Ich möchte in diesem Blog ab sofort in mehreren Teilen etwas Einblick in die Zürcher HausbesetzerInnen-Bewegung geben und hierbei verschiedene Aspekte und Hintergründe mitberücksichtigen. Bevor ich demnächst einen Überblick über gegenwärtig besetzte Häuser in Zürich geben möchte, soll zuerst einmal dargestellt werden, warum Mensch in Zürich überhaupt ein Haus besetzten möchte, was die politischen, wirtschaftlichen, soziologischen Hintergründe sind. All das kann ich in diesem Rahmen natürlich nur als groben Überblick zusammenfassen. In diesem ersten Teil der geplanten Blog-Reihe geht es rein um die geschichtliche Entwicklung der Wohnungsnot in Zürich bis zum heutigen Tag. Im nächsten, 2. Teil, möchte ich überblicksartig auf die geschichtliche Entwicklung der BesetzerInnen-Bewegungen eingehen, bevor ich schließlich auf gegenwärtige Besetzungen zu sprechen komme. Quelle für diesen ersten, geschichtlichen, Teil war ausschließlich die auch in Buchform erschienene Dissertation von Thomas Stahel "Wo-Wo-Wonige!" (1).
Wohnungsnot als Tradition
Die Hausbesetzer-Bewegung in Zürich muss vor dem Hintergrund der Wohnungsnot gesehen werden. Denn diese ist, anders als in vielen anderen Städten, kein Produkt jüngerer Entwicklungen (zunehmende Immobilienspekulation, Folgen von Markt-Deregulierungen nach 1970) sondern regelrechte Tradition. Seit Beginn der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts begann mit dem Zuzug von Arbeitermassen eine Wohnungsnot, die im Grunde bis heute, nach weit über 100 Jahren, nicht bewältigt werden konnte. Anders als etwa im "Roten Wien", als binnen weniger Jahre 60.000 Wohnungen gebaut wurden und wo auch heute noch 1/3 der Wohnungen in städtischem, 1/3 in genossenschaftlichem Besitz ist, schaffte es das "Rote Zürich" (1928 bis 1938) nur auf wenige Tausend Wohnungen. Zum Vergleich: Wien verwaltet gegenwärtig 220.000 kommunale Wohnungen bei 1,7 Mio. Einwohnern. Zürich weist 2003 rund 7.000 kommunale Wohnungen auf - bei ca. 360.000 Einwohnern. Das sind 6 % aller Wohnungen. Gemeinsam mit den Genossenschaften macht das 25 % aller Wohungen (Wien, wie gesagt: ca. 65 %).
Die Stadt Zürich hat die Wohnsituation offensichtlich von Anfang an falsch eingeschätzt - und bis heute nicht aus diesen Fehlern gelernt. Zwar ist es alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dass Stadt und Genossenschaften den Wohnmarkt dominieren, doch zeigen sich für die Menschen in solchen Städten doch gravierende Vorteile - ohne, dass die Wirtschaft dabei leiden würde, ganz im Gegenteil: Wer, anders als in Zürich, nicht 50 bis 60 % für die Miete an eine Art "Gutsherren" abführen muss, dem bleibt mehr Geld für andere Ausgaben: Konsumgüter aller Art (nur, um auch mal die wirtschaftliche Seite zu betonen - schließlich argumentieren die Befürworter eines "freien (privaten) Wohnungsmarktes" wirtschaftlich - allerdings sind dies die wirtschaftlichen Interessen einer winzigen Elite, die gleichzeitig auf Kosten der gesamtwirtschaftlichen Interessen gehen.
1896 verfügte Zürich über einen Wohnungsleerstand von 5 % - die Wohnungsnot bestand damals vor allem darin, dass die Mieten für viele Wohnungen zu hoch waren und die leistbaren Wohnungen überbelegt und oft unhygienisch waren. Bis 1905 sank der Wohnungsleerstand auf 0,28 % - die Stadt reagierte nun und baute erste kommunale Siedlungen und Höfe, eine Wohnbauförderung wurde eingeführt. Nach Ende des Ersten Weltkriegs sank der Wohnungsleerstand dennoch nahezu auf Null. Bis 1921 entstanden weitere kommunale Wohnbauten, doch rigorose Sparmaßnahmen beendeten diese daraufhin.
Erst ab 1926, und verstärkt ab 1928 ("Rotes Zürich") entstanden neue städtische Wohnbauten. Der Wohnungsleerstand stieg 1931 aber erst deswegen wieder an, da die Wirtschaftskrise viele Menschen zum Zusammenziehen in familiärem oder anderem Rahmen nötigte.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich nicht viel. Ab 1950 betrug die Leerstandsrate in Zürich nie mehr als 0,2 % - bis heute. In Zahlen bedeutet das: Von 1956 bis 1970 waren im Durchschnitt nur 34 Wohnungen frei. Die zunehmende Veränderung von Wohngewohnheiten - weniger Personen in größeren Wohnungen - ließ keine Entspannung am Wohnmarkt zu, wenngleich die Bevölkerungszahl von Zürich stagnierte bzw. aufgrund von Abwanderung in die Vorstädte sogar sank.
Wohnungsnot-Höhepunkte in den 80er-Jahren
1979 erreichte der Wohnungsleerstand mit 0,05 % ein neues Tief. Viele Altbauten, die immerhin günstige Mieten aufwiesen, wurden abgerissen. In diese Zeit fallen auch die zunehmenden Demonstrationen, Besetzungen und Aktionen eines Teils der jungen Zürcher Bevölkerung, die für mehr und leistbaren Wohnraum demonstrierten. Die Anfänge dieses zivilen "Widerstands" werden meist auf die gesellschaftlichen Umbrüche von 1968 zurückgeführt - wenngleich Zürich genau so wenig wie Wien kein großer Schauplatz von Demonstrationen und Revolten wie in Paris war oder in den USA war. 1988 sieht sich die Wochenzeitung (WoZ) am Wohnungsmarkt um und erfährt: "Bei den Wohnungsbesichtigungen stehen sich die Menschen auf den Füssen herum, was bei den kleinen Wohnungen nicht besonders verwunderlich ist. So vierzig bis sechzig Leute sind normal." Obdachlosenasyle weisen neue Rekordzahlen auf: Hunderte von Personen müssen abgewiesen werden, berichtet die Mieter-Zeitung 1988 von einer Obdachloseneinrichtung. Denn jene Wohnungen, die überhaupt frei sind (also ein paar Dutzend) sind in der Regel unleistbar oder ungeeignet. Doch selbst Gutverdiener werden in Zürich oft nicht fündig, wird weiter berichtet. Auf den freien Markt gelangen ohnehin nur jene Wohnungen, die nicht bereits zuvor über persönliche Konktakte weiter vermittelt werden konnten.
Der Wohnungsmarkt war Ende der 80er komplett "ausgetrocknet". Nicht zuletzt, da selbst Boulevard-Zeitungen die Wohnungsnot anprangerten (nebst jenen, die dies sowieso schon lange taten), änderte die Stadt ihre Politik und investierte wieder stärker in den kommunalen Wohnbau sowie die Wohnbauförderung. Aufgrund einer Rezession kam es von 1996 bis 1998 vermutlich erstmals in der Geschichte der Stadt zu einem Wohnungsleerstand von über 1000 Einheiten. Dieses Zwischenhoch ging jedoch rasch vorüber und schon 2002 befand man sich wieder dort, wo man 1989 auch schon war. Erschwerend - für jene, die in Zürich leben oder leben wollen - kommt dazu, dass die Mietpreise stets überproportional steigen und immer größere Anteile der Einkommen verschlingen. Frei nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage verlangt der Wohnungsmarkt in Zürich seinen Mietern das größtmöglich (un)zumutbare ab.
Wohnungsleerstands-Quoten im Vergleich
Die städtische Leerwohnungszählung vom 1. Juni 2009 ergab einen Leerstand von 108 Wohnungen in Zürich, das sind 0,05 %. In Wien, respektive Österreich, wird der Wohnungsleerstand übrigens statistisch gar nicht ermittelt. So gibt es Schätzungen von 8.000 bis 80.000 leeren Wohnungen. Der Wohnbaustadtrat von Wien schätz diesen auf etwa 30.000, wobei 10.000 für Renovierungen vorgesehen seien. Somit entspreche der Wohnungsleerstand in Wien etwa 2 % - was dem internationalen Schnitt entsprechen soll (Quelle: derstandard.at, 2009). Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass sich der Wohnungsleerstand in Wien seit 1991 stark verringert hat, von etwa 5 bis 6 % ausgehend. Vor allem Wohnungen im Hochpreissegment, wie etwa im Ersten Bezirk, wiesen eine überdurchschnittlich hohe Leerstandsquote auf (Quelle: Arbeitsgemeinschaft IS wohn.bau, 2000).
(1) Thomas Stahel: Wo-Wo-Wonige! Stadt- und Wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968. Paranoia City Verlag, Zürich 2005, S. 81-93
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