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Montag, 14. Mai 2012

8. Mai 2012-Nachlese


Etwa 600 (eigene Schätzung) bis 1.000, 1.100 (nochrichten.net) DemonstrantInnen versammelten sich am 8. Mai 2012 ab 17 Uhr bei der Unirampe am Schottentor um, wie bereits im Vorjahr, gegen das "Heldengedenken" deutschnationaler Burschenschaften am Heldenplatz zu protestieren. Da auch dieses Jahr wieder ein "zivilgesellschaftliches" (wenn man so will) Bündnis aus u.a. SPÖ Wien, Grünen und Israelitischer Kultusgemeinde (IKG) eine Kundgebung am Heldenplatz anmeldete, war dieser zum zweiten Mal in Folge teilweise für GegendemonstrantInnen zugänglich. Bereits am Nachmittag wurden unter Anwesenheit hunderter ZuhörerInnen Reden abgehalten, darunter Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani und der neue Präsident der IKG, Oskar Deutsch, der im Anschluss mit koscherem Sekt auf die Befreiung Österreichs vom NS-Regime anstoßen ließ. Um etwa 18:15 Uhr zog die Demonstration los. Am Heldenplatz warteten gegen 19 Uhr laut nochrichten.net bereits rund 300 Personen auf die eintreffende Demo.

Je nach Quelle befanden sich also zwischen 900 und 1.400 (laut Polizei: 1.200) Personen auf den antifaschistischen 8. Mai-Kundgebungen und -Demonstrationen. Ab 16:30 Uhr herrschten großflächig Platzverbote - der Heldenplatz war zwar keine Sperrzone, wurde aber dennoch bis auf einen kleinen Teil vor der Nationalbibliothek hermetisch abgeriegt, was insbesondere älteren TeilnehmerInnen der Gedenkkundgebung Schwierigkeiten bereitete (vgl. Video von AUGE IUG) - von TouristInnen und Sonnenhungrigen ganz abgesehen, die zum "Schutz" der Burschenschafter knapp 4 Stunden vor Beginn deres Aufmarsches des Platzes verwiesen wurden. Davon völlig unbeeindruckt zeigten sich in etwa zur gleichen Zeit über 150 TeilnehmerInnen eines "Freeze"-Flashmobs am Stephansplatz, die an diesem denkwürdigen Datum ihrer unpolitischen Überzeugung bzw. politischen Gleichgültigkeit Ausdruck verliehen.
 

Auch Anonymous Austria nahm wieder an den Protesten teil - und ließ den Wiener Korporationsring (WKR), (Mit)veranstalter des Totengedenkens am Heldenplatz, auf ihrer "Heimseite" den "Helden der Roten Armee" - so eines der sich abwechselnden Motive - gedenken. Über 24 Stunden lang war wkr.at auf diese Weise offenbar hilflos der aufsehenerregenden digitalen Protestaktion ausgeliefert - so lange, dass die gehackte Seite schon in den Google-Suchergebnissen aktualisiert wurde (vgl. Bild oben).

zwischen 600 und 1.000 DemonstrantInnen in zwei Gruppen konzentriert - Antideutsche & K-Gruppen im Bild rechts hinten - Basisgruppen & alle Anderen im Bild vorne

Bis zum Eintreffen der Burschenschafter gegen 20 Uhr verließen jedoch bereits viele wieder den Heldenplatz, vor dessen mit elektronischer Musik bespielter Bühne sich genau niemand versammelte - lieber genoss man noch die letzten Sonnenstrahlen im letzten nicht abgesperrten Fleckchen Wiese des Heldenplatzes (nachdem die Polizei ab 16:30 alle Leute von den Wiesen vertrieben hatte). Das Polizeiaufgebot war wieder enorm, auch der Polizeihubschrauber (Kostenpunkt: 65 € pro Minute) kreiste über dem ach so unübersichtlichen Heldenplatz. Nicht zu Unrecht bemerken Gastkommentare in der bürgerlichen Presse die Unverhältnismäßigkeit, ja gar Absurdität des ganzen 8. Mai in Wien, wo der geschichtsträchtigste Platz der Stadt nicht zur Feier der Befreiung vom Nationalsozialismus genützt wird, sondern ewiggestrig uniformierte, mit Säbeln bewaffnete Burschenschafter unter gigantischem Polizeischutz regelrecht einmarschieren, um den toten deutschen Soldaten des Krieges zu gedenken:

>> Wenn die rechten Burschenschafter und einzelne schlagende FPÖ-Mandatare wirklich dem Ende des Dritten Reiches nachtrauern wollen, dann sollen sie das doch bitte in ihren Klublokalen oder sonst wo tun, aber nicht öffentlich auf dem Heldenplatz unter dem Schutz der Wiener Polizei und des Innenministeriums. << (Gerhard Zeilinger: Befreit den Heldenplatz endlich von diesem Spuk!, Der Standard, 10. Mai 2012)

>> Die einzige öffentliche Veranstaltung an diesem bedeutungsgeladenen Ort war kein Staatsakt, sondern eine " Gegenveranstaltung", bei der Vertreter der SPÖ, der Wiener Grünen, der Israelitischen Kultusgemeinde und des Personenkomitees "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" auftraten. Was aber heißt "Gegenveranstaltung"? Schreiben wir wirklich das Jahr 2012?
An diesem Tag wurde sogar, was äußerst selten geschieht, das große Burgtor gesperrt und das Areal hermetisch abgeriegelt. Das Platzverbot wurde vom Wiener Polizeipräsidenten damit begründet, dass "aufgrund zu befürchtender gewalttätiger Ausschreitungen anlässlich des Umzugs zum ' Totengedenken des Rings Volktreuer Verbände' (...) anzunehmen (ist), dass eine allgemeine Gefahr für Leben (!) oder Gesundheit mehrerer Menschen und für Eigentum im großen (!) Ausmaß (...) entstehen wird".

Wie gut, dass die Polizei uns vor diesen Umtrieblern schützt, könnte man sich da zunächst denken. Aber das dicke Ende kommt im Paragrafen 3 der Verordnung, denn dort wird klar, dass es just umgekehrt ist: Die " Totengedenkler" dürfen rein in den Sperrbezirk und alle anderen nicht. Die Polizei ist demzufolge also nicht dazu da, die Mehrheit vor einer Belästigung durch die Umtriebe dieses Häufleins Verirrter - Sieger sehen wahrhaft anders aus! - zu schützen, sondern dazu, die "Volktreuen" vor jenen zu schützen, die an diesem 8. Mai wieder einmal das internationale Ansehen Österreichs durch ihr Auftreten gerettet haben, darunter viele Jugendliche, die den großteils nicht viel älteren Polizisten in ihren Star-Wars-Anzügen überwiegend mit entwaffnender Gelassenheit und ebensolchem Humor begegnet sind. << (Peter Zawrel: 8.-Mai-Gedenktag: Schreiben wir wirklich das Jahr 2012?, Der Standard, 9. Mai 2012)

Am Heldenplatz

Zugang zum Heldenplatz vom Ring bei der Nationalbibliothek

Anders als im Vorjahr blieb das Burgtor dieses Mal aber vollständig geschlossen. Die Demo konnte durch das geöffnete Eisengitter-Tor neben der Nationalbibliothek am Ring zuströmen - auf der gegenüberliegenden Seite war auch eine Passage durch die Hofburg frei. Befürchtungen, die Polizei könnte die Menge - wie im Vorjahr - beim abströmen, zeitgleich/parallel zu den Burschenschaftern, hindern bzw. einkesseln, bewahrheiteten sich nicht
--> die diesjährige polizeiliche Sperrzone und ihre Begründung

Polizei zieht Tretgitter-Reihen wieder zusammen, Menge wich zurück
Die antifaschistische Kundgebung am Heldenplatz verlief weitgehend zwischenfallsfrei und spürbar ruhiger als im Vorjahr. Die Pufferzone zwischen den beiden "Veranstaltungen" war von der Polizei aber dieses Mal deutlich größer angelegt und mit doppelten Gitterreihen getrennt. Das sorgte dann auch für den einzigen Vorfall, als nach einem lauten Böllerknall der nicht-kommunistische Teil der Demo (Antideutsche und kommunistische Gruppen konzentrierten sich auf einen anderen Teil der Sperre und erhielten von der Polizei, die sich hinter und vor den KommunistInnen massiv konzentrierte, ungeteilte Aufmerksamkeit) an der ersten der beiden Sperrgitter-Reihen zerrte und diese um etwa 10 Meter nach hinten zog (vgl. nebenstehendes Bild) - die Polizei konnte dennoch schnell eingreifen und zog im Anschluss die Gitter wieder zusammen. Eine Person dürfte dabei über die Gitter gelangt sein und planlos Richtung Burschenschafter-Gedenken gestürmt sein, wurde dabei aber natürlich von der Polizei abgefangen. Die zwei Personen, die aufs Dach des Burgtors "gelangt" sind und dort herumliefen stellten sich übrigens als Beamte des Inlandsgeheimdienstes (BVT) heraus. Überhaupt war das Zivi- und Verfassungsschutz-Aufgebot dieses Mal noch größer als ohnehin - auf bis zu 50, 60 Beamte gehen die Schätzungen, wobei dieses Mal offenbar eine große Zahl unqualifizierter Beamter als Aushilfs-Zivis eingesetzt worden sein dürfte, die sich gar nicht erst die Mühe machten, unauffällig zu wirken und sich mit Kopfhörer im Ohr mit uniformierten Beamten austauschten. Positiv vermerkt wurde (auf Twitter), dass auch der Burschenschafter-Umzug dieses Jahr unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand bzw. genau so gefilmt wurde wie die Gegendemo.

Nachdemo

Nachdemo am Ring Richtung Burgtheater
Deutlich souveräner als im Vorjahr gewährte die Polizei, als die Burschenschafter nach ihrem Gedenken auf einer polizeilich abgesperrten und stark gesicherten Route via Minoritenplatz zur Mölker Bastei zurückkehrte, allen DemonstrantInnen den Zugang zur Ringstraße, von wo aus sich eine Nachdemo aus etwa 300 Personen in Bewegung setzte - weitere 100 bis 200 Personen kamen individuell (nachdem die Polizei im Vorjahr auf Höhe Lueger-Ring - wenn auch erfolglos - versuchte, die Demo aufzuhalten) bis zur Mölker Bastei bzw. Schottengasse. Die Polizei fuhr mit Mannschaftswägen vor, ein Teil begleitete die unangemeldete Nachdemo.

Polizeiaufgebot am Schottentor, bevor die Tretgitter "aktiviert" wurden
Was "souverän" bei der Polizei bedeutet ist allerdings eine andere Frage ... Wie schon im Vorjahr (vgl. "Eskalation bei Demo 8.Mai 2011 (Schottentor ca 22:00)") erfolgten im Verlauf der Nachdemo mehrere polizeiliche Übergriffe. Zunächst brach die Demo beim Burgtheater Richtung Innenstadt aus, wurde aber in der Löwelstraße, teils unter Einsatz von Gewalt, von der Polizei gestoppt, dabei gab es dem Vernehmen nach eine Perlustrierung bzw. vorübergehende Festnahme. Dabei dürfte ohnehin nicht ganz klar gewesen sein, wohin dieser Ausbruch führen sollte, da etwa die Teinfaltstraße, die direkt zur Schottengasse / Mölker Bastei geführt hätte, zu diesem Zeitpunkt nur mit der Standardbesatzung bewacht wurde (eine Reihe Tretgitter, ein quer gestellter Mannschaftswagen, eine Hand voll BeamtInnen). AktivistInnen, die darauf hinwiesen, wurden nicht wahrgenommen.

Überhaupt hatte diese (Nach-)Demo eine deutlich schwächere Kommunikationsstruktur als etwa die noWKR-Demos oder die 8. Mai-Demo vom Vorjahr - was wohl an der geringeren Mobilisierung und Vorbereitung im Vorhinein liegt. Hätten doppelt so viele Personen teil genommen, die untereinander mehr kommuniziert hätten, hätte dieser Tag in die Geschichte des 8. Mai in Wien eingehen können ... aber Wien ist nunmal weder Chicago noch Athen, und der 8. Mai ist nicht noWKR!

An diesem 8. Mai wirkten die meisten Leute eher unmotiviert, den Burschenschafter-Aufmarsch ernsthaft zu stören - man begnügte sich mit Ententanz (ein bisschen hin- und herwackeln und in die Kameras lächeln) vor den Polizeisperren. Demonstrationen werden offenbar von vielen immer noch als sinnentleertes Ritual nicht nur akzeptiert, man fühlt sich dabei offenbar auch ganz wohl. Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass dieses Mal wieder viele zum ersten oder zweiten Mal auf einer antifaschistischen Demonstration dieser Größenordnung bzw. an diesem Datum waren - dafür muss man nur die TeilnehmerInnen-Zahlen der letzten Jahre miteinander vergleichen (mehr dazu im Abschnitt "Mobilisierung").

Nach dem Zwischenfall in der Löwelstraße zog die Demo - als wäre nichts geschehen (wäre man noch länger dort geblieben, wäre man womöglich gekesselt worden) - weiter. Bei Ankunft am Schottentor wurde die mit Polizeikette abgeriegelte Schottengasse nach einigen Minuten mit Tretgittern verstärkt. Die Burschenschafter wurden augenscheinlich auf anderen Wegen aus der Sperrzone gebracht. Kleingruppen, die es vom Schottentor (unter großen Umwegen) zu den anderen Seiten der Sperrzone in der Schottengasse schafften, wo sich Burschenschafter und Begleitung in Restaurants begaben oder auf Taxis warteten, wurden in Ruhe gelassen, sofern sie die von der Polizei für die Burschenschafter vorgesehene Ausfahrtsroute nicht behinderten. Diese - so stellte sich nach einer Weile heraus - befand sich in der Schreyvoglgasse/Teinfaltstraße.

Polizeiangriffe in Teinfaltstraße
 


Als eine Kleingruppe von etwa 10 bis 20 Personen dorthin vordrang war es nur noch eine Frage von Minuten, bis diese von der dort massiv konzentrierten Polizeipräsenz - darunter 20 bis 40 voll ausgerüstete WEGA-Beamte, angegriffen wurden. Als ich in der Teinfaltstraße eintraf, liefen mir gerade mehrere Personen entgegen - hinter ihnen jagten WEGA- und EE-Beamte hinterher. Etwa 9 oder 10 DemonstrantInnen wurden erwischt, für etwa 30 Minuten an eine Baustellenwand gestellt und perlustriert. Als etwa 20 Minuten später weitere Solidarische tröpfchenweise über die Rosengasse zur Teinfaltstraße kommen startet die WEGA die nächste Hetzjagd - in einer wilden Jagd werden die Leute zurück Richtung Löwelgasse getrieben, 3 oder 4 werden dabei erwischt und grob gestellt - einer wird dabei mehrmals mit dem Kopf gegen eine Glasscheibe gedroschen und dabei auch noch als "Scheiß Piefke" beschimpft. Aber was die Verbalausritte der Polizei betrifft, fangen wir besser gar nicht erst an aufzuzählen ... für ihre Gosch'n ist die Wiener Polizei ja ohnehin weltberühmt. Wer es wagt, sich an einen Beamten mit einer Frage zu wenden und dabei nicht mindestens genau so g'schert daherredet wie die Beamten selbst, kriegt als Antwort gleich ein "San sie überhaupt von do?".

Das muss wohl der "Wiener Schmäh" sein: Wiener Polizisten schützen die Faschisten - und beschimpfen Deutsche als "Scheiß-Piefke".

Auch das "lustige" Dienstnummern-Roulette erfuhr eine weitere Runde - noch ist nicht klar, ob die Betroffenen von Polizeigewalt tatsächlich echte Dienstnummern in Erfahrung bringen konnte oder ob die Polizisten wieder Zahlen in willkürlicher Reihenfolge ausfolgte. Was spricht eigentlich gegen Dienstnummern auf den Uniformen? Achja - Polizeigewalt könnte besser nachverfolgt werden ... das würde ja die Autorität des Staates untergraben, wenn die Polizei nicht mehr anonym prügeln könnte.

Eine spezielle Erwähnung verdient auch das mehrköpfige Fahrrad-Team der Polizei, das an diesem Abend eigens dafür eingesetzt wurde, FahrradfahrerInnen wegen irgendwelcher Kleinigkeiten abzufangen und anzuzeigen. Auch die Wiener Linien zeigten mit einer Schwerpunktkontrolle am Schottentor während des Demo-Treffpunkts bei der Uni-Rampe wieder einmal deutlich, wofür das Rote Wien von heute steht: "Der Heldenplatz den Deutschnationalen Burschenschaften - keine Gnade den SchwarzfahrerInnen unter den Fans der Befreiung Österreichs!"

Nachdem gegen 22 Uhr klar war, dass keine effektiven Blockaden aufrecht erhalten werden können, geschweige denn Perlustrierungen solidarisch verhindert werden können - sowohl wegen geringer Beteiligung, geringer Kommunikation als auch geringer Motivation - lösten sich die Proteste langsam auf.

Die Rechtshilfe berichtete von zwei oder drei Verhaftungen, die Teile der Nacht im PAZ Rossauer Lände verbringen mussten. Neben einer wie immer unbekannten und ungenannten Anzahl von durch Schlägen und Tritte (leicht) verletzter DemonstrantInnen melden offizielle Stellen, dass ein Polizist durch einen Flaschenwurf verletzt worden sei.

Mobilisierung - Top oder Flop?

Bei aller möglicher und berechtigter Kritik muss doch festgehalten werden, dass seit dem Auftreten der Bündnisse "Offensive gegen Rechts" und "jetztzeichensetzen" (Grüne, SPÖ Wien, IKG, Asyl in Not uvm.!) im Vorjahr deutlich mehr Menschen zu den Kundgebungen und Demonstrationen mobilisiert werden können als in den Vorjahren. Dazu kam 2011 auch die massive Mobilisierung durch HC Strache, der seinen Auftritt als Gastredner groß ankündigte und schließlich wegen "einem wichtigen Treffen" mehrere Tage (angeblich im Ausland) untertauchte, was in der Boulevardpresse tagelang als Top-Thema aufgegriffen wurde. Etwa 1.700, laut Polizei 700, sollen daraufhin zu den Demonstrationen erschienen sein (vgl. Bericht vom Vorjahr). Also etwa um ein Drittel oder die Hälfte mehr als 2012.

Zum Vergleich: 2010 gab es eine antideutsch geprägte Befreiungsdemo mit vielen Nationalflaggen und sowjetischen Hymnen, zu der sich etwa 250 bis 380 hinreißen ließen - die Demo ging vom Schwarzenbergplatz aus bereits am Nachmittag durch den Ersten Bezirk, fernab des Burschenschafter-Aufmarsches. 2009 versammelte sich eine antifaschistische Kundgebung mit etwa 100 TeilnehmerInnen im Sigmund-Freud-Park (Votivpark) neben der Universität Wien - und durchbrachen eine Polizeisperre, womit sie offenbar nicht nur die Polizei sondern auch sich selbst überraschten. Ein unsolidarisches "wie komm ich hier möglichst schnell wieder raus ohne verhaftet zu werden?" griff um sich, als Erfolg kann das wohl kaum gewertet werden.

Fazit: Mit dem Heldenplatz als Kundgebungsort und dank Straches PR-Aktion im Vorjahr, gelingt es (auch dieses Jahr) mehr Leute zu mobilisieren als je zuvor. Möchte man den Aufmarsch aber blockieren oder verzögern, müssten sich die Leute aber schon im Vorhinein (besser) organisieren, Bezugsgruppen bilden, mehr untereinander kommunizieren. Dann könnte es auch in Wien vielleicht schon beim nächsten Mal heißen: "8. Mai - Wien nazifrei!"

LINKS

[:Videos:]
- ORF, Wien Heute: Totengedenken und Gegendemonstration
- ORF, ZiB24: Geteiltes Gedenken an NS-Kapitulation
- AUGE IUG: 8. Mai 2012 - wer heute nicht feiert, hat schon verloren 
- AUGE IUG: 8. Mai 2012 - Richard Wadani
- AUGE IUG: 8. Mai 2012 - Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde


[:Fotos:]
- Martin Juen: Totengedenken der Bruschenschaften & Gegendemonstration | Wien 08.05,2012

- cg-politics: 8. Mai - Wien, Heldenplatz #nowkr
- Daniel Weber: #NOWKR 8. Mai 2012 - Tag der Befreiung am Heldenplatz! 
- Die Presse: Proteste gegen das Totengedenken

[:Texte:]
- nochrichten.net: 8. Mai in Wien: Von Befreiungsfeiern zu lautstarken Störungen deutschnational/-völkischen Gedenkens.
- ÖSTERREICH: "Aufmarsch gegen Burschenschafter", 9. Mai 2012

Donnerstag, 9. Juni 2011

Groteske um noWEF 2011 - die Ruhe vor dem Sturm?

Für Kenner der linken Szene - zu denen, am Verfolgungswahn gemessen, eigentlich auch der Verfassungsschutz und die Polizei zählen sollte - war von Anfang an (relativ) klar: 1.000 oder gar 1.500 DemonstrantInnen werden das bei den noWEF-Protesten sicherlich nicht. Möglicherweise lag diese Fehleinschätzung bei den Anmeldern der Demo (ein kommunistisches Bündnis?) selbst, als man die Zahl der TeilnehmerInnen in selbstbewusster Selbstüberschätzung mit 1.000 angab. Möglicherweise wollte die Polizei auch nur "auf Nummer sicher" gehen und rechnete großzügig hunderte DemonstrantInnen aus dem Ausland (wie zuletzt bei Bologna Burns 2010 der Fall) dazu. Möglicherweise aber gelang die wochenlange Einschüchterungskampagne der Behörden via Medien besser, als von allen Seiten vermutet. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus all diesen Faktoren, in Kombination mit schlechter Vernetzung und Mobilisierung im Vorfeld der Demo. Dem Vernehmen nach soll das Interesse an derartigen Treffen nahezu bei Null gelegen sein. Insofern ist dem kommunistischen Bündnis, das hunderte ihrer Anhänger mobilisieren konnte, auch überhaupt nichts vorzuwerfen. Offenbar haben sie als einzige den WEF-Gipfel überhaupt ernst genommen.

Medienspektakel

Die Medien, die in ihrer beschämenden Ahnungslosigkeit der Wiener Szene wie immer den Darstellungen der Polizei nachplapperten, stürzten sich in erwartungsvoller Vorfreude auf die angekündigten Proteste und malten sich, mithilfe unmissverständlicher Andeutungen seitens der Polizei, Straßenschlachten zwischen "linken Chaoten" und hochgerüsteten PolizistInnen mit Wasserwerfern und Hubschraubereinsatz in der Wiener Innenstadt aus. "Immerhin" gab es vor 9 (!!!) Jahren in Salzburg (!) ja eh auch Zwischenfälle bei den Protesten gegen das dortige WEF-Treffen. Diese "Zwischenfälle" waren zwar äußerst einseitig und wären eher als Ausschreitungen der Polizei gegenüber DemonstrantInnen zu bezeichnen, aber das spielt natürlich keine Rolle, weil sich ja die DemonstrantInnen ja eh immer als unschuldig bezeichnen und die Polizei sicher ihre Gründe gehabt haben wird. Immerhin: die sind die Polizei, warum sollten die lügen? Und außerdem: In Davos, Big Town City und in Far Far Away gibts ja auch immer heftige "Krawalle" - womit sich jegliche Recherche für die Wiener JournalistInnen zum Glück vollkommen erübrigt: es ist ja eh alles klar!

Also wiederholten die Äffchen in den Wiener Redaktionen brav, was ihnen die Polizei vorplapperte: Gewaltbereite linke Chaoten aus dem Ausland, Urlaubssperre für die Wiener Polizei, Schengen wird aus Sicherheitsgründen außer Kraft gesetzt, der Luftraum wird gesperrt, Sperrzonen und Platzverbote um die Hofburg, Festnahmestraße mit "Schnellrichtern", eine ganze Etage im PAZ Rossauer Lände für 80 Personen frei gemacht, fliegende Spaghettimonster drohen mit Angriffen ...

"Ausnahmezustand in der City: Scharfschützen und Wasserwerfer" warnte die Kronen Zeitung am Tag der Auftaktdemo, "Stau und Krawalle" lieferte Österreich als Appetizer auf ihrer Titelseite, und auch Der Standard stimmte, wie alle anderen Zeitungen, wenn auch um eigene Angaben ergänzt und etwas weniger schreierisch, in den "Sicherheitsvorkehrungs"-Kanon der Polizei und der APA ein.

Volkstheater

Zur Demo selbst kamen schließlich vor allem kommunistische Gruppen. Rote Fahnen schwenkend bestimmten sie das Erscheinungsbild der Demo, obwohl die Hälfte der TeilnehmerInnen durchaus anderen Teilen der Linken zuzuordnen gewesen wäre. Doch "Mitläufer" ohne Transparente oder Schilder fallen eben weniger auf. Der "revolutionäre Block" war ebenso mit Kommunisten gefüllt wie der Block der Maoisten, die mit ihrem großen Mao-Transparent nicht zu übersehen waren und mit Sprechchören wie "Alle Macht im Staat, dem Proletariat" und "Hammer, Sichel und Gewehr ..." wohl nicht ganz unschuldig daran waren, dass am Westbahnhof kaum noch 300 DemonstrantInnen übrig waren und am Weg zum Volkstheater bis auf 150 auch der Rest verschwand. Auf Indymedia wurden mehrere Beiträge gepostet, die sich über die "aus einer feministischen, antikapitalistisch/emanzipatorischen Sicht jenseitigen Gruppen" empörten und neben der "Präsenz von K-Gruppen, AntiImps und KPÖ" nur "dazwischen ein paar Undogmatische und Autonome" finden konnten. "Nicht dabei sind die angekündigten ausländischen Gewalttäter_innen, wurden wahrscheinlich alle bei den Passkontollen an der Grenze erwischt." (Der Standard widerspricht: "Bis Dienstag wurden jedenfalls keine Personen, die als Gefahr für den WEF-Gipfel eingestuft werden könnten, bei den Grenzkontrollen entdeckt" 8.6., S. 5)

Tatsächlich dürften viele potentielle DemonstrantInnen durch das gerüchteweise 4.500 PolizistInnen umfassende Polizeiaufgebot (davon vermutlich maximal die Hälfte tatsächlich in Wien) samt Wasserwerfern und Schnellrichterstraße sowie bisherige Erfahrungen mit der Polizei an Demonstrationen in Wien abgeschreckt worden sein. Warum sollten sich Randalierer und Krawallmacher durch die Polizei abschrecken lassen, mögen nun manche fragen: Ganz einfach: es gibt fast keine "linken Chaoten" in Wien. Die Masse der TeilnehmerInnen an antifaschistischen, antirassistischen oder antikapitalistischen Demonstrationen ist pazifistisch veranlagt - entgegen der weit verbreiteten Darstellungen der Polizei und der Medien. Die Folge derartiger Panikmache ist tatsächlich eine "demokratiepolitische Katastrophe", wie ein Aktivist gegenüber der APA sagte. Denn die Abschreckung funktioniert: "ich will ned schon wieder eine Anzeige" hört man immer wieder von politisch an sich interessierten und kritischen Menschen, die wahlweise bei der Demonstrationen gegen WKR-Ball 2010 (über 670 Anzeigen!), noWKR 2011 (etwa 150 Anzeigen), diversen Demonstrationen gegen Abschiebungen (immer wieder dutzende Anzeigen) oder zuletzt nach dem Freispruch der Tierschützer in Wiener Neustadt, als in Wien etwa 35 DemonstrantInnen (aus einer Demo mit etwa 150 TeilnehmerInnen) von der Polizei überrascht wurden.

Einschüchterung mit System

Es zeugt zwar nicht gerade von politischem Rückgrat, sich der durchschaubaren Einschüchterung der Polizei widerstandslos unterzuordnen, andererseits sind wir alle in das selbe System gezwängt, in dem eine Verwaltungsstrafe über 70, 100 oder gar 350 Euro durchaus dazu führen können, sich lieber noch mal genau zu überlegen, warum man eigentlich uneigennützig für gemeinsame Interessen auf die Straße gehen sollte. Dass es in Wien keine gut organisierte Freiraum-Szene gibt (autonome und/oder besetzte Häuser), sondern lediglich ein paar Plätze, an denen die meisten AktivistInnen entweder zu sehr mit dem reinen Überleben der Initiative beschäftigt sind, oder einfach mit dem Kochen eines eigenen Süppchens zufrieden sind, tut sein übriges.

Und wenn sich die Polizei es bei monate- oder wochenlang vorbereiteten Demonstrationen bis unmittelbar (!) vor Demo-Beginn die Option offen lässt, die Demo zu verbieten, ist jenes Grundvertrauen in die demokratische Funktionsweise verloren, das es benötigt, mit gutem Gewissen und ohne Angst vor Polizeirepression eine Demo zu besuchen. Wenn man bei (in einem rechts dominierten Staat) "brisanten" Themen wie Anti-Kapitalismus oder Anti-Rassismus immer damit rechnen muss, dass die Polizei eine derartige Demo wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" untersagt, ist vielen der praktische Ausdruck von Kritik am herrschenden System schlicht "zu heiß". Und das in Wien, demokratische Republik Österreich, 2011.

die Ruhe vor dem Sturm?

Und so herrscht in Wien derzeit eine Ruhe, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Dass es auch in Wien nicht immer ruhig bleiben muss, hat der Ausnahmezustand rund um die Ernennung der Schwarz-Blauen Koalition ebenso gezeigt, wie der "heiße Herbst" 2009 mit mehreren großen Studierendendemonstrationen und reihenweise Hörsaalbesetzungen. Dabei ist viel Energie verbrannt worden, ganz im Sinne der "Aussitzen"-Strategie der "Aussitz"-erprobten "Groß"-Parteien. Den ÖsterreicherInnen geht es derzeit - gerade im internationalen Vergleich - offenbar tatsächlich noch "zu" gut. Dennoch funktioniert auch Österreich nach der kapitalistischen Logik, der Neoliberalismus hat viele sozialistische und sozialpartnerschaftliche Errungenschaften weggenommen oder beschädigt. Die Menschen äußern ihre Frustration, indem sie FPÖ wählen, wenngleich ihnen vielfach selbst bewusst ist, dass dadurch nichts besser wird. Sie tun es dennoch, denn es ist die österreichische Weise, Protest auszudrücken.

Aber es wird nicht immer so ruhig bleiben, und angesichts der rasanten Entwicklungen in und um die EU, in der ein ums Überleben kämpfender Kapitalismus den Menschen seine hässliche Seite zeigt und sie dadurch massenhaft auf die Straßen treibt, fragt sich, ob es nicht die Ruhe vor dem Sturm ist.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Gratiszeitung "Heute" als Diener des Neoliberalismus

Gratis- und Boulevardzeitungen wie - in Österreich - "Krone", "Heute" oder "Österreich" - nehmen gerne für sich in Anspruch, nahe am "Volkswillen" zu sitzen und unverblümt das zu schreiben, was sich angeblich "eh alle denken", aber in den "sogenannten" Qualitätsmedien aus welchen Gründen auch immer ("Großkopfertheit", "Abhängigkeit" von Politik, Wirtschaft oder irgendwelchen Ideologien etc.) unter den Tisch fällt. Mal abgesehen davon, dass die Boulevardblätter vor allem durch Inserate der Regierung und regierungsabhängiger bzw. -naher Unternehmen und Institutionen finanziert werden und viele sogenannte "Artikel" ungekennzeichnete bezahlte Einschaltungen von Großunternehmen sind, hinkt diese Selbstdarstellung des Boulevards (die von den orientierungslosen Regierungsparteien sogar widerspruchslos angenommen wird) der Realität besonders in der aktuellen Wirtschaftskrise deutlich nach.

"Heute" bejubelt totale Privatisierung griechischer Infrastruktur

"Schlussverkauf bei den Pleite-Griechen" lautet heute, 25.5.2011, die Jubelmeldung der Wiener Gratiszeitung "Heute" auf Seite 4. Das Blatt, das über ein treuhändisches Konstrukt verschleiert mehrheitlich im Eigentum der SPÖ, der Kronen Zeitung und einer österreichischen Bank steht, feiert die kürzlich angekündigte Privatisierungswelle in Griechenland: "Jetzt verscherbeln sie sogar das Meer" lautet der Untertitel zur Überschrift, und das ist gar nicht vorwurfsvoll, sondern spottend und zustimmend gemeint: "Jahrzehntelang wurschtelten die Griechen auf EU-Kosten vor sich hin." lautet sogleich die Rechtfertigung, die "Heute" diesem Vorgang beimisst. "Um das Defizit zu senken und damit weitere EU-Hilfe zu bekommen, sollen selbst Teile des Meeres verkauft werden - samt darunter liegendre Gasvorkommen."

Bevor näher auf den Wert dieser Meldung eingegangen wird, muss man wissen, dass der Großteil des griechischen Staatsdefizites nicht aus dem "laufenden Geschäft" stammt (also staatliche Einnahmen minus staatliche Ausgaben), sondern aus Zinszahlungen, die das Land für seine - in der Tat - hohen Staatsschulden leisten muss. Der Zinssatz dafür ist in den letzten drei Jahren von ein paar wenigen Prozent auf bis zu 15 bis 20 % geklettert. Der Grund dafür? Abstufungen der Kreditwürdigkeit durch Rating-Agenturen, die einen Teufelskreis auslösen: Der Staat benötigt jährlich mehr Geld, bloß um die Zinsen zu begleichen. Da die Zinsen stark gestiegen sind, muss das Land Kredite aufnehmen, um die Zinsen zu bezahlen. Da dies schwierig ist, steigen die Zinsen weiter. Die Folge: Das Land benötigt noch mehr Kredite, um die noch höheren Zinsen zu zahlen. Würde Österreich, das mit derzeit etwa 70 % Staatsverschuldung (inkl. ÖBB, ÖIAG und ASFINAG sogar über 80 %) auch nicht besonders weit von den "Pleite-Staaten" Griechenland, Irland, Island und Portugal entfernt liegt, ein ähnliches Schicksal (Abstufung durch Rating-Agenturen, etwa mit Verweis auf das "hohe Osteuropa-Risiko" und das geringe Eigenkapital der österreichischen Banken) erleiden und die Zinsen von 3 bis 4 % auf zB. 12 bis 15 % klettern, hätte das eine vervier- oder verfünffachung der jährlichen Zinszahlungen zu Folge. Das bedeutet, dass Österreich statt derzeit rund 8 Milliarden Euro, die jährlich als Zinsen an verschiedene Banken und andere Geldgeber bezahlt werden (ohne, dass dadurch die zugrunde liegende Schuldlast von etwa 170 Mrd. € sinken würde) plötzlich 32 bis 40 Mrd. Euro an Zinsen bezahlen müsste. Wo soll das Geld herkommen? Entweder durch Kredite von Banken (natürlich unter horrenden Zinssätzen wegen des hohen Ausfallsrisikos), von Staaten oder durch Einsparungen bei den Staatsausgaben, obwohl diese ja gar nicht der Grund für das - plötzlich - hohe Defizit von - in diesem hypothetischen Fall - 15 bis 20 % sind.

"Pleite-Ösis" statt "Pleite-Griechen"?

Was könnte oder sollte Österreich in diesem Fall tun? Wenn es nach den österreichischen Boulevardzeitungen geht, hat Österreich in diesem Fall "jahrzehntelang über seine Verhältnisse" gelebt. Als Beleg dafür könnte man auf das im internationalen Vergleich sehr niedrige durchschnittliche Pensionsalter verweisen, das mehr als 10 Jahre unter dem offiziellen Pensionsantrittsalter von 65-67 Jahren liegt. Weiters könnte man auf die Privilegien der Beamten (Zulagen!), ineffizientes Bildungs- und Gesundheitssystem (weltweit eines der teuersten, aber im internationalen Vergleich nur mittelmäßig), unnötige sündteure Anschaffungen aufgrund dubioser Abmachungen und tolerierter Korruption (Koralmtunnel, Eurofighter-Ankauf, Justiz-Tower etc.) usw. usw.

Würden "Heute", "Österreich" und "Krone" tatsächlich so über Österreich herfallen? Wohl kaum! Eher würden diese Boulevardblätter über die ungerechte Behandlung des Auslands (Stichwort: "böse EU", "böse Banken" usw.) herziehen, denn ausländische Boulevardblätter ("Bild", "Sun", "Blick") etc. würden keine Sekunde zögern, uns als "Pleite-Ösis" oder "Alpen-Griechen" darzustellen.

Nationalismus und patriotisches Halbstarkentum statt "Stimme des Volkes"

Aber da es ja nicht um Österreich, sondern Griechenland geht, überwiegt doch eher die Freude, auf jemand angeblich schwächeren einprügeln zu können, um sich selbst dadurch besser fühlen und in vermeintlicher Sicherheit wiegen zu können. So simpel ist die Logik des Boulevards. Das ist zwar kein Geheimnis und sicherlich keine neue Erkenntnis, aber genau so wie uns der Boulevard jeden Tag neue, aber doch immergleiche "Skandale", "Katastrophen" und "Bürgerkriege" (so der Boulevard über die Ausschreitungen beim Wiener Derby!) auftischt und von uns Empörung einfordert, muss auch dieser simple Sachverhalt ab und zu in aller Klarheit wiederholt werden.

Also da sitzen sie nun, die österreichischen Redakteure des Boulevards, in diesem Fall Wolfgang Bartosch, der offenbar in Euphorie verfällt, wenn er schreibt: "Runter mit dem Defizit, alles muss raus! Nach anfänglichem Zögern startet Griechenlands Regierung endlich die umfangreiche Privatisierungswelle. Weg müssen Anteile am auf 1,2 Milliarden geschätzten Telekomkonzern OTE. Ebenfalls verklopft werden Aktien des Wasserversorgers Athens Water (Marktwert 555 Millionen). Bis zu 535 Millionen könnte das Hafenpaket (Piräus, Thessaloniki), vier Milliarden das Wettunternehmen OPAP, bis zu 2,4 Milliarden der Energieversorger DEI bringen. Zudem veräußert Athen Erdgasvorkommen unter dem Meer vor Kavala, Autobahn-Mautrechte, Flughägen, den Gasversorger DEPA, ein Lastwagen- und ein Alu-Werk, Mobilfunkfrequenzen, ein Kasino, die Waffenindustrie sowie die Bahn."

Österreichische Wasser- und Energieversorgung als gewinnorientierte Privatunternehmen. Ja bitte?

Man stelle sich vor, Österreich müsste unter internationalem Druck die Wiener Wasserwerke privatisieren, die OMV (vollständig) verkaufen, Casinos Austria "verscherbeln", die Österreichischen Lotterien ans Ausland abtreten, die ASFINAG (samt Mauteinhebungs-Rechte) privatisieren, sowie sämtliche Donau-Häfen ... was würde "Krone", "Heute" und "Österreich" dazu sagen? Wir wissen es bereits, man betrachte bloß die Berichterstattung der letzten zehn Jahre (was zumindest bei der "Krone" möglich ist). "Unser Wasser" ans Ausland zu verkaufen wird praktisch als Todsünde betrachtet, "unsere" VOEST zu privatisieren war ebenfalls ein "Skandal sondergleichen", das "verscherbeln" von Energieversorgern wie "Energie AG" oder "Verbund" - undenkbar! Aber bei Griechenland? Keine Spur von Solidarität: Im Boulevard zählt nicht der Mensch und die Solidarität der Menschen untereinander, es zählt die Nation! Sollen doch die anderen Nationen untergehen, alles verkaufen, an ihrem Elend sprichwörtlich verrecken: wir stehen daneben und jubeln, und wehe, eine von uns käme auf die Idee, den Griechen zu helfen: bloß keinen Cent überweisen, ist sich der Boulevard mit der FPÖ einig. Aber - (der nicht existierende und daher bloß sprichwörtliche) Gott behüte - Österreich würde aus natürlich völlig undenkbaren Umständen in eine ähnliche Situation geraten und die internationale Presse aus bereits erläuterten Gründen nur Spott und Hohn für die "über den Verhältnissen lebenden Ösis" bereit haben, wie groß wäre wohl der Katzenjammer von genau den selben Herren (eher seltener: Damen) in den Leitartikeln der Boulevardmedien. Herr Bartosch, das traue ich mich wetten, würde als erster lautstark die große "Ungerechtigkeit" der internationalen Presse und des "Auslands" beklagen.

wir brauchen mehr Emotionen: wie wärs mit Spott, Hohn und Schadenfreude?

Aber soweit denkt im Boulevard niemand. Wozu denn auch? Es zählt die knackige Schlagzeile, "die Emotionen", oder genauer gesagt: die Schadenfreude!

Dass vielleicht irgendetwas falsch ist, an all den Vorgängen rund um Griechenland derzeit, auf diese Idee käme kein Dichand, kein Fellner und kein Ainetter. Und das, obwohl ironischer Weise direkt neben dem Artikel über die "Pleite-Griechen" zwei kurze Artikel Österreichs Lehrer beiläufig als "Privilegienkaiser" darstellen und Österreich als "zu korrupt" betiteln. Würde der Boulevard also eventuell doch eine totale Privatisierung der gesamten staatlichen Infrastruktur von Trinkwasser, Energie über Schiene, Autobahn und Rohstoffe verlangen?

Dauererpressungszustand: die Lüge des drohenden Bankencrashs

Kommen wir mal kurz zur Quintessenz des Ganzen, warum man eigentlich sofort aufschreien müsste (gerade der Boulevard!), dass dieses Total-Privatisierungsprogramm eigentlich keine Maßnahme zur Schuldentilgung ist, sondern ein Überfall unter vorgehaltener Schulden-Waffe ist. Die "totale Privatisierung" der griechischen Infrastruktur bringt insgesamt vielleicht 20, vielleicht 30 Milliarden ein. Was passiert damit? Werden damit die mehreren hundert Milliarden Staatsschulden reduziert? Wohl kaum. Selbst wenn, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Geld wird eher für die laufende Zinsleistung benötigt, die sich ja, wie bereits erwähnt, vervielfacht hat. Sogar die Qualitätszeitung "Der Standard" macht bei diesem Spiel mit. An und für sich erfahrene Wirtschaftsredakteure wie András Szigetvari kommen nicht auf die Idee, im Interview mit dem Direktor der Europäischen Zentralbank, Lorenzo Bini Smaghi, dieses pseudointelligente "Lösungs"-Prinzip zu hinterfragen: das staatliche "Eigenkapital" inklusive Reduzierung des "Umsatzes" und "Gewinnes" reduzieren, um EIN EINZIGES MAL einen KLEINEN TEIL der JÄHRLICHEN Zinsen zu bezahlen? Keine Bank der Welt, kein Unternehmer, ja nicht mal die Tochter einer Schottergrubendynastie würde als Finanzverantwortlicher so einem Vorgehen zustimmen. Wie soll das "Unternehmen Staat" denn weitergeführt werden, wenn die Kapitalbasis veräußert wurde und gleichzeitig ein "Maßnahmenbündel zur umfassenden und dauerhaften Einnahmensbeschneidung" umgesetzt wird? (die Begleitmaßnahmen sind ja bekanntlich Einsparungen bei Gehältern der Staatsbediensteten und im Sozialbereich, wodurch die Kaufkraft, der Konsum und ergo die Produktion und damit sämtliche Steuereinnahmen drastisch zurückgehen). Jeder auch nur über einen Funken Verstand besitzende Unternehmer würde bei derartigen Forderungen der Gläubiger sofort den Konkurs anmelden. Die Gläubiger müssen sich gefälligst mit einer Quote begnügen, auch die Finanzwirtschaft ist kein Selbstbedienungsladen der Banken. Warum spielen alle Staaten da mit? Entweder glauben sie die Lüge, dass der Ausfall willkürlich erfundener Fantasie-Forderungen die Banken ruinieren würde (die Fantasie-Summen würden abgeschrieben werden und die Bilanzsummen der Banken wären wieder auf dem Niveau vor dem Griechenland-Jackpot), was wiederum ein totales Versagen der gesamten europäischen Politik inklusive ihrer Berater bedeuten würden, deren Volkswirtschaftskenntnisse ausnahmslos (!) offenbar nichteinmal HAK-Matura-Niveau erreichen. Das wäre so dumm, dass es selbst bei größtem Pessimismus nicht vorstellbar wäre.

Wahrscheinlicher ist, dass alle entscheidenden Personen massivst von Lobbyisten und Medien bearbeitet werden, quasi windelweich geprügelt werden, dass sie aus Angst, in der Weltfinanzkrise ihre eigenen Staaten zu ruinieren, auch den dämlichsten und fantasievollsten Forderungen der Banken - die währenddessen ungeniert und eigentlich entlarvend Rekordgewinne verbuchen - zustimmen. Das wiederum würde bedeuten, dass die Politiker schlicht zu wenig Rückgrat und Mut besitzen (aber aufgrund der öffentlichen Meinung, die durch Massenboulevardblätter wie "Heute" konstruiert wird) und - wiedermal: ironischerweise - die Aussage des Bankers Andreas Treichl bestätigen, der den Politikern eben genau diesen fehlenden Mut bescheinigt. Ironisch deshalb, da er selbst aufgrund dieses fehlenden Mutes Rekordgewinne verbuchen darf und sich selbst und seinen obersten Managern und Aufsichtsräten die Gehälter und Boni-Zahlungen deutlich erhöht.

ich verkaufe mein Haus um die Zinsen zu bezahlen ... und dann wollen sie auch noch mein Auto, mit dem ich zur Arbeit fahre ... hä? It's the economy, stupid!

Zurück zum eigentlichen Sachverhalt: Die staatliche Infrastruktur wird also an Investoren verkauft, um die vom Finanzmarkt hochgetriebenen Zinsen an die Banken zu zahlen. Oder noch kürzer gesagt: das ganze Geld geht direkt als Gewinn in die Bilanzen der Banken, womöglich sogar noch unbesteuert. Solange die Banken und Investoren die Zinsen auf diesem hohen Niveau (10 bis 20 % oder sogar darüber) halten, können sie praktisch ALLES einfordern was sie wollen. Und der "Witz" an dem ganzen ist: selbst wenn sie alles kriegen, wird sich an der Höhe ihrer Forderungen nichts ändern. Erst wenn alles privatisiert ist, was privatisiert werden kann, werden sie vielleicht - aber nur vielleicht - Ruhe geben. Oder Griechenland meldet dann doch noch Konkurs an (immerhin entgehen dem Land durch die Privatisierung aller staatlichen Unternehmen ja auch deren Umsätze und Gewinne, während die Ausgaben kaum sinken - das Budgetdefizit wird durch die Privatisierungen also noch größer! Und nach einigen Jahren wird es doch wieder der Staat sein, der die bis dahin verfallenen Anlagen (wie man aus den USA und Großbritannien weiß, haben Privatunternehmen wenig Interesse daran, in die Instandhaltung von Strom- und Wasserleitungen oder Schienennetze zu investieren, das würde ja die Gewinne abschöpfen ...) zu reparieren hat (die Unternehmen werden nach zehn oder zwanzig Jahren wieder verstaatlicht, um die staatliche Grundversorgung zu gewährleisten: sprich: nachdem die Unternehmen 20 Jahre lang fette Gewinne abgeschöpft haben (da sie ja nicht in die Instandhaltung investieren), werden sie enteignet und der Staat hat 20 Jahre Investitionen nachzuholen. Fragt sich nur mit welchem Geld dann? Aber dann kann man ja das Spiel nochmals von vorne beginnen ...).

Und wieder mal die SPÖ: an vorderster Front dabei, die neoliberale Verblendung des Volkes zu gewährleisten

"Heute" bejubelt also, dass Griechenland seine Infrastruktur an die Banken verschenkt (nichts anderes ist es, wenn der Finanzmarkt zuerst die Zinsen auf ein unbezahlbares Niveau hochtreibt und im Gegenzug dafür alles kassiert, was der zahlungsunfähige Schuldner besitzt). Und die SPÖ finanziert mit ihren Inseraten die Existenz dieses Blattes. Das soll hier mal in aller Deutlichkeit festgehalten werden. Merken wir uns das einfach, falls wieder einmal behauptet wird, der Boulevard spreche doch nur das aus, was sich eine angebliche Mehrheit der Bevölkerung im Land "wünscht". In Wahrheit ist der Boulevard ein nationalistisches Machwerk, das bestenfalls als Totengräber von Aufklärung, sozialen Errungenschaften und Demokratie dienen kann. Dass so etwas durch Millionen-Inserate vor allem der SPÖ am Leben gehalten wird, obwohl es vor allem der FPÖ nützt, sagt auch einiges über den Zustand und Positionierung der SPÖ aus.

Immer nur nörgeln? Nein: So wäre es richtig:

Achja, und bevor ichs vergess: ich will ja natürlich nicht nur alles kritisieren und mir dann vorwerfen lassen, ich wüsste nicht, wie es besser ginge. Freilich weiß ich das ;)

"Heute" und alle anderen Boulevardblätter sollten Farbe bekennen, dass sie auf der Seite der Völker (bzw. Bevölkerung/Menschheit; lassen wir mal die in diesem Fall nebensächliche Begriffsdefinitionsdiskussion beiseite) sind und nicht auf der Seite der Finanzwirtschaft, die uns Enteignung von Volkseigentum als Lösung von Problemen, die durch eine schrankenlose Finanzwirtschaft herbeigeführt wurden, verkaufen und und uns somit verblenden wollen. Die Einschränkung der Finanzwirtschaft und Zurückgewinnung (bzw. erstmalige Erlangung) der vollen Souveränität der Völker (Bevölkerung) über ihre Schicksale, denen die Wirtschaft als Diener untergeordnet ist - und nicht umgekehrt! - sollte die Botschaft sein, die ein Boulevardblatt, das seiner selbsternannten Rolle als Sprachrohr des Volkes gerecht werden will, verbreiten sollte.

Dass dies nicht so ist zeigt nur, wie es um die tatsächliche Rolle der Boulevardmedien bestellt ist: sie sind nichts anderes, als ein verlängerter Arm der (Finanz-)Wirtschaftsinteressen und Verblender des Volkes im Interesse des Gewinnstrebens von Großkapitalisten. Dass sie sich dabei als Stimme des Volkes ausgeben ist Teil des Konzepts, um möglichst viele Menschen erreichen zu können.

Freitag, 23. Juli 2010

unibrennt - ein bedeutender Schub für die zivigesellschaftliche Nutzung & Vernetzung im Web 2.0

Als das Audimax der Universität Wien am 22. Oktober 2009 besetzt wurde, geschah mehr, als nur das. Binnen weniger Stunden wurde nicht nur eine Webseite ins Leben gerufen, sondern auch eine Facebook-Seite gestartet und ein Twitter-Account angelegt. Es folgten ein Ustream-Account (Für Liveübertragungen via Internet, später, im Spätwinter, Anfang 2010, abgelöst durch einen neuen Ustream-Account), ebenso ein Youtube- und ein flickr-Account für Video- und Foto-Uploads. "Selbstverständlich" wurden natürlich auch rasch Email-Adressen (unibrennt @ gmail) eingerichtet, die Presse-Gruppe (Medienbetreung, Webseite redaktionell, Social Media) legte sich ein Presse-Handy zu und einige Wochen später startete das unibrennt-Wiki.

Was das für den Umgang mit Web 2.0 in Österreich bedeutet, wird nun allmählich klar. Meiner Meinung nach brachte die Audimax-Besetzung mit ihrer unibrennt Digital Community einen großen Schub für die zivilgesellschaftliche Nutzung und Vernetzung auf Facebook und Twitter in Österreich. Auch über die oppositionell zu verortende sogenannte Zivilgesellschaft hinaus, nämlich direkt in den Mainstream, hinterließ die unibrennt-Bewegung spuren. Social Media musste nun auch von Parteien als nicht zu vernachlässigender Kommunikationskanal anerkannt werden. Dass dies zunächst nicht der Fall war, lässt sich wohl am besten am Kommentar des damaligen Wissenschaftsministers Johannes Hahn erkennen, der am Tag zwei der Besetzung in einem ORF-Fernseh-Interview mit einem verschmitzten Lächeln allen Ernstes meinte- ich zitiere seine exakte Ausdrucksweise: "Die Spontanität von Spontis ist enden wollend." Die Spontanität dauerte immerhin 60 Tage an, davon zumindest 40 Tage mit teilweise unglaublich dichtem Programm (neben den gern verschmähten Partys, die immer seltener wurden, vor allem Gastvorträge, Diskussionsrunden, alternative Vorlesungen) und auch dichtem Besucherandrang - zuletzt war das besetzte Audimax bis auf über den letzten Rang hinaus gefüllt (also mindestens 800 [!] Personen, siehe auch Foto), als Jean Ziegler zu Vortrag und Diskussion erschien (übrigens nachzuhören und -sehen auf Ustream, bereits über 9.200 Views!) - und das einen Tag, bevor er genau das selbe bei 6 € Eintritt im (ausverkauften) Volkstheater tat, wo übrigens zwei unibrennt-Aktivisten auf die Bühne kamen um für die Ringdiskussionen im Audimax zu werben und von Ziegler unter Applaus des Publikums zum bleiben animiert wurden - es wurden zwei zusätzliche Sessel geholt - unibrennt berichtete (in diesem Fall sogar ein Bericht von mir ;)).

Dass die "Spontanität" so lange andauerte, daran trug sicher auch "Social Media" einen Gutteil bei, vermutlich sogar die Hauptverantwortung. Gut, auch ohne Web 2.0 oder Social Media hätte man eine Webseite ins Leben rufen können, die mit aktuellen Informationen gespeist wird. Aber ob man damit so viele Leute erreicht hätte, ohne sie direkt auf Facebook, Twitter, yotube, flickr, ustream usw. "abzuholen"? Wohl eher nicht. Der Vorteil von Web 2.0 / Social Media für soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Initiativen, im konkreten Fall: unibrennt, liegt auf der Hand: Man ist nicht nur unabhängiger von der Berichterstattung in institutionalisierten Medien, sondern man beeinflusst deren Berichterstattung auch. Nicht selten wurde in Medienberichten (meist auf den Webseiten führender Tageszeitungen, häufig auf Basis einer APA-Aussendung) "...schreiben die Besetzer auf Facebook..." (oder ähnliches) als Quelle genannt. Ich erinnere diesbezüglich auch eine Aussage Robert Misiks (der als einer der ersten Publizisten im Audimax war, am 27. Oktober) bei einem Vortrag im Audimax (ebenfalls zum Nachhören auf Ustream, sehr empfehlenswert! Aussage zum "Livestream-Gucken" bei Minute 20:25), der meinte, wenn hier Plenum sei (das in den ersten Wochen häufig bereits Mittags oder am Nachmittag war), herrsche Stillstand in den Redaktionen Österreichs, da alle Livestream schauen würden. Das war natürlich eine Übertreibung, aber etwas wahres wird da schon dran sein. Es genügt ja schon, wenn alle JournalistInnen Livestream schauen, die sich zumindest ansatzweise mit Hochschulpolitik oder gesamtgesellschaftlichen Themen beschäftigen, Livestream vom Plenum eines besetzten Hörsaals schauen.

Twitter & Facebook

Als ich zum ersten Mal von Twitter hörte, das war vor der Audimax-Besetzung, war dies in Zusammenhang mit Armin Wolf, dem Anchorman der ORF-ZIB2, der als einer der ersten "prominenten" Österreicher Twitter nutzte. Was ich damit anfangen sollte, dass ein Nachrichtensprecher 140 Zeichen lange Tweets von sich gibt, war mir allerdings nicht klar. Das änderte sich aber grundlegend mit der Besetzung des Audimax, wo von den ersten Stunden an Facebook-, Twitter- und studiVZ-Adressen auf die große Leinwand projiziert wurden. Ich hatte damals bereits einen Facebook-Account, nutzte ihn aber nicht. Ich wurde rasch "Fan" der Audimax-Besetzung (als 117.) und verfolgte die Seite seither laufend und mit Begeisterung. Nebenbei etablierte sich dabei Facebook auch in meinem Privatleben - wobei mittlerweile viele Leute zu meinen Kontakten zählen, die ich erst durch unibrennt kennen gelernt habe, und teilweise erst seit unibrennt online sind. Ähnliches, aufgrund seiner geringen Reichweite (ca. 25.000 User) vermutlich noch krasser, auch auf Twitter: Anfang November startete ich meinen Twitter-Account, um Zugang zu "Echtzeit-Insiderinformationen" rund um das Audimax und unibrennt zu bekommen. Wie ich mittlerweile weiß, war ich nicht der einzige, der das so sah. Und viele "Tweeter", die heute über Politik, Gesellschaft, Soziales, Kultur oder ganz was anderes twittern, legten ihren Account aufgrund der Audimax-Besetzung, als unibrennt-Sympathisanten an. Manche - so wie ich - haben noch heute das unibrennt-Logo in einer Ecke des Profilbildes, obwohl unibrennt längst nur noch einen kleiner Teil aller Tweets ausmacht. Dass sich diese subjektive Erfahrung sehr wohl, in gewissem Ausmaß, verallgemeinern lässt, wird durch folgende Twitter-Analyse deutlich: In einer auf zweifache Weise um Spam-Accounts bereinigte und nur auf die Nutzung in Österreich konzentrierten Statistik liegt der unibrennt-Account auf Rang 13 - knapp hinter dem Internet-Pionier unter den Medien, @derStandardat und @webstandard, den PublizistInnen und JournalistInnen Armin Wolf, Ingrid Thurnher, Robert Misik, Corinna Milborn, Dieter Bornemann, Martin Blumenau, @fm4stories, zwei Bloggern sowie dem einzigen (!) Politiker unter den Top-10, den Grünen Christoph Chorherr. Alle anderen Accounts - seien es Medien, Promis, Blogger, Organisationen, Parteien, Institutionen, Unternehmen - was auch immer - liegen in dieser bereinigten Reichweite-Statistik hinter unibrennt.

Da unibrennt sehr viele Follower hat, die relativ neu bei Twitter sind (und häufig "unibrennt" als erstes zu ihren "followings" hinzufügen) und - da sie echte Menschen und keine Spam-Schleudern sind - nur wenigen, vielleicht ein paar Dutzend, anderen Tweetern folgen, zählen diese für die Berechnung der Reichweite viel mehr als jene, die hunderten oder tausenden anderen folgen, die dann logischerweise den unibrennt-Tweets in der Fülle der übrigen Tweets weniger Aufmerksamkeit schenken können und diese wohl häufig auch einfach übersehen.

unibrennt ist daher mit 831 Followern, die einen Ort in Österreich als "Location" angegeben haben, einer der "meistgefolgten" Accounts unter (den ca. 25.000) österreichischen Twitter-Usern. Insgesamt folgten im Juni 2010 3.377 Tweeter. Die Differenz zu 831 ist zum einen durch "echte" Follower in Deutschland und der Schweiz, in geringerem Ausmaß auch durch "echte" Follower in anderen Ländern zu erklären. Aber vermutlich an die 50 % dieser Follower dürften Spam-Accounts sein - die aber nur selten Österreich als "Location" nennen und daher für die Reichweite - ebenso wie "echte" Follower im Ausland, nicht berücksichtigt wurden. Von diesen 831 "echten österreichischen" (die FPÖ wäre stolz ;)) Followern sind wiederum 563 "in den letzten 28 Tagen" aktiv gewesen. Diese wiederum dürften derart junge Accounts mit wenigen anderen "followings" sein, dass unibrennt in der Österreich-Reichweite auf Platz 13 kommt.

Was ich daraus ableite ist, dass die Audimax-Besetzung und die dazugehörige "Digital Community" in Österreich hunderte Menschen zu Twitter gebracht hat. Diese wiederum, glaube ich in den letzten 8 Monaten beobachtet zu haben, sind die Basis und häufig auch der Anreiz für alternative, oppositionelle, kritische, subversive, zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine, Gruppierungen und Organisationen, sich auf Twitter zu registrieren um dort mit dem Pool aus mehreren Hundert, vielleicht auch Tausende, besonders medienaffinen Bruchteil der österreichischen Gesellschaft, zu kommunzieren. Dies ist weniger für die konkrete Mobilisierung zu beispielsweise Demonstrationen oder Unterschriftenaktionen von Bedeutung, sondern wohl eher aus dem Blickwinkel der "Meinungsführer"-Forschung. Diese hunderten, tausenden, gesellschaftskritischen Twitter-User verbreiten in Echtzeit Nachrichten, Blogbeiträge, Fotos, Videos, Informationen, Ankündigungen aus ihrem Umfeld und Interessensbereich - und geben jene Infos, die sie erreichen und als relevant erachten, an ihr persönliches, nicht auf Social Media befindliches, Umfeld weiter - oder via Facebook an ihren nicht-twitternden Freundeskreis. So macht schließlich ein Video von einem prügelnden Polizisten an einer Demo rascher die Runde, als manchen lieb ist. Und nach einigen hundert Views wittert manchmal auch schon ein/e Journalist/in die Spur - das Thema kommt auf die Online-Ausgabe einer Zeitung und zieht - wenn als bedeutend genug erachtet - weitere Kreise in anderen (herkömmlichen und alternativen) Online-Medien, schließlich mitunter auch in Printmedien, Radio und Fernsehen.

Twitter als Quelle alternativer Informationen und Nachrichten, Twitter als Plattform der Gegenöffentlichkeit. unibrennt als Katalysator dieser Gegenöffentlichkeit in Österreich. Das, wohl nicht als einziges, hat die Audimax-Besetzung der österreichischen Gesellschaft gebracht.

Freitag, 7. Mai 2010

Rektoren und Bildungspolitik im Land der Vergangenheit

Die Rektoren (Innen gibt es bekanntlich keine) der österreichischen Universitäten beklagen in einer eigens einberufenen Pressekonferenz der uniko (Universitätenkonferenz) das "Geschwätz" der Politik und fordert Taten zur Verbesserung der Lage an den Hochschulen. "Konkret verlangen die Rektoren", so der Standard auf seiner heutigen Titelseite, "geordnete Zugangsregeln im gesamten Hochschulsektor", wobei dem uniko-Vorsitzenden Hans Sünkel "ein kombiniertes System der Anreize beziehungsweise der Abschreckung für Fächer" vorschwebt, "deren Absolventen dann 'beim AMS stehen'". Mal abgesehen von der Frage, warum die Uni freimütig behauptet, ihr Studienangebot würde in die Arbeitslosigkeit führen (was indes gar nicht stimmt, verglichen mit Bevölkerungsschichten ohne Hochschulabschluss): Ist das nicht genau das selbe erbärmliche Geschwätz, das die uniko angeblich kritisiert?

Zwar kritisiert die uniko auch, dass sich die Politik immer mehr vom eigenen Ziel, 2 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Hochschulen auszugeben, und ersetze konkrete Vorgaben und Ziele bei jedem neuen Papier durch immer mehr "schöne Worte", doch geht die Hauptstoßrichtung des Aufschreis der uniko eindeutig gegen "zu viele" Studierende, die man entweder von ihrem Wunschstudium abhalten müsse oder durch Zuckerbrot und Peitsche zum "richtigen" Studium zwingen müsse.

Das System klingt logisch - würde man einer Einheitspartei in einem östlicheren Teil Europas von vor mindestens 20 Jahren angehören. Natürlich wird jedeR Möchtegern-Theaterwissenschafts-, Wirtschaftswissenschafts- oder Publizistik-Student bereitwillig auf ein Feinmechanik- oder Biochemie-Studium umsteigen, wenn dies die visionären Leiter der Universitäten eines in der De-Industrialisierung befindlichen Landes verlangen.

Denn Publizistik- und Kommunikationswissenschaft ist ja wahrlich nur ein "Mode"-Studium, das zum AMS führen wird. Schließlich leben wir ja in einer Region, die sich in der Phase der Industrialisierung und nicht in einer "Informations-", Kommunikations- oder "Wissensgesellschaft", wie dies zwar überall - erstaunlicherweise auch aus den Wirtschaftskreisen selbst - verlautbart wird. Übrigens auch heute etwa im Standard, der als Themenschwerpunkt die aktuelle Wirtschaftskrise als Ent-Industrialisierungskrise behandelt und unter anderem beschreibt, dass "Schwellenländer" gerade mit großen Investitionen drauf und dran sind, Europa auch noch die letzte Domäne seiner wirtschaftlichen Vorreiterstellung wegzunehmen: Wissenschaft und Forschung!

Und die Faktenlage bestätigt eindeutig die visionäre Haltung österreichischer Rektoren und Politiker: Ein Blick auf aktuelle Wirtschaftstrends bestätigt: Das LD-Verfahren, Autoindustrie und die verarbeitende Industrie generell sind gerade voll im Kommen - erneuerbare Energien, Web 2.0, über Internet und mobile Geräte vernetzte Medien und Informationsnetzwerke - das sind doch alles nur Modeerscheinungen, die nur in eine Sackgasse führen werden - so viel steht jetzt schon fest!

Aber die Rektoren und die Regierung sind ja immerhin von der Mehrheit des Landes gewählt, und die wissen daher natürlich am besten, was gut für uns ist - auf dem Wissensstand eines Österreichers, der von 1964 bis 1972 die Volks- und Hauptschule besucht hat ...

Dienstag, 20. Oktober 2009

Das Unwissenschaftsministerium

Es ist schon merkwürdig, wie die Dinge in Österreich laufen. Sie laufen so merkwürdig, dass man als Österreicher oft gar nicht bemerkt, wie merkwürdig sie laufen. So wunderte und ärgerte es mich anfangs gar nicht wirklich, was aus dem Wissenschaftsministerium von Johannes Hahn tönte: Die Studentenzahlen steigen dramatisch, dagegen muss etwas unternommen werden.

Natürlich muss dagegen etwas unternommen werden, immerhin liegt Österreich in internationalen Statistiken bezüglich Studienanfänger und Akademikerquoten deutlich hinter den meisten EU-Ländern, und das soll ja auch so bleiben. Wo kämen wir denn hin, wenn alle Österreicher behaupten, sie seien klüger als ihre Regierung, und das auch noch nachweisen könnten?

Doch wie so oft agieren österreichische Politiker nicht nur gegen die Interessen derjenigen, für die sie zuständig sind, nein, sie agieren, anscheinend ohne es zu realisieren, auch gegen ihre eigene Interessen. Und damit meine ich nicht, dass es im Interesse des Wissenschaftsministers sein sollte, Wissenschaft und Bildung zu fördern - nein, diesen naheliegenden Schluss würde ich in der österreichischen Politik niemals zu ziehen wagen. Nein, ich meine natürlich den finanziellen Aspekt: Denn im Grunde geht es ja immer nur um die Marie: Selber will man sie haben, den anderen will man sie vorenthalten. Gut, offen bleibt, inwiefern Minister Hahn von Einsparungen in Bildung und Wissenschaft selbst profitieren würde - vermutlich handelt er ja nur als braver Parteisoldat im Sinne der ÖVP, die das Geld der Steuerzahler nun mal nicht für Bildung verschwendet sehen will, noch dazu, wenn das junge G'sindel sowieso entweder rechts oder links, aber nicht die gute, alte, anständige konservative Mitte wählt (warum bloß...?). Jedenfalls geht es ums Geld: Die Studenten sollen es nicht kriegen - eh schon wissen, Wirtschaftskrise und so!

Aber denken wir doch mal in dieser Logik weiter: Die Wirtschaftskrise wirft ihren Schatten voraus, auch auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Bedroht sind, wie eigentlich immer in den letzten Jahren, vor allem die arbeitsintensiven, produzierenden Betriebe, und zwar sowohl Hersteller von Konsum- als auch Investitionsgütern. Billige Arbeitskräfte sind woanders eben billiger. Und mit Lohndumpern wollen wir doch nicht ernsthaft in Konkurrenz treten? Es drohen also viele neue Arbeitslose mit geringer Bildung, die oft nur schwer eine neue Laufbahn einschlagen können - was ebenso mit großen Kosten von Arbeitslosengeld über Umschulungs- und Weiterbildungskosten verbunden ist. Gleichzeitig drängen natürlich weiterhin jährlich viele tausende Jugendliche neu auf den Arbeitsmarkt - nur ein kleiner Teil davon hat studiert. Gering qualifizierte Jugendliche treten in Konkurrenz mit gering qualifizierten Älteren. Das wird die Arbeitssuche für beide Gruppen wohl kaum erleichtern.

Dennoch gibt es tausende freie Arbeitsstellen, die häufig einen höheren Bildungsgrad erfordern. Vor allem in Hinblick auf von Österreich aus im Osten expandierende Unternehmen, wenngleich dieser Expansionskurs zumindest vorübergehend gebremst werden dürfte, werden gut ausgebildete Menschen förmlich aufgesogen. Voraussetzung natürlich: gute Sprachenkenntnis - am besten auch in einer osteuropäischen Sprache. Nur ein Beispiel, wo gut qualifizierte junge Menschen dringend gebraucht werden würden. Wo lernt man slawische bzw. osteuropäische Sprachen? An einer weiterführenden Schule in Österreich, womöglich in den (ost-)grenznahen Gebieten (also so gut wie überall, außer Vorarlberg, Salzburg und Tirol) - nein, natürlich nicht. Wir Österreicher lernen brav Latein, Französisch - und wenns sein darf auch Spanisch. Aber Tschechisch zur Matura? Ungarisch? Exotisch! Gibts so gut wie gar nicht! Also an die Uni - wo man die Sprache gleich in Kombination mit Landeskunde erlernen kann. Oder zumindest in einen Sprachkurs - aber zusätzlich wäre dann wohl auch ein Wirtschaftsstudium von Vorteil.

Und hat schon mal jemand in der Regierung in Wien an die positiven, verzögernden Effekte für den Arbeitsmarkt gedacht, die ein drei bis fünfjähriges Studium mit sich bringt? Jeder Jugendliche, der heute ein Studium beginnt, entlastet den österreichischen Arbeitsmarkt in den Jahren der Wirtschaftskrise - und unterstützt den darauffolgenden Aufschwung mit seinen hochgradigen Kenntnissen.

Einziger Nachteil: Dermaßen bornierte Kaputtverwalter wird so jemand kaum wählen. Verhinderte Studenten im Übrigen aber auch nicht.

Samstag, 17. Oktober 2009

Total Meschugge? SPÖ immer näher am blanken Wahnsinn...

Die SPÖ, die sich selbst, so zumindest ihre Führung, "auf dem richtigen Kurs" sieht, der den Menschen bloß "noch besser" vermittelt werden müsse, verliert nun scheinbar Stück für Stück auch noch die letzten verbliebenen Bezüge zur Realität und zu ihrer Ideologie. Nachdem die SPÖ schon bei der Regierungsbildung wie selbstverständlich auf sämtliche wichtige Ministerien (Innenministerium für Sicherheit und die umstrittenen "Ausländerfragen", Finanz für alles, was die Regierung tut) und auch auf den Anspruch, eine/n EU-Kommissar/in zu stellen, setzt sich diese vollkommene Ablehnung jeglicher Verantwortung und Perspektiven nun in der nächsten Instanz fort: Österreich soll einen EU-Kommissar bekommen. Die aktuelle Kommissarin, Benita Ferrero-Waldner, wurde von der ÖVP gestellt und trat einst als Konkurrentin zu dem von der SPÖ unterstützten Heinz Fischer im Präsidentschaftswahlkampf auf. Naheverhältnis zur SPÖ? Keines erkennbar. Auch der neue Vorschlag für einen EU-Kommissar, an dem die SPÖ wie eben erwähnt bisher keinerlei Interesse zeigte, kommt natürlich wieder von der ÖVP. Eine rein ÖVP-interne Debatte also, wer denn nun EU-Kommissar werden soll.

Aber was macht Bundeskanzler Faymann? Er mischt sich ein und setzt sich für Ferrero-Waldner ein. Nun bin ich ja nicht gerade in die innersten Regierungsangelegenheiten eingeweiht und ob es wirklich bloß eine Störaktion, um die ÖVP zu ärgern, sein soll, wie manche Medien mutmaßen, wage ich auch bezweifeln - denn wo wäre denn da der Sinn dahinter? Die ÖVP, ohne Chance dabei irgendeinen Vorteil zu erreichen, ärgern, damit sie wieder Grund hat, sich bei der SPÖ zu revanchieren (querlegen bei der Bildungsreform, Studiengebühren, Sozialfragen...)? Sind wir im Kasperltheater oder was? Ich mein, der SPÖ kann man mittlerweile alles zutrauen, da sie doch ohne jegliche erkennbare Perspektive total benommen durch die Politik- und Wahllandschaft taumelt, widersprüchliche, oft haarsträubende Aussagen und Ansagen von sich gibt und zwischen bedingungsloser, demonstrativer Unterstützung der ÖVP (Abschaffunf der verteilungspolitisch wichtigen Schenkungs- und Erbschaftssteuer) und pseudo-sozialistischen Prinzipien (Hacklerregelung, die vornehmlich Beamte betrifft, Studiengebühren, die den vorwiegend aus gut verdienenden Häusern stammenden Studenten ihres Beitrags zur Umverteilung enthebt) hin- und herpendelt und somit die Zurechnungsfähigkeit dieser Partei immer stärker in Frage stellt.

Die SPÖ unterstützt nun also eine ÖVP-Kandidatin in der Frage der Bestellung des nächstens österreichischen EU-Kommissars, statt einen eigenen Kandidaten aufzustellen oder das Thema einfach zu ignorieren, wo man doch der EU so gleichgültig bis ablehnend gegenüberstellt - zumindest laut dem letzten Nationalratswahlkampf, der nach den Wünschen Hans Dichands gestaltet wurde. Blöd halt, dass selbst Dichand die Richtungsverwirrung der SPÖ mittlerweile zu blöd wurde und nun die beiden Prölls, nach Vorbild der polnischen Kaczynski-Zwillinge, in die höchsten Funktionen der österreichischen Politik hieven will.

Und zum drüberstreuen liefert die Linzer SPÖ nun ihre politische Bankrotterklärung ab. Die vermeintlich neben Wien letzte große Bastion der sozialistischen Arbeiterschaft erklärt sich aufgrund der jüngsten Wahlergebnisse nun ebenfalls für überflüssig und beginnt mit ihrer Demontage sowie der Verteilung der Erbschaft: Allen voran gibt man gleich mal der FPÖ, die ihre Stimmen einer realitätsverweigernden SPÖ verdankt, das neu geschaffene Sicherheitsressort und betraut einen FPÖ-Politiker, dem beim Bundesheer wegen seiner rechtsextremen Kontakte die Offizierslaufbahn verweigert wurde, mit der Schaffung einer Linzer Stadtwache. Bravo, SPÖ! Die Erklärung dazu: Der Wählerwille wolle es so! Das ist natürlich eine feige Ausrede, die verschleiern soll, dass die Linzer SPÖ keine Lust mehr auf Realpolitik hat, aber zuminest in einem Satz möchte ich das doch noch widerlegen: Die FPÖ, die eine Stadtwache forderte, bekam trotz hoher Stimmengewinne WENIGER Stimmen als die SPÖ. Zählt man FPÖ und ÖVP-Wähler zusammen, da auch die ÖVP für eine Stadtwache eintrat, kommt man auf rund 42,5 % (siehe Wahlergebnis) Grüne, SPÖ und Kommunisten kommen demnach auf die übrigen 57,5% - und diese wünschten keine Stadtwache. "Der Wählerwille" war einer Stadtwache gegenüber also bestenfalls gleichgültig bzw. unentschlossen eingestellt. Der selbe Wählerwille wollte übrigens auch keinen Herrn Dobusch als Bürgermeister. Tritt er nun zurück?

Die Stadtwache soll nach dem nächsten Sommer ihren Dienst mit etwa 30 Mann (und Frau?) Personal aufnehmen. Es wird überlegt, ob ein bereits existierender privater Sicherheitsdienst beauftragt wird, oder stadteigenes Personal. Die SPÖ als neoliberale Law & Order Partei! Ist das der neue Kurs?

Ich bin schon sehr gespannt auf die ersten Zwischenfälle zwischen FPÖ-nahem Sicherheitspersonal und der überwiegend linksalternativen Linzer Jugend auf der Donaulände bzw. rund um Hauptplatz und Altstadt, wo viele Jugendliche mit Migrationshintergrund - zugegebenermaßen nicht immer in Gentleman-Manier, aber die fehlt genauso vielen nicht-migrationshintergründlichen Jugendlichen dort - ihre Freizeit mit Alkohol begießen. In überheblicher Verkennung der Verhältnisse vor Ort wird ein städtischer Sicherheitsdienst - der naheliegenderweise ideologisch eher der FPÖ und ihrem rechten Gedankengut nahe stehen wird und somit wenig von "Multi-Kulti" und linksalternativen Jugendlichen halten wird - in die Altstadt platzen, um dort für "Recht und Ordnung" zu sorgen und damit auf jeden Fall für große Schlagzeilen sorgen. Denn selbst die Polizei sah sich bereits wiederholt zu einem Rückzug aus der Altstadt gezwungen, etwa, als in einem vorwiegend von Schwarzafrikanern besuchten Lokal eine Verhaftung vorgenommen werden sollte (es kam zu einem großen Tumult, infolgedessen die Polizei in arge Bedrängnis geriet). Auch auf den ersten Zusammenstoß zwischen Stadtwache und Punks, die gerne am zentralen Taubenmarkt rumhängen, bin ich schon sehr gespannt.

Bürgermeister Dobusch, der sich wohl eher als Erneuerer und Kulturhauptstadtmacher in der Stadtchronik eingetragen sehen will, riskiert nun die Überschattung seiner durchaus nicht verachtenswerten Bilanz als langjähriger Bürgermeister von Linz mit einer Kapitulation vor der FPÖ - die nicht einmal 15 % der Wählerstimmen erhielt - der er die Sicherheitsagenda zuspricht und somit den sozialen Frieden der Stadt zugunsten einer Radau-Partei aufs Spiel setzt, ohne, dass er sich selbst dabei irgendeinen Gewinn versprechen könnte. Denn der Glaube, die FPÖ durch Einbeziehung in Regierungsverantwortung "entzaubern" zu können, sollte seit der Schüssel-Regierung deutlich überholt sein. Die Entzauberung währte nur wenige Jahre und war begleitet von massiven Schäden, die diese Partei in ihren Verantwortungspositionen Staat, Gesellschaft und Budget zugefügt hat. Mit Appeasement-Politik kann man populistische und rechtsextreme Hetze nicht entzaubern, das sollte spätestens seit dem zweiten Weltkrieg eine international bekannte und anerkannte Erkenntnis sein. Aber die ist in Linz vielleicht noch nicht angekommen, denn Linz wird nun wieder Provinz.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Österreichische Exekutive in der Krise

Wie bereits im vorigen Posting relativ deutlich zum Vorschein gekommen, zeigt auch dieser Fall die Rückständigkeit des österreichischen Rechtsstaates. Weisungsgebunden wie ein Staatsanwalt nun mal gegenüber dem vorgesetzten Innenminister ist, gab es im Zuge der 2008 veröffentlichten Emails des ehemaligen Innenministers Ernst Strasser, die Vorwürfe wegen Amtsmissbrauch zur Folge hatten, keine Ermittlungen. Jedenfalls nicht gegen den ehemaligen Innenminister, sehr wohl jedoch gegen unbekannte "Täter", die die vertraulichen Emails veröffentlichten.

Nun ist es natürlich so, dass vertraulicher Briefverkehr nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Aber die Veröffentlichung findet seine Rechtfertigung und Notwendigkeit eben in den Umständen des österreichischen Rechtsstaates: Wäre der Briefverkehr nicht veröffentlicht worden, hätte es nicht nur keine Ermittlungen gegeben, sondern auch die Öffentlichkeit wäre von diesem Missstand nie in Kenntnis gesetzt worden. Wie schon in vielen Fällen zuvor, etwa die "Affäre Kleindienst". Zur Erinnerung: Josef Kleindienst, einst FPÖ-Gewerkschafter, brach um die Jahrtausendwende mit der FPÖ und veröffentlichte Bücher. "Darin", so Die Presse, ist von FP-Politikern auf Fact-Finding-Mission im Bordell zu lesen. Oder von FP-Politikern, die sich illegal Informationen aus dem Polizei-Computer besorgen. Die ,Spitzel-Affäre' sorgte monatelang für Wirbel und endete damit, dass der ,Aufdecker' selber vor Gericht stand - und [nachdem er in erster Instanz schuldig gesprochen und zu sechs Monaten Haft verurteilt wurde, Anmk.] freigesprochen wurde." (Die Presse, gh, Printausgabe vom 14. Juni 2007; online (abgerufen am 1. Oktober 2009))

Jedenfalls verjährten im Falle Kleindienst alle brisanten Vorwürfe gegen prominente Politiker, bevor sich die Staatsanwaltschaft damit beschäftigte. Selbes Muster auch heute: Jene Vorwürfe gegen Ernst Strasser, denen die Staatsanwaltschaft hätte nachgehen sollen, sind mittlerweile verjährt. Die Anzeigen wegen Amtsmissbrauch (gegen Strasser) und gegen die unbekannten "Aufdecker" gingen zeitgleich 2008 ein. Die Ermittlungen gegen die "Verräter" (so musste es von außen wohl wahrgenommen werden) wurden sofort eingeleitet, die Anzeige gegen Strasser soll angeblich, so der Staatsanwalt (laut orf.at am 1. Oktober 2009) "übersehen" worden sein. Die Verjährungsfrist bei Amtsmissbrauch: lächerliche fünf Jahre! Die Legislaturperiode einer Regierung: fünf Jahre!

Hat der Rechtsstaat noch irgendeine Chance, gegen Amtsmissbrauch vorzugehen, oder haben österreichische Regierungsangehörige nun auf Lebenszeit wegen vergangenen Amtsmissbräuchen nichts zu befürchten? Wie wärs mit einer Verlängerung der Verjährungsfrist oder mit einer Ausgliederung jener Stellen aus dem Innenministerium, die bei Vorwürfen wegen Amtsmissbrauches oder bei Vorwürfen gegen Exekutivbeamte zu ermitteln haben? Denn dass Ermittler bzw. Staatsanwälte aus dem Innenministerium, die dem Innenminister weisungsgebunden sind, nicht "gerne" gegen den Innenminister oder "Kollegen" ermitteln, sondern entsprechende Anzeigen lieber "übersehen" und einfach verjähren lassen, hat sich in der Vergangenheit oft genug gezeigt, zeigt sich auch in der Gegenwart und scheint überhaupt zur Praxis beim Umgang mit Anzeigen gegen Angehörige der Exekutive geworden zu sein.

Freitag, 19. Dezember 2008

Was in der Medienberichterstattung auf der Strecke bleibt


Maritimer Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien. Slowenien, das über nur wenige Kilometer Küste zum Mittelmeer (Adria) verfügt, dort aber einen (umso wichtigeren) Hafen (Koper) betreibt, beansprucht einen größeren Teil der Bucht von Piran sowie einen freien Zugang zu internationalem Gewässer. Kroatien blockiert sein Jahren; die aus der Zeit Jugoslawiens stammenden, einst unbedeutenden inländischen Seegrenzen, würden durch einen baldigen EU-Beitritt Kroatiens quasi festzementiert. Slowenien hat daher, nicht zuletzt im Interesse der EU, die Konflikte zwischen Mitgliedsländern sicher nicht importieren will, Veto gegen die Fortführung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien eingelegt - und wird dafür von Kroatien, aber auch (österreichischen) Medien heftig kritisiert.

Konkret beziehe ich mich auf die Zeit im Bild (ORF 2, 19.30h, 18.12.2008): Dort wird der Beitrag über den slowenisch-kroatischen Grenzstreit eingeleitet mit den Worten "Kroatien spricht von Erpressung, die EU-Kommission ist verärgert"; auch der weitere Bericht stellt die ganze Causa als "strategisch wohl überlegt" dar und suggeriert, dass Slowenien eigentlich nur Ärger wolle und Kroatien unschuldiges Opfer einer slowenischen Intrige ist. Relativierende Aussagen, wie die Bedeutung (wirtschaftlich, psychologisch) eines freien Zugangs zur offenen See für Slowenien, sind nicht zu hören.

Auch ARTE-Info, zum Teil auch auf den Standard, der die Causa mit "EU-Beitritt: Slowenien blockiert Kroatien" betitelte, sprechen/schreiben in erster Linie von der Verzögerung der EU-Beitrittsverhandlungen, der Kroatien dadurch entsteht, und der Empörung über Slowenien von Seiten Kroatiens, der EU-Kommission und Verbündeter Kroatiens, wie etwa Österreich, dessen neuer Außenminister Spindelegger Worte des tiefen Bedauerns für diese Verzögerungen findet, aber offenbar kein Verständnis für Slowenien.

Tenor der Medien ist, sofern ich deren Berichterstattung mitverfolgen konnte (ORF, ARTE, zum Teil Der Standard), dass es eine Unart Sloweniens sei, sein Veto-Recht aufgrund von Streitigkeiten mit Kroatien auf EU-Ebene als Druckmittel einzusetzen. Der Kern des Problems, dass Slowenien zwar eine Küste und einen internationalen Hafen hat, aber keinen Zugang zu freiem, internationalem Gewässer, wird als Randerscheinung behandelt. Schiffe, die also den slowenischen Hafen von Koper ansteuern, müssen Gebühren für die Durchquerung von wahlweise kroatischem oder italienischem Hoheitsgewässer berappen. Denn in der Adria grenzt Kroatien direkt an Italien - Slowenien wird dabei übergangen. Der Hafen ist maritim gesehen somit eine Enklave. Die See-Grenzen sind in der Zeit Jugoslawiens begründet, als sie lediglich inländische, unbedeutende Verwaltungsgrenzen darstellten.

Slowenien fordert daher zurecht einen Verbindungskorridor zwischen seinem Hoheitsgebiet und dem internationalen Gewässer. Kroatien - mit eigenen Häfen natürlich in Konkurrenz zu Slowenien - dessen Hoheitsgebiet zur See einem solchen wenige Kilometer langen und schmalen Korridor weichen müsste, verhindert dies seit Jahren und offenbar scheint es kein Interesse daran zu haben, daran etwas zu ändern. Slowenien bleibt also nichts anderes über, als der Causa auf EU-Ebene neues Gewicht zu verleihen, um die Absurdität des kroatischen Blockade-Spiels aufzuzeigen. Dass Slowenien auch noch einen größeren Teil der Bucht von Piran fordert wird wohl kaum der Punkt des Scheiterns sein. Vermutlich dient diese Forderung lediglich, um Kroatien Verhandlungsspielraum zu gewähren, sodass Kroatien im Falle einer Lösung bezüglich dem internationalen Korridor zumindest einen Erfolg bei den Hoheitsansprüchen auf die Bucht von Piran vorweisen könnte.

Dass Österreich in diesem Streit wieder ein Mal deutlich für Kroatien Partei ergreift, ist ein falsches Zeichen. Kroatien ist zwar das größere und wirtschaftlich für österreichische Unternehmen bedeutsamere Land, aber der slowenische Hafen Koper hat für international agierende österreichische Unternehmen ebenso große Bedeutung. Eine diplomatischere Vorgangsweise würde dem neuen Außenminister Spindelegger in dieser Causa gut anstehen. Wobei betreffend Diplomatie gerade die Vorgängerin, die langjährig erfahrene Plassnik, um nichts rücksichtsvoller war. Ganz auf Linie der ÖVP machte sie sich scheinbar bedingungslos für eine rasche Aufnahme Kroatiens in die EU stark.

Sonntag, 9. November 2008

Krone hat die Leser, die sie anspricht - eh klar; Aber für die, dies noch nicht wissen (oder nicht wissen wollen) hier nochmal, wer das eigentlich ist

Die Schreiberlinge der Kronen Zeitung können ihren Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit in der Regel relativ gut verschleiern, sodass die Botschaft zwar beim Leser ankommt, aber im Text nicht direkt ausgesprochen wird. Die Krone-Leser freilich tun sich bei diesem kleinen Kunststück schon deutlich schwerer. Daher findet man bei einem kleinen Artikel, dem der Kronen Zeitung der Gedenktag 2008 der Novemberpogrome vom 9. November 1938 Wert war, auch folgende Kommentare - denen man übrigens auch "zustimmen" kann (ablehnen geht nicht ... das kennen wir doch auch schon von 1938...), wovon andere Leser auch regen Gebrauch machen. (klicken zum Vergrößern)



Nachsatz: Die Kommentare wurden wenig später gelöscht; Zwischen 15.38 und 17.04 ist nun kein Kommentar mehr vorhanden; fragt sich, wieviel die Online-Redaktion da ständig löschen muss, um nicht von der geistigen Beschränktheit eines (sicher nicht kleinen) Teils der eigenen Lesern beschämt zu werden
 
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