Posts mit dem Label EU werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label EU werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 21. März 2011

Scheinheilig und verlogen - Linke und die arabischen Revolutionen

Stell dir vor, in der arabischen Welt ist Revolution und keiner schaut (mehr) hin. So musste man die Berichterstattungslage aller großen Medien in den letzten 10 Tagen, nach dem Erdbeben samt Reaktorkatastrophe in Japan beschreiben. Die Folge war, dass Gadaffi im Schatten der Weltaufmerksamkeit mit noch rücksichtsloserer Gewalt eine Stadt nach der anderen entlang der libyschen Küste Richtung Osten von den Rebellen zurückeroberte. Maßgeblich für den Erfolg verantwortlich waren Bombardements aus der Luft, gegen die die hauptsächlich leicht bewaffneten "Rebellen" (eigentlich Demonstrierende, die sich nach ersten Luftangriffen auf Demonstrationen bewaffnet haben und dabei von Überläufern aus der Armee unterstützt werden) nur wenig aussetzen können.

Weltpolitik: Alles wie immer - nur anders

Begünstigt durch den (nicht ganz unberechtigten) Zweifel des Westens, in die bewaffneten Aufstände könnten maßgeblich auch Islamisten und Djihadisten beteiligt sein, zögerten westliche Großmächte, NATO aber auch der UNO-Sicherheitsrat lange, entschieden gegen den Staatsterror Gadaffis vorzugehen. Man fürchtete auch (ebenfalls nicht unbegründet) den Afghanistan- und Irak-Effekt, der den USA und seinen Bündnispartnern nichts als Ärger, Hass und Terror gebracht hat. Unter von höchsten Stellen konstruierten Lügen zog eine ideologisch-fanatische, von handfesten wirtschaftlichen Interessen getriebene, mit der Ölindustrie dicht verwobene Kriegskoalition unter der Führung George Bush juniors (der noch dazu einen Vaterkomplex auszugleichen hatte) in Afghanistan und in den Irak ein. Die Ölfelder wurden okkupiert, werden streng bewacht - die versprochene Demokratisierung ist nebensächlich. Statt Geld für Schulen, Infrastruktur und Wirtschaftshilfe (etwa nach dem Muster des Marshall-Plans für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg) gab es nur Geld für Militär, US-Söldnerkonzerne (Blackwater alias XE & Co), Waffen- und Ölindustrie. Die Folgen sind hinreichend bekannt. Statt Hoffnung und Aufbruchsstimmung nur Terror und größerer Hass auf den Westen als je zuvor.

Aber die Lage in Libyen ist anders. Das sollte eigentlich unübersehbar sein, und tatsächlich erkennt auch jede/r Beobachter/in den Umstand an, dass im arabischen Raum derzeit eine Revolutionswelle in Gange ist, die von der breiten Masse der jeweiligen Länder getragen wird. Dennoch kommt nun vor allem von linker Seite vielfach genau die selbe Musik, wie sie seit nunmehr zehn Jahren schon zum Irak- und Afghanistankrieg zu hören ist - ungeachtet der veränderten Tonlage, ein paar Beispiele (nicht alle linken Parteien und Gruppierungen lehnen eine militärische Intervention in Libyen ausdrücklich ab, in jedem Fall aber folgende):
- Linkswende: Nein zur militärischen Intervention in Libyen! Es leben die arabischen Revolutionen! (20.3.2011)
- KPÖ: KPÖ gegen Militärintervention in Libyen
- die Linke [Deutschland]: Bomben schaffen keinen Frieden. Kein Krieg in Libyen!

"Lieber keine Revolution als eine vom Westen unterstützte"

Genau jene Linken, die immer die Heuchlerei des Westens in Menschenrechts- und Demokratiefragen angeprangert haben, prangern nun den selben Westen an, dass er eine von der breiten Masse getragenen Demokratiebewegung in letzter Sekunde zu Hilfe eilt. Die Argumente für diese Position sind aber selbst an Heuchlerei nicht zu überbieten: Der Westen wolle nur an Libyens Öl, er wolle eine neue Besatzung eines arabischen Landes (Stichwort "Imperialismus", was sonst?) und außerdem habe der Westen ja gar keinen Plan für die Zeit nach Gadaffi (ach, plötzlich soll es wünschenswert sein, wenn die USA und Verbündete einen fertigen Plan für die Zukunft eines anderen Landes haben?). Als Beweis für die eigenen Überzeugungen wird herangezogen, dass die USA und die EU bisher nie ein Problem hatten, mit Gadaffi und anderen Diktatoren im arabischen Raum oder sonstwo Geschäfte zu machen und dass die ersten Reaktionen des Westens auf die Revolutionen eher zurückhaltend waren. Dies ist zwar richtig und liegt - natürlich - an den massiven wirtschaftlichen Interessen, die man durch Vergrämung der (diktatorischen) "Partner" nicht (zugunsten von Russland, China oder Indien, die mit den "alten" westlichen Mächten in der von ihnen bisher eher vernachlässigten Weltregion Afrika/Arabien in einem starken Wettbewerb um Ressourcen und Marktanteile stehen) aufgeben möchte. Und natürlich steht für den Westen der Einfluss in der Region am Spiel - vor allem seine Glaubwürdigkeit als demokratisches und menschenrechtliches "Vorbild" für die ganze Welt. Dass hier ausnahmsweise (und endlich) einmal ein gemeinsamer Nenner zwischen (pro-demokratischen) Revolutionären und dem weltpolitisch um Einfluss und Macht besorgten Westen vorhanden ist, ist zwar skurril und einzigartig (und offenbar zu viel für die Vorstellungskraft mancher), aber deswegen die Interessen beider (also Revolutionäre + Westen) abzulehnen, nach dem Motto: "besser keine Revolution als eine vom Westen unterstützte", übertrifft beinahe die bisherige Politik des Westens in der Region an Zynismus und Menschenverachtung.

Neue imperialistische Besetzungen im arabischen Raum?

Was die (linken) Kritiker übersehen, ist vor allem auch folgendes: Niemand, schon gar nicht die USA, haben Interesse, ein weiteres Land im arabischen Raum zu besetzen. Der "Image"-Schaden durch den Irak- und Afghanistankrieg, aber auch die Einsätze in Pakistan und anderen Teilen des arabischen Raums, ist schon nahezu irreparabel groß. Die USA stehen nahe dem Staatsbankrott, da diese Einsätze in den letzten Jahren tausende (!) Milliarden Dollar gekostet haben. Gleichzeitig sind während der Besatzungszeit tausende Soldaten gefallen - da sind selbst die Amis "not amused" - und (für die USA) noch "schlimmer": es lässt sich kaum mehr Nachwuchs rekrutieren, der freiwillig nach Afghanistan oder in den Irak geht: die täglichen Selbstmordanschläge haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Angst und Panikreaktionen lösen Massaker an der Zivilbevölkerung aus, wodurch sich wiederum neue Selbstmordattentäter rekrutieren lassen. Auch die Selbstmordrate unter US-Soldaten ist enorm hoch - und viele der Rückkehrer leiden an diversen Kriegstraumata. Das mag eine imperialistische Weltmacht zwar nicht viel kümmern - aber die Bevölkerung hat immer weniger Verständnis für die Notwendigkeit dieser Einsätze. Ein weiterer Einsatz von Bodentruppen würde Obama nicht - wie Bush damals unter einer ganz anderen Ausgangssituation, nämlich den islamistisch motivierten Anschlägen auf Staatsgebiet - nützen, sondern schaden, ja ihm vermutlich gar die derzeit noch intakten Chancen auf eine Wiederwahl zunichte machen.

Obamas zögern zum Einschreiten in Libyen (was ihm mittlerweile von einigen ebenfalls als Fehler ausgelegt wird) und sein Wille, die Kontrolle der Militäraktion an die NATO oder einen Bündnispartner abzugeben, zeigen vor allem eins: Obama will nicht wie sein Vorgänger in ein Wespennest stechen, will anti-westlichen Kräften möglichst wenig Angriffsfläche geben, denn dadurch könnte der ganze demokratische Wandel durch eine islamistische Anti-USA-Welle gefährdet werden (etwa, wenn US-Bodentruppen - unter welchen Umständen auch immer - arabische Zivilisten töten). Dass Obama dies vermeiden will, liegt auf der Hand. Umgekehrt könnte die Unterstützung der von einer breiten Masse getragenen pro-demokratischen Revolution einiges an Image-Schaden der USA und auch der beteiligten EU-Länder kompensieren. Und das ist dann wohl auch der Grund, warum der Westen trotzdem eingreift. Nicht wegen der Ölquellen (die mögen durchaus eine Rolle in den Hintergedanken spielen, sind aber wohl kaum Leitmotiv der Einsätze, da massiv kontraproduktiv), sondern um den Hass auf den Westen, der die Triebfeder des internationalen Terrorismus mit islamischen Hintergrund darstellt, zumindest ein bisschen einzudämmen.

Würde der Westen die arabischen Revolutionen links liegen lassen, trotz vielfacher Aufforderungen von in die Defensive geratenen libyschen Rebellen, würde dies den schlechten Ruf der USA als Feind aller Araber(innen) und Moslems auf lange Zeit einzementieren. Durch die Unterstützung hat Obama (aber auch die Ex-Kolonialmächte der Region, Großbritannien, Frankreich und Italien) die einmalige Gelegenheit in der Weltgeschichte, zertretenes Porzellan der vergangenen Jahrzehnte wirksam und authentisch zu kitten. Und zuguterletzt ist auch den wirtschaftlichen Interessen des Westens - deren Bedeutung ich gar nicht leugnen möchte - durch die Unterstützung des beginnenden demokratischen Wandels im arabischen Raum langfristig tausendmal besser gedient, als eine kurzsichtige Besetzung von Ölvorkommen, die zwar für einzelne Ölkonzerne durchaus rentabel sein mögen, aber aufgrund des erwartbaren massiven Widerstands einer Bevölkerung, die endgültig genug hat von Ausbeutung aller Art (seien es Kolonialmächte, Imperialisten oder "eigene" Dikatoren), volkswirtschaftlich für die USA & Co ein Desaster bedeuten würde. Unleistbar, ruinös - da helfen auch die besten Lobbyisten nichts!

Wieder mal totaler Krieg - wieder mal wegschauen?

Ohne die Dimensionen und die Motive des ausgeübten Unrechts vergleichen zu wollen, ist die Situation dennoch vergleichbar: Ein unbeirrbarer Psychopath mit Allmachtsanspruch, der lieber sterben würde, als freiwillig (oder erzwungenermaßen) aufzugeben oder ins Exil zu gehen, der - wenn "nötig" - auch Millionen Menschen mit sich in den Tod reißen würde, als auch nur einen letzten Funken Vernunft zu zeigen (wie bei Ben-Ali und in geringerem Ausmaß auch bei Mubarak immerhin der Fall), klammert sich an der Macht fest und versucht mit tabuloser Gewalt (seien es Luftangriffe auf unbewaffnete Demonstrationen, die die Mutation letzterer zu bewaffneten Rebellen überhaupt erst ausgelöst hat, oder seien es Massaker an Soldaten, die sich weigern, auf Landsleute zu schießen) einen aussichtslos scheinenden Konflikt doch noch zu gewinnen. Stay in power or die trying sozusagen.

Es wirkt also sehr merkwürdig, wenn Linke, die nicht mit der Wimper zucken, wenn es darum geht, sich mit dem "Aufstand" der Palästinenser (und überhaupt jeder "anti-imperialistischen Intifada" im arabischen Raum) zu solidarisieren und die "Schutzmächte" der pro-westlichen Diktaturen der Region anprangern, da diese nur wirtschaftliche Interessen auf Kosten der unterdrückten Bevölkerung verfolgen würden, nun genau den selben Westen dafür kritisieren, eine arabische Revolution zu unterstützen. Diese Tatsache für sich allein genommen mag man ja noch mit "Skepsis" und "Vorbehalt" erklären können, doch übersieht sie den allerwichtigsten Punkt, genau jenen Punkt, den die selben Linken immer als ihre Stärke für sich vereinnahmen, als Argument gegen und als Unterscheidungsmerkmal von Kapitalisten und Rechten: den Menschen! Jene Menschen, die seit Wochen ihre Angst über Bord geworfen haben und ihr Leben dafür geben (und bereits tausendfach auch geopfert haben), ein Terror-Regime zu stürzen um die Grundlagen für eine bessere Gesellschaft, ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Diese Menschen sollen nun sehenden Auges in den sicheren Tod geschickt werden, weil ein paar Linke nicht besonders handfest argumentierte Zweifel über die Motive der (ohnehin nur zögerlich, eingeschränkt und international gedeckt eingeschrittenen) Unterstützer haben?

Gandhis Weg und Pazifismus in Ehren - aber manchmal sollte man den Tatsachen ohne ideologische Scheuklappen ins Augen sehen, wenn man sich nicht "Hoch die internationale Solidarität" rufend in der Weltgeschichte verlaufen möchte.

Samstag, 15. Januar 2011

Medienfreiheit für Ungarn - kein Blick zurück - Demonstrationen vom 14. Jänner

Foto: Daniel Weber (CC by-nc-sa 2.0)
Am 1. Jänner 2011 trat Ungarn für ein halbes Jahr den EU-Rats-Vorsitz an. Am selben Tag trat ein neues Mediengesetz in Kraft, das zum einen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einer zentralen Lenkung unterwerfen soll, zum anderen das Redaktionsgeheimnis aller Medien aufhebt und Verstöße gegen sehr weit gefasste Vorgaben wie "politische Unausgewogenheit" oder Gefährdung der "nationalen Sicherheit" mit sehr hohen Geldstrafen (bis zu 200.000 Forint bzw. je nach Wechselkurs ~730.000 €, bei Online-Medien und Blogs bis zu 35.000 €) bedroht. Festgestellt werden solche Verstöße durch eine im August 2010 ins Leben gerufene nationale Medienbehörde (kurz: NMHH, siehe auch Wikipedia-Artikel), die zunächst nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zuständig war. Das Problem dabei, sofern die bisherigen Punkte nicht ohnehin schon Problem genug sind: Das Präsidium, das diese Behörde leitet, wurde ausschließlich durch die Regierungspartei Fidesz von Viktor Orbán ernannt. Die Präsidentin der Behörde, Annamária Szalai, wurde sogar auf 9 Jahre ernannt. Also über die nächsten zwei Wahlen hinaus.

Da das Mediengesetz per 2/3-Mehrheit, über welche die Fidesz seit den Wahlen letzten Jahres verfügt, in der Verfassung verankert wurde, kann an all den genannten Punkten auch nur mit 2/3-Mehrheit wieder etwas geändert werden. Dass dies so schnell bei einer anderen Partei als der Fidesz der Fall sein wird, ist unwahrscheinlich. Und auch die Fidesz selbst kann sich bei den nächsten Wahlen schon mit einer einfachen Mehrheit oder gar einer Koalition zufrieden geben: Die Kontrolle über die Medien wird sie dank parteitreuer Besetzung der Behörde selbst dann noch bis 2020 besitzen.

Großer Tatendrang der Behörde schon am ersten Tag

Dass die Behörde von ihren weit gefassten Rechten Gebrauch macht, zeigte sich bereits am 1. Jänner. Offenbar lange vorbereitet wurde an diesem Tag ein Verfahren gegen Tilós Radio, ein kleiner, ehemaliger Piratensender, "der in alternativen Kreisen Kultstatus genießt", eingeleitet. Vorgeblich deswegen, weil der Song des US-Rappers Ice-T gespielt wurde und dieser einen "jugendgefährdenden" Text enthält. Wenig später wurde ein Verfahren gegen RTL-Club, die ungarische Tochter des RTL-Konzerns, eingeleitet. Beide Fälle stammen aus dem Vorjahr, das Gesetz soll offensichtlich auch rückwirkend Gültigkeit haben. Und ein Journalist beim öffentlich-rechtlichen Radio wurde entlassen, nachdem er in seiner Sendung eine Schweigeminute wegen des Mediengesetzes abgehalten hat.

Völlig zurecht wird daher eine "Vorzensur" bei den betroffenen Medien selbst befürchtet. Um Strafen, die bei keinem Gericht oder einer anderen Stelle als der Medienbehörde selbst beeinsprucht werden können, zu vermeiden, werden sich viele Medien und JournalistInnen lieber selbst an der Nase nehmen.

Nachdem binnen weniger Tage heftige Kritik aus ganz Europa eintraf und EU-Kommissionspräsident Barroso bei einem Besuch in Budapest mahnende Worte ausgesprochen hat, ruderte Orban zuminest verbal zurück. Er kündigte an, Änderungen am Gesetz vorzunehmen, wenn die EU dies für nötig erachte. Nachsatz: Er gehe nicht davon aus, dass dies so sein wird. Das Problem dabei: Bevor die EU das Gesetz prüfen kann, muss es übersetzt werden. Die NMHH hat zwar ebenfalls eine englische Übersetzung auf ihre Webseite gestellt - diese ist jedoch unvollständig. So bleiben bisher nichts als Worte, denen noch keine Taten gefolgt sind. Einzig: Das Verfahren gegen Tilós Radio soll mittlerweile eingestellt worden sein.

Einheitliche Kommunikationslinie Ungarns

Seit mehreren Tagen herrscht nun Ruhe. Zumindest tauchen keine neuen Fälle mehr auf. Die ungarische Regierung hat diese Zeit offensichtlich dazu genutzt, eine einheitliche Kommunikationslinie einzuführen. So war in den letzten Tagen von Orbán, seinem Außenminister oder - wie heute in Wien - von ungarischen Botschaftern und Orbán-Anhängern nur folgendes zu hören:

1.) Ungarn sei Opfer einer Hetze von - wahlweise - Sozialisten/Kommunisten/Paul Lendvai/EU/hysterische Intellektuellen

2.) Jene Kritiker, die nicht in das in Punkt 1 ohnehin sehr breit gefasste Spektrum hineinpassen, haben das Gesetz schlicht nicht vollständig gelesen (was derzeit auch gar nicht möglich ist). Es enthalte nämlich gar keine bedenklichen Passagen, jedenfalls hätten Kritiker bisher nichts konkretes nennen können

Protest-Vernetzung und -Mobilisierung auf Facebook

Jedenfalls möchte sich Orban endlich als EU-Rats-Vorsitzender feiern lassen und die "ärgerliche" Debatte abdrehen. Dass dies nicht gelingt, ist nicht zuletzt einer aufmerksamen internationalen Presse zu verdanken, die wiederum vielfach erst durch Proteste in Ungarn selbst auf die Brisanz der Gesetze aufmerksam gemacht wurde. So wurde bereits im Dezember die ungarische Facebook-Seite Egymillióan a magyar sajtószabadságért ("Eine Million für die ungarische Pressefreiheit") gegründet, die für den 22. Dezember zur ersten Demo rief, die von 1.500 vorwiegend jungen Leuten besucht wurde. Von den selben Leuten wurde auch eine internationale Version der Seite gegründet [und zwischen 17. und 18. Jänner gelöscht, Anmk.], um die Facebook-Weltöffentlichkeit auf die bedenklichen Neuerungen aufmerksam zu machen.

Als am 1. Jänner das neue Mediengesetz inkraft trat und sofort aus fadenscheinigen Gründen ein Verfahren gegen das kleine Tilós Radio eröffnet wurde, startete ich eine deutschsprachige Protestseite: Medien- und Meinungsfreiheit für Ungarn - da sich durch die sofortige Anwendung des Gesetzes eine bedenkliche - und schnelle - Entwicklung abzeichnete, die rasche Reaktionen erfordert. Da mittlerweile in einigen europäischen Ländern bedenklich hohe Verflechtungen von Regierungschefs und Medienkonzernen bestehen - Berlusconi ist nur der Gipfel dieses Zustands - war nicht unbedingt von einem ent- und geschlossenen Vorgehen der EU zu rechnen. Jedenfalls sollte die kritische Öffentlichkeit - nennen wir sie mal Zivilgesellschaft - vorbereitet sein, wenn sie "gebraucht" wird.

Also begann ich - oder besser gesagt "wir" (ich gab im Grunde nur den Startschuss, den Rest erledigt "die Community" von selbst) - diese kritische Öffentlichkeit auf Facebook einzusammeln. Dank Uni- und Anti-Abschiebungs-Protesten bestehen ja mittlerweile schon ganz gut funktionierende Netzwerke/Plattformen zur Mobilisierung. Daraus resultierten längst auch immer dichter werdende persönliche Netzwerke der regelmäßig beteiligten Personen. All dies war die Basis für die neue deutschsprachige Protestseite. Womit auch die von Orbán-Anhängern dogmatisch vorgetragenen Behauptungen, es handle sich bei den AktivistInnen gegen das Mediengesetz (egal ob in Ungarn oder im Ausland) um "ferngesteuerte" Anhänger der ungarischen Sozialisten (oder wem auch immer; die Orban-Fans sind da flexibel) oder gar Marionetten der internationalen Banken und Konzerne (die von Ungarn ja kürzlich mit Sondersteuern belegt wurden), widerlegt sein sollten.

Freilich dauerte es keine paar Stunden, schon wurde auch die ungarische Community in Österreich/Wien auf die Seite aufmerksam. Freilich habe ich ja die neue Seite auch auf der ungarischen und internationalen Facebook-Seite verkündet. Alles andere erledigt sich wie gesagt "von selbst". It's the Community, great!

Schon am 2. Jänner zählte die Seite über 700 "gefällt mir" (oder im alten Duktus: "Fans"). An diesem Tag wurde auf der internationalen Version der ungarischen Protestseite die Demo in Budapest am 14. Jänner angekündigt - und gleichzeitig dazu aufgerufen, in allen europäischen Hauptstädten aus Solidarität ebenfalls Demos zu organisieren. Wie praktisch, dass es in Wien bereits eine entsprechende Seite gibt ;)

Also hab ich auf Facebook einige Kontakte angeschrieben, auf die Solidaritäts-Bitte aus Ungarn hingewiesen und gefragt, ob jemand mit Erfahrung eine Demo organisieren und anmelden würde. Am nächsten Tag fand ich eine Antwort von Sigi Maurer von der ÖH vor, die zwar skeptisch war, ob sich viele Leute zu solch einer Demo mobilisieren ließen, aber nach einer Diskussion der ÖH-Bundesvertretung kam ebendiese zur Übereinstimmung, eine Demo anmelden zu wollen. Jedenfalls sollten noch die Medienrechtsorganisationen, die JournalistInnen-Gewerkschaft und andere potenzielle Unterstützer der Demonstration möglichst mit ins Boot geholt werden. Der Rest der Geschichte ist mehr oder weniger bekannt.

Am Freitag, den 7. Jänner, gab es das OK für die öffentliche Ankündigung der Demonstration. Der Aufruftext war fertig und wurde auf der Facebook-Seite, die mittlerweile über 1.500 UnterstützerInnen zählte, veröffentlicht. Am Montag den 10. Jänner ging eine gemeinsame Presse-Aussendung der Organisatoren (zu diesem Zeitpunkt: ÖH, GPA-djp, Reporter ohne Grenzen, Österreichischer Journalistenclub, Presseclub Concordia, Radio Orange und Amnesty International) hinaus. In den Tagen danach schlossen sich noch weitere Organisationen dem Aufruf an, etwa das International Press Institute und der Österreichische Medienverband.

Bis zum 14. Jänner, dem Tag der Demo in Budapest, der auf Facebook schließlich rund 7.500 Leute ihr Kommen zugesagt haben, erreichte auch die deutschsprachige (Wiener) Protestseite fast 2.000 UnterstützerInnen (zum Vergleich: die ungarische zählte am 14.1. 71.000 "Fans", die internationale Version knapp 2.700), der Wiener Demo-Aufruf rund 470 Zusagen.

Demonstrationen
Foto: Daniel Weber (CC by-nc-sa 2.0)
Einen Tag vor der Demonstration wurde auf Facebook auch für Berlin eine Protestaktion angekündigt. Auf englisch, und mit dem Hinweis, dass es sich um keine angemeldete Aktion handelt, weshalb möglichst Blumen oder ähnliches vor der Botschaft niedergelegt werden sollten. Auch auf polnisch wurde eine Protestaktion angekündigt, vermutlich in Warschau. Näheres ist mir bisher allerdings nicht zu Ohren gekommen, auch keine Übersetzung. Dass in der ungarischen Stadt Pécs (zwei Fotos) demonstriert wird, war hingegen schon seit einigen Tagen bekannt und angekündigt.

In Budapest nahmen schließlich etwa 10.000, die Veranstalter sprechen gar von 15.000, Menschen teil. Eine sehr starke Demonstration, wenngleich der Pester Lloyd etwas relativiert: Der Kossuth-Platz vor dem Parlament wurde nicht gefüllt, der Altersschnitt war (im Gegensatz zur ersten Demo am 22. Dezember) überraschend hoch. Das Programm (Rede- und Musikbeiträge) sei relativ schnell durchgespielt worden, das ganze habe, so der Pester Lloyd, eher wie die Absolvierung eines Pflichtprogramms gewirkt. War es im Grunde ja auch.

In Wien versammelten sich etwa 200 bis 250 Personen vor der ungarischen Botschaft.
Auch hier gab es nur kurze, aber nicht weniger prägnante Redebeiträge. Die Stimmung war gut, das Publikum war sehr vielfältig gemischt. Jung und alt, ÖsterreicherInnen und Auslandsungarn bzw. Austro-Hungaren (falls es dieses Wort überhaupt gibt), Studierende, JournalistInnen, AktivistInnen der teilnehmenden Organisationen und auch eine kleine, aber sehr engagierte und auffällige (einige TeilnehmerInnen trugen Guy Fawkes-Masken, wie sie etwa von den durch die Wikileaks-Affäre bekannt gewordenen NetzaktivistInnen Anonymous getragen werden; es gab eine Piratenflagge sowie ein Freibeuter Sonderblatt der piratischen studentinnen und studenten) Fraktion der Pirat(inn)enpartei - die als einzige politische Gruppierung in Erscheinung trat, was man in Ungarn vermeiden wollte und eigentlich auch in Wien beherzigt wurde.

Aber als Partei, die sich als Kollektiv von NetzaktivistInnen entschieden gegen jede Form von Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit wendet, wodurch sie sich elementar von allen anderen politischen Parteien unterscheidet, halte ich ihre Teilnahme nicht nur für gerechtfertigt sondern auch für höchst erfreulich, erbaulich und lobenswert!

Im Anschluss wurde dem ungarischen Botschafter, der die meiste Zeit vor der Botschaft anwesend war, eine Petition für Medien- und Meinungsfreiheit von Amnesty International überreicht. Unter großem Medieninteresse, einem regelrechten Blitzlichtgewitter, wurden dem Botschafter schließlich mehrere Fragen zu seiner Position gestellt, die er ausführlich, aber pflichtgemäß beantwortete. Für die Menschen hinter den JournalistInnen war dieses Gespräch leider nicht zu hören. Wir warten auf entsprechende Videobeiträge, die wohl im Verlauf des heutigen Tages veröffentlicht werden, und die ich hier in der Linksammlung nachtragen werde.

Aus Pécs wurden übrigens etwa 200 DemonstrantInnen gemeldet, in Berlin sollen 35 Personen demonstriert haben (Quelle: pusztaranger.org). Aus anderen Städten ist (derzeit) nichts bekannt.


Weiterführende Links zu den Demonstrationen

Folgend ausgewählte Berichte kommerzieller Medien sowie eine möglichst umfangreiche Übersicht nicht-kommerzieller Beiträge:

Berichte:
- Martin Juen aus Budapest: Demonstration for free Speech & Press Freedom gegen das neue Mediengesetz | Ungarn
- digitaljournal.zib21.com: Ungarn: Puszta, Paprika, Pressezensur und Protest (eine Zusammenfassung der Ereignisse bis zum 14.1.)
- derstandard.at: Ungarisches Mediengesetz - Facebook-Generation macht mobil
- nochrichten.net: Gemeinsam in Budapest, Wien, Pécs und Berlin für Medienfreiheit in Ungarn
- neuwal.com: "Geben sie Gewissens- und Gedankenfreiheit, Herr Orbán" - Solidaritätskundgebung in Wien
- International Press Institute (IPI) / International Freedom of Expression Exchange (IFEX): Campaigns and Advocacy: IPI, RSF and Austrian Journalists' Union urge Hungarian government to withdraw new media legislation

Fotos
- Martin Juen aus Budapest (flickr-Album)
- Pécsi Napilap: Fotogalerie aus Pécs
- Daniel Weber (flickr-Album)
- AUGE/ug (flickr-Album)
- Daniel Hrncir (Facebook-Album)

Videos / Videoberichte:
- Daniel Hrncir: Aufzeichung des "offiziellen" Livestreams in zwei Teilen (wenig zu sehen, aber Redebeiträge gut zu verstehen)
- Daniel Weber: drei Handy-Livestream-Aufzeichnungen (auf bambuser.com in drei Teilen)
- wienTV.org --> folgt am Dienstag, 18.1.

Audio:
- Cultural Broadcasting Archive (CBA): doku demo: free media in hungary
- CBA: Die Wiener Kundgebung für Medienfreiheit in Ungarn vom 14. Jänner 2011

Freitag, 19. Dezember 2008

Was in der Medienberichterstattung auf der Strecke bleibt


Maritimer Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien. Slowenien, das über nur wenige Kilometer Küste zum Mittelmeer (Adria) verfügt, dort aber einen (umso wichtigeren) Hafen (Koper) betreibt, beansprucht einen größeren Teil der Bucht von Piran sowie einen freien Zugang zu internationalem Gewässer. Kroatien blockiert sein Jahren; die aus der Zeit Jugoslawiens stammenden, einst unbedeutenden inländischen Seegrenzen, würden durch einen baldigen EU-Beitritt Kroatiens quasi festzementiert. Slowenien hat daher, nicht zuletzt im Interesse der EU, die Konflikte zwischen Mitgliedsländern sicher nicht importieren will, Veto gegen die Fortführung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien eingelegt - und wird dafür von Kroatien, aber auch (österreichischen) Medien heftig kritisiert.

Konkret beziehe ich mich auf die Zeit im Bild (ORF 2, 19.30h, 18.12.2008): Dort wird der Beitrag über den slowenisch-kroatischen Grenzstreit eingeleitet mit den Worten "Kroatien spricht von Erpressung, die EU-Kommission ist verärgert"; auch der weitere Bericht stellt die ganze Causa als "strategisch wohl überlegt" dar und suggeriert, dass Slowenien eigentlich nur Ärger wolle und Kroatien unschuldiges Opfer einer slowenischen Intrige ist. Relativierende Aussagen, wie die Bedeutung (wirtschaftlich, psychologisch) eines freien Zugangs zur offenen See für Slowenien, sind nicht zu hören.

Auch ARTE-Info, zum Teil auch auf den Standard, der die Causa mit "EU-Beitritt: Slowenien blockiert Kroatien" betitelte, sprechen/schreiben in erster Linie von der Verzögerung der EU-Beitrittsverhandlungen, der Kroatien dadurch entsteht, und der Empörung über Slowenien von Seiten Kroatiens, der EU-Kommission und Verbündeter Kroatiens, wie etwa Österreich, dessen neuer Außenminister Spindelegger Worte des tiefen Bedauerns für diese Verzögerungen findet, aber offenbar kein Verständnis für Slowenien.

Tenor der Medien ist, sofern ich deren Berichterstattung mitverfolgen konnte (ORF, ARTE, zum Teil Der Standard), dass es eine Unart Sloweniens sei, sein Veto-Recht aufgrund von Streitigkeiten mit Kroatien auf EU-Ebene als Druckmittel einzusetzen. Der Kern des Problems, dass Slowenien zwar eine Küste und einen internationalen Hafen hat, aber keinen Zugang zu freiem, internationalem Gewässer, wird als Randerscheinung behandelt. Schiffe, die also den slowenischen Hafen von Koper ansteuern, müssen Gebühren für die Durchquerung von wahlweise kroatischem oder italienischem Hoheitsgewässer berappen. Denn in der Adria grenzt Kroatien direkt an Italien - Slowenien wird dabei übergangen. Der Hafen ist maritim gesehen somit eine Enklave. Die See-Grenzen sind in der Zeit Jugoslawiens begründet, als sie lediglich inländische, unbedeutende Verwaltungsgrenzen darstellten.

Slowenien fordert daher zurecht einen Verbindungskorridor zwischen seinem Hoheitsgebiet und dem internationalen Gewässer. Kroatien - mit eigenen Häfen natürlich in Konkurrenz zu Slowenien - dessen Hoheitsgebiet zur See einem solchen wenige Kilometer langen und schmalen Korridor weichen müsste, verhindert dies seit Jahren und offenbar scheint es kein Interesse daran zu haben, daran etwas zu ändern. Slowenien bleibt also nichts anderes über, als der Causa auf EU-Ebene neues Gewicht zu verleihen, um die Absurdität des kroatischen Blockade-Spiels aufzuzeigen. Dass Slowenien auch noch einen größeren Teil der Bucht von Piran fordert wird wohl kaum der Punkt des Scheiterns sein. Vermutlich dient diese Forderung lediglich, um Kroatien Verhandlungsspielraum zu gewähren, sodass Kroatien im Falle einer Lösung bezüglich dem internationalen Korridor zumindest einen Erfolg bei den Hoheitsansprüchen auf die Bucht von Piran vorweisen könnte.

Dass Österreich in diesem Streit wieder ein Mal deutlich für Kroatien Partei ergreift, ist ein falsches Zeichen. Kroatien ist zwar das größere und wirtschaftlich für österreichische Unternehmen bedeutsamere Land, aber der slowenische Hafen Koper hat für international agierende österreichische Unternehmen ebenso große Bedeutung. Eine diplomatischere Vorgangsweise würde dem neuen Außenminister Spindelegger in dieser Causa gut anstehen. Wobei betreffend Diplomatie gerade die Vorgängerin, die langjährig erfahrene Plassnik, um nichts rücksichtsvoller war. Ganz auf Linie der ÖVP machte sie sich scheinbar bedingungslos für eine rasche Aufnahme Kroatiens in die EU stark.
 
blank info