Montag, 21. März 2011

Scheinheilig und verlogen - Linke und die arabischen Revolutionen

Stell dir vor, in der arabischen Welt ist Revolution und keiner schaut (mehr) hin. So musste man die Berichterstattungslage aller großen Medien in den letzten 10 Tagen, nach dem Erdbeben samt Reaktorkatastrophe in Japan beschreiben. Die Folge war, dass Gadaffi im Schatten der Weltaufmerksamkeit mit noch rücksichtsloserer Gewalt eine Stadt nach der anderen entlang der libyschen Küste Richtung Osten von den Rebellen zurückeroberte. Maßgeblich für den Erfolg verantwortlich waren Bombardements aus der Luft, gegen die die hauptsächlich leicht bewaffneten "Rebellen" (eigentlich Demonstrierende, die sich nach ersten Luftangriffen auf Demonstrationen bewaffnet haben und dabei von Überläufern aus der Armee unterstützt werden) nur wenig aussetzen können.

Weltpolitik: Alles wie immer - nur anders

Begünstigt durch den (nicht ganz unberechtigten) Zweifel des Westens, in die bewaffneten Aufstände könnten maßgeblich auch Islamisten und Djihadisten beteiligt sein, zögerten westliche Großmächte, NATO aber auch der UNO-Sicherheitsrat lange, entschieden gegen den Staatsterror Gadaffis vorzugehen. Man fürchtete auch (ebenfalls nicht unbegründet) den Afghanistan- und Irak-Effekt, der den USA und seinen Bündnispartnern nichts als Ärger, Hass und Terror gebracht hat. Unter von höchsten Stellen konstruierten Lügen zog eine ideologisch-fanatische, von handfesten wirtschaftlichen Interessen getriebene, mit der Ölindustrie dicht verwobene Kriegskoalition unter der Führung George Bush juniors (der noch dazu einen Vaterkomplex auszugleichen hatte) in Afghanistan und in den Irak ein. Die Ölfelder wurden okkupiert, werden streng bewacht - die versprochene Demokratisierung ist nebensächlich. Statt Geld für Schulen, Infrastruktur und Wirtschaftshilfe (etwa nach dem Muster des Marshall-Plans für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg) gab es nur Geld für Militär, US-Söldnerkonzerne (Blackwater alias XE & Co), Waffen- und Ölindustrie. Die Folgen sind hinreichend bekannt. Statt Hoffnung und Aufbruchsstimmung nur Terror und größerer Hass auf den Westen als je zuvor.

Aber die Lage in Libyen ist anders. Das sollte eigentlich unübersehbar sein, und tatsächlich erkennt auch jede/r Beobachter/in den Umstand an, dass im arabischen Raum derzeit eine Revolutionswelle in Gange ist, die von der breiten Masse der jeweiligen Länder getragen wird. Dennoch kommt nun vor allem von linker Seite vielfach genau die selbe Musik, wie sie seit nunmehr zehn Jahren schon zum Irak- und Afghanistankrieg zu hören ist - ungeachtet der veränderten Tonlage, ein paar Beispiele (nicht alle linken Parteien und Gruppierungen lehnen eine militärische Intervention in Libyen ausdrücklich ab, in jedem Fall aber folgende):
- Linkswende: Nein zur militärischen Intervention in Libyen! Es leben die arabischen Revolutionen! (20.3.2011)
- KPÖ: KPÖ gegen Militärintervention in Libyen
- die Linke [Deutschland]: Bomben schaffen keinen Frieden. Kein Krieg in Libyen!

"Lieber keine Revolution als eine vom Westen unterstützte"

Genau jene Linken, die immer die Heuchlerei des Westens in Menschenrechts- und Demokratiefragen angeprangert haben, prangern nun den selben Westen an, dass er eine von der breiten Masse getragenen Demokratiebewegung in letzter Sekunde zu Hilfe eilt. Die Argumente für diese Position sind aber selbst an Heuchlerei nicht zu überbieten: Der Westen wolle nur an Libyens Öl, er wolle eine neue Besatzung eines arabischen Landes (Stichwort "Imperialismus", was sonst?) und außerdem habe der Westen ja gar keinen Plan für die Zeit nach Gadaffi (ach, plötzlich soll es wünschenswert sein, wenn die USA und Verbündete einen fertigen Plan für die Zukunft eines anderen Landes haben?). Als Beweis für die eigenen Überzeugungen wird herangezogen, dass die USA und die EU bisher nie ein Problem hatten, mit Gadaffi und anderen Diktatoren im arabischen Raum oder sonstwo Geschäfte zu machen und dass die ersten Reaktionen des Westens auf die Revolutionen eher zurückhaltend waren. Dies ist zwar richtig und liegt - natürlich - an den massiven wirtschaftlichen Interessen, die man durch Vergrämung der (diktatorischen) "Partner" nicht (zugunsten von Russland, China oder Indien, die mit den "alten" westlichen Mächten in der von ihnen bisher eher vernachlässigten Weltregion Afrika/Arabien in einem starken Wettbewerb um Ressourcen und Marktanteile stehen) aufgeben möchte. Und natürlich steht für den Westen der Einfluss in der Region am Spiel - vor allem seine Glaubwürdigkeit als demokratisches und menschenrechtliches "Vorbild" für die ganze Welt. Dass hier ausnahmsweise (und endlich) einmal ein gemeinsamer Nenner zwischen (pro-demokratischen) Revolutionären und dem weltpolitisch um Einfluss und Macht besorgten Westen vorhanden ist, ist zwar skurril und einzigartig (und offenbar zu viel für die Vorstellungskraft mancher), aber deswegen die Interessen beider (also Revolutionäre + Westen) abzulehnen, nach dem Motto: "besser keine Revolution als eine vom Westen unterstützte", übertrifft beinahe die bisherige Politik des Westens in der Region an Zynismus und Menschenverachtung.

Neue imperialistische Besetzungen im arabischen Raum?

Was die (linken) Kritiker übersehen, ist vor allem auch folgendes: Niemand, schon gar nicht die USA, haben Interesse, ein weiteres Land im arabischen Raum zu besetzen. Der "Image"-Schaden durch den Irak- und Afghanistankrieg, aber auch die Einsätze in Pakistan und anderen Teilen des arabischen Raums, ist schon nahezu irreparabel groß. Die USA stehen nahe dem Staatsbankrott, da diese Einsätze in den letzten Jahren tausende (!) Milliarden Dollar gekostet haben. Gleichzeitig sind während der Besatzungszeit tausende Soldaten gefallen - da sind selbst die Amis "not amused" - und (für die USA) noch "schlimmer": es lässt sich kaum mehr Nachwuchs rekrutieren, der freiwillig nach Afghanistan oder in den Irak geht: die täglichen Selbstmordanschläge haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Angst und Panikreaktionen lösen Massaker an der Zivilbevölkerung aus, wodurch sich wiederum neue Selbstmordattentäter rekrutieren lassen. Auch die Selbstmordrate unter US-Soldaten ist enorm hoch - und viele der Rückkehrer leiden an diversen Kriegstraumata. Das mag eine imperialistische Weltmacht zwar nicht viel kümmern - aber die Bevölkerung hat immer weniger Verständnis für die Notwendigkeit dieser Einsätze. Ein weiterer Einsatz von Bodentruppen würde Obama nicht - wie Bush damals unter einer ganz anderen Ausgangssituation, nämlich den islamistisch motivierten Anschlägen auf Staatsgebiet - nützen, sondern schaden, ja ihm vermutlich gar die derzeit noch intakten Chancen auf eine Wiederwahl zunichte machen.

Obamas zögern zum Einschreiten in Libyen (was ihm mittlerweile von einigen ebenfalls als Fehler ausgelegt wird) und sein Wille, die Kontrolle der Militäraktion an die NATO oder einen Bündnispartner abzugeben, zeigen vor allem eins: Obama will nicht wie sein Vorgänger in ein Wespennest stechen, will anti-westlichen Kräften möglichst wenig Angriffsfläche geben, denn dadurch könnte der ganze demokratische Wandel durch eine islamistische Anti-USA-Welle gefährdet werden (etwa, wenn US-Bodentruppen - unter welchen Umständen auch immer - arabische Zivilisten töten). Dass Obama dies vermeiden will, liegt auf der Hand. Umgekehrt könnte die Unterstützung der von einer breiten Masse getragenen pro-demokratischen Revolution einiges an Image-Schaden der USA und auch der beteiligten EU-Länder kompensieren. Und das ist dann wohl auch der Grund, warum der Westen trotzdem eingreift. Nicht wegen der Ölquellen (die mögen durchaus eine Rolle in den Hintergedanken spielen, sind aber wohl kaum Leitmotiv der Einsätze, da massiv kontraproduktiv), sondern um den Hass auf den Westen, der die Triebfeder des internationalen Terrorismus mit islamischen Hintergrund darstellt, zumindest ein bisschen einzudämmen.

Würde der Westen die arabischen Revolutionen links liegen lassen, trotz vielfacher Aufforderungen von in die Defensive geratenen libyschen Rebellen, würde dies den schlechten Ruf der USA als Feind aller Araber(innen) und Moslems auf lange Zeit einzementieren. Durch die Unterstützung hat Obama (aber auch die Ex-Kolonialmächte der Region, Großbritannien, Frankreich und Italien) die einmalige Gelegenheit in der Weltgeschichte, zertretenes Porzellan der vergangenen Jahrzehnte wirksam und authentisch zu kitten. Und zuguterletzt ist auch den wirtschaftlichen Interessen des Westens - deren Bedeutung ich gar nicht leugnen möchte - durch die Unterstützung des beginnenden demokratischen Wandels im arabischen Raum langfristig tausendmal besser gedient, als eine kurzsichtige Besetzung von Ölvorkommen, die zwar für einzelne Ölkonzerne durchaus rentabel sein mögen, aber aufgrund des erwartbaren massiven Widerstands einer Bevölkerung, die endgültig genug hat von Ausbeutung aller Art (seien es Kolonialmächte, Imperialisten oder "eigene" Dikatoren), volkswirtschaftlich für die USA & Co ein Desaster bedeuten würde. Unleistbar, ruinös - da helfen auch die besten Lobbyisten nichts!

Wieder mal totaler Krieg - wieder mal wegschauen?

Ohne die Dimensionen und die Motive des ausgeübten Unrechts vergleichen zu wollen, ist die Situation dennoch vergleichbar: Ein unbeirrbarer Psychopath mit Allmachtsanspruch, der lieber sterben würde, als freiwillig (oder erzwungenermaßen) aufzugeben oder ins Exil zu gehen, der - wenn "nötig" - auch Millionen Menschen mit sich in den Tod reißen würde, als auch nur einen letzten Funken Vernunft zu zeigen (wie bei Ben-Ali und in geringerem Ausmaß auch bei Mubarak immerhin der Fall), klammert sich an der Macht fest und versucht mit tabuloser Gewalt (seien es Luftangriffe auf unbewaffnete Demonstrationen, die die Mutation letzterer zu bewaffneten Rebellen überhaupt erst ausgelöst hat, oder seien es Massaker an Soldaten, die sich weigern, auf Landsleute zu schießen) einen aussichtslos scheinenden Konflikt doch noch zu gewinnen. Stay in power or die trying sozusagen.

Es wirkt also sehr merkwürdig, wenn Linke, die nicht mit der Wimper zucken, wenn es darum geht, sich mit dem "Aufstand" der Palästinenser (und überhaupt jeder "anti-imperialistischen Intifada" im arabischen Raum) zu solidarisieren und die "Schutzmächte" der pro-westlichen Diktaturen der Region anprangern, da diese nur wirtschaftliche Interessen auf Kosten der unterdrückten Bevölkerung verfolgen würden, nun genau den selben Westen dafür kritisieren, eine arabische Revolution zu unterstützen. Diese Tatsache für sich allein genommen mag man ja noch mit "Skepsis" und "Vorbehalt" erklären können, doch übersieht sie den allerwichtigsten Punkt, genau jenen Punkt, den die selben Linken immer als ihre Stärke für sich vereinnahmen, als Argument gegen und als Unterscheidungsmerkmal von Kapitalisten und Rechten: den Menschen! Jene Menschen, die seit Wochen ihre Angst über Bord geworfen haben und ihr Leben dafür geben (und bereits tausendfach auch geopfert haben), ein Terror-Regime zu stürzen um die Grundlagen für eine bessere Gesellschaft, ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Diese Menschen sollen nun sehenden Auges in den sicheren Tod geschickt werden, weil ein paar Linke nicht besonders handfest argumentierte Zweifel über die Motive der (ohnehin nur zögerlich, eingeschränkt und international gedeckt eingeschrittenen) Unterstützer haben?

Gandhis Weg und Pazifismus in Ehren - aber manchmal sollte man den Tatsachen ohne ideologische Scheuklappen ins Augen sehen, wenn man sich nicht "Hoch die internationale Solidarität" rufend in der Weltgeschichte verlaufen möchte.

Freitag, 4. März 2011

Good bye, Friesi! Ein Nachruf.

[August 2010] - [März 2011]














Am 7. April 2010 wurde das Doppelhaus Friesenbergstrasse 78/80 besetzt. Es war ein Glückstreffer. Nur wenige Tage zuvor waren die letzten Mieter des Hauses ausgezogen. Das Haus war alt, wurde in den 30er-Jahren gebaut. Aber es war in relativ gutem Zustand und nach wie vor bewohnbar. Türen und Fenster waren zwar alt, die Teppichböden nicht mehr ganz frisch (darunter befand sich Holzparkett), aber: es gab Strom und fließendes Wasser, die Badezimmer und Küchen waren zumeist intakt. Insgesamt 18 kleine 2-Zimmer-Wohnungen mit Bad-Küche-Vorraum. Also zogen die Leute ein. Rasch wurde auch der Keller einer squat-gerechten Nutzung zugänglich gemacht. Als hilfreich erwies sich dabei ein altes Schweizer Gesetz, das aus Gründen der Landesverteidigung nicht nur "Schutzräume" (Bunker) in Wohnhäusern vorsieht, sondern auch vorschreibt, dass die Holzlatten-Verkleidung der Kellerabteile relativ unkompliziert zu entfernen und als Bettgestell genutzt werden kann. Matratzen gab es ohnehin genug, ein ganzes Zimmer wurde damit vollgestopft (das Gästezimmer). Im Gästezimmer waren immer wieder Gäste aus dem In- und Ausland, darunter auch ich, zu Gast. Auch Obdachlose durften immer wieder im Gästezimmer übernachten, wobei man sich notgedrungen (das Matratzenlager sprach sich rasch herum) darauf einigte, jeden Obdachlosen maximal zwei Nächte übernachten zu lassen. Nicht zuletzt, da auch andere Gäste vorübergehend Unterschlupf finden sollten.















Bald konnte also im Keller eine Bar eröffnet werden, die "rikade bar" (bzw. "bar rikade") die - in Anknüpfung an die "Kalki" (2004-2010), deren "Inzest Bar" zum Treffpunkt der ganzen Szene wurde - jeden Mittwoch geöffnet hatte. Der Sonntag wurde zum Volxküchentag ernannt, an dem entweder Leute aus dem Haus oder Gäste das eine oder andere Dutzend Squatter bekochten.

Bis zum Sommer erhöhte sich die BewohnerInnenzahl auf etwa 15, 16 Personen, die sich in zwei Gruppen auf beide Gebäudehälften (je neun Wohnungen in insgesamt drei Etagen) aufteilten. Eine Siebdruck-Werkstatt wurde eingerichtet, samt wöchentlichem Workshop, an dem unter fachkundiger Anleitung gegen 20 CHF Aufwandsentschädigung (Siebe, Lösungsmittel, Farbe) T-Shirts, Flyer oder Plakate gedruckt werden konnten.

Der Umgang mit dem Eigentümer und den Kommunalbetrieben erwies sich als erstaunlich unkompliziert. Nachdem sich die Besetzung stadtweit herumgesprochen hatte, tauchten nach und nach Schornsteinfeger (Rauchfangkehrer ;)) auf, um den Kamin frei zu machen, Strom- und Wasserwerke kamen zum Zähler ablesen - bezahlt werden musste nie etwas. Der Besitzer trat nie in Kontakt mit den Besetzern. Verwaltet wurde die Liegenschaft von einem Immobilienunternehmen, das für die Besetzer nicht zu sprechen war. Auch gut.

Zweites Halbjahr
[in der Siebdruckwerkstatt]

Bis zum Winter erlebte das Friesi weiteren Zuzug. Per Ende Februar 2011 lebten schliesslich 24 Personen im Haus, womit das Friesi nach der Binz eindeutig der zweitgrößte bestehende Squat der Stadt war. Alle Zimmer waren somit vergeben, wobei von den 36 Zimmern auch einige für Gemeinschaftsräume abgezogen werden müssen: Das Erdgeschoss im ersten Gebäudeteil (3 Wohnungen à 2 Zimmer), waren als Volxküche/Aufenthaltsraum (mit Sofas und Beamer/Leinwand) sowie Siebdruckwerkstatt und Gästezimmer vorgesehen. Im zweiten Gebäudeteil gab es anstelle eines großen Gemeinschaftsbereiches eine eigene "Gemeinschaftswohnung", also zwei Wohnzimmer samt Bad und Küche. Aufgrund der Lage im hinteren Gebäudeteil, dem "Sitz" der zweiten Wohngruppe, sah es dort wesentlich gemütlicher und ordentlicher aus, als im "Durchgangsbahnhof" im vorderen Gebäudeteil.
[Bühnen-Deko]
Nach dem Sommer gelang es auch endlich, das Friesi Konzerttauglich zu machen: Dafür musste der Gang im Keller verlegt werden, die restlichen Kellerabteile wurden zerlegt und entfernt. Somit wurde endlich Platz für eine die Raumbreite ausfüllende Bühne samt Publikumsbereich (bis zur Bar/DJ-Tisch) frei - ein- und ausgehen konnte man nun auf der anderen Seite der Wand, wo Couches den bisherigen Chillout-Bereich neben der Bar, rund um den Tischfußball-Tisch, erweiterten. Außerdem konnte der Bereich mittels Paletten zu einer Tribüne für das Friesi Filmfestival umgebaut werden. In dieser Umbauphase wurde "sogar" ein Notausgang in eines der Garagentore eingebaut. Diese waren zwecks Lärmdämmung mit Matratzen und ähnlichem isoliert worden.

[Keller: Durchgang + Chillout nach Umbau]
Ein Veranstaltungshighlight des zweiten Halbjahres, kurz vor Ende der Friesi-Ära, war die "Queer Karaoke Madness" des Syndikats. Ein bunt gemischter, fröhlicher Haufen verkleidete und/oder schminkte sich auf der durch Vorhänge verdeckten Bühne, die zur Garderobe umfunktioniert wurde und sang Karaoke zu fürchterlich kitschigen, alten Pop-Schnulzen und -Hits. Also ganz so, wie es geplant war. Der Alkoholkonsum stieg ins Unermessliche, zu später Stunde war das Lager bei den meisten Getränken leer (das Friesi verfügt, als eines von wenigen Squats, über einen eigenen Getränkelieferanten zu Gastronomie-Preisen).

Friesi Filmfestival

Dieses fand am 19. Februar 2011 statt, von 20 Uhr bis 4 Uhr früh, gezeigt wurden auf zwei Leinwänden (Keller/Erdgeschoss) etwa 30 bis 40 Kurzfilme sowie (offenbar unzählige, von 100 bis 300 gehen die Angaben) "Ultra-Kurz-Filme". Viele davon wurden von ZHDK-Studierenden (Zürcher Hochschule der Künste) mitgebracht, von denen manche zum Bekanntenkreis einiger BesetzerInnen zählen. Mit zahlreichen Werken vertreten war etwa der ZHDK-Student Diego Hauenstein, dessen teils spielerische, teils experimentelle, teils nach etablierten Regeln hergestelle Kurz- und Ultrakurzfilme ein enorm breites Themen- Genre- und Handlungsspektrum abdecken (z.B. "Die Übergangslösung"). Mehrere Filme wurden sogar (teilweise) im Friesi gedreht. Auch internationale Produktionen waren zu sehen. Zu den Highlights zu zählen ist sicher der absurde Homemade Science-Fiction-Film "Schizoide Satelliten über St. Pauli" ("inspired by S. Kubrick/E.D. Wood Jr./F. Truffaut") von Roman Maeder, Katharina Peerdeman und David Russenberger.

Der Publikumszuspruch war äußerst zufriedenstellend. Beide (aus Holzpaletten) barrikadenartig (und teilweise mit Sofas ausgestatteten) aufgebauten Publikumstribünen dürften je etwa 20 bis 30 ZuseherInnen gefasst haben - und sollen laut Anwesenden die meiste Zeit voll besetzt gewesen sein (bzw. darüber hinaus). Endlich hat Zürich ein alternatives Filmfestival! Auf eine Fortsetzung in den nächsten Squats darf hoffentlich gehofft werden.

Frisiert

Eine weitere Neuerung des zweiten Halbjahres war/ist das Monatsprogrammheft "FRISIERT": reich bebildert und illustriert sowie äußerst informativ. Die erste Ausgabe erschien im November, vor wenigen Tagen erschien die März-Ausgabe, also Nr. 5. Das Cover ist ident mit jenem Plakat, dass auf die Friesi-Abschiedsparty am 4. März hinweist.

Eine Fortsetzung des Heftes auch in der Post-Friesi-Ära scheint wahrscheinlich, da das Heft szeneumfassend ausgelegt und nicht auf die Friesi beschränkt ist. Eine besondere Bedeutung kommt dem in einer Auflage von etwa 100 bis 150 Stück gedruckten Heft auch deswegen zu, da die Zürcher autonome und Squatter-Szene bis zum heutigen Tag extrem internetscheu, also so richtig "old school", ist. Obwohl über 20 Häuser in der Stadt besetzt sind, mehrere davon auch als Kultursquats gelten dürfen, findet sich nur wenig dazu im Internet. Eine bewusste Entscheidung freilich.

Das "FRISIERT" beinhaltet in der Heftmitte eine Monatsübersicht über unregelmäßige Veranstaltungen wie Konzerte, das Friesi Filmfestival, Diskussionsveranstaltungen und -cafés, Filmvorführungen, Soli-Partys und dergleichen aus dem Raum Zürich. Monatlich neu illustriert wird auch jene Doppelseite, die auf regelmäßige/wöchentliche Bars in Zürcher Squats hinweist. In der März-Ausgabe ist für jeden Wochentag eine Bar in einem anderen Haus angekündigt, wobei das Friesi ja im März eigentlich nicht mehr so oft Schauplatz einer Bar sein dürfte ...

Auch für regelmäßige Volxküchen gibt es eine eigene, kreativ gestaltete Doppelseite. Der Rest des Heftes sind sonstige Ankündigungen, Berichte, Satire, Karikaturen und ([nicht immer] politische) Comics. Einzigartig ist aber, dass jede Seite - sofern nicht ein "fremder" Beitrag - jeder Ausgabe komplett neu gestaltet wird. Die (eigenen) Texte werden auf Schreibmaschine getippt und dann auf die fertig illustrierten Seiten hineinkopiert. Sofern sie nicht komplett handgeschrieben sind. Oder so ähnlich. Jedenfalls voll retro und old school - und sehr schön und entsprechend begehrt.

Das Ende



Am 7. März 2011 wird mit den Abrissarbeiten begonnen. Erste Vorarbeiten am Gehsteig und im Garten waren bereits zu verzeichnen. Das Friesi wird durch einen "cocoon" genannten Yuppie-Neubau ersetzt.


Ausblick
Alles wird gut, dank der Friesi-Brut!
Da Hausbesetzer bekanntlich vom Himmel fallen, kann es keinen Ausblick geben. Der liebe Gott hats gegeben, der liebe Gott hats genommen. Oder waren es doch die Immobilienspekulanten und -verwerter?


Zitate

Zum Abschied noch ein paar Zitate - ohne Wertung - zum Friesi:
Wir kriegen ein Ultimatum gestellt und wissen, bis dann und dann müssen wir draussen sein. Im Gegenzug boykottieren wir den Auszug nicht, wie das in den achtziger Jahren der Fall war, wo es zu Zusammenstössen kam.

- Schweizer Volkspartei (SVP): Hausbesetzungen in Zürich Wiedikon
Mit der Hausbesetzerszene schwappt eine Welle linken Chaotentums in den den Kreis 3 über. [...] Mit einer Hausbesetzung einher geht immer auch eine Verslummung des Quartiers.
[...] Weiter kritisierte die SVP die polizeiliche Duldung von illegalen Hausbesetzungen. In solchen Liegenschaften bilde sich «eine gefährliche Brut»; einige der Demonstranten vom Freitag seien direkt aus dem besetzten Haus an der Friesenbergstrasse gekommen. Dem Stadtrat fehle der Wille, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Er müsse illegale Demonstrationen im «Keim ersticken» und Teilnehmer sofort verhaften.
Links

Weiterführende Infos und sonstige Links:

- Profil auf radar.squat.net
- "Merkblatt Hausbesetzungen" der Kantonspolizei Zürich

Samstag, 29. Januar 2011

No WKR 2011 - Die verbotene Demo

[letztes Update: 3.2.2011 (+Karte + Links)]
#nowkr 2011-Protest Map ;)
Einschub: Der Verlauf der Proteste an beiden Tagen (mit bebildertem Überblick über die verschiedenen Treffpunkte) aus Sicht der VeranstalterInnen wurde mittlerweile auf linksunten.indymedia.at veröffentlicht

Nach der für viele überraschenden Kesselung bei der NoWKR-Demo 2010 (bei der alle rund 500 DemonstrationsteilnehmerInnen angezeigt wurden sowie rund 170 unbeteiligte PassantInnen) setzte die Polizei dieses Mal auf ein totales Demonstrations- und Kundgebungsverbot - mit der absehbaren Folge einer Zersplitterung der Proteste auf die gesamte Innenstadt (besonders auf die Bezirke 6 bis 9, wie sich letztlich gezeigt hat). Abermals dürften rund 500 Personen an den dezentral, via SMS und Twitter koordinierten Proteszügen teilgenommen haben - Brennpunkte waren die Mariahilfer Straße und die Westbahnstraße, beide im siebten Bezirk, wo die Polizei zwei vom Gürtel hereinströmende Protestzüge gegen 19/20 Uhr einkesseln konnte.

Weitere Auseinandersetzungen bzw. Zusammenstöße mit der Poliei gab es im Laufe des Abends (bis etwa 23 Uhr wurden Aktivitäten gemeldet) beim Rathaus, vor dem Burgtheater, Heldentor (zeitweise großes Polizeiaufgebot, dann wieder fast gar keines), Volkstheater, Karlsplatz/TU (Foto), Kettenbrückengasse, Schwedenplatz, Stubentor und PAZ Rossauer Lände [Aufzählung mittlerweile mehr oder weniger vollständig; letztes Update: 30.1.2011] - die von der Polizei unter großem Personal- und Materialaufwand großräumig abgesperrten Bereiche um die Staatsoper, den Universitäts-Campus sowie die gesamte Innenstadt (die schon am Vorabend Schauplatz von Protesten war, siehe voriger Blogeintrag) wurden hingegen von den Demonstrierenden gemieden.

Außerdem gab es verschiedene Aktionen von Kleingruppen: so gelang es etwa, ein Transparent an der Hofburg anzubringen. Ein weiteres Transparent wurde am Gitter des Heldenplatzes angebracht, in Straßenbahnen und Bussen waren "Burschis platzen"-Luftballone zu sehen. Weiters wurde der erste Abend von einigen auch der Verschönerung revisionistischer Denkmale gewidmet.

Treffpunkte für die größten Demonstrationszüge (jeweils etwa 150 bis 200 Personen) waren zunächst die U6-Station Alser Straße, die U6-Station Burggasse sowie die Akademie der Bildenden Künste, wo der erste Protestzug schon um 17:40 Uhr (Quelle: SLP-Ticker) startete (und über die Mariahilfer Straße via Neubaugasse, Lerchenfelderstraße und dann zerstreut zur Alser Straße zog und sich teilweise mit den dort versammelten Personen traf).

Nach rund fünf bis sechs (!) Stunden an mehreren Dutzend Schauplätzen in den westlich der Innenstadt gelegenen Bezirken und Straßenzügen konnte die Polizei die Demonstrationen dann tatsächlich so weit zerstreuen und von einer Neu-Organisation abhalten (Twitter-Meldungen wurden zeitecht mitverfolgt), dass von einem durchschlagenden Erfolg des Polizeikonzeptes, das nach Medienberichten rund 1.200 [ursprünglich waren 900 angekündigt; nach Presse-Bericht am 30.1. korrigiert] BeamtInnen (mit Unterstützung aus den Bundesländern) miteinbezog, gesprochen werden muss. Oder anders gesagt:

"Sie [die Polizei] wollten mit möglichst viel Aufwand wenig erreichen und das ist ihnen gelungen"
(Zitat Wolfang Weber, WienTV.org
)

Ein Polizist meint sogar, "... die Demonstration is besser organisiert wie wir" (beim Eintreffen der Polizei in der Westbahnstraße/Gürtel auf diesem Video (bei 1:54) zu hören).

Radio Orange 94.0 berichtete den ganzen Abend über live von den Protesten. Den gesamten Mitschnitt gibts im Sendungsarchiv zum nachhören (Zusammenfassung).

BerichteViceland Today: WIEN DEMONSTRIERT ODER KESSELHÜPFEN FÜR FORTGESCHRITTENE
derstandard.at: Riesiges Polizei-Aufgebot, 500 Demonstranten, vier Festnahmen
scoop.at:
Wiener Linien, Polizei und der WKR-Ball 2011
fm4.orf.at: Katz und Maus
Die Presse: Wien: Die Demo-Metropole
SLP: NoWKR-Ticker des Demo-Abends der Sozialistischen Linkspartei
zurPolitik.com:
Die Vollkoffer im eigenen Auge
nochrichten.net: Unaufhaltsam, unberechenbar, vielfältig wie noch nie: Proteste gegen WKR-Ball 2011.

be24.at:
#nowkr - Wir sind Ägypten

Fotos
cg-politics: #nowkr2011 - demo(s) gegen ball des wiener korporationsring in der hofburg

Daniel Weber: Demonstration gegen den WKR-Ball 2011
... deutscher Berufsdemonstrant ;)

Videos und Videoberichte:
Wien Heute (ORF / keine Berichte in der Zeit im Bild!):

-> Bericht über Demonstration gegen WKR-Ball
WienTV.org:
-> NOWKR 2011 (ausführlicher Bericht mit Interviews des Polizeisprechers Hahslinger)
-> Daniel Hrncir:
NOWKR 2011 (wie es zum Kessel in der Westbahnstraße kam)
AG Doku:
-> 20110129 NoWKR (Eindrücke, Chronik-artig)
ichmachPolitik.at:
-> Spontane Demo gegen das Demonstrationsverbot zum WKR-Ball (am Vorabend, Innenstadt)
-> Erste Eindrücke der dezentralen Protestzüge, Neubaugasse Wien ... (Fahrrad-Kamera)
-> Nowkr-Demo: Dialog zwischen PassantInnen und 2 Polizisten vor dem Kessel in der Westbahnstrasse

-> Der brutalste Kessel bei der #nowkr Demo vor dem Burgtor ...
-> Einkesselung von ca. 200 Demonstranten in der Westbahnstrasse, ORF-Team wird (auch nicht) durchgelassen ...
diverse:
-> NO WKR Demo Impressionen 28/01/2011 (abgeriegelter Uni-Campus)
-> Superheld zum WKR-Ball ;)
-> OE24.AT // WKR Ball Demonstration 28.01.2011

Freitag, 28. Januar 2011

Wien: Spontandemo nach No-WKR-Demo-Verbot

Um 21 trafen sich gestern Abend (DO, 27.1.) nach Aufruf via SMS-Kette etwa 150 Personen um gegen das Verbot der Demonstration gegen den Ball des Wiener Korporationsring (WKR) zu protestieren. Die Demo wurde ja - wie im Vorjahr - kurzfristig verboten (der ursprünglich für 25.1. angesetzte Entscheidung über Genehmigung der Demonstration vom Praterstern zum Museumsquartier wurde ja auf Donnerstag verschoben). Dem voraus ging eine beispiellose Hetzkampagne durch die Raiffeisen-Zeitung "Kurier", die mit erfundenen Behauptungen von Gewaltaufrufen und zahlreichen verletzten PolizistInnen in de Vorjahren Panik vor einer angemeldeten Demonstration gegen das rechtsextreme Vernetzungstreffen WKR-Ball schürte ("Korporationsball: Anarchos wollen Revanche", 25.1., "Linker Tango um den rechten Walzer", 27.1. - beides Mal mit Bildern vom einzigen Ausbruchsversuch einiger DemonstrationsteilnehmerInnen aus dem unvermittelt angewendeten Polizeikessel 2010, bei dem 500 DemonstrantInnen und etwa 200 PassantInnen und AnrainerInnen bis zu 5 Stunden lang festgehalten wurden).

Unter Skandierung von Parolen wie "Wir demonstrieren, wo wir wollen, gegen Repressionen und Kontrollen" zog die Demonstration vom Stephansplatz via Graben - Am Hof - Freyung zum Schottentor, von dort über Universitätsstraße - Landesgerichtsstraße zur Lichtenfelsgasse - vorbei an der ÖVP-Zentrale, durch den Rathauspark zum Burgtheater und am Ring wieder zur Universität. Da die Polizei, die der Demonstration bis dahin in Unterzahl nachtrottete, mittlerweile die Auflösung der Versammlung "im Namen der europäischen Menschrechtskonvention" (!?) angekündigt hat, löste sich die Demonstration vorübergehend auf um sich wenig später neu zu formieren.

(Foto: Polizei trifft am Naschmarkt ein, twitpic, @dopiradikal)
Etwa gegen 22 Uhr versammelten sich erneut rund 70 Personen an der Staatsopernkreuzung, zog nach einer kurzen Straßenblockade, die nach etwa 10 Minuten von Polizeieinheiten bemerkt wurde, über die Operngasse zum Getreidemarkt. Als nach und nach Polizei sowie eine WEGA-Sektorstreife eintraf zerstreute sich die Demonstration über den Naschmarkt. Bis 23 Uhr dürften sich alle Gruppen aufgelöst haben.

Recht auf Versammlungsfreiheit wird wahrgenommen

Für heute, Freitag (28.1.2011), den Tag des WKR-Balls, wird aufgerufen, sich über Versammlungen auf www.nowkr.at oder No WKR 2011 auf Facebook zu informieren. Die ÖH hat zwar als Kompromiss mit der Polizei eine "Standkundgebung" im Votivpark anmelden können. Doch diese wird durch die Polizei wohl wie im vergangenen Jahr als Gefängniskessel betrachtet werden, aus dem sich nach Eintreten niemand mehr ohne Anzeige entfernen kann. Von einer Versammlung am Praterstern (wie wochenlang angekündigt) wird dringend abgeraten. Umso mehr wird all jenen, die sich das Recht auf Versammlungsfreiheit nicht verbieten lassen wollen, die vorherige Information auf den genannten No-WKR-Seiten empfohlen! Auch eine Twitter-Suche unter dem Hashtag #nowkr ist für aktuelle Informationen empfehlenswert.

Das Antinationale Bündnis ruft für 17 Uhr zum Treffen beim Infopoint am Uni-Campus, Hof 2, auf - alle Infos dazu auf anbw.blogsport.eu.

Weitere Informationen zur Spontandemo:
- anbw.blogsport.eu: The Streets are ours!!! - Spontandemo
- nochrichten.net: Flammender Protest gegen Untersagung der Demonstration gegen Rechtsextremenball.
- cg-politics: spontandemo wegen verbotes der anti-wkr-ball-demo

- Video / WienTV.org: Spontane Demo gegen das Demonstrationsverbot zum WKR-Ball

Zum Demo-Verbot:
wien.orf.at: WKR-Ball: Standkundgebung statt Demo

Mittwoch, 19. Januar 2011

In Deckung gehen, die größte Menschenrechtsorganisation ist unterwegs!

In den letzten Tagen wurden mehrere Verhaftungen von nigerianischen Flüchtlingen, die teilweise seit 8 bis 10 Jahren in Österreich leben, bekannt. In einem Fall sprang ein Mann aus dem Fenster seiner Wohnung und verletzte sich schwer. Auch ein (weiterer) FC Sans Papiers-Spieler soll unter den Verhafteten sein. In einem anderen Fall wurde eine Frau, die von Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen wurde, verhaftet, nachdem sie bei der Polizei eine Aussage gegen die Menschenhändler gemacht hatte. Die Polizei, befohlen von einer feigen und menschenverachtenden Politik, geht natürlich nicht gegen die Menschenhändler vor (diese sind ja gefährlich!) sondern gegen deren Opfer. Die Menschenhändler können also ungestört weiter machen, denn wer gegen sie aussagt wird von der österreichischen (!) Polizei (!) beseitigt (!). Dieses Vorgehen ist auch schon im Fall "abtrünniger" Tschetschenen bekannt, wo die tschetschenischen Auftraggeber von der österreichischen Polizei geschützt werden und politische Auftragsmorde folgenlos bleiben. Oder auf städtischer Ebene vom Bettelverbot, das sich angeblich gegen "organisiertes Betteln" wendet, aber in der Praxis nur gegen die Bettler selbst, nicht jedoch gegen etwaige Hintermänner angewendet wird.

"Menschenhandelsopfer, Brandanschlagsopfer, Fußballspieler und rund 30 mehr"

(Zitat: nochrichten.net)

Bei jenem Frontex-Abschiebeflug, der in der Nacht vom 19. auf 20. Jänner 2011 abgewickelt wird (vermutlich zwischen 0 und 1 Uhr) sollen dem Vernehmen nach insgesamt 15 (bis 20 oder 30) Personen abgeschoben werden. Ob ein Zusammenhang zu den Vorfällen im Wiener Tanzlokal "Congo" besteht, wo unter dem polizeiintern gebräuchlichen Schlagwort "Neger umhacken" mehrere afrikanisch-stämmige Personen beschimpft, schikaniert und unter fadenscheinigen Vorwürfen angezeigt wurden, besteht, ist nicht bekannt. Offenkundig ist aber das in letzter Zeit immer drastischere Vorgehen gegen Flüchtlinge mit dunkler Hautfarbe (von Populisten und Rechten pauschal als "Drogendealer" diffamiert) durch die Polizei (vgl. hierzu auch den kürzlich vor Gericht verhandelten Fall Mike Brennan).

Vor Gericht werden sich jene Beamte, die vor Ende des Verfahrens über humanitären Aufenthalt (beim MA 35 anhängig) vollendete Tatsachen geschaffen haben, jedoch nie verantworten müssen. Eine Verfahren zu "humanitärem Bleiberecht" hat keine aufschiebende Wirkung. Es ist zudem kein Recht, sondern wird nach freiem Ermessen der zuständigen (Weisungsgebundenen) Beamten gewährt oder auch nicht gewährt (oder das Verfahren wird überhaupt eingestellt, da die Polizei während des Verfahrens abschiebt).

kleine Demonstration - große Polizei

Am Vorabend des 19. Jänner wurde via Twitter und Facebook zu einer Demonstration um 17 Uhr vor dem Polizeianhaltezentrum (PAZ) Rossauer Lände aufgerufen. Etwa 50 Personen folgten dem Aufruf. Medienberichte, denen zufolge der Aufruf vom Verein Purplesheep stammt, sind nicht wahr und werden vom Verein auf Facebook dementiert. Die Kundgebung war nicht angemeldet und wurde nach wenigen Minuten eingekesselt und nach 1,5 Stunden Polizeikessel aufgelöst. Nachdem die versammelten Personen die Straße vor dem PAZ Rossauer Lände betraten wurde sofort die Auflösung und Räumung angekündigt bzw. angedroht. Die Menge setzte sich daraufhin (wie üblich) in Bewegung, die Polizei forderte Verstärkung an und stoppte die Demonstration auf Höhe Hörlgasse 14, Ecke Liechtensteinstraße. Die Personalien der DemonstrantInnen sowie unbeteiligter PassantInnen (auch die NEWS-Redakteurin Corinna Milborn befand sich darunter) wurden aufgenommen, Anzeigen wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und die Straßenverkehrsordnung drohen. Strafrahmen: Im Wiederholungsfall bis zu 700 €.

Gezählte 14 VW-Kleinbusse, 8 Streifenwagen und 1 (unbenötigter) Gefangenentransporter waren im Einsatz. Nach Auskunft anwesender Personen soll ein Beamte gesagt haben, dass es sich bei diesem überdimensionierten Einsatz um eine "Übung" für die No-WKR-Demonstration am 28. Jänner handeln soll.

Klotzen, nicht kleckern, heißt es, wenn es um Einsätze der Wiener Polizei gegen Men
schenrechtsaktivistInnen geht - ein Engagement, das man beim (kaum vorhandenen) Vorgehen gegen organisierte Kriminalität (und damit mein ich nicht TierschützerInnen, sondern Auftragsmorde, Korruption und rechtsextreme Brandanschläge) vermisst.







In der Tat sind solch überdimensionierte Einsätze selten, jedoch nicht ungewöhnlich (auch in der ersten Hälfte des Jahres 2010 wurde besonders massiv gegen Anti-Abschiebungs-Demonstrationen vorgegangen, ein Mal war sogar ein großer Polizeibus im Einsatz, die Demonstranten wurden von einer Hundertschaft von Polizisten ab dem Schwedenplatz durch die Innenstadt gejagt). Bekannt ist aber auch, dass die Polizei vor Großereignissen tatsächlich kleinere Ereignisse zum Anlass für hartes Durchgreifen heranzieht. So etwa im Vorfeld der EM 2008.

Rassistische Wortmeldungen von Polizisten

Mehrere rassistische Wortmeldungen von Polizisten wurden dokumentiert. Eine Passantin fragt, um was es bei der Demo geht. Antwort des Polizisten: "Das sind Menschen die nicht wollen das kriminelle Ausländer abgeschoben werden." Polizist zu einem Demonstranten: "Wegen a bor Nega gehts es demonstriern?" (Quelle)

Weitere Informationen (siehe auch Links im Fließtext)

- Daniel Weber: DEMO gegen die Abschiebung von mindestens 3 Asylwerbern nach Nigeria (Bericht mit Fotos und Videos)
- NEWS: Neuer Skandal um Abschiebung: Opfer von Frauenhandel droht in Nigeria der Tod
- No-Racism.net: Proteste gegen Sammelabschiebung am 20. Jänner 2011
- wirbelwind.noblogs.org: Demonstration gegen geplante Abschiebung nach Nigeria
- nochrichten.net: Menschenhandelsopfer, Brandanschlagsopfer, Fußballspieler und rund 30 mehr: Sammelabschiebung nach Nigeria in der Nacht auf 20. Jänner – Protestaktionen und Polizeikessel. (besonders ausführlich!)
- Grüne Wien / Klaus-Werner Lobo: Opfer von Menschenhandel darf nicht abgeschoben werden! (OTS-Aussendung)
- Martin Juen: Polizeikessel bei Demonstration gegen Abschiebung | 19.01.2011 (flickr-Fotoalbum)
 
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