Donnerstag, 4. November 2010

"Sub-Standard".at - maßloser Boulevard zur Profit-Macherei?

Geht's eigentlich noch? Beim Lesen des Editorials der Juli/August-Ausgabe des Branchenmagazins "extradienst" (Herausgeber und Chefredakteur in Personalunion: Christian W. Mucha) fühlt man sich leicht um 80, 90 Jahre in der Zeit zurückversetzt. In eine Zeit, wo sich verschiedene Blätter gegenseitig bis vor Gericht bekriegten, vor den übelsten Anschuldigungen nicht zurückschreckten, "unpassende" Tatsachen einfach ausklammerten. An derartiges erinnert Muchas "Editorial" über den "Sub-Standard", das an Polemik kaum überbietbar zu sein scheint.

Mucha wirft Oscar Bronner persönlich vor, dass "jeder Schuft jeden Todesfall hierzulande mit erbarmungsloser Gehässigkeit auf derstandard.at ungestraft kommentieren kann". So weit so gut. Selbiges könnte man zwar auch von jedem anderen österreichischen Medium mit Online-Auftritt und Forums- oder Kommentarfunktion behaupten (ich denke, die typischen krone.at-User-Kommentare sind bekannt und berüchtigt genug, als diese hier extra erwähnen zu müssen), aber für Mucha ist klar: Dahinter steckt bloß "miese Profit-Macherei von Bronner & Co".

Ich weiß nicht, woran es liegt, dass sich Mucha ausgerechnet auf den Standard, ja Oscar Bronner persönlich so einschießt. Möglicherweise gab es auf derstandard.at anlässlich des Todesfalles von Kunstsammler Rudolf Leopold einige unschöne Kommentare, ebenso beim Todesfall von Hans Dichand. Aber ich wage zu bezweifeln, dass derstandard.at darauf ein Monopol hatte. Und während Mucha bei derstandard.at-Kommentaren wie "Der Chor der Arschkriecher: Danke, dass du mit Hehlerware so viel Erfolg hattest ... und dass du das getan hast!" die Galle hochgeht, scheint er von krone.at-Kommentaren bei Artikeln über, zum Beispiel, Abschiebungen von Kindern entweder nicht zu wissen oder nicht beeindruckt zu sein - auch wenn das Ausmaß menschenverachtenden Hasses dort ungleich größer und stärker zum Ausdruck kommt, ja sogar mit dutzenden "gefällt mir" von anderen, namentlich (!) registrierten LeserInnen (freilich hinter Pseudonymen versteckt) "belohnt" wird - und ebenso wenig von den AdministratorInnen gelöscht wird. Doch auf derstandard.at genügt es schon, dass dem umstrittenen Kunstsammler Leopold, dessen Kunstwerke in einigen Fällen nachweislich aus arisierten Beständen erworben wurden, "Arschkriecherei" und Handel mit "Hehlerware" vorgeworfen wird, damit Mucha in diesem Online-Forum jegliche "Pietät" vermisst und "jeden Respekt" vor dem Standard verliert.

krone.at erwähnt Mucha wohlgemerkt im gesamten, zweiseitigen Editorial nur ein Mal: nämlich als "Lercherl" im Vergleich zu dem, was derstandard.at an "Boulevard" betreibt. Es scheint ihm viel mehr um eine (persönliche?) "Abrechnung" mit Oscar Bronner und seinem Lebenswerk zu gehen, als um die in allen Online-Medien vorzufindende Problematik von Respektlosigkeit und Menschenverachtung in UserInnen-Kommentaren.

Die Annahme, dass sich Muchas Motivation für dieses Editorial nur vorgeblich aus der Wahrung der Würde verstorbener Persönlichkeiten speist, in Wahrheit aber eher eine aus persönlichen Gründen (welcher Art auch immer) motivierte Abrechnung mit Bronner darstellt, wird für mich von untergriffigen Formulierungen wie den folgenden genährt [Fett-Hervorhebungen durch mich vorgenommen, sonst wie im Original]:

"Dass jeder Schuft jeden Todesfall hierzulande mit erbarmungsloser Gehässigkeit auf derstandard.at ungestraft kommentieren kann, ist keine Errungenschaft, sondern miese Profit-Macherei von Bronner & Co."
"Oscar Bronner und seine lachsfarbene Botschaft sind stets als arrogante Gralshüter herumstolziert. Das hat der Egomane ("Guten Tag, mein Name ist ...") sein Lebtag lang getan."
Dass Bronner stolz darauf ist, dass er als "Trend"-Herausgeber journalistische Inhalte nicht (wie vielfach üblich) als Draufgabe für bezahlte Werbeanzeigen verkauft hat, ist für Mucha nicht lobenswert, sondern "anmaßend" - schließlich lauft das Geschäft schon "seit Urzeiten" so. Das Editorial geh wie folgt weiter:

"Jahrzehntelang sich selbst hoch dekorierend, stolziert Bronner heute mit geschwellter Brust durch die Gegend und sieht sich als Erfinder des anständigen Journalismus, als Hüter schreiberischer Tugend, der wirtschaftlichen Unabhängigkeit."
Neidisch?

"Aus solchem Mund wird Kritik naturgemäß ernster genommen, als wenn sie von Krethi oder Plethi kommt. Doch der Herr Bronner sollte künftig besser seinen Mund halten. Und sich verkriechen. Und sich schämen. Am besten gemeinsam mit seinem Sohn, Mag. Alexander Mitteräcker, der für das Online-Geschäft federführend verantwortlich ist. Denn derstandard.at betreibt Boulevard mit einer Maßlosigkeit, gegen die das, was man der Krone vorwirft, ein Lercherl ist."
Doch jetzt kommt - es war fast zu befürchten - noch die "Kultur" ins Spiel, und so Dinge wie "Errungenschaften" von Kultur und Gesellschaft. "Üble Nachrede über den Tod hinaus gilt bei jeder hohen Kultur als absolut unschicklich", resümiert Mucha nach diesem Absatz. Was will er uns damit sagen, nachdem er Oscar Bronner und seinen Sohn als persönlich verantwortlich für die von Usern geposteten Kommentare gemacht hat? Er erklärt es uns in größter Ausführlichkeit:

"Im Standard freilich gelten andere Gesetze. Dort werden die Toten gedemütigt, beschimpft, verhöhnt, beleidigt. Dort wird verfälscht, gelogen, Unwahres verbreitet. Dort wird posthum beschädigt, beleidigt. Dort wird Geschichte verändert, die Geschichten werden verändert, die Wahrheit wird nach Belieben verdreht. All dies garniert mit obszöner, respektloser und oftmals extrem degoutanter Sprache."
Habe ich das jetzt richtig verstanden? Zuerst zitiert Mucha ein relativ harmloses (im Vergleich zu den von Mucha getätigten Anschuldigungen) Beispiel eines User-Kommentars auf derstandard.at, dann erzählt er uns etwas von "minimalste[n] Errungenschaften von jeder Kultur oder Gesellschaft seit Tausenden Jahren", macht Bronner und seinen Sohn persönlich für die Kommentare verantwortlich und leitet daraus ab, dass "im Standard [...] verfälscht, gelogen, Unwahres verbreitet" wird? Kann denn der Herr Mucha User-Kommentare nicht von redaktionellen Artikeln unterscheiden, oder wie kommt er zu diesen Anschuldigungen?

Mucha setzt sein Editorial mit der Ausführung fort, dass derstandard.at "seit Jahren die besten Werte, was Online-Besucher und Reichweiten betrifft" hat, damit "gutes Geld" verdient und sich Oscar Bronner dadurch den Rückkauf der Unternehmensanteile finanziere. Daraus schließt Mucha:

"Der Standard, so behaupte ich, verdient mit seinen Online-Pages deshalb so viel Geld, weil hier auf die mieseste Art und Weise Boulevard gemacht wird. Viel ärger als Bild oder Krone profitiert man von Voyeurismus. Boulevard aus Geschäftsinteresse. Boulevard aus Profitgier. Bronner öffnet den anonymen Schweinen, den Mieslingen, den Ungustln, den Schimpfern, den Hetzern und Neidern Tür und Tor, um damit eine möglichst große Community zum Standard zu locken."

Interessant, wie jemand trotz Vergleich mit der Krone (das Bild-Online-Forum kenne ich nicht) zu diesem doch sehr gewagten Schluss kommt. Wenn Muchas Erklärungsansatz stimmt, müsste meiner Ansicht nach krone.at die größte "Community" und LeserInnenschaft haben. Aber das beste kommt noch: offenbar ist Mucha der Meinung, sich noch immer nicht klar genug ausgedrückt zu haben und dass seine "Message" noch nicht ganz rübergekommen sein könnte:
"Und damit wir das ja nicht vergessen, sei es wiederholt: All dies passiert einzig, um die Gewinne zu steigern."
Ich lese also "Profitgier", "Profitgier", "Gewinne steigern", "Geschäftsinteresse", "Maßlosigkeit".... fehlt nur noch, dass Mucha Bronner als "Parasit" bezeichnet, und die "Message" dürfte endgültig herübergekommen sein.

Aber Mucha hat auch noch genügend andere Bezeichnungen für den Standard und seinen Herausgeber bereit:

"Die Medienplattform des Standard ist längst zum Urinal der Branche denaturiert."

"denaturiert"? Meint der Herr vielleicht "entartet"?

"'Etat' ist jener Platz, wo die Degoutanten ungeniert hinpinkeln können und wo die sich in einer Art und Weise austoben können, die unvorstellbar abstoßend ist."

Also so richtig entartet?

"All dies ist nur möglich, weil die Verantwortlichen und ihre angepassten Erfüllungsgehilfen dies zulassen. Dabei wäre es so einfach, einen Riegel vorzuschieben. Doch die Profit-Haie Bronner senior und junior denken nicht daran, das Forum zu sperren [...]"
Mucha ist besonders über die herablassenden UserInnen-Kommentare nach dem Tod Hans Dichands erzürnt. Zwar wurden laut derstandard.at-Chefin Gerlinde Hinterleitner ein ganzes Drittel der Postings entfernt, doch das glaubt Mucha nicht.

"Und dann stoßen wir auf etwas Erstaunliches: Betrachtet man nämlich die Postings, die beim Tod von Gerhard Bronner, dem Vater von Oscar Bronner, gesetzt wurden, dann entdeckt man, dass es bis auf ganz wenige kritische Postings beim alten Kabarettisten eigentlich nur Positives gibt, was dort veröffentlicht wurde."

Ja, das ist wirklich erstaunlich! Dass ein (zudem der jüngeren Generation kaum noch bekannter) Kabarettist im Gegensatz zum über fünf Jahrzehnte lang höchst umstrittenen Herausgeber der seit mehreren Jahrzehnten auflagenstärksten und einflussreichsten, mit der Politik verbandelten Kronen Zeitung, weniger "kritische Postings" hervorgerufen hat, als der Dichand, das muss, wenn man den Ausführungen Muchas folgt, wohl auf Manipulation zurückzuführen sein.

Und in ähnlicher Weise geht es immerweiter. Und erneut macht Mucha Oscar Bronner persönlich dafür verantwortlich, was UserInnen auf derstandard.at anlässlich der Todesmeldung von - diesmal - Gastronomiekritiker Christoph Wagner gepostet haben:

"Dass Sie, Herr Bronner, all dies zulassen, nur um des schnöden Mammons willen, halte ich für wahrhaftig schäbig. [...] Vor einem Medium, das jede Würde eingebüßt hat, und das 'Pietät' vorsätzlich so mit Füßen tritt, wie Ihr Standard, habe ich freilich jeden Respekt verloren."
Im Übrigen frage ich mich, wie jemand wie Herr Mucha, der sich offenbar aus tiefster emotionaler Regung heraus über "Profit-Macherei" beklagt, sein Magazin "extradienst" hinter satten drei (!) Doppelseiten Werbung - der Umschlag sogar aufklappbar als quasi "trippelseitige" Werbung - verstecken kann, bevor man überhaupt erst auf die erste inhaltstragende Seite (das Inhaltsverzeichnis auf Seite 10) stoßt. Und was Herr Mucha alles über krone.at und seine Leser- und UserInnen zu sagen hat, würde mich auch stark interessieren. Das ganze Editorial findet sich übrigens in der "extradienst"-Ausgabe 07-08 vom 16. Juli 2010 auf Seite 12 und - unterbrochen durch ein ganzseitiges Inserat - 14. Oder online.

Links

Da sich das ganze bereits im Juli abspielte gibt es bereits einige Reaktionen zu Muchas Editorial. Auf den unterschwelligen Antisemitismus geht allerdings niemand ein:
- heute.at, 22. Juli 2010: "Standard": Mucha kritisiert Webportal
- derstandard.at, 23. Juli 2010: Der Saubermucha war da
- bernhardkraut.wordpress.com, 26. Juli 2010: Christian W. Mucha - Eines der Prusterale
- Antwort von extradienst auf Antwort des Standard, ohne Datum
- Muchas Webseite (www.mucha.at)

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