der Boulevardmedien bestellt ist: sie sind nichts anderes, als ein verlängerter Arm der (Finanz-)Wirtschaftsinteressen und Verblender des Volkes im Interesse des Gewinnstrebens von Großkapitalisten. Dass sie sich dabei als Stimme des Volkes ausgeben ist Teil des Konzepts, um möglichst viele Menschen erreichen zu können.

Samstag, 15. Januar 2011

Medienfreiheit für Ungarn - kein Blick zurück - Demonstrationen vom 14. Jänner

Foto: Daniel Weber (CC by-nc-sa 2.0)
Am 1. Jänner 2011 trat Ungarn für ein halbes Jahr den EU-Rats-Vorsitz an. Am selben Tag trat ein neues Mediengesetz in Kraft, das zum einen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einer zentralen Lenkung unterwerfen soll, zum anderen das Redaktionsgeheimnis aller Medien aufhebt und Verstöße gegen sehr weit gefasste Vorgaben wie "politische Unausgewogenheit" oder Gefährdung der "nationalen Sicherheit" mit sehr hohen Geldstrafen (bis zu 200.000 Forint bzw. je nach Wechselkurs ~730.000 €, bei Online-Medien und Blogs bis zu 35.000 €) bedroht. Festgestellt werden solche Verstöße durch eine im August 2010 ins Leben gerufene nationale Medienbehörde (kurz: NMHH, siehe auch Wikipedia-Artikel), die zunächst nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zuständig war. Das Problem dabei, sofern die bisherigen Punkte nicht ohnehin schon Problem genug sind: Das Präsidium, das diese Behörde leitet, wurde ausschließlich durch die Regierungspartei Fidesz von Viktor Orbán ernannt. Die Präsidentin der Behörde, Annamária Szalai, wurde sogar auf 9 Jahre ernannt. Also über die nächsten zwei Wahlen hinaus.

Da das Mediengesetz per 2/3-Mehrheit, über welche die Fidesz seit den Wahlen letzten Jahres verfügt, in der Verfassung verankert wurde, kann an all den genannten Punkten auch nur mit 2/3-Mehrheit wieder etwas geändert werden. Dass dies so schnell bei einer anderen Partei als der Fidesz der Fall sein wird, ist unwahrscheinlich. Und auch die Fidesz selbst kann sich bei den nächsten Wahlen schon mit einer einfachen Mehrheit oder gar einer Koalition zufrieden geben: Die Kontrolle über die Medien wird sie dank parteitreuer Besetzung der Behörde selbst dann noch bis 2020 besitzen.

Großer Tatendrang der Behörde schon am ersten Tag

Dass die Behörde von ihren weit gefassten Rechten Gebrauch macht, zeigte sich bereits am 1. Jänner. Offenbar lange vorbereitet wurde an diesem Tag ein Verfahren gegen Tilós Radio, ein kleiner, ehemaliger Piratensender, "der in alternativen Kreisen Kultstatus genießt", eingeleitet. Vorgeblich deswegen, weil der Song des US-Rappers Ice-T gespielt wurde und dieser einen "jugendgefährdenden" Text enthält. Wenig später wurde ein Verfahren gegen RTL-Club, die ungarische Tochter des RTL-Konzerns, eingeleitet. Beide Fälle stammen aus dem Vorjahr, das Gesetz soll offensichtlich auch rückwirkend Gültigkeit haben. Und ein Journalist beim öffentlich-rechtlichen Radio wurde entlassen, nachdem er in seiner Sendung eine Schweigeminute wegen des Mediengesetzes abgehalten hat.

Völlig zurecht wird daher eine "Vorzensur" bei den betroffenen Medien selbst befürchtet. Um Strafen, die bei keinem Gericht oder einer anderen Stelle als der Medienbehörde selbst beeinsprucht werden können, zu vermeiden, werden sich viele Medien und JournalistInnen lieber selbst an der Nase nehmen.

Nachdem binnen weniger Tage heftige Kritik aus ganz Europa eintraf und EU-Kommissionspräsident Barroso bei einem Besuch in Budapest mahnende Worte ausgesprochen hat, ruderte Orban zuminest verbal zurück. Er kündigte an, Änderungen am Gesetz vorzunehmen, wenn die EU dies für nötig erachte. Nachsatz: Er gehe nicht davon aus, dass dies so sein wird. Das Problem dabei: Bevor die EU das Gesetz prüfen kann, muss es übersetzt werden. Die NMHH hat zwar ebenfalls eine englische Übersetzung auf ihre Webseite gestellt - diese ist jedoch unvollständig. So bleiben bisher nichts als Worte, denen noch keine Taten gefolgt sind. Einzig: Das Verfahren gegen Tilós Radio soll mittlerweile eingestellt worden sein.

Einheitliche Kommunikationslinie Ungarns

Seit mehreren Tagen herrscht nun Ruhe. Zumindest tauchen keine neuen Fälle mehr auf. Die ungarische Regierung hat diese Zeit offensichtlich dazu genutzt, eine einheitliche Kommunikationslinie einzuführen. So war in den letzten Tagen von Orbán, seinem Außenminister oder - wie heute in Wien - von ungarischen Botschaftern und Orbán-Anhängern nur folgendes zu hören:

1.) Ungarn sei Opfer einer Hetze von - wahlweise - Sozialisten/Kommunisten/Paul Lendvai/EU/hysterische Intellektuellen

2.) Jene Kritiker, die nicht in das in Punkt 1 ohnehin sehr breit gefasste Spektrum hineinpassen, haben das Gesetz schlicht nicht vollständig gelesen (was derzeit auch gar nicht möglich ist). Es enthalte nämlich gar keine bedenklichen Passagen, jedenfalls hätten Kritiker bisher nichts konkretes nennen können

Protest-Vernetzung und -Mobilisierung auf Facebook

Jedenfalls möchte sich Orban endlich als EU-Rats-Vorsitzender feiern lassen und die "ärgerliche" Debatte abdrehen. Dass dies nicht gelingt, ist nicht zuletzt einer aufmerksamen internationalen Presse zu verdanken, die wiederum vielfach erst durch Proteste in Ungarn selbst auf die Brisanz der Gesetze aufmerksam gemacht wurde. So wurde bereits im Dezember die ungarische Facebook-Seite Egymillióan a magyar sajtószabadságért ("Eine Million für die ungarische Pressefreiheit") gegründet, die für den 22. Dezember zur ersten Demo rief, die von 1.500 vorwiegend jungen Leuten besucht wurde. Von den selben Leuten wurde auch eine internationale Version der Seite gegründet [und zwischen 17. und 18. Jänner gelöscht, Anmk.], um die Facebook-Weltöffentlichkeit auf die bedenklichen Neuerungen aufmerksam zu machen.

Als am 1. Jänner das neue Mediengesetz inkraft trat und sofort aus fadenscheinigen Gründen ein Verfahren gegen das kleine Tilós Radio eröffnet wurde, startete ich eine deutschsprachige Protestseite: Medien- und Meinungsfreiheit für Ungarn - da sich durch die sofortige Anwendung des Gesetzes eine bedenkliche - und schnelle - Entwicklung abzeichnete, die rasche Reaktionen erfordert. Da mittlerweile in einigen europäischen Ländern bedenklich hohe Verflechtungen von Regierungschefs und Medienkonzernen bestehen - Berlusconi ist nur der Gipfel dieses Zustands - war nicht unbedingt von einem ent- und geschlossenen Vorgehen der EU zu rechnen. Jedenfalls sollte die kritische Öffentlichkeit - nennen wir sie mal Zivilgesellschaft - vorbereitet sein, wenn sie "gebraucht" wird.

Also begann ich - oder besser gesagt "wir" (ich gab im Grunde nur den Startschuss, den Rest erledigt "die Community" von selbst) - diese kritische Öffentlichkeit auf Facebook einzusammeln. Dank Uni- und Anti-Abschiebungs-Protesten bestehen ja mittlerweile schon ganz gut funktionierende Netzwerke/Plattformen zur Mobilisierung. Daraus resultierten längst auch immer dichter werdende persönliche Netzwerke der regelmäßig beteiligten Personen. All dies war die Basis für die neue deutschsprachige Protestseite. Womit auch die von Orbán-Anhängern dogmatisch vorgetragenen Behauptungen, es handle sich bei den AktivistInnen gegen das Mediengesetz (egal ob in Ungarn oder im Ausland) um "ferngesteuerte" Anhänger der ungarischen Sozialisten (oder wem auch immer; die Orban-Fans sind da flexibel) oder gar Marionetten der internationalen Banken und Konzerne (die von Ungarn ja kürzlich mit Sondersteuern belegt wurden), widerlegt sein sollten.

Freilich dauerte es keine paar Stunden, schon wurde auch die ungarische Community in Österreich/Wien auf die Seite aufmerksam. Freilich habe ich ja die neue Seite auch auf der ungarischen und internationalen Facebook-Seite verkündet. Alles andere erledigt sich wie gesagt "von selbst". It's the Community, great!

Schon am 2. Jänner zählte die Seite über 700 "gefällt mir" (oder im alten Duktus: "Fans"). An diesem Tag wurde auf der internationalen Version der ungarischen Protestseite die Demo in Budapest am 14. Jänner angekündigt - und gleichzeitig dazu aufgerufen, in allen europäischen Hauptstädten aus Solidarität ebenfalls Demos zu organisieren. Wie praktisch, dass es in Wien bereits eine entsprechende Seite gibt ;)

Also hab ich auf Facebook einige Kontakte angeschrieben, auf die Solidaritäts-Bitte aus Ungarn hingewiesen und gefragt, ob jemand mit Erfahrung eine Demo organisieren und anmelden würde. Am nächsten Tag fand ich eine Antwort von Sigi Maurer von der ÖH vor, die zwar skeptisch war, ob sich viele Leute zu solch einer Demo mobilisieren ließen, aber nach einer Diskussion der ÖH-Bundesvertretung kam ebendiese zur Übereinstimmung, eine Demo anmelden zu wollen. Jedenfalls sollten noch die Medienrechtsorganisationen, die JournalistInnen-Gewerkschaft und andere potenzielle Unterstützer der Demonstration möglichst mit ins Boot geholt werden. Der Rest der Geschichte ist mehr oder weniger bekannt.

Am Freitag, den 7. Jänner, gab es das OK für die öffentliche Ankündigung der Demonstration. Der Aufruftext war fertig und wurde auf der Facebook-Seite, die mittlerweile über 1.500 UnterstützerInnen zählte, veröffentlicht. Am Montag den 10. Jänner ging eine gemeinsame Presse-Aussendung der Organisatoren (zu diesem Zeitpunkt: ÖH, GPA-djp, Reporter ohne Grenzen, Österreichischer Journalistenclub, Presseclub Concordia, Radio Orange und Amnesty International) hinaus. In den Tagen danach schlossen sich noch weitere Organisationen dem Aufruf an, etwa das International Press Institute und der Österreichische Medienverband.

Bis zum 14. Jänner, dem Tag der Demo in Budapest, der auf Facebook schließlich rund 7.500 Leute ihr Kommen zugesagt haben, erreichte auch die deutschsprachige (Wiener) Protestseite fast 2.000 UnterstützerInnen (zum Vergleich: die ungarische zählte am 14.1. 71.000 "Fans", die internationale Version knapp 2.700), der Wiener Demo-Aufruf rund 470 Zusagen.

Demonstrationen
Foto: Daniel Weber (CC by-nc-sa 2.0)
Einen Tag vor der Demonstration wurde auf Facebook auch für Berlin eine Protestaktion angekündigt. Auf englisch, und mit dem Hinweis, dass es sich um keine angemeldete Aktion handelt, weshalb möglichst Blumen oder ähnliches vor der Botschaft niedergelegt werden sollten. Auch auf polnisch wurde eine Protestaktion angekündigt, vermutlich in Warschau. Näheres ist mir bisher allerdings nicht zu Ohren gekommen, auch keine Übersetzung. Dass in der ungarischen Stadt Pécs (zwei Fotos) demonstriert wird, war hingegen schon seit einigen Tagen bekannt und angekündigt.

In Budapest nahmen schließlich etwa 10.000, die Veranstalter sprechen gar von 15.000, Menschen teil. Eine sehr starke Demonstration, wenngleich der Pester Lloyd etwas relativiert: Der Kossuth-Platz vor dem Parlament wurde nicht gefüllt, der Altersschnitt war (im Gegensatz zur ersten Demo am 22. Dezember) überraschend hoch. Das Programm (Rede- und Musikbeiträge) sei relativ schnell durchgespielt worden, das ganze habe, so der Pester Lloyd, eher wie die Absolvierung eines Pflichtprogramms gewirkt. War es im Grunde ja auch.

In Wien versammelten sich etwa 200 bis 250 Personen vor der ungarischen Botschaft.
Auch hier gab es nur kurze, aber nicht weniger prägnante Redebeiträge. Die Stimmung war gut, das Publikum war sehr vielfältig gemischt. Jung und alt, ÖsterreicherInnen und Auslandsungarn bzw. Austro-Hungaren (falls es dieses Wort überhaupt gibt), Studierende, JournalistInnen, AktivistInnen der teilnehmenden Organisationen und auch eine kleine, aber sehr engagierte und auffällige (einige TeilnehmerInnen trugen Guy Fawkes-Masken, wie sie etwa von den durch die Wikileaks-Affäre bekannt gewordenen NetzaktivistInnen Anonymous getragen werden; es gab eine Piratenflagge sowie ein Freibeuter Sonderblatt der piratischen studentinnen und studenten) Fraktion der Pirat(inn)enpartei - die als einzige politische Gruppierung in Erscheinung trat, was man in Ungarn vermeiden wollte und eigentlich auch in Wien beherzigt wurde.

Aber als Partei, die sich als Kollektiv von NetzaktivistInnen entschieden gegen jede Form von Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit wendet, wodurch sie sich elementar von allen anderen politischen Parteien unterscheidet, halte ich ihre Teilnahme nicht nur für gerechtfertigt sondern auch für höchst erfreulich, erbaulich und lobenswert!

Im Anschluss wurde dem ungarischen Botschafter, der die meiste Zeit vor der Botschaft anwesend war, eine Petition für Medien- und Meinungsfreiheit von Amnesty International überreicht. Unter großem Medieninteresse, einem regelrechten Blitzlichtgewitter, wurden dem Botschafter schließlich mehrere Fragen zu seiner Position gestellt, die er ausführlich, aber pflichtgemäß beantwortete. Für die Menschen hinter den JournalistInnen war dieses Gespräch leider nicht zu hören. Wir warten auf entsprechende Videobeiträge, die wohl im Verlauf des heutigen Tages veröffentlicht werden, und die ich hier in der Linksammlung nachtragen werde.

Aus Pécs wurden übrigens etwa 200 DemonstrantInnen gemeldet, in Berlin sollen 35 Personen demonstriert haben (Quelle: pusztaranger.org). Aus anderen Städten ist (derzeit) nichts bekannt.


Weiterführende Links zu den Demonstrationen

Folgend ausgewählte Berichte kommerzieller Medien sowie eine möglichst umfangreiche Übersicht nicht-kommerzieller Beiträge:

Berichte:
- Martin Juen aus Budapest: Demonstration for free Speech & Press Freedom gegen das neue Mediengesetz | Ungarn
- digitaljournal.zib21.com: Ungarn: Puszta, Paprika, Pressezensur und Protest (eine Zusammenfassung der Ereignisse bis zum 14.1.)
- derstandard.at: Ungarisches Mediengesetz - Facebook-Generation macht mobil
- nochrichten.net: Gemeinsam in Budapest, Wien, Pécs und Berlin für Medienfreiheit in Ungarn
- neuwal.com: "Geben sie Gewissens- und Gedankenfreiheit, Herr Orbán" - Solidaritätskundgebung in Wien
- International Press Institute (IPI) / International Freedom of Expression Exchange (IFEX): Campaigns and Advocacy: IPI, RSF and Austrian Journalists' Union urge Hungarian government to withdraw new media legislation

Fotos
- Martin Juen aus Budapest (flickr-Album)
- Pécsi Napilap: Fotogalerie aus Pécs
- Daniel Weber (flickr-Album)
- AUGE/ug (flickr-Album)
- Daniel Hrncir (Facebook-Album)

Videos / Videoberichte:
- Daniel Hrncir: Aufzeichung des "offiziellen" Livestreams in zwei Teilen (wenig zu sehen, aber Redebeiträge gut zu verstehen)
- Daniel Weber: drei Handy-Livestream-Aufzeichnungen (auf bambuser.com in drei Teilen)
- wienTV.org --> folgt am Dienstag, 18.1.

Audio:
- Cultural Broadcasting Archive (CBA): doku demo: free media in hungary
- CBA: Die Wiener Kundgebung für Medienfreiheit in Ungarn vom 14. Jänner 2011

Freitag, 23. Juli 2010

unibrennt - ein bedeutender Schub für die zivigesellschaftliche Nutzung & Vernetzung im Web 2.0

Als das Audimax der Universität Wien am 22. Oktober 2009 besetzt wurde, geschah mehr, als nur das. Binnen weniger Stunden wurde nicht nur eine Webseite ins Leben gerufen, sondern auch eine Facebook-Seite gestartet und ein Twitter-Account angelegt. Es folgten ein Ustream-Account (Für Liveübertragungen via Internet, später, im Spätwinter, Anfang 2010, abgelöst durch einen neuen Ustream-Account), ebenso ein Youtube- und ein flickr-Account für Video- und Foto-Uploads. "Selbstverständlich" wurden natürlich auch rasch Email-Adressen (unibrennt @ gmail) eingerichtet, die Presse-Gruppe (Medienbetreung, Webseite redaktionell, Social Media) legte sich ein Presse-Handy zu und einige Wochen später startete das unibrennt-Wiki.

Was das für den Umgang mit Web 2.0 in Österreich bedeutet, wird nun allmählich klar. Meiner Meinung nach brachte die Audimax-Besetzung mit ihrer unibrennt Digital Community einen großen Schub für die zivilgesellschaftliche Nutzung und Vernetzung auf Facebook und Twitter in Österreich. Auch über die oppositionell zu verortende sogenannte Zivilgesellschaft hinaus, nämlich direkt in den Mainstream, hinterließ die unibrennt-Bewegung spuren. Social Media musste nun auch von Parteien als nicht zu vernachlässigender Kommunikationskanal anerkannt werden. Dass dies zunächst nicht der Fall war, lässt sich wohl am besten am Kommentar des damaligen Wissenschaftsministers Johannes Hahn erkennen, der am Tag zwei der Besetzung in einem ORF-Fernseh-Interview mit einem verschmitzten Lächeln allen Ernstes meinte- ich zitiere seine exakte Ausdrucksweise: "Die Spontanität von Spontis ist enden wollend." Die Spontanität dauerte immerhin 60 Tage an, davon zumindest 40 Tage mit teilweise unglaublich dichtem Programm (neben den gern verschmähten Partys, die immer seltener wurden, vor allem Gastvorträge, Diskussionsrunden, alternative Vorlesungen) und auch dichtem Besucherandrang - zuletzt war das besetzte Audimax bis auf über den letzten Rang hinaus gefüllt (also mindestens 800 [!] Personen, siehe auch Foto), als Jean Ziegler zu Vortrag und Diskussion erschien (übrigens nachzuhören und -sehen auf Ustream, bereits über 9.200 Views!) - und das einen Tag, bevor er genau das selbe bei 6 € Eintritt im (ausverkauften) Volkstheater tat, wo übrigens zwei unibrennt-Aktivisten auf die Bühne kamen um für die Ringdiskussionen im Audimax zu werben und von Ziegler unter Applaus des Publikums zum bleiben animiert wurden - es wurden zwei zusätzliche Sessel geholt - unibrennt berichtete (in diesem Fall sogar ein Bericht von mir ;)).

Dass die "Spontanität" so lange andauerte, daran trug sicher auch "Social Media" einen Gutteil bei, vermutlich sogar die Hauptverantwortung. Gut, auch ohne Web 2.0 oder Social Media hätte man eine Webseite ins Leben rufen können, die mit aktuellen Informationen gespeist wird. Aber ob man damit so viele Leute erreicht hätte, ohne sie direkt auf Facebook, Twitter, yotube, flickr, ustream usw. "abzuholen"? Wohl eher nicht. Der Vorteil von Web 2.0 / Social Media für soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Initiativen, im konkreten Fall: unibrennt, liegt auf der Hand: Man ist nicht nur unabhängiger von der Berichterstattung in institutionalisierten Medien, sondern man beeinflusst deren Berichterstattung auch. Nicht selten wurde in Medienberichten (meist auf den Webseiten führender Tageszeitungen, häufig auf Basis einer APA-Aussendung) "...schreiben die Besetzer auf Facebook..." (oder ähnliches) als Quelle genannt. Ich erinnere diesbezüglich auch eine Aussage Robert Misiks (der als einer der ersten Publizisten im Audimax war, am 27. Oktober) bei einem Vortrag im Audimax (ebenfalls zum Nachhören auf Ustream, sehr empfehlenswert! Aussage zum "Livestream-Gucken" bei Minute 20:25), der meinte, wenn hier Plenum sei (das in den ersten Wochen häufig bereits Mittags oder am Nachmittag war), herrsche Stillstand in den Redaktionen Österreichs, da alle Livestream schauen würden. Das war natürlich eine Übertreibung, aber etwas wahres wird da schon dran sein. Es genügt ja schon, wenn alle JournalistInnen Livestream schauen, die sich zumindest ansatzweise mit Hochschulpolitik oder gesamtgesellschaftlichen Themen beschäftigen, Livestream vom Plenum eines besetzten Hörsaals schauen.

Twitter & Facebook

Als ich zum ersten Mal von Twitter hörte, das war vor der Audimax-Besetzung, war dies in Zusammenhang mit Armin Wolf, dem Anchorman der ORF-ZIB2, der als einer der ersten "prominenten" Österreicher Twitter nutzte. Was ich damit anfangen sollte, dass ein Nachrichtensprecher 140 Zeichen lange Tweets von sich gibt, war mir allerdings nicht klar. Das änderte sich aber grundlegend mit der Besetzung des Audimax, wo von den ersten Stunden an Facebook-, Twitter- und studiVZ-Adressen auf die große Leinwand projiziert wurden. Ich hatte damals bereits einen Facebook-Account, nutzte ihn aber nicht. Ich wurde rasch "Fan" der Audimax-Besetzung (als 117.) und verfolgte die Seite seither laufend und mit Begeisterung. Nebenbei etablierte sich dabei Facebook auch in meinem Privatleben - wobei mittlerweile viele Leute zu meinen Kontakten zählen, die ich erst durch unibrennt kennen gelernt habe, und teilweise erst seit unibrennt online sind. Ähnliches, aufgrund seiner geringen Reichweite (ca. 25.000 User) vermutlich noch krasser, auch auf Twitter: Anfang November startete ich meinen Twitter-Account, um Zugang zu "Echtzeit-Insiderinformationen" rund um das Audimax und unibrennt zu bekommen. Wie ich mittlerweile weiß, war ich nicht der einzige, der das so sah. Und viele "Tweeter", die heute über Politik, Gesellschaft, Soziales, Kultur oder ganz was anderes twittern, legten ihren Account aufgrund der Audimax-Besetzung, als unibrennt-Sympathisanten an. Manche - so wie ich - haben noch heute das unibrennt-Logo in einer Ecke des Profilbildes, obwohl unibrennt längst nur noch einen kleiner Teil aller Tweets ausmacht. Dass sich diese subjektive Erfahrung sehr wohl, in gewissem Ausmaß, verallgemeinern lässt, wird durch folgende Twitter-Analyse deutlich: In einer auf zweifache Weise um Spam-Accounts bereinigte und nur auf die Nutzung in Österreich konzentrierten Statistik liegt der unibrennt-Account auf Rang 13 - knapp hinter dem Internet-Pionier unter den Medien, @derStandardat und @webstandard, den PublizistInnen und JournalistInnen Armin Wolf, Ingrid Thurnher, Robert Misik, Corinna Milborn, Dieter Bornemann, Martin Blumenau, @fm4stories, zwei Bloggern sowie dem einzigen (!) Politiker unter den Top-10, den Grünen Christoph Chorherr. Alle anderen Accounts - seien es Medien, Promis, Blogger, Organisationen, Parteien, Institutionen, Unternehmen - was auch immer - liegen in dieser bereinigten Reichweite-Statistik hinter unibrennt.

Da unibrennt sehr viele Follower hat, die relativ neu bei Twitter sind (und häufig "unibrennt" als erstes zu ihren "followings" hinzufügen) und - da sie echte Menschen und keine Spam-Schleudern sind - nur wenigen, vielleicht ein paar Dutzend, anderen Tweetern folgen, zählen diese für die Berechnung der Reichweite viel mehr als jene, die hunderten oder tausenden anderen folgen, die dann logischerweise den unibrennt-Tweets in der Fülle der übrigen Tweets weniger Aufmerksamkeit schenken können und diese wohl häufig auch einfach übersehen.

unibrennt ist daher mit 831 Followern, die einen Ort in Österreich als "Location" angegeben haben, einer der "meistgefolgten" Accounts unter (den ca. 25.000) österreichischen Twitter-Usern. Insgesamt folgten im Juni 2010 3.377 Tweeter. Die Differenz zu 831 ist zum einen durch "echte" Follower in Deutschland und der Schweiz, in geringerem Ausmaß auch durch "echte" Follower in anderen Ländern zu erklären. Aber vermutlich an die 50 % dieser Follower dürften Spam-Accounts sein - die aber nur selten Österreich als "Location" nennen und daher für die Reichweite - ebenso wie "echte" Follower im Ausland, nicht berücksichtigt wurden. Von diesen 831 "echten österreichischen" (die FPÖ wäre stolz ;)) Followern sind wiederum 563 "in den letzten 28 Tagen" aktiv gewesen. Diese wiederum dürften derart junge Accounts mit wenigen anderen "followings" sein, dass unibrennt in der Österreich-Reichweite auf Platz 13 kommt.

Was ich daraus ableite ist, dass die Audimax-Besetzung und die dazugehörige "Digital Community" in Österreich hunderte Menschen zu Twitter gebracht hat. Diese wiederum, glaube ich in den letzten 8 Monaten beobachtet zu haben, sind die Basis und häufig auch der Anreiz für alternative, oppositionelle, kritische, subversive, zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine, Gruppierungen und Organisationen, sich auf Twitter zu registrieren um dort mit dem Pool aus mehreren Hundert, vielleicht auch Tausende, besonders medienaffinen Bruchteil der österreichischen Gesellschaft, zu kommunzieren. Dies ist weniger für die konkrete Mobilisierung zu beispielsweise Demonstrationen oder Unterschriftenaktionen von Bedeutung, sondern wohl eher aus dem Blickwinkel der "Meinungsführer"-Forschung. Diese hunderten, tausenden, gesellschaftskritischen Twitter-User verbreiten in Echtzeit Nachrichten, Blogbeiträge, Fotos, Videos, Informationen, Ankündigungen aus ihrem Umfeld und Interessensbereich - und geben jene Infos, die sie erreichen und als relevant erachten, an ihr persönliches, nicht auf Social Media befindliches, Umfeld weiter - oder via Facebook an ihren nicht-twitternden Freundeskreis. So macht schließlich ein Video von einem prügelnden Polizisten an einer Demo rascher die Runde, als manchen lieb ist. Und nach einigen hundert Views wittert manchmal auch schon ein/e Journalist/in die Spur - das Thema kommt auf die Online-Ausgabe einer Zeitung und zieht - wenn als bedeutend genug erachtet - weitere Kreise in anderen (herkömmlichen und alternativen) Online-Medien, schließlich mitunter auch in Printmedien, Radio und Fernsehen.

Twitter als Quelle alternativer Informationen und Nachrichten, Twitter als Plattform der Gegenöffentlichkeit. unibrennt als Katalysator dieser Gegenöffentlichkeit in Österreich. Das, wohl nicht als einziges, hat die Audimax-Besetzung der österreichischen Gesellschaft gebracht.

Freitag, 19. Dezember 2008

Was in der Medienberichterstattung auf der Strecke bleibt


Maritimer Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien. Slowenien, das über nur wenige Kilometer Küste zum Mittelmeer (Adria) verfügt, dort aber einen (umso wichtigeren) Hafen (Koper) betreibt, beansprucht einen größeren Teil der Bucht von Piran sowie einen freien Zugang zu internationalem Gewässer. Kroatien blockiert sein Jahren; die aus der Zeit Jugoslawiens stammenden, einst unbedeutenden inländischen Seegrenzen, würden durch einen baldigen EU-Beitritt Kroatiens quasi festzementiert. Slowenien hat daher, nicht zuletzt im Interesse der EU, die Konflikte zwischen Mitgliedsländern sicher nicht importieren will, Veto gegen die Fortführung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien eingelegt - und wird dafür von Kroatien, aber auch (österreichischen) Medien heftig kritisiert.

Konkret beziehe ich mich auf die Zeit im Bild (ORF 2, 19.30h, 18.12.2008): Dort wird der Beitrag über den slowenisch-kroatischen Grenzstreit eingeleitet mit den Worten "Kroatien spricht von Erpressung, die EU-Kommission ist verärgert"; auch der weitere Bericht stellt die ganze Causa als "strategisch wohl überlegt" dar und suggeriert, dass Slowenien eigentlich nur Ärger wolle und Kroatien unschuldiges Opfer einer slowenischen Intrige ist. Relativierende Aussagen, wie die Bedeutung (wirtschaftlich, psychologisch) eines freien Zugangs zur offenen See für Slowenien, sind nicht zu hören.

Auch ARTE-Info, zum Teil auch auf den Standard, der die Causa mit "EU-Beitritt: Slowenien blockiert Kroatien" betitelte, sprechen/schreiben in erster Linie von der Verzögerung der EU-Beitrittsverhandlungen, der Kroatien dadurch entsteht, und der Empörung über Slowenien von Seiten Kroatiens, der EU-Kommission und Verbündeter Kroatiens, wie etwa Österreich, dessen neuer Außenminister Spindelegger Worte des tiefen Bedauerns für diese Verzögerungen findet, aber offenbar kein Verständnis für Slowenien.

Tenor der Medien ist, sofern ich deren Berichterstattung mitverfolgen konnte (ORF, ARTE, zum Teil Der Standard), dass es eine Unart Sloweniens sei, sein Veto-Recht aufgrund von Streitigkeiten mit Kroatien auf EU-Ebene als Druckmittel einzusetzen. Der Kern des Problems, dass Slowenien zwar eine Küste und einen internationalen Hafen hat, aber keinen Zugang zu freiem, internationalem Gewässer, wird als Randerscheinung behandelt. Schiffe, die also den slowenischen Hafen von Koper ansteuern, müssen Gebühren für die Durchquerung von wahlweise kroatischem oder italienischem Hoheitsgewässer berappen. Denn in der Adria grenzt Kroatien direkt an Italien - Slowenien wird dabei übergangen. Der Hafen ist maritim gesehen somit eine Enklave. Die See-Grenzen sind in der Zeit Jugoslawiens begründet, als sie lediglich inländische, unbedeutende Verwaltungsgrenzen darstellten.

Slowenien fordert daher zurecht einen Verbindungskorridor zwischen seinem Hoheitsgebiet und dem internationalen Gewässer. Kroatien - mit eigenen Häfen natürlich in Konkurrenz zu Slowenien - dessen Hoheitsgebiet zur See einem solchen wenige Kilometer langen und schmalen Korridor weichen müsste, verhindert dies seit Jahren und offenbar scheint es kein Interesse daran zu haben, daran etwas zu ändern. Slowenien bleibt also nichts anderes über, als der Causa auf EU-Ebene neues Gewicht zu verleihen, um die Absurdität des kroatischen Blockade-Spiels aufzuzeigen. Dass Slowenien auch noch einen größeren Teil der Bucht von Piran fordert wird wohl kaum der Punkt des Scheiterns sein. Vermutlich dient diese Forderung lediglich, um Kroatien Verhandlungsspielraum zu gewähren, sodass Kroatien im Falle einer Lösung bezüglich dem internationalen Korridor zumindest einen Erfolg bei den Hoheitsansprüchen auf die Bucht von Piran vorweisen könnte.

Dass Österreich in diesem Streit wieder ein Mal deutlich für Kroatien Partei ergreift, ist ein falsches Zeichen. Kroatien ist zwar das größere und wirtschaftlich für österreichische Unternehmen bedeutsamere Land, aber der slowenische Hafen Koper hat für international agierende österreichische Unternehmen ebenso große Bedeutung. Eine diplomatischere Vorgangsweise würde dem neuen Außenminister Spindelegger in dieser Causa gut anstehen. Wobei betreffend Diplomatie gerade die Vorgängerin, die langjährig erfahrene Plassnik, um nichts rücksichtsvoller war. Ganz auf Linie der ÖVP machte sie sich scheinbar bedingungslos für eine rasche Aufnahme Kroatiens in die EU stark.
 
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