Samstag, 9. Oktober 2010

Ein paar Eindrücke vom FPÖ-Wahlkampf am Stephansplatz

Am Donnerstag, den 7. Oktober, drei Tage vor den Wiener Wahlen 2010, lud FPÖ-Parteiobmann Strache zur großen Schlusskundgebung auf den Stephansplatz, direkt vor dem Stephansdom. Etwa 1.500 Menschen fanden sich schließlich ein, als HC Strache gegen 18:30 Uhr zu seiner Rede antrat. Doch bereits 1,5 Stunden zuvor hatte der Frontman der "John Otti-Band", die in diesem Herbst offenbar jede Kundgebung Straches musikalisch begleitete (das ganze Programm einer typischen Cover-Band, von "Hang on Snoopy" bis zu "Ein Stern, der deinen Namen trägt" usw.), von "4000 bis 5000 sind bereits da" gesprochen, "und viele mehr werden noch kommen". Doch dass man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nimmt, wurde an diesem Abend noch an zahlreichen weiteren Beispielen eindrucksvoller bewiesen.

Erster Akt: die Linken

Als nach der Band Straches Einpeitscher (keine Ahnung, wie der heißt) die Bühne betrat, nahm man die anwesenden linken GegendemonstrantInnen zum Anlass, im Publikum mal für "ordentlich Stimmung" zu sorgen. Was sei bloß aus den Linken geworden, fragte er ins Publikum. "Früher" kamen noch zahlreiche Leute um gegen die FPÖ zu hetzen, aber heute hört man kaum noch Pfiffe von ganz hinten (was vielleicht auch daran liegt, dass die FPÖ mit ihren Securities, die wiederum die Polizei zu Hilfe holen, alle pfeifenden und "Buh" rufenden Menschen rasch entfernen und hinter eine Polizeikette verbannen lässt). Ja, schließlich machte sich der Redner "ernsthaft" Sorgen um die Linken, man müsse sie offenbar bald unter "Artenschutz" stellen. Heftiger Applaus und Gelächter im Publikum.

Dass er es mit der Besorgnis um die Linken doch nicht so ernst nahm, wurde aber schon in den nächsten Sätzen deutlich: Die arbeitsscheuen Linken würden "nicht duschen", "nicht arbeiten" und auf Kosten des Staates leben. Und überhaupt würden sie nur noch existieren, da sie vom "Futtertrog" der SPÖ ernährt werden. Da könne ein "Bürgermeister Strache" viel Geld einsparen. Und dann nochmal: Die Linken stehen spät auf, weil sie ja faul sind und nicht arbeiten, und eine Dusche hätten sie vermutlich noch nie von Innen gesehen. Das musste er nochmals erwähnen, um das Kapitel "Linke Hetzer" mit dem Spruch aller Sprüche zu beenden: "...aber ich sage euch eins, liebe Freunde, mir stinken die Linken!" - tosender Applaus, Gelächter, der Vorhang fällt, Ende der ersten Akts.

Gegner der Strache-FPÖ waren unerwünscht und wurden nach und nach entfernt:



Weitere Videos von der Kundgebung:
- Wer Strache nicht zujubelt, wird entfernt
- Gegendemo kommt an, Polizei marschiert ein und fordert Auflösung der Versammlung
- Zweite Gegendemo mit FPÖ-Anhängern direkt gegenüber
- Strache-Zitat: "Willst du eine soziale Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen"
- Strache will "hunderte Millionen" bei SPÖ-nahen Vereinen sparen und vereinnahmt die Polizei

Zweiter Akt: FPÖ und die Polizei

Mittlerweile traf auch eine etwa 150 Teilnehmer starke Anti-Strache-Demo, die tatsächlich von SPÖ-Jugendorganisationen ausging, am Stephansplatz ein. Bereits deutlich länger befand sich dort auch eine Gruppe der Kommunistischen Jugend (KJÖ), die an einem Infostand unter anderem Parodien von FPÖ-Wahlplakaten präsentierte: etwa "Hatschi-Stratschis Luftballon", eine Abwandlung des ähnlich lautenden Kinderbuches. Nur, dass hier "Hatschi-Stratschi" (oder wie auch immer die Schreibweise war/ist) selbst "Opfer" des Ballonfahrers "aus dem Morgenland" wurde.

Je näher der Auftritt Straches rückte, um so voller wurde der Platz. Sowohl FPÖ-Anhänger als auch FPÖ-Gegner waren immer zahlreicher anwesend. Als Reaktion auf die eingetroffene Anti-Strache-Demo errichtete die Polizei eine Kette zwischen dem U-Bahn-Aufgang vor dem Stephansdom und dem Stephansdom selbst. Kurz darauf wurde noch ein Polizeiwagen dazu gestellt, der in den folgenden Minuten drei Mal durchsagte, die Demo sei eine unangemeldete Versammlung und habe sich zügig aufzulösen - was selbstredlich nicht geschah. Die Polizei verstärkte die Absperrung nun, vorübergehend schien es, als wolle die Polizei die Gegendemonstration unter "Anwendung von Zwangsmitteln" (wie das in der Amtssprache so schön heißt) auflösen. Doch da die Demo zwar laut, aber friedlich war, entschied man sich offenbar, sie zu tolerieren.

Der "Anheizer" der FPÖ hatte zwar im Zuge seiner Polizei-Lobes-Rede, noch bevor die Gegendemo eintraf, von einem "gewaltbereiten Mob" gesprochen, der die FPÖ bei öffentlichen Auftritten bedrohe und mit Flaschen und Gegenständen werfen würde (also sind die Linken jetzt artenschutzwürdig oder sind sie eine ernstzunehmende Bedrohung für die FPÖ?) - doch zum Glück habe Wien so eine anständige und fleißige Polizei, die die FPÖ vor diesen Leuten beschütze. Dafür sei ihr zu danken, und überhaupt würden Polizisten ständig zu Unrecht kritisiert, wie auch Strache später nochmals betonte. "Alle Parteien" würden immer sofort die Polizei attackieren, wenn bei einem Polizei-Einsatz ein "Krimineller" verletzt oder getötet würde. Ja, die Polizisten hätten heutzutage schon "Angst, die Waffe zu gebrauchen", so Strache später. Aber die FPÖ stehe voll und ganz hinter der Polizei und so weiter... Wie eng die FPÖ mit der Wiener Polizei kann, zeigte dann auch ein scheinbar wichtiger Einsatz eines Polizisten, der sich in hektischem Schritt durch die Menge vor der FPÖ-Bühne drängte, begleitet von einem in einer "AUF"-Jacke (Freiheitliche Polizei-Gewerkschaft) - kurz darauf kamen beide zurück, der Polizist mit einer Steige "Red Bull", der "AUF"-Gewerkschafter mit einer Steige Bier. Beides wurde in den Polizeiwagen bei der Polizeikette gebracht.

Im Laufe des Abends, als die Securities und die Polizei noch nicht alle Gegendemonstranten aus dem inneren des mittlerweile aufgezogenen Polizeikordons herausgedrängt hatten, gab es auch mehrmals Übergriffe durch (sehr) alte Männer, die einmal mit dem erhobenen Gehstock wütend die "arbeitsscheue" Jugend bedrohten, oder ein anderes Mal mit erhobener Hand (nein, nicht ausgestreckte; eher die (groß)väterlich drohende Detschn-Hand) und wüsten verbalen Beschimpfungen den Teenies nahegingen. Ansonsten blieben sowohl FPÖ-Anhänger als auch Gegendemonstranten friedlich. Ein paar Wortgefechte ausgenommen. Auch die zumeist glatzköpfigen Securities waren zwar streng und kamen den Strache-Gegnern am Rand des Publikumsbereichs auch sehr nahe, überließen die Rausschmeiß-Arbeit, sofern überhaupt nötig, dann doch der Polizei.

Lediglich am Ende der Kundgebung, als sich alles auflöste, gab es noch einen unschönen Zwischenfall, den ich beobachten "durfte". Zwei Mädchen verließen gerade die (Gegen-)Kundgebung und riefen noch einmal "Nazis raus" oder so ähnlich - woraufhin eines der Mädchen von einem großen Security am Arm gepackt und "zur Rede" gestellt wurde. So vonwegen, sie sollen verschwinden. Als sich die Mädchen aufregten ("lass mich los") und der Security aber nicht nachgab, kam ein jüngerer Security (einer von denen mit dem "Scorpions"-Logo), der dem Akzent zufolge Migrationshintergrund haben dürfte, und stellte sich schützend vor die Mädchen. Es entwickelte sich ein heftiges Wortgefecht zwischen dem scheinbar altgedienten FPÖ-Security, der sich selbst "Sicherheitschef der FPÖ" nennt und dem Jungen, der sich empörte, dass man so nicht mit Frauen umgehe. Man setze das bitte auch mal in Verhältnis mit der FPÖ-Kampagne "Wir schützen freie Frauen". Fragt sich, WER genau da eigentlich die Frauen schützt?



"Sicherheitschef der FPÖ" (Eigenbezeichnung) schubst Mädchen, junger Security mit Migationshintergrund schützt sie und wird dafür mit der Kündigung bedroht

Dritter Akt: Politische GegnerInnen

Bei der SPÖ und den Grünen scheint Strache nur jene wahrzunehmen, die seiner Ansicht nach Migrationshintergrund haben. Er mag es zum Beispiel nicht, dass die Grünen Österreich immer schlecht reden, und er konkretisiert das Wort "Grüne" mit "Korun, Vassilakou und Stojsits", die doch "nach Hause gehen" [!] sollen, wenn es ihnen "hier" nicht gefällt. Dass Terezija Stoisits im Burgenland geboren ist und Teil der seit Monarchie-Zeiten im Burgenland ansäßigen und anerkannten lokalen Minderheit der Burgenlandkroaten ist, scheint ihn dabei nicht zu stören. Meint er also, sie solle "zurück" nach Kroatien (was demzufolge alle Burgenlandkroaten, inklusive z.B. "Ostbahn-Kurti" Willi Resetarits, sollten), oder zurück ins Burgenland? Beides ist ziemlich absurd. Bei Jörg Haider hat sich auch nie jemand beschwert, er solle zurück nach Oberösterreich, oder Herbert Kickl zurück nach Kärnten. Dass Österreich natürlich auch für Korun und Vassilakou die Heimat ist, muss nicht extra erwähnt werden, aber da diese nicht in Österreich geboren wurden gilt das in der Logik der FPÖ und ihrer Wähler nicht als Argument gegen die "Heimkehr"-Aufforderung.

Auch das Parkplatz-Thema wurde angesprochen. Die Grünen kommen dabei natürlich nicht gut weg, denn sie wollen, so Strache, eine "Öffi-Pflicht" einführen.

Äußerst merkwürdig auch die Attacke auf "Petr" Baxant, der "aus Tschechien" stammt, was Strache übrigens "nur deshalb" erwähne, weil er "offensichtlich" den in seiner Kindheit vorherrschenden Kommunismus in sich aufgesogen habe (Zumindest seine Gymnasialzeit verbrachte Baxant laut Wikipedia in Klosterneuburg, sei nur mal angemerkt). Dass ein nicht unerheblicher Teil der Wiener, auch unter FPÖ-Wählern, tschechische Familiennamen haben scheint ebenfalls kein Hinderungsgrund zu sein, über "die Tschechen" zu lästern.

Außerdem: Seine politischen Gegner, wobei vor allem "die Linken" gemeint sein dürften, würden statt mit Argumenten immer mit haltlosen Behauptungen und der "linken Faschismuskeule" kommen, obwohl Strache ja nur die Wahrheit sage...

Strache, die SPÖ und der Antisemitismus

Herzig auch, wie vehement sich Strache gegen [!] Antisemitismus stark macht. Zumindest, wenn dieser beim SPÖ-Abgeordneten Omar Al-Rawi verortet wird, der laut Strache "aus Syrien oder dem Iran" kommt und auf der Wiener Ringstraße "mit Zehntausenden" (es waren ca. 5.000) "vorwiegend türkischstämmigen Wienern" gegen Israel gehetzt habe. Nein, sowas habe in Österreich keinen Platz, gibt sich Strache konsequent, in Österreich dürfe Antisemitismus keinen Platz haben. Das Publikum applaudiert, zumindest die Hälfte. Einer direkt vor mir stehenden Gruppe älterer Herren kostet diese Aussage aber nur ein verschmitztes lächeln. Applaus gibts von ihnen keinen. Und was den Umgang mit Antisemitismus innerhalb der FPÖ betrifft, scheint es Strache ohnehin nicht ganz so streng zu nehmen, wie mit Antisemitismus unter Türken.

Die Überfremdung und andere "Tatsachen"

Faksimile: Alexia Weiss in: Die Gemeinde, Nr 677, September 2010, S. 7

Nicht fehlen durfte natürlich auch das Thema "Überfremdung" - "Beweis" Nummer eins: 90 % der Kinder in den Volksschulen haben Migrationshintergrund. Ja, ob denn Wien noch unser Wien sei? Wohin das wohl noch führe? Wer solle Wien retten? Ja, es müsse auf jeden Fall gerettet werden...! "Unser Wien" müsse bewahrt, geschützt und verteidigt werden. Dass die Zuwanderung in den letzten zehn Jahren immer noch geringer war, als zu Zeiten der Monarchie, als hunderttausende Ungarn, Tschechen, Polen, Rumänen uvm. dauerhaft nach Wien übersiedelten, und dies keineswegs dazu geführt hat, dass Wien heute nicht mehr Wien wäre, wird nicht erwähnt. Aufgrund dieser Zuwanderung ist Wien heute "unser Wien", wie wir es kennen. Und die gegenwärtige Zuwanderung wird Wien um die eine oder andere Facette bereichern, aber die übrigen Wiener sicher nicht "weniger Wiener" werden lassen. Aber derartiges ist von Strache natürlich nicht zu hören.

Im Übrigen: Er habe ja nichts gegen "anständige Ausländer, die sich integrieren" - mal abgesehen davon, wenn diese Integration "illegal" erfolgt, wie man an den Fällen Zogaj, Komani und den vielen anderen, öffentlich weniger bekannten Fällen, siehen kann. Und dass Strache ständig nur jene Türken und Moslems erwähnt, die seiner Ansicht nach in Parallelgesellschaften leben würden, sich nicht integrieren würden, nicht deutsch lernen würden und antisemitisch seien, das scheint ebenfalls kein Widerspruch zu seiner "ich hab ja grundsätzlich nix gegen Ausländer"-Masche zu sein. Und einen "Zuwanderungsstopp" fordert er trotzdem ebenso, wie auch "Österreicher zuerst", wenn es um Gemeindebauwohnungen oder Kindergärten geht.

Ob das die Integration fördern würde, wenn Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen keine Kindergartenplätze kriegen, weil "Österreicher zuerst" rein dürfen, oder die Familien statt in leistbaren Gemeindebauten in billigeren Stadtteilen in Altbauwohnungen zusammengepfercht leben? Strache will also Ausländer, die sich integrieren - aber helfen will er ihnen dabei scheinbar nicht wirklich. Ganz im Gegenteil. Ausländer sollen diese und jene Pflichten erfüllen, und wenn nicht, sollen sie bestraft werden - sei es mit Entzug von Förderungen und Beihilfen oder gar mit Abschiebung schon bei der geringsten Straftat.

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