Eine Woche nach den RTS-Krawallen am Bellevue vom 10. auf den 11. September (FMO berichtete) kommt es, wie nach dem Aufruf zur neuerlichen Straßenparty in Ketten-SMS seit letztem Sonntag zu befürchten war, erneut zu Krawallen. Dass es gleich drei werden würden, war jedoch nicht abzusehen.
"Polizei verhindert illegale Party am Central" titelt erfreut die Online-Ausgabe des Blick. Dass dafür vermutlich über 1.000 hochgerüstete PolizistInnen eingesetzt werden mussten, massenhaft Tränengas und Gummischrot verschossen wurde, dutzende Personen verletzt wurden, das Herz der Stadt, direkt vor einem der höchst frequentierten Bahnhöfe Europas, zwischen 23:45 und 3 Uhr früh eher einem Schlachtfeld glich, ist natürlich vernachlässigbar angesichts des herausragenden Erfolgs der vereinigten Schweizer Polizeikräfte gegen Jugendliche aus Zürich, die ihre Party nicht anmelden wollten.
Das vergangene Wochenende im Rückblick:
"Polizei verhindert illegale Party am Central" titelt erfreut die Online-Ausgabe des Blick. Dass dafür vermutlich über 1.000 hochgerüstete PolizistInnen eingesetzt werden mussten, massenhaft Tränengas und Gummischrot verschossen wurde, dutzende Personen verletzt wurden, das Herz der Stadt, direkt vor einem der höchst frequentierten Bahnhöfe Europas, zwischen 23:45 und 3 Uhr früh eher einem Schlachtfeld glich, ist natürlich vernachlässigbar angesichts des herausragenden Erfolgs der vereinigten Schweizer Polizeikräfte gegen Jugendliche aus Zürich, die ihre Party nicht anmelden wollten.
Das vergangene Wochenende im Rückblick:
Freitag, 16.9. - Vorverlegte RTS am Helvetiaplatz, Krawalle am Stauffacher
Bereits am Vorabend des Samstags, 17. September, für den gegen 23:30 Uhr zur Party am Central aufgerufen war, versammelten sich rund 200-400 Leute (bei strömendem Regen) bei der Unterführung am Helvetiaplatz um mit eigener Anlage und DJs eine Alternative zum kommerziellen, ruionös teuren, Party-Treiben in den Clubs und Lokalen der Stadt anzubieten.
Die Polizei war nicht uninformiert, hielt sich aber vorerst im Hintergrund und ließ die Party, die ohnehin auf einem für den Verkehr gesperrten Platz stattfand, gewähren. Gegen Mitternacht setzte sich das mobile Soundsystem samt Anhängerschaft Richtung Stauffacher, wo ein Haus (zur Sauvage, also zum weiterfeiern) besetzt werden sollte, in Bewegung. Die Polizei versperrte jedoch den Platz. Als die Demonstrierenden über eine Seitenstraße ausweichen wollten, wurden sie umgehend mit Gummischrot und Tränengas eingedeckt, der Wasserwerfer wurde eingesetzt. Die Angegriffenen schleuderten Flaschen und andere Gegenstände zurück, zerstreute sich, formierte sich aber bald unweit der Langstrasse (Ausgehmeile und Zentrum zweier ehemaliger ArbeiterInnen-Bezirke, heute mehrheitlich von MigrantInnen bewohnt) wieder.
Tanzend zog die Menge nun in die Langstrasse, wo zahlreiche Schaulustige auf die Straßen strömten - die Polizei hielt sich zurück, zumal die Polizei in dem Quartier keinen guten Ruf genießt. Eine eigene Kampagne der Polizei kümmerte sich letztes Jahr darum, die Straßen "sauber" zu halten - gemeint sind willkürliche Kontrollen an Passanten "mit Migrationshintergrund", wie man "so schön" sagt.
Als die Demo schließlich in die Militärstrasse einbog um Richtung Kasernen-Areal (ehemalige Kaserne) zu ziehen, kam es vor dem dort gelegenen Polizeiposten zur finalen Auseinandersetzung: die Polizei setzte die üblichen Waffen ein, während DemonstrantInnen Müllcontainer und anderes Zeugs auf die Straßen warfen und anzündeten. Zwischen 2 und 3 Uhr waren die Krawalle beendet.
Samstag, 17.9. - Krawalle am Rande von Anti-Abtreibungs-Demo christlicher Fundis
Die Polizei verhinderte am Nachmittag unter großer Gewaltanwendung, dass die vom Revolutionären Bündnis Zürich getragene Gegendemo zur Anti-Abtreibungs-Demo durchbrechen konnte. Protestierende lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Alles weitere im Tages-Anzeiger, andere Infos liegen leider nicht vor.
Samstag, 17.9. - Reclaim the Streets am Central fällt Polizeiblockade zum Opfer - trotzdem Krawalle
Eigentlich hätten sich um 23:30 Uhr hunderte, wenn nicht tausende, Menschen zur RTS am Central treffen sollen. Doch zum einen regnete es erneut teils heftig, zum anderen glich das Zürcher Stadtzentrum einem Sperrgebiet. Das gesamte Areal zwischen Stampfenbachstrasse, Niederdorf, Hauptbahnhof und Bahnhofstrasse war von hunderten PolizistInnen besetzt - die sich jedoch zunächst in Seitenstrassen "versteckten". Laut Augenzeugen waren die in der Bahnhofshalle eingesetzten Cops eigens aus der französischsprachigen Schweiz zugezogen worden. Über die Zahl der eingesetzten Beamten gibt die Zürcher Polizei allerdings nie Auskunft.
Im Hauptbahnhof hatten sich bereits hunderte Menschen versammelt. Als sich mehrere Personen vermummten griff die Polizei das erste Mal ein: Festnahmen.
Die Menge zog zum Central und wurde durchgelassen. Doch bevor dort die Party losgehen konnte wurde binnen weniger Minuten ein Kessel erzeugt - die ersten Böller wurden Richtung Polizei geworfen und es passiert, was in so einem Fall in Zürich immer passiert: Gummischrot, Tränengas, Pfefferspray, Wasserwerfer ... Zusätzlich waren viele Polizisten in zivil eingesetzt, einige auch als sogenannte "Chaoten-Zivis", die aussehen sollen wie autonome Demonstranten (Rucksack, Kapuzenpulli etc.) und als "Greifer" Leute aus der Menge ziehen (ähnliche Bilder kennt man etwa aus Barcelona, wo im Umfeld der friedlichen Massenproteste am 15. Juni d.J. einige eingeschleuste Provokateure entlarvt und vertrieben wurden). Auch aus Zürich gibt es Videos von optisch möglichst angepassten Zivi-Cops, die Leute aus der Menge heraus verhaften, wie etwa regelmäßig am 1. Mai. Das treibt dann mitunter auch skurrile "Blüten", wie etwa dieses Video zeigt.
Mit Gewaltorgie zum Orgasmus? StaPo testet ihre neueste Lustinnovation.
Erneut kamen bei der Gewaltorgie der Polizei viele Unbeteiligte zum Handkuss: Diesmal wurde gleich das ganze Areal um den Hauptbahnhof in Trängengas gehüllt, im unterirdischen "Shopville", das unter dem Hauptbahnhof als Verbindung zur Bahnhofstrasse sowie als Shoppingcenter dient, hingen ebenfalls Schwaden von Tränengas. Oberirdisch wurden die rund 500 bis 700 Partywilligen zum Hauptbahnhof zurückgetrieben (sogar im Tages-Anzeiger steht im Bildtext: " , in dessen Umgebung sich die Krawalle nun abspielten. Auch in der Altstadt, dem Niederdorf, soll es Auseinandersetzungen gegeben haben. Berichte darüber liegen (noch) keine vor.
Vom Hirschengraben über dem Central aus, das in einen Hang hineinreicht, wurde die Polizei mit Gegenständen und Baumaterial beworfen. Der Wasserwerfer, der sich nahe der den Hang abstützenden Mauer befand, wurde aus knapp 10 Metern Höhe mit kiloschweren Steinplatten beworfen - das Fahrzeug blieb unverletzt.
Der Weg zur Bahnhofstrasse - als teuerste Einkaufsstrasse der Schweiz auch das beliebteste Riot-Areal - wurde von einem Wasserwerfer versperrt. Also tobten sich einige an der Tram-Haltestelle Hauptbahnhof aus, zerstörten die Glasflächen, zündeten Zeitungsständer an, randalierten.
Weitere Angriffe der aufgebrachten Jugendlichen richteten sich gegen ein "ziviles" Polizeifahrzeug (die VW-Bus-Flotte der Zürcher Polizei, die für das Stadtbild prägend ist, ist in den Farbcodes blau, weiß und grau, sind - bis auf ein einziges, abnehmbares Blaulicht am Dach, von außen nicht als Polizeifahrzeuge zu erkennen), welches kurzerhand umgeschmissen wurde (Bilder davon finden sich auf 20min.ch und blick.ch, die freilich nicht von einem Polizeifahrzeug schreiben; nur der Tages-Anzeiger erkennt das Polizeifahrzeug, wie die Bildbeschreibung verrät).
Laut Tages-Anzeiger dauerten die Krawalle bis zumindest drei Uhr früh an, auch danach soll es noch vereinzelt Zwischenfälle gegeben haben. Dass der Versuch, die erschienene Menschenmenge in "Gaffer" und "Chaoten" zu spalten, nicht besonders hilfreich ist, da der Übergang mitunter ein fließender ist, zeigt eine Bemerkung im Tages-Anzeiger-Artikel: "Die Unruhestifter dürften die gleichen gewesen sein wie vergangene Woche, waren jedoch überraschend zahlreich. Die Gaffer glichen weniger den jungen Partygängern von letzter Woche als jenem Publikum, das man normalerweise am 1. Mai antrifft."
Gebt der Zürcher Polizei ein Gummi-MG!
Besonders hässliche Szenen soll es zwischen Hauptbahnhof, Limmatufer und Platzspitz gegeben haben, wo gegen Ende der Krawalle noch ein beliebig wirkender Kessel aufgezogen wurde und die darin gefangenen Menschen mit heftigen Salven aus Gummischrot in die Enge getrieben wurden - laut Augenzeugen waren kaum "Randalierer" oder "Chaoten" darunter, sondern "Gaffer" (Schaulustige) und Nachtschwärmer, die nicht wussten, wie ihnen geschah (Bild 14 in der Tages-Anzeiger Fotoreihe). Mögliches Motiv: Nach nur zwei (!) Verhaftungen am letzten Samstag sucht die Polizei nun (wie schon öfter in der Vergangenheit) durch willkürliche Verhaftungen dem Erfolgsdruck der Opposition und der gesamten Presse gerecht zu werden. Dass dabei jedes Mal dutzende, wenn nicht Hunderte, Zivilisten auf verschiedene Weise direkt mit Polizeigewalt konfrontiert werden, was im besten Fall von vertränten Augen bis - im schlechtesten Fall - gebrochener Nase durch Gummischrot reicht, scheint niemanden zu stören.
öffentliche Meinung - who cares?
Von Verletzten ist wie fast immer in den Medien nichts zu lesen - es müssen einige Dutzend gewesen sein an diesem Wochenende, viele mit blutverschmierten Gesichtern wegen des Gummischrots. Aber auch das ist Teil des perversen Spiels von Polizei, Politik und Medien, das in Zürich schon in den 80er-Jahren gespielt wurde und offenbar auch im Internetzeitalter noch erstaunlich und unwidersprochen gut funktioniert. Die Polizei schießt lieber aus der Distanz, die Leute laufen davon, die Medien schreiben die Presseaussendungen der Polizei ab, statt sich in Krankenhäusern nach den tatsächlichen Verletztenzahlen zu erkundigen (sie würden wohl staunen). Die (rotgrüne) Stadtregierung gibt sich besorgt über Gerüchte von Polizeigewalt, was von der rechten Opposition umso stärker kritisiert wird, da die Polizei selbst das größte Opfer sei und dringen mehr Geld und Personal benötige. Die so jedes Mal aufs neue für dumm verkaufte Öffentlichkeit weiß auch nicht mehr was sie glauben soll - dabei haben sie ohnehin immer nur die selbe Lüge erklärt bekommen. Weder auf Indymedia noch auf Twitter oder in eigenen Blogs bzw. Videoplattformen macht die linke Szene auf derartige Missstände aufmerksam. Hier klafft ein großes Loch, das beispielsweise in Wien (wohl insbesondere seit den Massenprotesten gegen Schwarz-Blau im Jahr 2000, bei denen Mailverteiler eine sehr wichtige Rolle gespielt und somit wohl das Internetzeitalter in der "Zivilgesellschaft" miteingeleitet haben) durch autonome Blogs und Portale wie WienTV.org, nochrichten.net, ichmachpolitik.at, no-racism.net, Indymedia sowie diverse Fotografen (was natürlich immer wieder zu Konflikten führt, andererseits besteht zu den aktivsten meist eine gute vertrauensbasis hinsichtlich Gesichter-nicht-erkennung), die ihre Fotoalben auf flickr oder eigene Blogs stellen, gefüllt wird.
Der Kampf um die öffentliche Meinung wird in Zürich vermutlich von vielen als aussichtslos betrachtet, nur hin und wider finden sich (in der Regel anonyme) Aussendungen auf Indymedia. Andererseits gibt man so der Polizei keinerlei Angriffsfläche, wodurch diese sich nach jedem Krawall wieder splitternackt den Medien und der (rechten) Opposition stellen und den Vorwurf gefallen lassen muss, komplett ahnungslos zu sein - was auch seine Reize hat. Alternative, unabhängige Medienschaffende, zu denen ein Vertrauensverhältnis (insbesondere was den Schutz der Anonymität der AktivistInnen betrifft) besteht und die ohne Verfolgungsdruck Meldungen veröffentlichen können, die Dinge beschreiben, die nur Anwesende gesehen haben können, könnten die Anonymität der AktivistInnen gewährleisten und durch Dokumentation und Veröffentlichung von Polizeigewalt via (etablierter) Medien (die zumindest in größeren Fällen oder bei spektakulären Aufnahmen auf den Zug aufspringen) und einer informiert(er)en Öffentlichkeit Druck auf die Polizei ausüben. Die Polizei wird aus Steuergeldern informiert und es das gute Recht eines jeden, ihr bei der Arbeit gründlich auf die Finger zu schauen.
weitere Links (Auswahl):
- videoportal.sf.tv: Kurzbericht des Schweizer Fernsehens (das gleiche Video, es handelt sich offenbar um Agenturmaterial (das erklärt auch, warum SF nur 50 Sekunden lang berichtet und das ganze abrupt abwürigt), findet sich unkommentiert auch auf orf.at)
- rjz.ch - Revolutionäre Jugend Zürich: Fight for your Right to Party!
- linksunten.indymedia.org: (Jugend) Unruhen in Zürich (Schweiz)?
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